42,00 €
inkl. MwSt.
Versandkostenfrei*
Sofort lieferbar
payback
0 °P sammeln
  • Gebundenes Buch

Durch den Blick auf Leben und Werk von Konrad Wolf, dem wichtigsten Filmemacher der DDR, wird die vernachlässigte Perspektive Ostdeutschlands auf die Verheerungen und Hoffnungen des 20. Jahrhunderts rekonstruiert. Seine Filme geben Aufschluss über die Gründe und Verheißungen einer »sozialistischen Alternative«; dialogisch entwickeln Antje Vollmer aus dem Westen und Hans-Eckardt Wenzel aus dem Osten eine gesamtdeutsche Erzählung vom Scheitern und Gelingen - vom Verhältnis von Kunst zu Wirklichkeit. Als Sohn des bekannten und erfolgreichen Schriftstellers, Arztes und Kommunisten Friedrich Wolf…mehr

Produktbeschreibung
Durch den Blick auf Leben und Werk von Konrad Wolf, dem wichtigsten Filmemacher der DDR, wird die vernachlässigte Perspektive Ostdeutschlands auf die Verheerungen und Hoffnungen des 20. Jahrhunderts rekonstruiert. Seine Filme geben Aufschluss über die Gründe und Verheißungen einer »sozialistischen Alternative«; dialogisch entwickeln Antje Vollmer aus dem Westen und Hans-Eckardt Wenzel aus dem Osten eine gesamtdeutsche Erzählung vom Scheitern und Gelingen - vom Verhältnis von Kunst zu Wirklichkeit. Als Sohn des bekannten und erfolgreichen Schriftstellers, Arztes und Kommunisten Friedrich Wolf 1925 in Hechingen (nicht weit von Tübingen) geboren, wächst Konrad Wolf ab 1934 in der Emigration im Moskau der stalinistischen 1930er-Jahre auf. In der DDR wird er zum bedeutenden und international bekannten Filmregisseur, während sein Bruder Markus zum Auslandsgeheimdienstchef wird (dessen bekanntes Buch Die Troika basiert auf den Filmskizzen des Bruders, die dieser nicht mehr vollendenkonnte). »Aus Deutschland heraus und nach Deutschland zurück, das war sein Lebensthema.« - Wolfgang Kohlhaase Konrad Wolf wird in seinen 14 Spielfilmen, die gerade wieder neu ediert wurden, zum Chronisten der DDR und eines Lebens im Jahrhundert der Extreme - bis zu seinem Tod im Jahr 1982. Obwohl zwei seiner Filme (Sonnensucher und Menschen mit Flügeln) jahrelang nicht in den Kinos der DDR zu sehen waren, wird er als Präsident der Akademie der Künste zum Mittler zwischen Kunst und Politik. Zusammen mit Kollegen, Autoren, Kameraleuten und Drehbuchautoren sucht er innerhalb der DDR nach eigener künstlerischer Wahrhaftigkeit. Seine Filmerzählungen, die Verarbeitung seiner Biografie - von der russischen Kindheit und seiner Zeit als junger Soldat der Roten Armee bis zur langsamen Annäherung an die zunächst fremde deutsche Heimat - zeigen ihn als eigensinnigen Grenzgänger mit starken Bindungen an das Schicksal seiner Familie. Er entwickelt eine authentische Filmsprache, die geprägt istvon der Sinnsuche und der Melancholie des Exilanten, von den Konflikten des Sozialisten und Künstlers im neu gespaltenen Europa nach dem Ende des großen Krieges. Interviews mit Freunden und Mitstreitern erweitern das bisher bekannte Bild.
Autorenporträt
Antje Vollmer, geboren 1943, ist promovierte Theologin und war fast 20 Jahre lang Mitglied des Deutschen Bundestags, von 1994 bis 2005 als Bundestagsvizepräsidentin. Sie war als vielbeachtete Publizistin tätig und wurde unter anderem mit der Carl-von-Ossietzky-Medaille und dem Hannah-Arendt-Preis ausgezeichnet. Von Václav Havel wurde ihr der Masaryk-Orden verliehen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.09.2019

Weder Anpassung noch Kalkül
Orientierungspunkt Moskau: Eine Biographie des Filmemachers und DDR-Kulturfunktionärs Konrad Wolf

Im Dezember 1981 trafen sich in Berlin auf Einladung der Akademie der Künste, einer Institution der DDR, eine Reihe namhafter Wissenschaftler, Künstler und Schriftsteller, um über die Gefahr eines Kriegs zu sprechen. Es war die Zeit nach dem NATO-Doppelbeschluss von 1979, eine Zeit, in der das atomare Wettrüsten der beiden Supermächte weltweite Besorgnis erregte. Auf der Veranstaltung ging es nicht zuletzt um die Frage, von welcher Seite die größere Bedrohung ausging.

Der Filmemacher Konrad Wolf ergriff damals das Wort und plädierte dafür, die Sowjetunion nicht als aggressive Macht zu sehen. Er gab dafür eine autobiographische Begründung: "Ich erlebte unmittelbar, zwei Jahre auf der Seite der Roten Armee, die verbrannte Ukraine, das zerstörte Kiew, zwei Tage nach der Befreiung von Majdanek, dann das brennende Warschau, das Inferno in Berlin, schließlich das KZ Sachsenhausen und das Zuchthaus Brandenburg." Von einem Staat, der im Krieg gegen den Nationalsozialismus solche Verdienste erworben hatte, wollte und konnte Wolf sich keine kriegsauslösenden Akte vorstellen.

Konrad Wolf sprach damals als Kunstschaffender, er war aber auch Präsident der Akademie und damit einer der höchsten Kulturfunktionäre des sozialistischen deutschen Staates. Die zitierte Passage kann man getrost als ein Manifest nehmen: sowohl mit seinen Filmen wie auch mit seinem Engagement bezog Konrad Wolf sich Zeit seines Lebens auf die prägende Erfahrung, die er als junger Mann machte, als er von Moskau nach Berlin zurückkehrte, ein Befreiungskämpfer auf dem Weg nach Hause, in ein Deutschland, das er schon als Kind hatte verlassen müssen.

Auch in der neuen Biographie von Antje Vollmer und Hans-Eckardt Wenzel haben die Erlebnisse dieser Jahre zwischen 1943 und 1945 einen hohen Stellenwert, bilden die Mitte des Buches, obwohl sie in der Lebenszeit von Konrad Wolf in die Jugendjahre fallen. Es gilt hier, die Familiengeschichte und die zeithistorischen Umstände zu berücksichtigen. Und das bedeutet, dass fast die Hälfte der Darstellung von Vollmer und Wenzel dem Vater von Konrad Wolf gewidmet ist: dem Schriftsteller, Arzt und prominenten Kommunisten Friedrich Wolf, mit dessen Engagement es überhaupt zu tun hatte, dass die Familie den Zweiten Weltkrieg in der Sowjetunion erlebte - bis der Sohn Konrad dann als Soldat auch direkter Beteiligter dieses Krieges wurde.

"Chronist im Jahrhundert der Extreme" lautet der Untertitel des Buches. Das Autorenduo greift damit einen Topos des Historikers Eric Hobsbawm auf, und mit gutem Recht, wie sie immer wieder zeigen. Friedrich Wolf schuf im Lauf seines Lebens eine verschlungene Familie. Der heute geläufige Begriff "Patchwork" wäre lächerlich angesichts des Aufeinandertreffens von politischen und persönlichen Leidenschaften. Schon ein zwischendurch eingeflochtener Lebenslauf wie der von Lotte Rayss, einer späten Geliebten und Gefährtin des Vaters, öffnet den Horizont dieses Buches in viele Richtungen. Und so geht es die ganze Zeit in extremen Sprüngen und Kontrasten dahin: Spanischer Bürgerkrieg, Exil in Kasachstan, Eigenheim in Stuttgart, deutsche Barbarei bei Melitopol.

Und schließlich das Datum, das alles wendet und mit dem Konrad Wolf endgültig die Bühne der Geschichte betritt: der Befreiungsfrühling von 1945, auf den er mit seinem grundlegenden Film "Ich war neunzehn" verwies, und von dem er sich dann eben auch noch 1981, ein Jahr vor seinem Tod, bestimmt sah. Moskau blieb für Konrad Wolf zeitlebens der relevante Orientierungspunkt, in politischer, kultureller, sogar in kulinarischer Hinsicht, wenn man das Detail wertschätzen mag, dass Pelmeni (russische Teigtaschen) das Gericht waren, das Konrad Wolf für Freunde am liebsten auftischte.

Mit privaten Dingen beschäftigen sich Vollmer und Wenzel allerdings nur im Rahmen des Unerlässlichen. Der Mensch Konrad Wolf ist von seiner Arbeit ohnehin nicht zu trennen, und ob es tatsächlich eine tiefe Liebesenttäuschung war, die schließlich zu einem recht frühen Tod führte, muss über die diskreten Andeutungen hinaus nicht interessieren. Biographen sind keine Anatomen, und wie sich Weltgeschichte, Politik und Beziehungen in einen Körper eintragen, ist auch dann unentschlüsselbar, wenn ein Totenschein eine konkrete Todesursache (in diesem Fall: Lungenkrebs) nennt.

Konrad Wolf wurde in dieser Zeitung einmal als "der im Politbüro bestgelittene Regisseur" der DDR bezeichnet. Damit ist eine Spannung benannt, die von Vollmer und Wenzel deutlich zugunsten ihres "Helden" aufgelöst wird. Konrad Wolf war Kommunist aus tiefer Überzeugung. Als 1961 die Mauer gebaut wurde, schloss er sich mit einer Kampfgruppe an: "Wir müssen Künstler und Kämpfer zugleich sein." Je stärker sich die Herrschaft in der DDR aber verhärtete, desto schwieriger wurden die Vermittlungen, zu denen Wolf sich als Künstler wie als Funktionär genötigt sah. Es zählt zu den Eigentümlichkeiten vieler diktatorischer Systeme, dass die Herrscher sehr persönlichen Anteil an der Kunstproduktion nehmen. So gab es auch im Leben von Konrad Wolf immer wieder Begegnungen mit Ulbricht und später Honecker. Man diskutierte Drehbuchdetails ("Warum muss das Mädchen so viele Männer haben?", wollte Ulbricht über eine Frauenfigur in "Sonnensucher" wissen) und meinte Ideologie.

Bei Konrad Wolf war die Ideologie aber immer zurückbezogen auf seine Erfahrungen. Am ehesten wurde ihm vielleicht der zwanzig Jahre jüngere Thomas Brasch gerecht, den Vollmer und Wetzel zu Wort kommen lassen: Konrad Wolf wurde vor allem von vielen Oppositionellen in der DDR als ein "Mann der Macht" gesehen. "Sie verstanden einfach nicht, dass seine Haltung weder mit Anpassung noch mit Kalkül zu tun hatte, sondern mit der Sehnsucht und der Trauer eines Fremden, für den das Wort Kommunismus mit seiner Jugend, mit dem Krieg, mit dem Tod, mit der russischen Musik und mit dem Haß auf die Besitzergesellschaft zu tun hatte, aus deren Schoß die Konzentrationslager geboren waren."

In dem vielleicht besten Kapitel des Buchs wird diese Ambivalenz mit Blick auf Musikstücke in den Filmen von Konrad Wolf akzentuiert. Ein spätes Projekt über Ernst Busch sollte eine lebenslange Zuneigung zu diesem Sänger bezeugen, der "sang, als sei er für die Geschicke auf diesem Planeten verantwortlich". Vor allem aber legen Vollmer und Wenzel überzeugend dar, dass ein russisches Volkslied vom "Schwarzen Raben", innig verbunden mit dem populären Filmhelden Tschapajew aus einem Epos über den russischen Bürgerkrieg, für Konrad Wolf so etwas wie ein Herzstück seines Denkens und Arbeitens war. Es verkapselte die Überfülle an Erfahrungen in eine Melodie. Und das gelingt im Wesentlichen auch dieser Biographie.

BERT REBHANDL

Antje Vollmer und

Hans-Eckardt Wenzel: "Konrad Wolf". Chronist im Jahrhundert der Extreme.

Die Andere Bibliothek, Berlin 2019. 468 S., geb., 42,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr
"Das neue Buch von Antje Vollmer und Hans-Eckardt Wenzel ist ihm verpflichtet, aber erzählt von der anderen Seite her, es verringert die historische wissenschaftliche Distanz, hat wenig Scheu vor Pathos und kommt Wolf so ziemlich nahe - manchmal zu nahe. (...) Sie lassen Freunde und Mitarbeiter zu Wort kommen, Wolfgang Kohlhaase und Angel Wagenstein, das Ehepaar Christa und Gerhard Wolf, um in den Widersprüchen des sozialistischen Systems die Entwicklung seiner Entscheidungen und seiner Kreativität aufzuspüren". Süddeutsche Zeitung 20191015