Die Geschichte der mühevollen Etablierung einer kritischen Medienöffentlichkeit in der frühen Bundesrepublik.Eine demokratische Öffentlichkeit herzustellen, war im Nachkriegsdeutschland ein gewagtes Unterfangen. Gerade erst der Hitlerdiktatur entwachsen, hatte die Bundesrepublik mit vielfachen Belastungen zu kämpfen: mit der Beharrungskraft obrigkeitsstaatlicher Mentalitäten und nationalsozialistischer Eliten, mit dem provisorischen Charakter des eigenen Staates und dem Krisengefühl der Zeitgenossen. Unter diesen Bedingungen brauchten Mas-senmedien und Medienpolitik Jahrzehnte, um sich der Demokratie anzupassen. Die Besatzer scheiterten mit dem Versuch, kritische Öffentlichkeit von oben zu verordnen. Erst mit Verzögerung, seit Ende der 50er Jahre, gelang die Überwindung autoritärer Traditionen. Neben der allmählich einsinkenden Erfahrung politischer und wirtschaftlicher Stabilität trieb dabei vor allem der Generationswechsel im Journalismus den Wandel voran.Diese Überblicksdarstellung erschließt das große Feld der massenmedialen Öffentlichkeit zwischen 1945 und 1973 und bindet es an die Geschichtsschreibung der Bundesrepublik an.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.03.2006Rufen Sie den Minister doch endlich einmal ab!
Projekt einer Generation: Christina von Hodenberg erzählt, wie die Macht der Presse enorm wurde / Von Patrick Bahners
So schnell, wie der Titel des Heftes verhieß, schossen die Revolverblattmacher gar nicht! Wo die "Bild"-Zeitung heute mit jeder Ausgabe einen neuen "Verlierer des Tages" durchs nationale Dorf treibt, da begnügte sich die Redaktion der Münchner Illustrierten "Quick" in der Zeit vor der ersten Großen Koalition noch damit, einmal alle zwölf Monate den "Versager des Jahres" zu entlarven. Im Jahre 1965 wurde der Unehrentitel Bundesaußenminister Gerhard Schröder zugesprochen. Man wird verstehen, daß Schröder nicht zu sprechen war, als die Zeitschrift im gleichen Jahr die Mitglieder des Bundeskabinetts ans Bürgertelefon zitierte. "Quick-Leser fragen Bundes-Minister am Telefon. Der große Erfolg: die Quick-Aktion ,Rufen Sie einfach den Minister an!'"
Diese Eigenanzeige war nicht gelogen. Die Aktion war tatsächlich ein großer Erfolg, bei den Anrufern wie bei den Angerufenen. Schröders Kollegen Scheel, Stücklen, Lemmer, Mende, Schmücker, Höcherl und Heck befanden, es sei nicht wirklich unter aller Ministerwürde, sich als Kummerkastenonkel fotografieren zu lassen. Die Auflage der "Quick" stieg, und Gerd Bucerius, der Verleger des "Stern", meldete bei Bundespressechef Karl-Günther von Hase "starke Bedenken" dagegen an, daß "sich die Bundesregierung zur festen Staffage einer Zeitschrift machen" lasse. "So etwas hat es ja wohl in der Welt noch nicht gegeben." Die Weltsensation hatte sich Mainhardt Graf von Nayhauss ausgedacht, der später die "Bild"-Kolumne "Bonn vertraulich" und eine Biographie Richard von Weizsäckers schreiben sollte.
Graf Nayhauss gehört wie Joachim Fest dem Geburtsjahrgang 1926 an und damit der Alterskohorte der "Fünfundvierziger", deren Lebensleistung, so die These der Freiburger Habilitationschrift Christina von Hodenbergs, der Strukturwandel der westdeutschen Öffentlichkeit ist, die Durchsetzung der westlichen Spielregeln der Kontrolle der berufsmäßigen Politik durch die berufsmäßige Kritik, des regierenden Parteiwesens durch die Massenmedien. Aus den Akten des Bundespresseamtes, aber auch aus Berichten der amerikanischen Botschaft hat die Autorin die Komödie eines Kontrollverlustes gehoben: Die in Deutschland seit Bismarck eingeführten Methoden der Presselenkung verloren ihre Effektivität, als zumal das Fernsehen und die Illustrierten amerikanische und englische Formate eines investigativen Journalismus nachahmten, der durch präventives Nachfragen Themen setzte, statt in Hintergrundgesprächen die Vorgaben der Staatsräson entgegenzunehmen.
Daß "Stern" und "Spiegel" damit begannen, "nach ausländischem Vorbild politische Ereignisse ausführlich zu kommentieren", vermerkte der Leiter des Zeitschriftenreferates im Bundespresseamt 1958 mit Besorgnis. "Diese Entwicklung sollte aufmerksam verfolgt werden." Das Ergebnis dieser Studien war die Einsicht, daß sich die Regierung auf das niedrige Niveau ihrer Gegner begeben mußte. Die Büchse der Pandora, die der "Stern" 1959 öffnete, indem er Publizisten des In- und Auslands Wege zur Wiedervereinigung erörtern ließ, konnte ein Namensartikel des Bundeskanzlers, der als Schlußwort der Serie gedruckt wurde, nur notdürftig wieder schließen. In allen Parteien gab es die Ansicht, insbesondere im Rundfunk seien Meinungsäußerungen von Journalisten fehl am Platz, und wenn die Politik kommentiert werden müsse, habe das aus berufenem Munde zu erfolgen. Entsprechende Sendereihen hießen "Die Parteien haben das Wort" und "Politik aus erster Hand".
Wo im Wahlkampf 2005 das neueste amerikanische Dauereingriffsformat, der Weblog, eher von Aufrückern mit zuviel Zeit gefüllt wurde, gab es vierzig Jahre vorher im "Stern" Kolumnen der Vorsitzenden von SPD, FDP und CSU. Anders als im Funkhaus, wo man in den Gremien Einfluß nahm, so daß Redakteure schließlich nach Parteifarben sortiert wurden wie die Richter des Bundesverfassungsgerichts, waren die Politiker auf dem Boulevard nicht mehr die Herren des Kontextes. Wankelmütig ist die Gunst der Chefredakteure. Bundeskanzler Erhard mag bedauert haben, daß der von Schröder angeregte Kabinettsbeschluß gegen die Nebentätigkeit der Minister am Zeitschriftentelefon nicht gefällt worden war, denn nach dem Wahlsieg der Union sah sich der Kanzler mit der "Quick"-Schlagzeile konfrontiert: "Ist Erhard noch der richtige Mann?"
Das überaus lesenswerte Buch zeigt auf jeder Seite, daß der Stoff der Pressegeschichte das Gegenteil vom Stoff der Presse ist: die Nicht-Nachricht, das schon Dagewesene. Ältester Schrei der frisch aus Amerika heimgekehrten Blattreformer: Gewinnung weiblicher Leser durch Layoutlockerung und Geschichten, die nicht von Sachen, sondern von Personen handeln. Die Untersuchung steht im Zusammenhang zeithistorischer Forschungen, die unter den Stichworten Liberalisierung und Verwestlichung eine mentalitätshistorische Variante der Sonderwegslehre ausarbeiten. Man hat dieser Freiburger Schule den idealistischen Überschuß ihrer Leitbegriffe vorgehalten, und tatsächlich kann man sich fragen, wie Christina von Hodenberg in ihrer Schlußbetrachtung von der "Demokratisierung der Öffentlichkeit" als einer Tatsache sprechen kann. Wie soll die Öffentlichkeit demokratischer werden? Die Abstimmung am Kiosk ist doch nur eine Metapher. "Demokratisierung" ist eine heilsgeschichtliche Formel dieser Jahre, die selbst der Historisierung bedarf, denn die "Integration durch Konflikt", auf die Christina von Hodenbergs Erzählung zuläuft, hat vielleicht in der Bundesrepublik gar nicht stattgefunden, sondern nur im Kopf von Ralf Dahrendorf.
Manche deutsche Abweichung vom Idealtyp der westlichen Öffentlichkeit kann man auch weiter westlich beobachten. Wenn Bundeskanzler Adenauer der Deutschen Presseagentur vorschreiben wollte, sich am deutschen Interesse zu orientieren, so richteten sich im Britischen Empire auf Reuters entsprechende Erwartungen. Und der Leitartikler als höchste Form des Zeitungsmenschen und Staatsmann der Reserve hat seine größten Stunden wohl bei der Londoner "Times" erlebt. Solche Einwände gegen die Hintergrundannahmen fallen in diesem Fall nicht weiter ins Gewicht, weil die Liberalisierung und Modernisierung des hier untersuchten Teils der Gesellschaft darin bestand, daß die Akteure liberal und modern sein wollten. Das Buch fällt ins Fach der Missionsgeschichte und verwendet mit Selbstzeugnissen und Altersstatistiken Quellensorten und Techniken, die sich bei der Erforschung der Gegenreformation bewährt haben. Christina von Hodenberg hat das Projekt einer Generation dargestellt, die so erfolgreich war, daß man sich fragt, welche bewußtseinsverändernde Arbeit eigentlich für die Achtundsechziger übrigblieb.
Der Titel spielt auf "Kritik und Krise" an, Reinhart Kosellecks Dissertation über das revolutionäre Potential der aufklärerischen Publizistik. Im theoriegeschichtlichen Kapitel wird Kosellecks Buch gestreift, als Beispiel fortgesetzter deutscher "Fixierung" auf die Notwendigkeit einer Einhegung der Öffentlichkeit durch "Stärkung der Staatsmacht". Solchen Deutungen seiner Rezeption Carl Schmitts hat Koselleck aus anderem Anlaß noch kurz vor seinem Tod widersprochen. Tatsächlich kann man die von Christina von Hodenberg dargestellte Entwicklung als Wiederholung des von Koselleck entworfenen Szenarios verstehen. Wie der absolutistische Staat die Kritik im buchstäblichen Sinne ausschloß, so daß sich die bürgerliche Öffentlichkeit als Gegengewalt konstituierte, so ist der pathetische Moralismus, dem die skeptische Generation in den öffentlichen Angelegenheiten Geltung verschaffte, das Produkt der Selbstabschirmung der Kanzlerdemokratie. Den Stoff der Skandale, die den Medien zur Demonstration ihrer Macht dienten, lieferten die Arcana der Verteidigungs- und Deutschlandpolitik, und Sebastian Haffner gab 1963 in seiner "Stern"-Kolumne, indem er Adenauers Erbschaft als "heimlichen Staat im Staate" beschrieb, "neofaschistisch - autoritär", der Revolution das Stichwort.
Christina von Hodenberg: "Konsens und Krise". Eine Geschichte der westdeutschen Medienöffentlichkeit 1945 bis 1973. Moderne Zeit, Band 12. Wallstein Verlag, Göttingen 2006. 512 S., geb., 46,- [Euro].
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Projekt einer Generation: Christina von Hodenberg erzählt, wie die Macht der Presse enorm wurde / Von Patrick Bahners
So schnell, wie der Titel des Heftes verhieß, schossen die Revolverblattmacher gar nicht! Wo die "Bild"-Zeitung heute mit jeder Ausgabe einen neuen "Verlierer des Tages" durchs nationale Dorf treibt, da begnügte sich die Redaktion der Münchner Illustrierten "Quick" in der Zeit vor der ersten Großen Koalition noch damit, einmal alle zwölf Monate den "Versager des Jahres" zu entlarven. Im Jahre 1965 wurde der Unehrentitel Bundesaußenminister Gerhard Schröder zugesprochen. Man wird verstehen, daß Schröder nicht zu sprechen war, als die Zeitschrift im gleichen Jahr die Mitglieder des Bundeskabinetts ans Bürgertelefon zitierte. "Quick-Leser fragen Bundes-Minister am Telefon. Der große Erfolg: die Quick-Aktion ,Rufen Sie einfach den Minister an!'"
Diese Eigenanzeige war nicht gelogen. Die Aktion war tatsächlich ein großer Erfolg, bei den Anrufern wie bei den Angerufenen. Schröders Kollegen Scheel, Stücklen, Lemmer, Mende, Schmücker, Höcherl und Heck befanden, es sei nicht wirklich unter aller Ministerwürde, sich als Kummerkastenonkel fotografieren zu lassen. Die Auflage der "Quick" stieg, und Gerd Bucerius, der Verleger des "Stern", meldete bei Bundespressechef Karl-Günther von Hase "starke Bedenken" dagegen an, daß "sich die Bundesregierung zur festen Staffage einer Zeitschrift machen" lasse. "So etwas hat es ja wohl in der Welt noch nicht gegeben." Die Weltsensation hatte sich Mainhardt Graf von Nayhauss ausgedacht, der später die "Bild"-Kolumne "Bonn vertraulich" und eine Biographie Richard von Weizsäckers schreiben sollte.
Graf Nayhauss gehört wie Joachim Fest dem Geburtsjahrgang 1926 an und damit der Alterskohorte der "Fünfundvierziger", deren Lebensleistung, so die These der Freiburger Habilitationschrift Christina von Hodenbergs, der Strukturwandel der westdeutschen Öffentlichkeit ist, die Durchsetzung der westlichen Spielregeln der Kontrolle der berufsmäßigen Politik durch die berufsmäßige Kritik, des regierenden Parteiwesens durch die Massenmedien. Aus den Akten des Bundespresseamtes, aber auch aus Berichten der amerikanischen Botschaft hat die Autorin die Komödie eines Kontrollverlustes gehoben: Die in Deutschland seit Bismarck eingeführten Methoden der Presselenkung verloren ihre Effektivität, als zumal das Fernsehen und die Illustrierten amerikanische und englische Formate eines investigativen Journalismus nachahmten, der durch präventives Nachfragen Themen setzte, statt in Hintergrundgesprächen die Vorgaben der Staatsräson entgegenzunehmen.
Daß "Stern" und "Spiegel" damit begannen, "nach ausländischem Vorbild politische Ereignisse ausführlich zu kommentieren", vermerkte der Leiter des Zeitschriftenreferates im Bundespresseamt 1958 mit Besorgnis. "Diese Entwicklung sollte aufmerksam verfolgt werden." Das Ergebnis dieser Studien war die Einsicht, daß sich die Regierung auf das niedrige Niveau ihrer Gegner begeben mußte. Die Büchse der Pandora, die der "Stern" 1959 öffnete, indem er Publizisten des In- und Auslands Wege zur Wiedervereinigung erörtern ließ, konnte ein Namensartikel des Bundeskanzlers, der als Schlußwort der Serie gedruckt wurde, nur notdürftig wieder schließen. In allen Parteien gab es die Ansicht, insbesondere im Rundfunk seien Meinungsäußerungen von Journalisten fehl am Platz, und wenn die Politik kommentiert werden müsse, habe das aus berufenem Munde zu erfolgen. Entsprechende Sendereihen hießen "Die Parteien haben das Wort" und "Politik aus erster Hand".
Wo im Wahlkampf 2005 das neueste amerikanische Dauereingriffsformat, der Weblog, eher von Aufrückern mit zuviel Zeit gefüllt wurde, gab es vierzig Jahre vorher im "Stern" Kolumnen der Vorsitzenden von SPD, FDP und CSU. Anders als im Funkhaus, wo man in den Gremien Einfluß nahm, so daß Redakteure schließlich nach Parteifarben sortiert wurden wie die Richter des Bundesverfassungsgerichts, waren die Politiker auf dem Boulevard nicht mehr die Herren des Kontextes. Wankelmütig ist die Gunst der Chefredakteure. Bundeskanzler Erhard mag bedauert haben, daß der von Schröder angeregte Kabinettsbeschluß gegen die Nebentätigkeit der Minister am Zeitschriftentelefon nicht gefällt worden war, denn nach dem Wahlsieg der Union sah sich der Kanzler mit der "Quick"-Schlagzeile konfrontiert: "Ist Erhard noch der richtige Mann?"
Das überaus lesenswerte Buch zeigt auf jeder Seite, daß der Stoff der Pressegeschichte das Gegenteil vom Stoff der Presse ist: die Nicht-Nachricht, das schon Dagewesene. Ältester Schrei der frisch aus Amerika heimgekehrten Blattreformer: Gewinnung weiblicher Leser durch Layoutlockerung und Geschichten, die nicht von Sachen, sondern von Personen handeln. Die Untersuchung steht im Zusammenhang zeithistorischer Forschungen, die unter den Stichworten Liberalisierung und Verwestlichung eine mentalitätshistorische Variante der Sonderwegslehre ausarbeiten. Man hat dieser Freiburger Schule den idealistischen Überschuß ihrer Leitbegriffe vorgehalten, und tatsächlich kann man sich fragen, wie Christina von Hodenberg in ihrer Schlußbetrachtung von der "Demokratisierung der Öffentlichkeit" als einer Tatsache sprechen kann. Wie soll die Öffentlichkeit demokratischer werden? Die Abstimmung am Kiosk ist doch nur eine Metapher. "Demokratisierung" ist eine heilsgeschichtliche Formel dieser Jahre, die selbst der Historisierung bedarf, denn die "Integration durch Konflikt", auf die Christina von Hodenbergs Erzählung zuläuft, hat vielleicht in der Bundesrepublik gar nicht stattgefunden, sondern nur im Kopf von Ralf Dahrendorf.
Manche deutsche Abweichung vom Idealtyp der westlichen Öffentlichkeit kann man auch weiter westlich beobachten. Wenn Bundeskanzler Adenauer der Deutschen Presseagentur vorschreiben wollte, sich am deutschen Interesse zu orientieren, so richteten sich im Britischen Empire auf Reuters entsprechende Erwartungen. Und der Leitartikler als höchste Form des Zeitungsmenschen und Staatsmann der Reserve hat seine größten Stunden wohl bei der Londoner "Times" erlebt. Solche Einwände gegen die Hintergrundannahmen fallen in diesem Fall nicht weiter ins Gewicht, weil die Liberalisierung und Modernisierung des hier untersuchten Teils der Gesellschaft darin bestand, daß die Akteure liberal und modern sein wollten. Das Buch fällt ins Fach der Missionsgeschichte und verwendet mit Selbstzeugnissen und Altersstatistiken Quellensorten und Techniken, die sich bei der Erforschung der Gegenreformation bewährt haben. Christina von Hodenberg hat das Projekt einer Generation dargestellt, die so erfolgreich war, daß man sich fragt, welche bewußtseinsverändernde Arbeit eigentlich für die Achtundsechziger übrigblieb.
Der Titel spielt auf "Kritik und Krise" an, Reinhart Kosellecks Dissertation über das revolutionäre Potential der aufklärerischen Publizistik. Im theoriegeschichtlichen Kapitel wird Kosellecks Buch gestreift, als Beispiel fortgesetzter deutscher "Fixierung" auf die Notwendigkeit einer Einhegung der Öffentlichkeit durch "Stärkung der Staatsmacht". Solchen Deutungen seiner Rezeption Carl Schmitts hat Koselleck aus anderem Anlaß noch kurz vor seinem Tod widersprochen. Tatsächlich kann man die von Christina von Hodenberg dargestellte Entwicklung als Wiederholung des von Koselleck entworfenen Szenarios verstehen. Wie der absolutistische Staat die Kritik im buchstäblichen Sinne ausschloß, so daß sich die bürgerliche Öffentlichkeit als Gegengewalt konstituierte, so ist der pathetische Moralismus, dem die skeptische Generation in den öffentlichen Angelegenheiten Geltung verschaffte, das Produkt der Selbstabschirmung der Kanzlerdemokratie. Den Stoff der Skandale, die den Medien zur Demonstration ihrer Macht dienten, lieferten die Arcana der Verteidigungs- und Deutschlandpolitik, und Sebastian Haffner gab 1963 in seiner "Stern"-Kolumne, indem er Adenauers Erbschaft als "heimlichen Staat im Staate" beschrieb, "neofaschistisch - autoritär", der Revolution das Stichwort.
Christina von Hodenberg: "Konsens und Krise". Eine Geschichte der westdeutschen Medienöffentlichkeit 1945 bis 1973. Moderne Zeit, Band 12. Wallstein Verlag, Göttingen 2006. 512 S., geb., 46,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"Überaus lesenswert" findet Patrick Bahners diese zeithistorische Studie über den Strukturwandel der westdeutschen Presselandschaft von 1945 bis 1973, die Christina von Hodenberg verfasst hat. Auf Grundlage von Akten des Bundespresseamts und Berichten der amerikanischen Botschaft zeichne die Autorin die Reform von Zeitungen und den damit einhergehenden Kontrollverlust der Politik nach. Bahners betrachtet die Untersuchung auch als Würdigung der Lebensleistung einer Generation von Journalisten wie Graf von Nayhauss und Joachim Fest, die mit den seit Bismarck in Deutschland eingeführten Methoden der politischen Presselenkung Schluss machten und die Kritik von Politik und Parteiwesen durch die Massenmedien durchsetzten. Eher skeptisch beurteilt Bahners allerdings die Ansicht der Autorin, der Wandel der Medien habe zu einer Demokratisierung der Öffentlichkeit geführt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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