Produktdetails
- Verlag: Dietz
- ISBN-13: 9783801204037
- ISBN-10: 3801204030
- Artikelnr.: 29737867
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.01.2011Deutschlands Größe
Der Europa-Veteran Klaus Hänsch
plädiert überzeugend für die EU
Als größtes Land hat Deutschland es nicht leicht mit Europa. Und die Europäer haben es nicht leicht mit den Deutschen. In guten Zeiten merkt man das nicht so, aber in schlechten wie den jetzigen kommt sie wieder auf: die Furcht vor dem unberechenbaren Deutschen, der um sich schlägt und den anderen seinen Willen aufzwingt. Und der Deutsche fühlt sich beleidigt und missverstanden und fragt sich verbittert, warum er in der Europäischen Union immer für alles und alle zahlen soll.
„Die wahre Größe Deutschlands erweist sich in der Berechenbarkeit seines Verhaltens und der Übernahme von Verantwortung für das Ganze“, schreibt Klaus Hänsch, der ehemalige Präsident des Europäischen Parlaments, in seinen politischen Erinnerungen. Deutschland müsse führen, sich zugleich aber auch einordnen. Ein Deutschland, das sich nicht einbinden lasse, werde „ausgegrenzt“.
Was hier als aktuelle Kritik an der gegenwärtigen Bundesregierung auftritt,ergibt sich aus der Erfahrung eines langen europäischen Lebens, das mit der Flucht vor der Roten Armee aus dem schlesischen Sprottau begann und seine Höhepunkte an der Spitze des Europäischen Parlaments und im Präsidium des Europäischen Verfassungskonvents fand.
Ganz gegen den Strom düsterer Prophezeiungen von europäischem Versagen und gar von Untergang bleibt Europa für Hänsch der „Kontinent der Hoffnungen“. Nicht, dass er blind für die Probleme der EU wäre. Die beschreibt er ohne Schönfärberei: von dem Unsinn einer viel zu großen Kommission über die Mängel des Lissabon-Vertrags bis hin zum geostrategischen Abenteuer der Aufnahme der Türkei, dem der Beitritt der Ukraine und der Kaukasus-Länder unvermeidbar folgen würde. Indes, von der ersten Direktwahl des Europäischen Parlaments im Jahre 1979 an hat Hänsch Europa mitgestaltet. Er hatzu viele Krisen durchlebt, als dass er sich von jeder neuen gleich ins Bockshorn jagen ließe.
Seine Überlegungen über die europäische „Identität“ sind bemerkenswert. Sie eröffnen das Verständnis für die Grenzen aber auch für die Möglichkeiten der europäischen Einigung – nicht im Himmel, sondern auf der Erde, und da geht es manchmal recht mühsam zu.
Hänsch Erkenntnisse sind von Erfahrungen reich gesättigt, zum Beispiel von dieser: Als Vorsitzender der stark umstrittenen Arbeitsgruppe „Wirtschaftsregierung“ im Verfassungskonvent wurde er eines Tages von der britischen Regierung – nun ja – vorgeladen. Erst machte ihm der bekannt undiplomatische und EU-skeptische Finanzminister Gordon Brown und dann der etwas freundlichere Premier Tony Blair klar, wo für die Briten die „roten Linien“ liegen. Das waren so viele, dass Hänsch leicht ironisch bei Blair nachhakte, was er denn überhaupt akzeptieren würde. Dessen leise gemurmeltes „alles, außer einen Staat“ ist mehr als nur eine Anekdote. Es ist eines der vielen Steinchen, die Hänsch in seiner Erinnerungen zu dem Bild eines Europa zusammenfügt, das sich oft schwer tut, das sich irrt und zum großen Wurf meist zu feige ist.
Im Verfassungskonvent ging die „Wirtschaftsregierung“, von allen Seiten torpediert, ruhmlos unter. Heute wird hektisch an etwas Vergleichbarem gearbeitet, damit die Zukunft des Euro gesichert werde. Insgesamt zeichnet Hänsch das Bild eines Europa, das eine stille und zähe Überlebensdynamik entwickelt hat. Er hat ein kluges und auch unterhaltsames Buch geschrieben, was bei dem Thema Europa nicht unbedingt zu erwarten ist. MARTIN WINTER
KLAUS HÄNSCH: Kontinent der Hoffnungen. Mein europäisches Leben. Dietz-Verlag, Bonn 2010. 250 Seiten, 18 Euro.
Wer zur Türkei ja sagt, kann
zur Ukraine nicht nein sagen
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Der Europa-Veteran Klaus Hänsch
plädiert überzeugend für die EU
Als größtes Land hat Deutschland es nicht leicht mit Europa. Und die Europäer haben es nicht leicht mit den Deutschen. In guten Zeiten merkt man das nicht so, aber in schlechten wie den jetzigen kommt sie wieder auf: die Furcht vor dem unberechenbaren Deutschen, der um sich schlägt und den anderen seinen Willen aufzwingt. Und der Deutsche fühlt sich beleidigt und missverstanden und fragt sich verbittert, warum er in der Europäischen Union immer für alles und alle zahlen soll.
„Die wahre Größe Deutschlands erweist sich in der Berechenbarkeit seines Verhaltens und der Übernahme von Verantwortung für das Ganze“, schreibt Klaus Hänsch, der ehemalige Präsident des Europäischen Parlaments, in seinen politischen Erinnerungen. Deutschland müsse führen, sich zugleich aber auch einordnen. Ein Deutschland, das sich nicht einbinden lasse, werde „ausgegrenzt“.
Was hier als aktuelle Kritik an der gegenwärtigen Bundesregierung auftritt,ergibt sich aus der Erfahrung eines langen europäischen Lebens, das mit der Flucht vor der Roten Armee aus dem schlesischen Sprottau begann und seine Höhepunkte an der Spitze des Europäischen Parlaments und im Präsidium des Europäischen Verfassungskonvents fand.
Ganz gegen den Strom düsterer Prophezeiungen von europäischem Versagen und gar von Untergang bleibt Europa für Hänsch der „Kontinent der Hoffnungen“. Nicht, dass er blind für die Probleme der EU wäre. Die beschreibt er ohne Schönfärberei: von dem Unsinn einer viel zu großen Kommission über die Mängel des Lissabon-Vertrags bis hin zum geostrategischen Abenteuer der Aufnahme der Türkei, dem der Beitritt der Ukraine und der Kaukasus-Länder unvermeidbar folgen würde. Indes, von der ersten Direktwahl des Europäischen Parlaments im Jahre 1979 an hat Hänsch Europa mitgestaltet. Er hatzu viele Krisen durchlebt, als dass er sich von jeder neuen gleich ins Bockshorn jagen ließe.
Seine Überlegungen über die europäische „Identität“ sind bemerkenswert. Sie eröffnen das Verständnis für die Grenzen aber auch für die Möglichkeiten der europäischen Einigung – nicht im Himmel, sondern auf der Erde, und da geht es manchmal recht mühsam zu.
Hänsch Erkenntnisse sind von Erfahrungen reich gesättigt, zum Beispiel von dieser: Als Vorsitzender der stark umstrittenen Arbeitsgruppe „Wirtschaftsregierung“ im Verfassungskonvent wurde er eines Tages von der britischen Regierung – nun ja – vorgeladen. Erst machte ihm der bekannt undiplomatische und EU-skeptische Finanzminister Gordon Brown und dann der etwas freundlichere Premier Tony Blair klar, wo für die Briten die „roten Linien“ liegen. Das waren so viele, dass Hänsch leicht ironisch bei Blair nachhakte, was er denn überhaupt akzeptieren würde. Dessen leise gemurmeltes „alles, außer einen Staat“ ist mehr als nur eine Anekdote. Es ist eines der vielen Steinchen, die Hänsch in seiner Erinnerungen zu dem Bild eines Europa zusammenfügt, das sich oft schwer tut, das sich irrt und zum großen Wurf meist zu feige ist.
Im Verfassungskonvent ging die „Wirtschaftsregierung“, von allen Seiten torpediert, ruhmlos unter. Heute wird hektisch an etwas Vergleichbarem gearbeitet, damit die Zukunft des Euro gesichert werde. Insgesamt zeichnet Hänsch das Bild eines Europa, das eine stille und zähe Überlebensdynamik entwickelt hat. Er hat ein kluges und auch unterhaltsames Buch geschrieben, was bei dem Thema Europa nicht unbedingt zu erwarten ist. MARTIN WINTER
KLAUS HÄNSCH: Kontinent der Hoffnungen. Mein europäisches Leben. Dietz-Verlag, Bonn 2010. 250 Seiten, 18 Euro.
Wer zur Türkei ja sagt, kann
zur Ukraine nicht nein sagen
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Ein engagiertes Plädoyer für die EU erblickt Martin Winter in diesen Erinnerungen von Klaus Hänsch. Er würdigt den einstigen Präsidenten des Europäischen Parlaments als EU-Veteran und Kenner der Materie. Untergangsvisionen und Schwarz-Weiß-Malerei tritt der Autor nach Ansicht Winters überzeugend entgegen, ohne die Probleme der EU zu ignorieren. Hänschs Überlegungen zur europäischen Identität findet er sehr beachtlich. Grenzen und Möglichkeiten der europäischen Einigung werden für ihn deutlich. Sein Fazit: ein Buch, das nicht nur kenntnisreich und gescheit ist, sondern - was man bei diesem Thema nicht unbedingt erwartet hätte - auch unterhaltsam.
© Perlentaucher Medien GmbH
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