Ein wirkliches Kunstwerk stellt sich im Laufe seiner Rezeptionsgeschichte erst als solches heraus, je mehr analytische Bemühungen an ihm gescheitert sind.Die hier versammelten Studien zu markanten Beispielen und Höhepunkten deutscher Literatur des 18. bis 20. Jahrhunderts - von Lessing bis Rolf Dieter Brinkmann - verstehen sich als Beiträge zu einem potentiell unabschließbaren Annäherungsprozess. Liewerscheidts Aufsätze sind Dekonstruktionen etablierter Lesarten und Festschreibungen, jedoch nicht mit der Intention des Aufweises grundsätzlicher Unzulänglichkeit, sondern - im Sinne einer skeptischen Hermeneutik, die im Unterschied zu Derrida an einem Verstehensanspruch festhält - mit dem Ziel einer weiteren Textannäherung. Kurze Einblicke in die reichhaltige, meist kontroverse Rezeptionsgeschichte erzeugen dabei jene Distanz, die für eine unvoreingenommene Urteilsbildung erforderlich ist.
Als Beispiele 'entdeckenden Lesens' halten Liewerscheidts stets werknahe Aufsätze ein Niveau literarischen Lesens gegenwärtig, das in der Germanistik viele nicht erreichen, die gern nach dem Rezept verfahren: Man nehme einen beliebigen literarischen Text und gieße die gerade angesagte Theorie darüber. - Norbert Mecklenburg