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Produktdetails
  • Verlag: Propyläen
  • Seitenzahl: 349
  • Abmessung: 32mm x 145mm x 220mm
  • Gewicht: 584g
  • ISBN-13: 9783549071267
  • ISBN-10: 3549071264
  • Artikelnr.: 24050608
  • Herstellerkennzeichnung
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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.08.2000

Verscharrt und aufgestapelt
Stalinistische und nationalsozialistische Verbrechen

Bogdan Musial: "Konterrevolutionäre Elemente sind zu erschießen". Die Brutalisierung des deutsch-sowjetischen Krieges im Sommer 1941. Propyläen Verlag, Berlin 2000. 351 Seiten, 16 Seiten Abbildungen, 44,- Mark.

In den letzten Junitagen des Jahres 1941 gerieten die meisten Städte und größeren Ortschaften in den westlichen Grenzgebieten der Sowjetunion in einen Strudel von Mord und Gewalt. Nach dem deutschen Überfall versuchten die sowjetischen Machthaber, die politischen Häftlinge ins Landesinnere zu schaffen, um den Deutschen diese potentiellen Kollaborateure zu entziehen. Dies scheiterte vielerorts an Transportproblemen, Zeitnot und dem allgemeinen Durcheinander. Daher begannen die Einheiten des sowjetischen Innenministeriums (NKWD) auf Befehl Berijas, die "konterrevolutionären" Gefängnisinsassen durch Genickschüsse oder mit Maschinengewehren und Handgranaten zu töten.

Die abziehenden Sowjets hinterließen der entsetzten Bevölkerung und der einrückenden Wehrmacht Zehntausende Leichen: Ukrainer, Polen, Weißrussen, Litauer, Balten und Juden, in den Gefängnishöfen verscharrt, in Zellen und Kellern aufgestapelt. Dieses stalinistische Massenverbrechen wurde von der deutschen Propaganda, aber auch von einheimischen Nationalisten sofort gegen den "jüdischen Bolschewismus" ausgeschlachtet. Zuweilen wurden die Leichen noch zusätzlich verstümmelt, um das Entsetzen zu steigern.

Die Juden mußten als Sündenböcke herhalten und fanden in zahllosen Pogromen zu Tausenden den Tod, was deutscherseits teils geduldet, teils gefördert, teils verhindert wurde. Die dritte Mordwelle innerhalb weniger Tage kam mit den Einsatzgruppen, den schrecklichen Vorboten des Holocaust, die "zur Vergeltung" in vielen Orten massenhaft jüdische Männer erschossen.

Die NKWD-Verbrechen vom Sommer 1941 sowie die Reaktionen der nichtjüdischen Bevölkerung und der deutschen Eroberer sind das Thema des Buches von Bogdan Musial. Der Historiker hatte der "Wehrmachtsausstellung" im vergangenen Jahr die peinliche Verwechslung von NKWD-Opfern und NS-Opfern nachweisen können, ein spektakuläres Nebenprodukt seiner Arbeit. Musial beschränkt sich auf das ehemalige, 1939 von den Sowjets annektierte Ostpolen, also auf westweißrussische und vor allem westukrainische Gebiete. Allein hier kosteten die Morde in Gefängnissen, Arreststuben und auf Todesmärschen bis zu 30 000 Häftlingen das Leben. Nicht viel weniger Opfer forderten die antijüdischen Pogrome dieser Tage. Die Darstellung stützt sich auf vielfältiges Quellenmaterial deutscher, sowjetischer, polnischer, ukrainischer und jüdischer Herkunft.

Die Sprachkompetenz des Autors ermöglicht die Beleuchtung der Vorgänge aus verschiedenen Blickwinkeln und erschließt dem deutschen Leser die Ergebnisse der polnischen und ukrainischen Forschung. Sein Buch ist die erste deutschsprachige Monographie zu einem Thema, das im Westen zuvor in einigen Spezialstudien bestenfalls am Rande behandelt wurde. Er verdeutlicht, wie interessant es sein kann, den Blick gewissermaßen auch auf die andere Seite des Bugs zu richten und die Wechselwirkungen von stalinistischen und nationalsozialistischen Verbrechen zu untersuchen. Das hat nichts mit Geschichtsphilosophie à la Ernst Nolte zu tun, sondern beschäftigt sich mit konkreten Ereignissen und Fakten.

Die NKWD-Verbrechen

Trotz der Anregungen und Impulse, die von diesem Buch ausgehen können, birgt es einige Probleme. Musials Darstellung bleibt in vielem zu holzschnittartig, mißverständlich und widersprüchlich. Dafür seien drei Beispiele genannt.

Musial beschreibt eingehend die ethnischen und sozialen Spannungen im ehemaligen Ostpolen, die durch den sowjetischen Terror der Jahre 1939 bis 1941 noch wesentlich verschärft wurden. Das Wüten der Besatzungsmacht traf zunächst vor allem die Polen, dann die Ukrainer, kostete aber auch Tausenden Juden das Leben. Die Sowjets bedienten sich dabei der Hilfe von Kollaborateuren aus allen Volksgruppen.

Musial behauptet nun, daß während der sowjetischen Schreckensherrschaft der jüdische Teil der Mittäter relativ größer, der jüdische Teil der Opfer relativ geringer gewesen sei als der polnische und ukrainische. Diese Behauptung hat gute Gründe, doch irritiert die Beharrlichkeit, mit der Musial dieses Argument immer wieder und teilweise recht pauschal wiederholt. Daß sich der antisowjetische Haß dann vor allem gegen die jüdische Bevölkerung entlud, erhält scheinbar eine gewisse Legitimation. Ältere antisemitische Ressentiments und die gezielte Steuerung der Pogrome von deutscher und nationalukrainischer Seite werden dagegen unterschätzt.

Die wichtigste These Musials ist, daß die deutsche Konfrontation mit den NKWD-Verbrechen wesentlich zur Brutalisierung des Krieges beigetragen habe. Schon der Titel suggeriert einseitig diesen Zusammenhang. Tatsächlich verbreitete sich die propagandistisch aufgebauschte Nachricht von diesen Verbrechen wie ein Lauffeuer und schien die bereits vorher geschürten Vorurteile gegen die "jüdisch-bolschewistische Bedrohung" zu bestätigen. Auch die von Musial erwähnten Exzesse von Rotarmisten gegen gefangene und verwundete deutsche Soldaten sowie die erbitterte Kampfweise führten dazu, daß man die rücksichtslose deutsche Kriegführung als gerechtfertigt ansah.

Die Grundlage war schon durch die verbrecherischen deutschen Befehle und Planungen vor dem 22. Juni gelegt worden. Gefangene Kommissare der Roten Armee wurden vom ersten Tag an ermordet, der plötzliche Überfall war an sich ein Akt unerhörter Brutalität. Daß sich die Grausamkeiten dieses Krieges zweier totalitärer Staaten noch steigerten, war ein komplizierter, natürlich beidseitiger Prozeß, für den die Erklärungsmuster Musials allein nicht ausreichen. Sein Fazit, "daß die sowjetischen Verbrechen im Sommer 1941 die Brutalisierung des deutsch-sowjetischen Krieges nach sich zogen", ist zu einseitig, auch wenn sein Zusatz, diese Entwicklung sei von den Nazis von vornherein geplant und gewollt gewesen, die Aussage wieder relativiert. Das merkwürdige Gegeneinander von pauschalen Thesen und entschärfenden, einschränkenden Passagen ist überhaupt ein Charakteristikum des Buches.

Ein Vorwand für Pogrome

Die Ankündigung des Klappentextes, durch Musials Arbeit würden "die immer noch umstrittenen Anfänge des Holocaust" in neuem Licht erscheinen, wird nicht erfüllt. Die überzeugenden Argumente gegen einen allgemeinen "Judentötungsbefehl" zu Beginn des Ostfeldzugs sind ebensowenig neu wie die Erkenntnis, daß die Einsatzgruppen die sowjetischen Massaker zu "Vergeltungsmaßnahmen" nutzten. In den antijüdischen Aktionen vor allem reaktives Verhalten zu sehen geht entschieden zu weit. Die NKWD-Morde lieferten den Pogromen einen Vorwand und beschleunigten die Durchführung der NS-Verbrechen, lösten sie aber nicht aus.

Heydrich hatte höchstwahrscheinlich am 17. Juni 1941, also vor Kriegsbeginn, den Einsatzgruppenchefs befohlen, die "jüdische Intelligenz" zu ermorden und "Selbstreinigungsbestrebungen antikommunistischer und antijüdischer Kreise" auszunutzen. Auf die engen Beziehungen von Wehrmacht und SS zur ukrainischen Miliz, die maßgeblich für die Pogrome verantwortlich war, geht Musial nicht näher ein.

Der deutsch-sowjetische Krieg war zusammen mit dem Holocaust die größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts. Die deutsche Seite entfachte den Krieg und beging den Judenmord. Zur Wirklichkeit des Krieges gehörte auch das Verhalten der sowjetischen Gegenseite, das ebenfalls von einem verbrecherischen Regime geprägt wurde. Der Zusammenstoß zweier mörderischer Ideologien dynamisierte den Prozeß des Vernichtungskrieges und Völkermordes. Bisher war das Augenmerk fast ausschließlich auf die deutschen Verbrechen gerichtet. Der Historiker muß sich jedoch nach und nach einem Gesamtbild nähern, das alle Beteiligten umfaßt. Bei dieser Aufgabe droht ihm der Vorwurf, das Ungeheuerliche der deutschen Verbrechen zu relativieren und rechtsextremen Kreisen in die Hände zu spielen. Das ist sein Dilemma. Dagegen hilft nur eine differenzierte und nüchterne Darstellung, die dem Leser einiges abverlangt und sich nicht zur populären Vermarktung eignet. Dies ist Musial nicht durchgehend gelungen. Sein Verdienst bleibt aber, daß er sowohl auf ein fast vergessenes Kapitel des Zweiten Weltkriegs als auch auf die Schwierigkeiten seiner Vermittlung aufmerksam gemacht hat: ein wichtiges, ein problematisches Buch, ein Anfang, aber nur ein Anfang.

JOHANNES HÜRTER

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Mit sehr gemischten Gefühlen hat Wolfram Wette das Buch des polnischen Historikers gelesen, durch den die Wehrmachtsausstellung des Hamburger Instituts für Sozialgeschichte dazumal ins Kreuzfeuer der Kritik geraten war. Nachdem er durch seine Entdeckung falsch zugeordneter Fotos prominent geworden war, wurde seine Dissertation über "Deutsche Zivilverwaltung und Judenverfolgung im Generalgouvernement" hierzulande aufmerksam und in der Regel positiv aufgenommen. Deren "Solidität" jedoch, so Wette, ist in dem neuen Buch nicht erreicht worden. Vielmehr sind besonders die Schlussfolgerungen "leichtfertig und provozierend geschrieben". Thematisch geht es um die Zusammenschau der Vorgänge während der sowjetischen Besatzung in Ostpolen, den Deportationen Hunderttausender von Weißrussen, Ukrainern, Polen und Juden, das dadurch brutal gestörte empfindliche soziale Gefüge und die sich teilweise daraus ergebenden Racheakte nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht. Obgleich Musial sich durchaus auf die erst seit kurzem verfügbaren Dokumenten sowjetischer Verbrechen stützt, schlägt sein "spezifisch polnischer Antisowjetismus", so Witte, immer wieder durch. Die heikle Verbindung von Juden und Sowjets, die beispielsweise sowohl nationalistischen Ukrainern als auch der SS nach dem Rückzug der Sowjets zum Anlass hasserfüllten Mordens wurde, wird bei Musial nicht wirklich sauber herausgearbeitet, findet Wette. Vielmehr lässt er sich, trotz anderslautender Erklärungen, immer wieder ein auf Schuldzuschreibungen an die Opfer selbst. Damit gerät er in die Nähe der Thesen der (von Wette nicht ausdrücklich genannten) deutschen Historiker wie Nolte et. al., die einer Reaktion der Wehrmacht auf die Verbrechen der Kommunisten das Wort redeten (und vor Jahren damit den "Historikerstreit" entfachten). Das Fazit des Rezensenten: der Autor hat mit dieser Untersuchung riskiert, "jenen gefährlichen Geschichtsdeutern in die Hände" zu spielen, "die den zweiten Weltkrieg und den Holocaust als Reaktion auf bolschewistische Verbrechen sehen wollen".

© Perlentaucher Medien GmbH
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