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Der Philosoph und Ideenhistoriker Panajotis Kondylis wendet sich in dieser lange Zeit vergriffenen, noch immer neuartigen und verblüffenden Interpretation gegen die Auffassung vom Konservativismus als Reaktion auf die Französische Revolution. In brillanten Gedankengängen, die ihn von Bonald und Burke über Carlyle und Chateaubriand zu Fénelon, de Maistre und Schlegel führen, weist er nach, dass der Konservativismus als soziale und politische Kraft bereits seit dem Mittelalter existierte, wo der Adel und sein Ständesystem aufkommende egalitäre Interpretationen des Rechts bekämpften. Doch…mehr

Produktbeschreibung
Der Philosoph und Ideenhistoriker Panajotis Kondylis wendet sich in dieser lange Zeit vergriffenen, noch immer neuartigen und verblüffenden Interpretation gegen die Auffassung vom Konservativismus als Reaktion auf die Französische Revolution. In brillanten Gedankengängen, die ihn von Bonald und Burke über Carlyle und Chateaubriand zu Fénelon, de Maistre und Schlegel führen, weist er nach, dass der Konservativismus als soziale und politische Kraft bereits seit dem Mittelalter existierte, wo der Adel und sein Ständesystem aufkommende egalitäre Interpretationen des Rechts bekämpften. Doch Kondylis geht noch einen Schritt weiter und zeigt, wie der Konservativismus sich an die jeweilige Realität des ohne ihn nicht denkbaren modernen souveränen Staates anpasste, und analysiert ihn als politische Kraft, die in überraschenden Formen immer wieder auftaucht. So gelingt es ihm etwa aufzuzeigen, wie sich die zentralen Themen der sozialistischen Kapitalismuskritik im ideologischen Bereich derGegenrevolution herausbildeten und bis heute idealisierte Bilder einer vorkapitalistischen Realität in Umlauf brachten. Konservativismus ist der nötige Beitrag, um die politischen und kulturellen Debatten unserer Zeit besser zu verstehen.
Autorenporträt
Panayotis Kondylis, 1943 in Olympia geboren, lebte als Philosoph in Athen, wo er 1998 verstarb. Er studierte Philosophie in Heidelberg und wurde dort bei Dieter Henrich promoviert. Er übersetzte unter anderem Marx, Cassirer, Carl Schmitt und Machiavelli ins Griechische und arbeitete zu Begriff und Prämissen der Aufklärung, philosophischer Polemik und den unhinterfragten Voraussetzungen europäischer Weltbilder. 
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Der Konservatismus ist laut Kondylis zwar schon ein Weilchen tot. Die Rezensenten aber beugen sich voller Faszination über seine neu aufgelegte Autopsie. Wie die anderen Rezensenten auch stellt Nachwuchspolitologe Oliver Weber vor allem Kondylis' überraschenden Ursprungsherd des Konservatismus vor, nämlich nicht die Reaktion auf die Französische Revolution, sondern längst vorher schon das Unbehagen der adligen "societas civilis" mit einer sich zentralisierenden Monarchie. Der Konservatismus wäre also ursprünglich eine Fronde gegen diesich vollziehende Trennung von Staat und Gesellschaft und auch das Erwachen aus dem süßen Schlummer seiner Privilegien, also der Einheit von Privat- und Allgemeinheit in der Figur des Grundherren. Der Adel musste sich anpassen, referiert Weber, aber die Ideen des Konservatismus erschöpften sich im Grunde schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Unfruchtbar war er dennoch nicht: Aus seinen Überresten bediente sich fortan der Liberalismus, so Weber mit Kondylis. Seine ausführliche Kritik muss man als Leseempfehlung verstehen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.03.2023

Konservativismus als Selbstbetrug
Panajotis Kondylis' Studie über eine geläufige politische Positionierung erscheint in einer neuen Ausgabe

Auch wenn die Verlagsankündigung es gern anders hätte: Man wird dieses Buch wohl kaum einen Klassiker nennen können. Schon deshalb nicht, weil selbst Ideenhistoriker, denen das Werk am ehesten disziplinär zuzuordnen wäre, meist fragend dreinblicken, wenn man den Namen Panajotis Kondylis erwähnt. Das hat sicher viele Gründe. Einer davon ist recht profaner Natur: Kondylis' wichtigste Bücher sind vergriffen, antiquarisch kaum und wenn doch nur zu hohen Preisen zu bekommen. In einem der dringendsten Fälle, seiner Studie zum "Geschichtlichen Gehalt und Untergang" des Konservativismus, ist nun Abhilfe verschafft: Sechsunddreißig Jahre nach ihrem erstmaligen Erscheinen liegt sie als Neuauflage vor.

Das Leben des 1998 verstorbenen griechisch-deutschen Privatgelehrten fand spätestens nach seiner Heidelberger Promotion außerhalb der etablierten akademischen Philosophie statt. Auf den Versuch einer wissenschaftlichen Karriere - samt aller Rücksichtnahmen, die sie erfordert -, verzichtete er bewusst. Die Existenz als Außenseiter erlaubte Kondylis, sich quer zu akademischen Erwartungen zu stellen. Sie zu unterlaufen, dem akademischen Betrieb seine Dienstbarkeit für gesellschaftliche Sinngebungsbedürfnisse vorzuhalten, darin fand er sein eigentliches Aktionsfeld.

Nach Historikern der Aufklärung, die allzu sehr von der Euphorie ihres Gegenstandes gepackt waren, fand Kondylis in den Autoren, die sich der politischen und akademischen Wiederbelebungen einer konservativen Denktradition widmeten, die nächsten Opfer seiner Ideologiekritik. Schon das erste Kapitel empfiehlt ihnen, die Mumifizierung ihres Gegenstands einzuleiten: "Die Unmöglichkeit einer substanziellen Definition des zeitgenössischen 'Konservativismus', und zwar qua Konservativismus, wird gerade in den Banalitäten sichtbar, mit denen man sein Wesen zu umschreiben versucht." Wie oft hört man heute rechts der Mitte, den Individuen sei ein bisschen mehr Verantwortungsgefühl, den Reformern ein bisschen mehr Gemächlichkeit und dem kapitalistischen Weltsystem ein paar heimelige Werte einzuimpfen? - Immer verbunden mit dem Anspruch, damit sei ein Konservativismus für das 21. Jahrhundert ausgerufen. Dass es sich bei diesem Hang zum Banalen um keine Zufälligkeit handelt, sondern um die Folge einer unwiderruflichen Entleerung und Antiquiertheit, ist Beweisziel von Kondylis' Untersuchung.

Grundlage der Beweisführung ist ein Modell der Ideengeschichtsschreibung, das Ideen ansieht als "verfügbare Waffen; wer sie verwenden wird, und das Wann und Wie hängen nicht von ihnen ab". Es sind für Kondylis immer konkrete Gruppen, die sich auf Ideen berufen, um in einem bestimmten "Ernst der Lage" damit Wirkung zu entfalten. Auf diese Weise bekommen sie allerdings eine eigentümliche Schlagseite, eine polemische Verzerrung. Sie werden in einen sozialpolitischen Kampf hineingezogen, der einer "eigenen Logik" folgt, "der sich die Logik der Texte" unterwerfen muss. Die politische Idee ist so zuallererst polemisches Element in den geschichtlichen Konflikten einer Epoche. Diese freilich nur für bestimmte Begriffe angemessene Methodologie wagt sich weit über jene mickrigen "Kontexte" und milden "Autorintentionen" hinaus, mit der sich manche akademische Schule der "Intellectual History" heute begnügt.

Für Kondylis ist der Konservativismus folglich kein Set an überzeitlichen Ideen oder ein universaler psychologischer Typus, sondern eine an den europäischen Adel gebundene Ideologie, die im Kampf gegen den heraufziehenden absolutistischen Staat geschmiedet wurde. Das heißt: Der Konservativismus ist rund zweihundert Jahre älter als die Französische Revolution, die man oft, auch heute noch, zu seinem Anlass und Ausgangspunkt erklärt hat. Der Adel wehrte sich seit dem sechzehnten Jahrhundert gegen die "Trennung von Staat und Gesellschaft", die als "societas civilis" in den Augen der adeligen Oberschichten doch stets beides war - Herrschafts- und Lebensgefüge in einem. Nicht zuletzt deshalb, weil nur die Einheit beider Sphären die Stellung der Aristokratie begründete: Wer einem Herrenhaus vorstand, hatte, ihrer Auffassung folgend, nicht nur "private" Rechte an Haus und Hof, sondern - zugleich und ununterscheidbar - herrschaftliche Befugnisse über Land und Leute.

Indem der souveräne Staat versuchte, die politische Verwaltung zu monopolisieren, Recht aus sich heraus zu setzen und die Moral in den Innenraum der Untertanen zu verbannen, entzog er dem Adel seine Lebensgrundlage. Die konservative Ideologie einer unbedingt zu bewahrenden "societas civilis", in der das Recht nicht "gemacht", sondern "gefunden" wurde, göttlich sanktioniert war, und - man ahnt es - der Grundherr über dem Beamten stand, war die ideale Waffe, diesen Bemühungen des neuzeitlichen Staates entgegenzutreten. Der Konservativismus bildete so ein exaktes Spiegelbild seines bürokratischen Feindes.

Droht man bei dieser einfachen gefechtsmäßigen Gegenüberstellung nicht in eine "teleologische Betrachtung zu verfallen", wie sie Kondylis anderen stets vorwarf? Um diese Gefahr abzuwehren, ist neben dem polemischen Charakter der politischen Begriffe die Aufmerksamkeit für ihre geschichtliche Dialektik der zweite große Baustein in Kondylis' eher impliziter Methodologie. Der Adel etwa gab sich im Laufe des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts immer mehr der Täuschung hin, die ständische Wirklichkeit am besten verteidigen zu können, wenn er die Reihen des Beamtenapparats mit seinen Vertretern füllt. Getrieben vom Bedeutungsverlust der Agrarwirtschaft, der Loyalität zum Hof und den eigenen polemischen Bedürfnissen, wurde er so Stück für Stück zum Teil jener Bewegung, die er aufhalten wollte: Sein Weltbild säkularisierte sich, die zweiten und dritten Söhne der hohen Häuser mussten sich meritokratischen Kriterien beugen - bis schließlich, ab 1790, der totale Schulterschluss mit dem Königshof erfolgte, um das noch schlimmere Übel einer bürgerlich-liberalen Gesellschaft abzuwehren.

So mündet die Darstellung in Kondylis' These, der Konservativismus sei im zweiten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts, gemeinsam mit dem ständischen Adel, endgültig untergegangen. Gegen sie sind viele Einwände vorgebracht worden, die darauf hinauslaufen: Kann man den Begriff derart einengen, dass spätere "konservative" Parteien gar nicht mehr darunter gefasst werden dürfen? Solche Beanstandungen, so berechtigt sie im Detail sein mögen, übersehen jedoch die ideologiekritische Pointe hinter Kondylis' scharfem Urteil: Diejenigen, die sich nach dem Untergang der ständischen Welt noch konservativ nennen, sind eigentlich sich selbst missverstehende Liberale.

Denn auch für Kondylis hat der Konservativismus eine Nachgeschichte - sie ist nur, seit sich links des Bürgertums mit der Arbeiterbewegung ein neuer Gegner aufstellte und die bürgerliche Gesellschaft zur dominierenden Form aufstieg, genuin liberaler Natur. Um sich vor der drohenden "roten Republik" zu retten, bedient sich der Liberalismus seit der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts aus der konservativen Sprachwelt. Er übernimmt Topoi, die freilich jetzt einen ganz neuen, dem Konservativen eigentlich zuwiderlaufenden Sinn bekommen: Die "natürliche Ungleichheit der Menschen" meint im Mund der besorgten Liberalen nun nicht mehr die Hierarchie der alten "societas civilis", sondern die kapitalistische "Leistungsgesellschaft", und die Behauptung der "Unantastbarkeit des Rechts" zielt nicht mehr auf die ständische Versammlung der Hausväter, sondern auf den Schutz des autonomen Wirtschaftssubjekts. Auch die sich radikal gebende politische Rechte, so Kondylis' Verdikt auf den letzten Seiten des Buches, hat ihre Rolle zu spielen. Ihr eigentliches "Wesensmerkmal" liegt in ihrer "programmatischen Bereitschaft, den politischen Liberalismus zu beseitigen, um das Privateigentum und den Wirtschaftsliberalismus gegen linke Angriffe intakt zu erhalten. In diesem Sinne gehört die Rechte zum Liberalismus".

Wer Kondylis' pointierte Beschreibung liest, kommt nicht daran vorbei, Parallelen zu heutigen Selbstfindungsversuchen christdemokratischer Parteien zu sehen: Seit die religiöse Verankerung gesellschaftsbedingt eine untergeordnete Rolle spielt, fällt den Grundwertekommissionen oft nur noch die Marktwirtschaft, der Freihandel und der Schuldenstand ein, um politische Prägnanz zu gewinnen - wenn nicht bereits Schlagwörter wie "Technologieoffenheit" die Orientierung an einer liberalen Geschichtsphilosophie verraten.

Diesen allgemein gewordenen Liberalismus, der sich in Form linker und konservativer Varianten um die Größe des Haushaltsbudgets streitet, hielt Kondylis nüchtern für die allgemeine Lage der Dinge in der westlichen Welt. Als er sich in den optimistischen Neunzigerjahren verstärkt zeitdiagnostischen Fragen zuwandte, verführte ihn die Situation jedoch nicht dazu, an ein Ende der Geschichte zu glauben. Im Gegenteil: Allen, die nach dem Untergang der Sowjetunion etwa eine "Ablösung des Krieges durch den Handel" erhofften, warf er in dieser Zeitung einen liberalen Utopismus vor, der sich "wie so oft als Vulgärmarxismus mit umgekehrten Vorzeichen entpuppt". Wer mag da heute noch widersprechen?

Im gern auch von "konservativen" Parteien gepflegten Bedürfnis, an die geschichtsphilosophische Selbsterfüllung "westlicher Wirtschaft und Ethik" zu glauben, erblickte er die ideologische Verdeckung jener "gewaltigen Verteilungskämpfe und Katastrophen", die das "planetarische Zeitalter" noch mit sich bringen würde. Auch um den Gehalt solcher Prognosen nachzuprüfen, kommt die Neuauflage von "Konservativismus" gerade recht. OLIVER WEBER

Panajotis Kondylis: "Konservativismus". Geschichtlicher Gehalt und Untergang

Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2023. 869 S., br., 58,- Euro.

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