Obwohl schon seit 1920 Kinder und Jugendliche als psychiatrische Patienten in der Universitätsnervenklinik Marburg aufgenommen wurden, beginnt die Geschichte der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Philipps-Universität Marburg im Jahr 1946, als Werner Villinger nach Marburg berufen wurde und seinen Mitarbeiter Hermann Stutte mitbrachte, der später der erste Ordinarius für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Deutschland werden sollte. Nicht unerwähnt lässt der Autor die lnvolvierung der beiden Gründungsväter Villinger und Stutte im Nationalsozialismus während ihrer Tübinger Zeit. Nach dem Krieg gelang es ihnen, wieder Kontakt zur europäischen und internationalen Kinder- und Jugendpsychiatrie aufzunehmen und die Entwicklung des jungen medizinischen Faches in diesem Kontext bedeutsam mitzugestalten. Die weitere Entwicklung der Marburger Kinder- und Jugendpsychiatrie zeichnet Remschmidt bis in das Jahr 2017 nach, insbesondere, was neue Initiativen in der Versorgung, der Psychotherapie, der Forschung, der Qualifikation von Nachwuchswissenschaftlern und der Pflege internationaler Beziehungen betrifft.
Although children have been admitted as psychiatric patients to the Universitätsnervenklinik Marburg (University Hospital for Psychiatry Marburg) in 1920, the history of the child and adolescent psychiatry of the Philipps-Universität Marburg began in the year 1946, when Werner Villinger was appointed to Marburg and brought his fellow Hermann Stutte along, who later became the first professor ordinarius for child and adolescent psychiatry in Germany. The author also considers the fact that the two founders Villinger and Stutte were involved in the national socialism during their time in Tübingen. After the war they were able to re-establish contact with the European and international child and adolescent psychiatry and to influence the young medical subject significantly. Remschmidt describes the development of the child and adolescent psychiatry in Marburg until the year 2017, especially regarding new programmes in care, psychotherapy, research, qualification of young scientists and the maintenance of international relations.
Although children have been admitted as psychiatric patients to the Universitätsnervenklinik Marburg (University Hospital for Psychiatry Marburg) in 1920, the history of the child and adolescent psychiatry of the Philipps-Universität Marburg began in the year 1946, when Werner Villinger was appointed to Marburg and brought his fellow Hermann Stutte along, who later became the first professor ordinarius for child and adolescent psychiatry in Germany. The author also considers the fact that the two founders Villinger and Stutte were involved in the national socialism during their time in Tübingen. After the war they were able to re-establish contact with the European and international child and adolescent psychiatry and to influence the young medical subject significantly. Remschmidt describes the development of the child and adolescent psychiatry in Marburg until the year 2017, especially regarding new programmes in care, psychotherapy, research, qualification of young scientists and the maintenance of international relations.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.10.2018Hilfe für die Kinderpsyche
Medizin findet in Kliniken statt. Einer der bedeutendsten ist anlässlich des sechzigjährigen Bestehens nun ein Denkmal gesetzt worden. Die Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Marburg wurde 1958 nicht nur als erste Institution ihrer Art in der alten Bundesrepublik gegründet. Sie übte zudem weit über Deutschland hinaus Einfluss auf das Fach aus, insbesondere, was die Erforschung der Delinquenz von Kindern und Jugendlichen angeht. Für alle, die nachvollziehen wollen, wie sich eine Fachdisziplin etabliert und Bedeutung erlangt, ist das Werk eine Fundgrube. Es macht verständlich, dass erst die Melange aus Spezialisierung und Ausdifferenzierung der ärztlichen und pflegerischen Aufgaben, einer rührigen Gremien- und Verwaltungsarbeit, dem mühseligen Ringen mit der Politik und deren Reformen und nicht zuletzt der Zusammenarbeit mit anderen Institutionen und Disziplinen wie zum Beispiel der Erziehungswissenschaft institutionell Neues hervortreten lässt. Nachvollziehbar wird außerdem, dass flankierende Entwicklungen, etwa in der Sonderpädagogik, ohne das nachhaltige Engagement aus Marburg vielleicht so nie möglich gewesen wären. Die Initiative, eine besondere Ausbildung in der Behindertenpädagogik zu fördern, ging von dieser Klinik aus. Das Marburger Institut für Heil- und Sonderpädagogik war lange Vorbild und "Mutterinstitut" für andere Hochschulen. Schließlich sei auf die rund hundertzwanzig Kurzbiographien von Persönlichkeiten hingewiesen, die an dieser Klinik tätig oder mit ihr assoziiert waren. Dieses Kapitel ist weit mehr als ein "Who's who" des Faches. So mancher auch noch nicht so alte Arzt dürfte hier auf Namen stoßen, die seinen Weg gekreuzt oder ihn beeindruckt haben.
mls.
Helmut Remschmidt: "Kontinuität und Innovation". Die Geschichte der Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Philipps-Universität Marburg. V&R Unipress, Göttingen 2018. 815 S., geb., 100,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Medizin findet in Kliniken statt. Einer der bedeutendsten ist anlässlich des sechzigjährigen Bestehens nun ein Denkmal gesetzt worden. Die Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Marburg wurde 1958 nicht nur als erste Institution ihrer Art in der alten Bundesrepublik gegründet. Sie übte zudem weit über Deutschland hinaus Einfluss auf das Fach aus, insbesondere, was die Erforschung der Delinquenz von Kindern und Jugendlichen angeht. Für alle, die nachvollziehen wollen, wie sich eine Fachdisziplin etabliert und Bedeutung erlangt, ist das Werk eine Fundgrube. Es macht verständlich, dass erst die Melange aus Spezialisierung und Ausdifferenzierung der ärztlichen und pflegerischen Aufgaben, einer rührigen Gremien- und Verwaltungsarbeit, dem mühseligen Ringen mit der Politik und deren Reformen und nicht zuletzt der Zusammenarbeit mit anderen Institutionen und Disziplinen wie zum Beispiel der Erziehungswissenschaft institutionell Neues hervortreten lässt. Nachvollziehbar wird außerdem, dass flankierende Entwicklungen, etwa in der Sonderpädagogik, ohne das nachhaltige Engagement aus Marburg vielleicht so nie möglich gewesen wären. Die Initiative, eine besondere Ausbildung in der Behindertenpädagogik zu fördern, ging von dieser Klinik aus. Das Marburger Institut für Heil- und Sonderpädagogik war lange Vorbild und "Mutterinstitut" für andere Hochschulen. Schließlich sei auf die rund hundertzwanzig Kurzbiographien von Persönlichkeiten hingewiesen, die an dieser Klinik tätig oder mit ihr assoziiert waren. Dieses Kapitel ist weit mehr als ein "Who's who" des Faches. So mancher auch noch nicht so alte Arzt dürfte hier auf Namen stoßen, die seinen Weg gekreuzt oder ihn beeindruckt haben.
mls.
Helmut Remschmidt: "Kontinuität und Innovation". Die Geschichte der Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Philipps-Universität Marburg. V&R Unipress, Göttingen 2018. 815 S., geb., 100,- [Euro].
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