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An einer Süddeutschen Universität sollen die beiden philosophischen Institute aus Kostengründen zusammengelegt werden. Doch zwischen ihnen bestehen ausgeprägte Spannungen und sehr unterschiedliche Auffassungen von Philosophie. Leiter von Institut Eins ist ein akribisch und zurückgezogen arbeitender Gelehrter der alten Schule. Leiter von Institut Zwei ein stromlinienförmiger Karrierist des neuen Denkens, der lieber interne Machtkämpfe führt und sich im Fernsehen zeigt, als sich um seine Studenten zu kümmern. In dieses schwer durchschaubare Geflecht von Ambitionen, Animositäten und Intrigen…mehr

Produktbeschreibung
An einer Süddeutschen Universität sollen die beiden philosophischen Institute aus Kostengründen zusammengelegt werden. Doch zwischen ihnen bestehen ausgeprägte Spannungen und sehr unterschiedliche Auffassungen von Philosophie. Leiter von Institut Eins ist ein akribisch und zurückgezogen arbeitender Gelehrter der alten Schule. Leiter von Institut Zwei ein stromlinienförmiger Karrierist des neuen Denkens, der lieber interne Machtkämpfe führt und sich im Fernsehen zeigt, als sich um seine Studenten zu kümmern. In dieses schwer durchschaubare Geflecht von Ambitionen, Animositäten und Intrigen gerät ein junger Philosoph ... »Gelungene Synthese aus Campus-Geschichte und philosophischem Roman ... Schmissig zu lesen und dennoch erzählerisch gewieft.« (Robert Habeck im "Rheinischen Merkur")
Autorenporträt
Händler, Ernst-Wilhelm
Ernst-Wilhelm Händler wurde 1953 in München geboren, studierte Philosophie und Wirtschaftswissenschaften und lebt als Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens in Regensburg. 'Stadt mit Häusern' war 1995 sein vielbeachtetes literarisches Debüt, dem die Romane 'Kongreß' (1996; dtv 12586), 'Fall' (1997; dtv 12731), 'Sturm' (1999; dtv 13163) und 'Wenn wir sterben' (2002) folgten. 1999 erhielt Händler den Erik-Reger-Preis des Landes Rheinland-Pfalz.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.10.1996

Rückwärts wider den Sonnabend
Ernst-Wilhelm Händler konferiert / Von Harald Hartung

Mit zweiundvierzig Jahren, in einem Alter, in dem manch hoffnungsvolles Talent ausgeschrieben ist, weil es das Pulver seiner Selberlebensbeschreibung verschossen hat, debütierte vorigen Herbst der Regensburger Ernst-Wilhelm Händler mit einem Band Erzählungen. Die elf Texte von "Stadt mit Häusern" befremdeten und faszinierten zugleich. Sie laborierten weder an den obligaten Selbstfindungsprozessen, noch suchten sie nach einer karrieredienlichen Erkennungsmelodie.

Sie lieferten vielmehr, kalt und virtuos, elf Modelle möglicher Welten, elf erzählte Monaden. Sie stellten, oft in Form von Monologen, Figuren aus eigenem Recht und eigenem Schicksal vor - keine bloß die Maske oder ein Bauchredner des Autors. Und diese Figuren - vom westdeutschen Grundstücksmakler in den neuen Ländern bis zu den Kids einer phantastischen postapokalyptischen Welt - bewegten sich vor beklemmend genau gezeichneten Kulissen. Der Autor bewies Intelligenz und Phantasie, aber auch die Weltkenntnis eines Mannes, der sich im Leben umgetan hat. Was damit zusammenhängen mag, daß Händler, der Philosophie und Betriebswirtschaft studierte, nicht freier Schriftsteller wurde, sondern seine Prosa den Stunden abzwackt, die ihm die Arbeit als Chef einer Gerätebaufirma übrigläßt.

Wer sich von diesem Debüt beeindruckt zeigte, mochte sich dennoch fragen, was Händlers Gedankenspiele und Wirklichkeitsexkursionen über den Rang von Etüden oder Pastiches erhebt, die freilich Namen wie Musil, Broch oder Thomas Bernhard suggerieren. Die Pranke des Löwen - so die Kritik - lag auf dem Tisch. Nun gilt es den ganzen Löwen. Und der steckt immer noch im Roman.

Er war wohl schon vor Jahren fertig: jedenfalls in einer ersten Fassung. "Der Kongreß" sollte schon 1989 bei Greno erscheinen, was der Kollaps des Verlags verhinderte. Die ausgedruckten Bogen liegen angeblich noch heute in einer Buchbinderei bei Nördlingen - ein Schmankerl für künftige Philologen. Uns aber interessiert das fertige Buch, das wohl der Vorreiter von weiterem ist. Womöglich einer ganzen erzählten Welt. So kehrt eine Figur aus "Stadt mit Häusern" im Roman wieder. Und in "Kongreß" wird ein Plot, gut für einen nächsten Roman, skizziert. Dürfen wir auf einen ganzen Zyklus gefaßt sein, ein Opus magnum unseres Fin de siècle? Vorsicht vor Vorschuß, würde der Chef einer soliden Firma sagen.

"Kongreß" - so der definitive Titel - erzählt zwei Geschichten, die sich zu einer einzigen zusammenschließen; spielt zwei Erzählstrategien aus, auch sie komplementär: die eine fortlaufend, klar und einläßlich, die andere rückläufig, finster und gedrängt. Händler ist ein geschickter Erzähler. Er exponiert schlicht, bewußt schematisch. Über ein paar Seiten wundert man sich, wie simpel das gemacht ist - da ist man schon ins Geschehen involviert.

Tagesmäßig aktuell oder auch banal ist der Stoff: die Zusammenlegung zweier philosophischer Institute aus Gründen des Sparzwangs. Doch wir lesen keine sozialkritische Reportage, keinen Campus-Roman mit Schlüssellochperspektive, auch wenn Kenner bestimmter süddeutscher Universitäten Ähnlichkeiten mit wirklichen Zuständen und Personen bemerkt haben wollen. Die Romanfiguren sind flach gehalten, was unseren Voyeurismus zügelt. Sie heißen "der Professor", "der neue Professor", "der Assistenzprofessor" und so weiter und gewinnen erst nach und nach ihr Leben: aus ihrer Position im Spiel oder wechselseitiger Spiegelung.

Des Autors Interesse gilt der Typologie seiner Figuren und ihrer Probleme, und so wird der klassische Konflikt von vita contemplativa und vita activa an der Rivalität zweier Gelehrter ausgetragen. Besser: Er wird nicht ausgetragen. Denn der alte Professor, der ohne Namen auskommt, weil er nichts anderes ist und sein möchte als der selbstlose Gelehrte alter Schule, weigert sich mit all seiner verbliebenen Energie, sich an Intrigen zu beteiligen - nicht einmal an Aktivitäten, die zur Rettung seines Instituts und seiner Auffassung von Wissenschaft nötig wären. Sein Gegenspieler, der umtriebige, medienversierte Karrierist und Drahtzieher, trägt zwar einen Namen (Sonnabend), wirkt aber nur aus der Kulisse. Vielleicht hat es den Autor nicht gereizt, bloß ein Klischee auszufüllen?

Was ihn gewiß reizt, ist etwas anderes: das Gleiten der Aufmerksamkeit, die Verschiebung der Perspektive. So kommt eine Figur ins Spiel, die wir zunächst nicht genügend beachteten, weil sie beiläufig als der "Freund des Assistenzprofessors" eingeführt wurde. Er wird sukzessive zum eigentlichen Protagonisten: Es ist der junge Philosoph, der in das Räderwerk der Animositäten und Intrigen gerät. Er, ein Geschöpf aus dem Geiste Wittgensteins, den er seinen "Gott" nennt, sucht nach der "einen widerspruchsfreien und wahren Theorie der Theorien", und man ahnt, daß er diesen Stein der Weisen nicht finden wird. Erst eine "Denkerschütterung" - im Doppelsinn von Musils Ausdruck - bringt ihn zur Umkehr. Fortan wird es ihm nicht um Erkenntnistheorie gehen, sondern um Ethik, um die Lehre vom richtigen Handeln wie um das Handeln selbst.

Zu solcher Umkehr verhilft ihm der große Philosophiekongreß in Salzburg, auf den die Intrigen und Machinationen innerhalb der Institute hinauslaufen. Salzburg ist auch der Ort seiner Katastrophe, ausgelöst durch die leichtfertig destruktive Kritik, die "der neue Professor" an seinem Vortrag übt. Aus dem totalen Zusammenbruch erhebt sich ein anderer Mensch. Er will, er wird seinen eigenen "Kongreß" veranstalten. Es ist der "Kongreß der Helfenden" - einer geheimnisvollen Verbindung zwischen fünf einzelnen Menschen. Das ist seine Initiation zum Leben und auch zur Lebenspraxis. Er wird die Stelle antreten, die er nicht hatte antreten wollen.

In solcher Kürze referiert, hört sich das sehr nach Bildungsroman an. Doch Händler tappt nicht in die Falle bloßer Positivität, er führt seinen erzählerischen Befreiungsschlag so bravourös, wie es sein Protagonist verlangt: anarchisch, konvulsivisch, aber mit System. Die Maxime liegt in dem Satz: "Alle Regressionen sind wahr." Ihn schreibt der junge Philosoph, nachdem er den Tiefpunkt durchschritten hat, und da er als ein Genesender, Befreiter der Philosoph bleibt, fährt er fort: "Natürlich sollte der Untersuchende nur solche Verfahren anwenden, die technisch auf der Höhe der Zeit sind, und er sollte darauf achten, nur solche Regressionen in Betracht zu ziehen, die mit den theoretischen Hintergrundüberzeugungen vereinbar sind, nach denen er sonst seine Handlungen ausrichtet."

Mit derartigem Reflexionsaufwand (der manchmal auch zäh wirkt) muß man bei Händler ohnehin rechnen. Die hier zitierte Passage kann als Nukleus des zweiten Teils des Romans angesehen werden. Denn hier wird auf allen Ebenen regrediert, mit intellektueller Lust und Provokation. Es ist ein Alptraum, eine obszöne Phantasmagorie, in der sich alles erbricht, was als Gedanke nicht mehr zu verdauen war: der Ekel vor dem Betrieb des Kongresses, den Intrigen der Kollegen. Dazu die unterdrückte Sexualität, schließlich Aggressionen, Todesstrebungen, Tötungswünsche.

Die nun ablaufende alptraumhafte Handlung ließe sich nur um den Preis der Planierung ihrer Impulse nacherzählen. Nur soviel: Sie beginnt mit dem Mordbekenntnis des offenbar debilen Stotterers Emanuel. Der Mord geschieht unter tumultuarischen Umständen und ist offenbar ein Mord auf Verlangen. Es ist nicht die einzige Szene, in der sich Sexus und Gewalt verbinden. Was wahrhaft nervenzerrend geschildert wird, hellt sich zwar zunehmend auf - aber nur, weil rückläufig erzählt wird. Regression soll Regression aufheben.

Händler erweist sich hier als ein Meister von kalt und virtuos vorgeführten sadomasochistischen Szenen. Er mutet auch dem erfahrenen Leser einiges zu. Die größte Zumutung aber ist: Man soll begreifen, daß Emanuel die Zentralfigur des anderen Kongresses ist und daß seine Tat Hilfe und Erlösung bedeutet. Da erinnern wir uns, daß Emanuel biblisch das "Gott ist mit uns", den Messias, meint, was nun alles auf die Spitze treiben würde - wären Erlösung und Erlöserfigur hier nicht auch das Produkt einer hysterischen Projektion: ebenjener Frau, die sich ermorden läßt.

Ob alle Regressionen wahr sind, bleibe somit dahingestellt. Die des Autors zumindest sind auf der Höhe seiner theoretischen Reflexionen und erzählerischen Fähigkeiten. So rückt er auch den Kongreß der Helfenden in die Sphäre der Zweideutigkeit, und was uns eben noch wie die ernstgemeinte Wendung von der Erkenntnistheorie zur angewandten Ethik vorkommen mochte, taucht nun in ein Zwielicht, in dem wir nicht mehr wissen, wie echt und wie wahr unsere Eindrücke sind. "Kann Helfen bedeuten, daß von der Wahrheit abgewichen wird?" - das ist nun vor allem eine Frage, mit der die Figuren zu tun haben.

Dem Leser legt der Autor ein viel interessanteres Problem vor, nämlich die Entscheidung, ob er Zeuge einer Epiphanie oder einer Farce gewesen ist. Ob er etwa einen Hauch des "anderen Zustands" verspürte oder sich über eine mißlungene philosophische "Parallelaktion" mokieren sollte. Vielleicht aber auch will Ernst-Wilhelm Händler - wie Musil - das Unvereinbare miteinander verbinden. Er gibt sich nicht mit weniger zufrieden als dem Versuch, die Tradition des großen Romanexperiments fortzusetzen. Das Zeug, so scheint mir, hat er dazu. Sein erster Roman gibt die Probe. Man legt ihn vielleicht irritiert und noch etwas benommen aus der Hand. Dann stellt sich der Eindruck her, man habe etwas Hochmerkwürdiges und Faszinierendes gelesen.

Ernst-Wilhelm Händler: "Kongreß". Roman. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 1996. 346 S., geb., 42,- DM.

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