In seinem Buch »Komplizen des Erkennungsdienstes« geht es Andreas Bernard um das Selbst in der digitalen Kultur. Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass auffällig viele Verfahren der Selbstpräsentation und Selbsterkenntnis in der digitalen Kultur auf Methoden zurückgehen, die in der Kriminologie, Psychologie und Psychiatrie seit dem Ende des 19. Jahrhunderts erdacht wurden: Das Format des »Profils«, in den Sozialen Netzwerken heute unbestrittener Ort der Selbstdarstellung, entstand als »psychiatrisches Profil« von Internierten oder als »Täterprofil« von Serienmördern. Die Selbstortung auf dem Smartphone, ohne die kein Pokémon-Go-Spiel und keine Registrierung bei Uber, Yelp oder Lieferando möglich wäre, nutzt eine Technologie, die bis vor zehn Jahren hauptsächlich im Zusammenhang mit der elektronischen Fußfessel bekannt war. Und die Vermessungen der »Quantified Self«-Bewegung zeichnen Körperströme auf, die einst die Entwicklung des Lügendetektors voranbrachten. Andreas Bernardfördert die wissensgeschichtlichen Zusammenhänge zutage und geht der irritierenden Frage nach, warum Geräte und Verfahren, die bis vor kurzem Verbrecher und Wahnsinnige dingfest machen sollten, heute als Vehikel der Selbstermächtigung gelten.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.09.2017Verbrechen und Versprechen
Früher bekamen nur Serienmörder und Psychiatrie-Patienten ein Profil – heute erstellen die Menschen ihres im Netz selbst.
Andreas Bernards Buch „Komplizen des Erkennungsdienstes“ diagnostiziert ein fatales Selbstbild in der digitalen Kultur
VON JENS-CHRISTIAN RABE
Das Nachdenken über die technologische Entwicklung steckt in einer Sackgasse. Nur unwesentlich vereinfacht kann man sagen, dass es bei der Einschätzung der Lage zwei unversöhnliche Lager gibt: ein hysterisch-progressives und ein hysterisch-depressives. Die fatalistisch-depressiven Digitalisierungskritiker verzweifeln beredt an der rapide wachsenden Macht, der ungezügelten Datensammelwut und der schieren Skrupellosigkeit der vier Tech-Giganten Facebook, Amazon, Google und Apple.
Die Hysterisch-Progressiven wie der Milliardär Elon Musk wiederum sammeln und gebrauchen jeden Tag kaum vorstellbare Summen Kapital für Geschäftsideen, die „die Welt zu einem besseren Ort“ machen sollen. Einen dritten Weg scheint es nicht mehr zu geben.
Dafür ist ein Widerspruch in der Welt, der gerade wieder einmal mit Händen zu greifen ist, wenn man zwei aktuelle Ereignisse, die zunächst nicht allzu viel miteinander zu tun zu haben scheinen, nebeneinanderlegt.
Da war zum einen der Streit zwischen dem amerikanischen Präsidenten Donald Trump und dem Facebook-Chef Mark Zuckerberg, in dem Trump beklagte, dass Facebook „immer“ gegen ihn sei, und Zuckerberg darauf hinwies, dass er nun mal „eine Plattform für alle Ideen“ betreibe. Zum anderen gab es den dreiminütigen Trailer zum neuen Apple iPhone X, in dem ohne auch nur einen Hauch Zurückhaltung avancierteste Gesichtserkennungs- und Bildmanipulationstechnologie für den Heimgebrauch gepriesen wird: „Sie entschlüsseln Ihr Telefon mit einem Blick, wir nennen es Face-ID, dafür kartografiert Ihr Smartphone Ihr Gesicht mittels 30 000 unsichtbaren Punkten.“
Apple war einmal die Computerfirma, die 1984 in einem spektakulären Spot versprach, dass sie dafür sorgen werde, dass das Jahr 1984 nicht so werde, wie es sich George Orwell in seinem berühmten dystopischen Roman „1984“, in dem es um das Leben in einem totalitären Überwachungsstaat geht, einst ausgemalt habe. Jetzt fehlte am Ende den Spots eigentlich nur die Zeile: „iPhone X – damit 2017 so ist wie ,1984‘. Die Technik dafür haben wir.“
Aber wirklich interessant wird es, wenn man versucht, den ideologischen Grund auf den Begriff zu bringen, den Zuckerbergs Antwort auf Trump und Apples Aufruf zur freiwilligen Selbstverdatung teilen: die totale Individualisierung als Befreiung. Diese aus dem nutzerfixierten Design Thinking abgeleitete Idee ist der Kern der Ideologie des Silicon Valley. Es ist deshalb übrigens auch zwingend, wenn man – wie es kürzlich etwa das französische Nachrichtenmagazin Le Point sogar auf seinem Titel tat – Zuckerberg, Musk, den Google-Kopf Sergey Brin und den Investor Peter Thiel nicht nur für mächtige Unternehmer hält, sondern auch für die einflussreichsten Denker der Welt.
Der Widerspruch liegt darin, dass die zeitgenössische Huldigung des Individuums und seiner Bedürfnisse inzwischen die Grundlagen aller künftigen Unversehrtheit eben dieses Individuums auszuhöhlen vermögen, und zwar – und das ist das so Neue wie Erschreckende – in bislang beispielloser Komplizenschaft aller Beteiligten. Der Handel, den im Westen längst auch die größten Kritiker abgeschlossen haben, lautet kurz und nur auf den ersten Blick trivial: Daten gegen Freiheit.
Sehr gelobt werden muss deshalb das soeben erschienene Buch des Lüneburgers Kulturwissenschaftlers Andreas Bernard: „Komplizen des Erkennungsdienstes – Das Selbst in der digitalen Kultur“ (S. Fischer Verlag). Für das Nachdenken über das Digitalzeitalter skizziert es tatsächlich so etwas wie einen dritten Weg, in dem es die Diskussion in fünf Kapiteln auf die Frage bringt, was es unter den Bedingungen unseres Jahrhunderts nun heißen soll, ein Subjekt zu sein, ein handelnder Mensch also, einer, der sein Leben, soweit es eben geht, selbst lebt und nicht von ihm gelebt wird. Durchaus allerdings mit offenem Ende. Bernards Ausgangsbeobachtung ist dabei, dass die Verfahren heutiger Selbstrepräsentation und Selbsterkenntnis mittels der „Profile“, die man von sich etwa in den sozialen Medien anlegt, aber auch mittels der intensiven Nutzung der Smartphone-Ortung oder der digitalen Körpervermessungen aller Art – dass all dies auf Methoden zurückgehe, die in der Kriminologie, Psychologie oder Psychiatrie seit dem Ende des 19. Jahrhunderts erdacht worden sind. Es dürfe nicht vergessen werden, dass „bis vor 20 oder 25 Jahren nur Serienmörder oder Wahnsinnige Gegenstand eines ,Profils‘“ gewesen seien.
Diese Selbstverständlichkeit der Profilierung habe zu einem fundamental veränderten Selbstbild des Menschen geführt, so Bernard, was wiederum politisch und rechtlich nicht ohne Folgen bleiben kann.
Besonders eindrucksvoll ist in diesem Zusammenhang die Lektüre Bernards von Orwells „1984“. Entgegen der verbreiteten Lesart, die nach Trumps Amtsübernahme die Parallelen zwischen der Gegenwart und dem Roman betonte, hält er die Differenz für aussagekräftiger: Subversion bedeute bei Orwell immer, Refugien zu finden, an die der Medienverbund aus Teleschirmen und Mikrofonen nicht heranreiche. Der Einzelne, dem bei Orwell die Vereinheitlichung der Gedanken drohe, vermöge nur jenseits der elektronischen Datenerfassung seine menschliche Würde zu erhalten. Heute dagegen zehrten „Verdatungsprozesse“ die Identität nicht mehr aus, sondern bestimmten ihre Gestaltung und Repräsentation. Zum Kern des Menschlichen ist geworden, was medial kommuniziert werden kann.
Im letzten, wichtigsten und beunruhigendsten Kapitel geht es schließlich um diese Freiwilligkeit und die „Macht der Verinnerlichung“. Bernard resümiert: „Zweifellos gehört es zu den auffälligsten Kennzeichen der Gegenwart, dass Prozesse der Normierung und Regulierung von Menschen, die bis vor wenigen Jahrzehnten von einer staatlichen, wissenschaftlichen oder polizeilichen Instanz gesteuert worden sind, nun auf die betreffenden Individuen übergehen.“ Und zwar nicht nur bei der Zirkulation persönlicher Daten, sondern auch, wenn man die Entwicklung der Pränatal- und Präimplantationsdiagnostik oder der Sterbehilfe betrachte.
Es fällt nicht schwer, dies als gar nicht so schleichende Entkollektivierung zu deuten, vor deren Hintergrund die Jagd nach einem Drogerie-Erpresser nicht schnell genug gehen kann, und, wie für AfD-Wähler, der liberale Verfassungsstaat plötzlich der denkbar schlimmste Feind auf Erden ist.
Es gibt eine Verschiebung dessen, was es heißt, frei zu sein. So ist man am Ende doch auch ein depressiver Fatalist geworden, nur mit beängstigend guten Gründen. Der monströse letzte Satz des Buches, der „1984“ wie ein Kinderbuch erscheinen lässt, lautet: „Das Versprechen unserer Selbstentfaltung ist eine mächtigere Waffe als jede Vereinheitlichung der Gedanken.“
Ob Smartphone-Ortung oder
Körpermesswerte – der Handel
lautet: Daten gegen Freiheit
Zum Kern des Menschlichen
ist geworden, was
sich medial mitteilen lässt
Was ist das Subjekt in der digitalen Welt? Mehr als ein Kopf aus dem Computer.
Foto: imago / Science Photo Library
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Früher bekamen nur Serienmörder und Psychiatrie-Patienten ein Profil – heute erstellen die Menschen ihres im Netz selbst.
Andreas Bernards Buch „Komplizen des Erkennungsdienstes“ diagnostiziert ein fatales Selbstbild in der digitalen Kultur
VON JENS-CHRISTIAN RABE
Das Nachdenken über die technologische Entwicklung steckt in einer Sackgasse. Nur unwesentlich vereinfacht kann man sagen, dass es bei der Einschätzung der Lage zwei unversöhnliche Lager gibt: ein hysterisch-progressives und ein hysterisch-depressives. Die fatalistisch-depressiven Digitalisierungskritiker verzweifeln beredt an der rapide wachsenden Macht, der ungezügelten Datensammelwut und der schieren Skrupellosigkeit der vier Tech-Giganten Facebook, Amazon, Google und Apple.
Die Hysterisch-Progressiven wie der Milliardär Elon Musk wiederum sammeln und gebrauchen jeden Tag kaum vorstellbare Summen Kapital für Geschäftsideen, die „die Welt zu einem besseren Ort“ machen sollen. Einen dritten Weg scheint es nicht mehr zu geben.
Dafür ist ein Widerspruch in der Welt, der gerade wieder einmal mit Händen zu greifen ist, wenn man zwei aktuelle Ereignisse, die zunächst nicht allzu viel miteinander zu tun zu haben scheinen, nebeneinanderlegt.
Da war zum einen der Streit zwischen dem amerikanischen Präsidenten Donald Trump und dem Facebook-Chef Mark Zuckerberg, in dem Trump beklagte, dass Facebook „immer“ gegen ihn sei, und Zuckerberg darauf hinwies, dass er nun mal „eine Plattform für alle Ideen“ betreibe. Zum anderen gab es den dreiminütigen Trailer zum neuen Apple iPhone X, in dem ohne auch nur einen Hauch Zurückhaltung avancierteste Gesichtserkennungs- und Bildmanipulationstechnologie für den Heimgebrauch gepriesen wird: „Sie entschlüsseln Ihr Telefon mit einem Blick, wir nennen es Face-ID, dafür kartografiert Ihr Smartphone Ihr Gesicht mittels 30 000 unsichtbaren Punkten.“
Apple war einmal die Computerfirma, die 1984 in einem spektakulären Spot versprach, dass sie dafür sorgen werde, dass das Jahr 1984 nicht so werde, wie es sich George Orwell in seinem berühmten dystopischen Roman „1984“, in dem es um das Leben in einem totalitären Überwachungsstaat geht, einst ausgemalt habe. Jetzt fehlte am Ende den Spots eigentlich nur die Zeile: „iPhone X – damit 2017 so ist wie ,1984‘. Die Technik dafür haben wir.“
Aber wirklich interessant wird es, wenn man versucht, den ideologischen Grund auf den Begriff zu bringen, den Zuckerbergs Antwort auf Trump und Apples Aufruf zur freiwilligen Selbstverdatung teilen: die totale Individualisierung als Befreiung. Diese aus dem nutzerfixierten Design Thinking abgeleitete Idee ist der Kern der Ideologie des Silicon Valley. Es ist deshalb übrigens auch zwingend, wenn man – wie es kürzlich etwa das französische Nachrichtenmagazin Le Point sogar auf seinem Titel tat – Zuckerberg, Musk, den Google-Kopf Sergey Brin und den Investor Peter Thiel nicht nur für mächtige Unternehmer hält, sondern auch für die einflussreichsten Denker der Welt.
Der Widerspruch liegt darin, dass die zeitgenössische Huldigung des Individuums und seiner Bedürfnisse inzwischen die Grundlagen aller künftigen Unversehrtheit eben dieses Individuums auszuhöhlen vermögen, und zwar – und das ist das so Neue wie Erschreckende – in bislang beispielloser Komplizenschaft aller Beteiligten. Der Handel, den im Westen längst auch die größten Kritiker abgeschlossen haben, lautet kurz und nur auf den ersten Blick trivial: Daten gegen Freiheit.
Sehr gelobt werden muss deshalb das soeben erschienene Buch des Lüneburgers Kulturwissenschaftlers Andreas Bernard: „Komplizen des Erkennungsdienstes – Das Selbst in der digitalen Kultur“ (S. Fischer Verlag). Für das Nachdenken über das Digitalzeitalter skizziert es tatsächlich so etwas wie einen dritten Weg, in dem es die Diskussion in fünf Kapiteln auf die Frage bringt, was es unter den Bedingungen unseres Jahrhunderts nun heißen soll, ein Subjekt zu sein, ein handelnder Mensch also, einer, der sein Leben, soweit es eben geht, selbst lebt und nicht von ihm gelebt wird. Durchaus allerdings mit offenem Ende. Bernards Ausgangsbeobachtung ist dabei, dass die Verfahren heutiger Selbstrepräsentation und Selbsterkenntnis mittels der „Profile“, die man von sich etwa in den sozialen Medien anlegt, aber auch mittels der intensiven Nutzung der Smartphone-Ortung oder der digitalen Körpervermessungen aller Art – dass all dies auf Methoden zurückgehe, die in der Kriminologie, Psychologie oder Psychiatrie seit dem Ende des 19. Jahrhunderts erdacht worden sind. Es dürfe nicht vergessen werden, dass „bis vor 20 oder 25 Jahren nur Serienmörder oder Wahnsinnige Gegenstand eines ,Profils‘“ gewesen seien.
Diese Selbstverständlichkeit der Profilierung habe zu einem fundamental veränderten Selbstbild des Menschen geführt, so Bernard, was wiederum politisch und rechtlich nicht ohne Folgen bleiben kann.
Besonders eindrucksvoll ist in diesem Zusammenhang die Lektüre Bernards von Orwells „1984“. Entgegen der verbreiteten Lesart, die nach Trumps Amtsübernahme die Parallelen zwischen der Gegenwart und dem Roman betonte, hält er die Differenz für aussagekräftiger: Subversion bedeute bei Orwell immer, Refugien zu finden, an die der Medienverbund aus Teleschirmen und Mikrofonen nicht heranreiche. Der Einzelne, dem bei Orwell die Vereinheitlichung der Gedanken drohe, vermöge nur jenseits der elektronischen Datenerfassung seine menschliche Würde zu erhalten. Heute dagegen zehrten „Verdatungsprozesse“ die Identität nicht mehr aus, sondern bestimmten ihre Gestaltung und Repräsentation. Zum Kern des Menschlichen ist geworden, was medial kommuniziert werden kann.
Im letzten, wichtigsten und beunruhigendsten Kapitel geht es schließlich um diese Freiwilligkeit und die „Macht der Verinnerlichung“. Bernard resümiert: „Zweifellos gehört es zu den auffälligsten Kennzeichen der Gegenwart, dass Prozesse der Normierung und Regulierung von Menschen, die bis vor wenigen Jahrzehnten von einer staatlichen, wissenschaftlichen oder polizeilichen Instanz gesteuert worden sind, nun auf die betreffenden Individuen übergehen.“ Und zwar nicht nur bei der Zirkulation persönlicher Daten, sondern auch, wenn man die Entwicklung der Pränatal- und Präimplantationsdiagnostik oder der Sterbehilfe betrachte.
Es fällt nicht schwer, dies als gar nicht so schleichende Entkollektivierung zu deuten, vor deren Hintergrund die Jagd nach einem Drogerie-Erpresser nicht schnell genug gehen kann, und, wie für AfD-Wähler, der liberale Verfassungsstaat plötzlich der denkbar schlimmste Feind auf Erden ist.
Es gibt eine Verschiebung dessen, was es heißt, frei zu sein. So ist man am Ende doch auch ein depressiver Fatalist geworden, nur mit beängstigend guten Gründen. Der monströse letzte Satz des Buches, der „1984“ wie ein Kinderbuch erscheinen lässt, lautet: „Das Versprechen unserer Selbstentfaltung ist eine mächtigere Waffe als jede Vereinheitlichung der Gedanken.“
Ob Smartphone-Ortung oder
Körpermesswerte – der Handel
lautet: Daten gegen Freiheit
Zum Kern des Menschlichen
ist geworden, was
sich medial mitteilen lässt
Was ist das Subjekt in der digitalen Welt? Mehr als ein Kopf aus dem Computer.
Foto: imago / Science Photo Library
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Ein ebenso erhellendes wie beunruhigendes Buch! Julia Kospach Falter 20171011