Solidarität verlangt die Bereitschaft zu dauerhafter wechselseitiger Hilfsbereitschaft, und zwar über Liebe und Barmherzigkeit hinausgehend. Das setzt eine Ausbalancierung zwischen Abstand und Nähe unter Bürgerinnen und Bürgern voraus, sofern sich nicht der Staat anmaßen will, das Solidarische dirigistisch zu verordnen. Solidarisch gesonnene Zeitgenossen verbinden heiße Herzen mit kühlem Verstand, sie paaren Einfühlsamkeit mit der Anerkennung der Autonomie des Anderen. Doch das geht nicht ohne Konflikte ab. Auch wenn einvernehmliches Miteinander in Zeiten existentieller Krisen etwa des Gesundheitssystems, der natürlichen Lebensgrundlagen oder der Wirtschaft ein Gebot der Stunde ist, lösen sich Interessenunterschiede gesellschaftlicher Gruppen nicht einfach in Luft auf. Häufig helfen uns erst historische Rückblicke, den Ernst einer Lage realistisch einzuschätzen. Dann zeigt sich nämlich, dass sich dort, wo sozialer Zusammenhalt brüchig wird, weil sich hemmungsloser IndividualismusRaum verschafft, diese beunruhigende Frage in den Vordergrund schiebt: Kann es überhaupt noch gelingen, das Band der Solidarität wieder fester zu knüpfen, ohne die Freiheit des Einzelnen bei gleichzeitiger Anerkennung sozialer Vielfalt preiszugeben?
Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
Rezensent Ralph Gerstenberg lernt beim Gewerkschaftssoziologen Jürgen Prott eine Menge über Solidarität, ihre Konfliktpotenziale, Formen und Grenzen. Wie Solidarität gestern aussah, als es gegen den Klassenfeind ging, und wie sich betriebliche Solidarität heute konkret gestaltet, berichtet der Autor laut Gerstenberg anschaulich mit Expertise beziehungsweise anhand von Interviews mit beteiligten Beschäftigen und Betriebsräten. Dass der Fokus des Buches auf Arbeitnehmersolidarität liegt, scheint dem Rezensenten zwar mitunter etwas eng, aber insgesamt doch anregend und was den Begriff des Solidarischen angeht durchaus auch klärend.
© Perlentaucher Medien GmbH
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