Hamburg gehörte seit 1934 zu den fünf 'Führerstädten', die das NS-Regime durch großmaßstäbliche Planungen und Architektur repräsentierten sollten. Verantwortlich war ein junger Hamburger Architekt, der in der Weimarer Republik an der TH Stuttgart studiert hatte und 1939 mit gerade einmal 37 Jahren beauftragt wurde, Hamburg von Grund auf neu zu planen: Konstanty Gutschow. Seine Karriere quer zu allen politischen Systemen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts steht im Mittelpunkt dieses reich bebilderten Titels.Dem vermeintlichen Widerspruch zwischen Moderne und Volksgemeinschaft wird anhand der von Gutschow entwickelten Planungsgedanken der 1930er Jahre bis hinein in die bundesrepublikanische Nachkriegszeit nachgegangen. Die Publikation schließt damit eine bedeutende Lücke der Hamburger Architekturgeschichte und ergänzt diese um eine wichtige biografische Studie.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.08.2012Die Ära der Archikraten
Diktatur als stadtplanerische Chance: Die Karriere des Architekten Konstanty Gutschow
Spektakulärer als in unseren Tagen Hamburgs "Hafencity" wirkte Ende der dreißiger Jahre die giganteske "Führerstadt", die Konstanty Gutschow (1902 bis 1978) am Hamburger Elbufer plante. Im Anschluss an das "Groß-Hamburg-Gesetz", das 1937 die Stadtfläche fast verdoppelte, sollte Hamburg auf Hitlers Geheiß eine von fünf repräsentativen Metropolen des "Dritten Reichs" werden. Gutschow projektierte dafür in Altona ein riesiges elbnahes Zentrum mit "Aufmarschplatz", "Volkshalle" und NSDAP-Verwaltungsgebäuden samt einem "KdF"-Hotel und einem 250 Meter hohen "Gauhaus" nach Art des Empire State Building. Diese neue NSDAP-Parteizentrale wäre der einzige Staatsbau des Dritten Reiches in Form eines Wolkenkratzers geworden. Doch wie die geplante Elbhochbrücke führte dieser Riese zu Kontroversen mit Hitlers Generalbaumeister Speer; immer schwerere Bombenangriffe auf Hamburg vereitelten schließlich das gesamte Megaprojekt und damit den Abriss von Altonas historischer Bebauung.
Noch als Favorit des nationalsozialistischen Regimes glaubte Gutschow sich autonom: Tatsächlich agierte der Architekt außerhalb der Behördenstruktur, direkt dem Hamburger Gauleiter Karl Kaufmann unterstellt. Sylvia Neckers akribisch recherchiertes Buch, ursprünglich eine Dissertation, dokumentiert nun die vier Jahrzehnte der Karriere Gutschows von der Weimarer Republik bis ins bundesrepublikanische Nachkriegs-Deutschland.
Laut Necker zählte Gutschow zur neuen Generation von "Archikraten", einer "zunehmend von Büro- und Technokratie geprägten Gruppe von Architekten, die die Zerstörung bestehender Strukturen als Voraussetzung für die Verwirklichung von Neuem sahen" und in den totalitären Systemen der dreißiger Jahre ihre Chance erkannten. Folgerichtig trat Konstanty Gutschow 1933 in die SA ein und wurde 1937 in die NSDAP aufgenommen. Sein Sieg im Wettbewerb zu Hamburgs "Führerhauptstadtplanung" etablierte ihn als "Experten in der Diktatur". Zwar fand er sich statt als Erbauer einer Megastadt 1941 als Leiter des "Amts für kriegswichtigen Einsatz" wieder, mit der Verantwortung für Trümmerräumung, Luftschutz und Ersatzwohnungen. Aber er konnte in zwei Hamburger Generalbebauungsplänen (1941 und 1944) sowie in Wiederaufbauplänen ab 1943 seine Ideen von organischer Stadtentwicklung und Entmischung von Wohnen, Arbeiten und Verkehr darlegen. Ungeachtet der Realität empfand er sich auf dem beruflichen Höhepunkt als Architekt und Stadtplaner und äußerte noch im Frühjahr 1944 voller Euphorie: "Das Bild der Trümmer rührt uns nicht in der Seele an, vielmehr lässt es nur umso deutlicher und lebendiger das Bild des zukünftigen Hamburg, des neuen Hamburg vor unseren Augen entstehen."
Gutschows Entnazifizierungsverfahren endete mit einem Bauverbot für öffentliche Auftraggeber; es hielt bis 1948. Trotz Versuchen habe er danach nie mehr an seine erfolgreichen Jahre im Nationalsozialismus anknüpfen können. Immerhin aber wurde er als Aufbauberater in Hamburg und Hannover beschäftigt und fand im Krankenhausbau für weitere fünfundzwanzig Jahre ein attraktives neues Arbeitsfeld: Zusammen mit seinem Kollegen Godber Nissen entwarf Gutschow Universitätskliniken in Tübingen, Düsseldorf und Hannover. In Hamburg erinnert neben dem "Kaifu"-Freibad in Eimsbüttel nur noch ein inzwischen denkmalgeschütztes Spitzgiebelhaus in Rissen an Konstanty Gutschow.
Was macht diesen Architekten "aus der zweiten Reihe", der mehr Pläne als Gebautes hinterließ, noch 2012 interessant? Sein Selbstverständnis und sein Wirkungsvermögen als Experte, der nie nur Fassaden zeichnen, sondern Gesellschaft gestalten wollte, meint Sylvia Necker: "Die Architekten seiner Generation entwarfen nicht nur, sie planten und verwalteten die ,Neue Stadt' des 20. Jahrhunderts und waren, sofern sie wie Gutschow für das NS-Regime arbeiteten, mit einer nie dagewesenen Machtfülle ausgestattet."
ULLA FÖLSING
Sylvia Necker: "Konstanty Gutschow (1902 - 1978)". Modernes Denken und volksgemeinschaftliche Utopie eines Architekten.
Dölling und Galitz Verlag, München und Hamburg 2012. 384 S., Abb., geb., 49,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Diktatur als stadtplanerische Chance: Die Karriere des Architekten Konstanty Gutschow
Spektakulärer als in unseren Tagen Hamburgs "Hafencity" wirkte Ende der dreißiger Jahre die giganteske "Führerstadt", die Konstanty Gutschow (1902 bis 1978) am Hamburger Elbufer plante. Im Anschluss an das "Groß-Hamburg-Gesetz", das 1937 die Stadtfläche fast verdoppelte, sollte Hamburg auf Hitlers Geheiß eine von fünf repräsentativen Metropolen des "Dritten Reichs" werden. Gutschow projektierte dafür in Altona ein riesiges elbnahes Zentrum mit "Aufmarschplatz", "Volkshalle" und NSDAP-Verwaltungsgebäuden samt einem "KdF"-Hotel und einem 250 Meter hohen "Gauhaus" nach Art des Empire State Building. Diese neue NSDAP-Parteizentrale wäre der einzige Staatsbau des Dritten Reiches in Form eines Wolkenkratzers geworden. Doch wie die geplante Elbhochbrücke führte dieser Riese zu Kontroversen mit Hitlers Generalbaumeister Speer; immer schwerere Bombenangriffe auf Hamburg vereitelten schließlich das gesamte Megaprojekt und damit den Abriss von Altonas historischer Bebauung.
Noch als Favorit des nationalsozialistischen Regimes glaubte Gutschow sich autonom: Tatsächlich agierte der Architekt außerhalb der Behördenstruktur, direkt dem Hamburger Gauleiter Karl Kaufmann unterstellt. Sylvia Neckers akribisch recherchiertes Buch, ursprünglich eine Dissertation, dokumentiert nun die vier Jahrzehnte der Karriere Gutschows von der Weimarer Republik bis ins bundesrepublikanische Nachkriegs-Deutschland.
Laut Necker zählte Gutschow zur neuen Generation von "Archikraten", einer "zunehmend von Büro- und Technokratie geprägten Gruppe von Architekten, die die Zerstörung bestehender Strukturen als Voraussetzung für die Verwirklichung von Neuem sahen" und in den totalitären Systemen der dreißiger Jahre ihre Chance erkannten. Folgerichtig trat Konstanty Gutschow 1933 in die SA ein und wurde 1937 in die NSDAP aufgenommen. Sein Sieg im Wettbewerb zu Hamburgs "Führerhauptstadtplanung" etablierte ihn als "Experten in der Diktatur". Zwar fand er sich statt als Erbauer einer Megastadt 1941 als Leiter des "Amts für kriegswichtigen Einsatz" wieder, mit der Verantwortung für Trümmerräumung, Luftschutz und Ersatzwohnungen. Aber er konnte in zwei Hamburger Generalbebauungsplänen (1941 und 1944) sowie in Wiederaufbauplänen ab 1943 seine Ideen von organischer Stadtentwicklung und Entmischung von Wohnen, Arbeiten und Verkehr darlegen. Ungeachtet der Realität empfand er sich auf dem beruflichen Höhepunkt als Architekt und Stadtplaner und äußerte noch im Frühjahr 1944 voller Euphorie: "Das Bild der Trümmer rührt uns nicht in der Seele an, vielmehr lässt es nur umso deutlicher und lebendiger das Bild des zukünftigen Hamburg, des neuen Hamburg vor unseren Augen entstehen."
Gutschows Entnazifizierungsverfahren endete mit einem Bauverbot für öffentliche Auftraggeber; es hielt bis 1948. Trotz Versuchen habe er danach nie mehr an seine erfolgreichen Jahre im Nationalsozialismus anknüpfen können. Immerhin aber wurde er als Aufbauberater in Hamburg und Hannover beschäftigt und fand im Krankenhausbau für weitere fünfundzwanzig Jahre ein attraktives neues Arbeitsfeld: Zusammen mit seinem Kollegen Godber Nissen entwarf Gutschow Universitätskliniken in Tübingen, Düsseldorf und Hannover. In Hamburg erinnert neben dem "Kaifu"-Freibad in Eimsbüttel nur noch ein inzwischen denkmalgeschütztes Spitzgiebelhaus in Rissen an Konstanty Gutschow.
Was macht diesen Architekten "aus der zweiten Reihe", der mehr Pläne als Gebautes hinterließ, noch 2012 interessant? Sein Selbstverständnis und sein Wirkungsvermögen als Experte, der nie nur Fassaden zeichnen, sondern Gesellschaft gestalten wollte, meint Sylvia Necker: "Die Architekten seiner Generation entwarfen nicht nur, sie planten und verwalteten die ,Neue Stadt' des 20. Jahrhunderts und waren, sofern sie wie Gutschow für das NS-Regime arbeiteten, mit einer nie dagewesenen Machtfülle ausgestattet."
ULLA FÖLSING
Sylvia Necker: "Konstanty Gutschow (1902 - 1978)". Modernes Denken und volksgemeinschaftliche Utopie eines Architekten.
Dölling und Galitz Verlag, München und Hamburg 2012. 384 S., Abb., geb., 49,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Von kritischen Tönen kaum die Spur, doch das stört Ulla Fölsing nicht. Sylvia Neckers als Dissertation entstandene Wertschätzung des Nazi-Architekten Konstanty Gutschow für dessen Selbstverständnis als Experte nicht nur für Bau, nein, auch für Gesellschaftsgestaltung (!) gefällt ihr wegen ihrer akribischen Recherche. Die Karriere Gutschows von der Weimarer Zeit bis zum "Archikraten" mit Auftrag "Führerhauptstadt" vermag die Autorin für Fölsing nachvollziehbar zu dokumentieren, ebenso wie den Witz von einem Entnazifierungsverfahren, von dem Gutschow profitierte.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH