Heinrich Vogeler, gefeierter Märchenprinz des Jugendstils, ist auf der Höhe seines Erfolgs. Im Juni 1905 wird ihm die Goldene Medaille für Kunst und Wissenschaft verliehen besonders für das nach fünfjähriger Arbeit fertiggestellte Gemälde "Das Konzert oder Sommerabend auf dem Barkenhoff". Während es in der Öffentlichkeit als Meisterwerk gefeiert wird, ist es für Vogeler das Resultat dreifachen Scheiterns: In seiner Ehe kriselt es, sein künstlerisches Selbstbewusstsein wankt, und eine fragile Freundschaft zerbricht. Rainer Maria Rilke, der literarische Stern am Himmel der Worpsweder Künstlerkolonie, und sein "Seelenverwandter" Vogeler haben sich entfremdet - und "Das Konzert" bringt das auf subtile Weise zum Ausdruck: Rilke fehlt. Sein Platz zwischen den Frauen, die er liebt, bleibt demonstrativ leer.
Was Vogeler und Rilke zueinanderführte und später trennte, welchen Anteil die Frauen daran hatten, die Kunst, das Geld und die Macht der Mäzene, davon erzählt Klaus Modick auf kunstvolle Weise: Auf der Reise zur Preisverleihung erinnert Vogeler sich an die Euphorie des gemeinsamen Aufbruchs und an Paula Modersohn-Becker und Clara Rilke-Westhoff, die Frauen, denen Rilke in einer skandalösen Dreiecksbeziehung verbunden war. Ein groß-artiger Künstlerroman, einfühlsam, kenntnisreich, atmosphärisch und klug.
Mit "Konzert ohne Dichter" hat Klaus Modick seinen ersten Bestseller geschrieben. Der Künstlerroman - er steht aktuell unter den Top Ten auf den relevanten Spitzenlisten - ist eine intelligente und unterhaltsame Dekonstruktion der Künstlerkolonie Worpswede. Und ein Buch über die schwierige Freundschaft zwischen dem Maler Heinrich Vogeler und dem Dichter Rainer Maria Rilke. Es ist die Geschichte von den Anfängen der Künstlerkolonie, eine Chronique scandaleuse, ein Roman über die Liebe, das Ringen um die Kunst, die Geldnot, das Scheitern - und den vermaledeiten Kunstbetrieb, Mäzene inklusive.
Diese Zeilen stehen dem Roman voran - und stimmen auch ein auf das große Vogeler-Gemälde "Sommerabend". Der Maler - damals ein Star der Kunstszene und als Kunstmaler, Grafiker oder Innenarchitekt begehrt - erhält dafür in Oldenburg die Große Goldene Medaille, persönlich überreicht von Großherzog Friedrich August.
Heinrich Vogelers "Sommerabend" - für den Künstler ein Bild, das nicht klingt
Doch er selbst hadert mit seinem Werk: "Es zeigt Musizierende, aber es klingt nicht. Bleibt stumm. Und die Lauschenden hören nichts. Sind taub." Die Kunstwelt aber feiert das Bild als "rauschenden Hymnus auf den Abendfrieden", als "ungekünstelt und voller Musik". Die zwei Frauen, Paula Becker (später Modersohn-Becker) und Clara Westhoff, sitzen im Garten vor dem Barkenhoff, zwischen ihnen ein leerer Platz. Den Fragen, die dieser leere Platz - auf ihm sollte eigentlich Rilke sitzen - aufwirft, geht Klaus Modick nach.
"Paula hat das Bild immer nur Die Familie genannt, aber diese Familie zerfällt, ist schon zerfallen. Süße Dichterworte halten sie längst nicht mehr zusammen, klingen nur noch wie hohle Ideologien, Predigten eines Scharlatans."
Die Seelenverwandtschaft zwischen Rilke und Vogeler ist dahin
Ja, Rilke. In "Konzert ohne Dichter" kommt er nicht wirklich gut weg. Blasiert und verstiegen dichtet er unentwegt, ein Künstlerkollege sagt über ihn, er reime wohl auch noch auf dem Donnerbalken und beschreibe das dort liegende Papier. Rilkes Saiten seien "ständig etwas zu hoch gestimmt". "Dass Kunst auch aus Spiel und beiläufiger Improvisation entsteht, dem lebendigen Augenblick hingegeben oder abgelauscht, davon weiß Rilke nichts oder will nichts davon wissen." Die einstige Seelenverwandtschaft zwischen Vogeler und Rilke ist dahin. Vielleicht war es auch weniger eine solche, sondern mehr ein sich Angezogenfühlen von Vogelers Popularität, ein Hoffen, mit dieser Freundschaft auch hilfreiche Kontakte und Mäzene zu bekommen.
Die Kunst und das Geld: "Kinder, Kinder, ihr wisst ja gar nicht, wie gut ihr's habt."
Geldsorgen machen schließlich den meisten Künstlern zu schaffen, und Vogeler scheint es in dieser Hinsicht geschafft zu haben. Um welchen Preis, das fragt sich der Maler oft selbst genug. Denn sein Mäzen, der rustikale Bremer Kaufmann Roselius, will eigentlich nichts hören von echter Kunst oder gar revolutionären Gedanken, er will das Dekorative und Schöne. "Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst" - so lautet Roselius' Motto. Und dafür lässt er Moneten springen und legt noch Kaffee, Zigarren aus Kuba, Tee, Kakao und Schokolade obendrauf. Das sind herrliche Szenen, in denen Roselius mit der Kutsche durchs Moor donnert und den meist armen Schluckern ihre Werke abnimmt mit dem Kommentar "Kinder, Kinder, ihr wisst ja gar nicht, wie gut ihr's habt.". Rilke mit seinen Gedichten hat es da schwer, wie gut, dass seine Frau Clara Bildhauerin ist.
Rilke, Frauenschwarm, Schürzenjäger und in einer Ménage-à-trois im Teufelsmoor
Vor seiner Heirat war Rilke, der Frauenschwarm und Schürzenjäger, in Worpswede neben Clara auch für die Malerin Paula Becker entflammt. Aus Paris floh er vor der komplizierten Affäre mit Lou Andreas-Salomé, und natürlich gibt es auf dem flachen Land im Teufelsmoor Gerede um die Dreiecksgeschichte. Die Torfbauern dort sind einfache Leute, schnacken Platt, für Rilke unverständliches Kauderwelsch. Auch nach der Heirat ist Rilke für "Nichts und Niemanden" verantwortlich. Die gemeinsame Tochter schiebt er ab - sie stört einfach. Er will "von allen bewundert und geliebt werden". ",Ich bin', hat er einmal schulterzuckend und fast entschuldigend zu Vogeler gesagt, ,Erinnerungen treu für immer; Frauen, Menschen überhaupt, werde ich es niemals sein.'"
Das Ringen um die Kunst und das Hadern mit dem "lukrativen Mummenschanz"
Der bodenständigere Heinrich Vogeler aber hadert nicht nur mit dem "marmorkalten" Rilke, sondern auch mit dem "lukrativen Mummenschanz" der ländlichen Künstlerkolonie, fühlt sich im Unreinen mit alldem. Er spürt, dass seine Arbeiten zu "schön" geraten - auch Rilke wirft ihm das hinter seinem Rücken vor und spricht von "dekorativem Tand" oder "dekorativ-antiquierender Effekthascherei". Die Seelenverwandtschaft der Künstler ist "zu steifer Höflichkeit verdunstet". Am Ende will Vogeler das große Gemälde - "Sommerabend" oder "Das Konzert", wie es auch genannt wird - dem Käufer Roselius wieder abkaufen.
"Wenn er jetzt sagt, dass er es zerstören will, bekommt er es nie. ,Es ist nicht fertig', sagt er. ,Ich muss da noch etwas ---' ich meine ---'"
"Heraus aus dem Goldenen Käfig. Weg von hier, das ist mein Ziel."
Dass Roselius damit nichts anfangen kann, selbstredend. Er findet das Bild "perfekt, wie es ist". "Alle Welt findet es perfekt." Und während Roselius triumphiert, dass er einem anderen interessierten Käufer zuvorgekommen ist, fühlt sich Vogeler von ihm behandelt "wie ein[..] exotische[r] Schoßhund". Das Bild bleibt bei dem Bremer Kaufmann - und Vogeler?
"Nichts geht verloren. Und wenn er sein Bild zerstören und verbrennen könnte, würde es auch nicht verloren gehen. Aus den Erfahrungen, die er mit diesem Bild gemacht hat, und den Erfahrungen mit den Menschen, Blicken, Worten, die das Bild hervorgebracht haben, würde etwas Neues entstehen. [...] Das Ziel spielt keine Rolle. Nur weg von hier, denkt er, heraus aus dem Goldenen Käfig. Weg von hier, das ist mein Ziel."
Was Vogeler und Rilke zueinanderführte und später trennte, welchen Anteil die Frauen daran hatten, die Kunst, das Geld und die Macht der Mäzene, davon erzählt Klaus Modick auf kunstvolle Weise: Auf der Reise zur Preisverleihung erinnert Vogeler sich an die Euphorie des gemeinsamen Aufbruchs und an Paula Modersohn-Becker und Clara Rilke-Westhoff, die Frauen, denen Rilke in einer skandalösen Dreiecksbeziehung verbunden war. Ein groß-artiger Künstlerroman, einfühlsam, kenntnisreich, atmosphärisch und klug.
Konzert ohne Dichter von Klaus Modick:
Mit "Konzert ohne Dichter" hat Klaus Modick seinen ersten Bestseller geschrieben. Der Künstlerroman - er steht aktuell unter den Top Ten auf den relevanten Spitzenlisten - ist eine intelligente und unterhaltsame Dekonstruktion der Künstlerkolonie Worpswede. Und ein Buch über die schwierige Freundschaft zwischen dem Maler Heinrich Vogeler und dem Dichter Rainer Maria Rilke. Es ist die Geschichte von den Anfängen der Künstlerkolonie, eine Chronique scandaleuse, ein Roman über die Liebe, das Ringen um die Kunst, die Geldnot, das Scheitern - und den vermaledeiten Kunstbetrieb, Mäzene inklusive.
"Es ist so vieles nicht gemalt worden,
vielleicht alles."
Rainer Maria Rilke, Worpswede
Diese Zeilen stehen dem Roman voran - und stimmen auch ein auf das große Vogeler-Gemälde "Sommerabend". Der Maler - damals ein Star der Kunstszene und als Kunstmaler, Grafiker oder Innenarchitekt begehrt - erhält dafür in Oldenburg die Große Goldene Medaille, persönlich überreicht von Großherzog Friedrich August.
Heinrich Vogelers "Sommerabend" - für den Künstler ein Bild, das nicht klingt
Doch er selbst hadert mit seinem Werk: "Es zeigt Musizierende, aber es klingt nicht. Bleibt stumm. Und die Lauschenden hören nichts. Sind taub." Die Kunstwelt aber feiert das Bild als "rauschenden Hymnus auf den Abendfrieden", als "ungekünstelt und voller Musik". Die zwei Frauen, Paula Becker (später Modersohn-Becker) und Clara Westhoff, sitzen im Garten vor dem Barkenhoff, zwischen ihnen ein leerer Platz. Den Fragen, die dieser leere Platz - auf ihm sollte eigentlich Rilke sitzen - aufwirft, geht Klaus Modick nach.
"Paula hat das Bild immer nur Die Familie genannt, aber diese Familie zerfällt, ist schon zerfallen. Süße Dichterworte halten sie längst nicht mehr zusammen, klingen nur noch wie hohle Ideologien, Predigten eines Scharlatans."
Die Seelenverwandtschaft zwischen Rilke und Vogeler ist dahin
Ja, Rilke. In "Konzert ohne Dichter" kommt er nicht wirklich gut weg. Blasiert und verstiegen dichtet er unentwegt, ein Künstlerkollege sagt über ihn, er reime wohl auch noch auf dem Donnerbalken und beschreibe das dort liegende Papier. Rilkes Saiten seien "ständig etwas zu hoch gestimmt". "Dass Kunst auch aus Spiel und beiläufiger Improvisation entsteht, dem lebendigen Augenblick hingegeben oder abgelauscht, davon weiß Rilke nichts oder will nichts davon wissen." Die einstige Seelenverwandtschaft zwischen Vogeler und Rilke ist dahin. Vielleicht war es auch weniger eine solche, sondern mehr ein sich Angezogenfühlen von Vogelers Popularität, ein Hoffen, mit dieser Freundschaft auch hilfreiche Kontakte und Mäzene zu bekommen.
Die Kunst und das Geld: "Kinder, Kinder, ihr wisst ja gar nicht, wie gut ihr's habt."
Geldsorgen machen schließlich den meisten Künstlern zu schaffen, und Vogeler scheint es in dieser Hinsicht geschafft zu haben. Um welchen Preis, das fragt sich der Maler oft selbst genug. Denn sein Mäzen, der rustikale Bremer Kaufmann Roselius, will eigentlich nichts hören von echter Kunst oder gar revolutionären Gedanken, er will das Dekorative und Schöne. "Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst" - so lautet Roselius' Motto. Und dafür lässt er Moneten springen und legt noch Kaffee, Zigarren aus Kuba, Tee, Kakao und Schokolade obendrauf. Das sind herrliche Szenen, in denen Roselius mit der Kutsche durchs Moor donnert und den meist armen Schluckern ihre Werke abnimmt mit dem Kommentar "Kinder, Kinder, ihr wisst ja gar nicht, wie gut ihr's habt.". Rilke mit seinen Gedichten hat es da schwer, wie gut, dass seine Frau Clara Bildhauerin ist.
Rilke, Frauenschwarm, Schürzenjäger und in einer Ménage-à-trois im Teufelsmoor
Vor seiner Heirat war Rilke, der Frauenschwarm und Schürzenjäger, in Worpswede neben Clara auch für die Malerin Paula Becker entflammt. Aus Paris floh er vor der komplizierten Affäre mit Lou Andreas-Salomé, und natürlich gibt es auf dem flachen Land im Teufelsmoor Gerede um die Dreiecksgeschichte. Die Torfbauern dort sind einfache Leute, schnacken Platt, für Rilke unverständliches Kauderwelsch. Auch nach der Heirat ist Rilke für "Nichts und Niemanden" verantwortlich. Die gemeinsame Tochter schiebt er ab - sie stört einfach. Er will "von allen bewundert und geliebt werden". ",Ich bin', hat er einmal schulterzuckend und fast entschuldigend zu Vogeler gesagt, ,Erinnerungen treu für immer; Frauen, Menschen überhaupt, werde ich es niemals sein.'"
Das Ringen um die Kunst und das Hadern mit dem "lukrativen Mummenschanz"
Der bodenständigere Heinrich Vogeler aber hadert nicht nur mit dem "marmorkalten" Rilke, sondern auch mit dem "lukrativen Mummenschanz" der ländlichen Künstlerkolonie, fühlt sich im Unreinen mit alldem. Er spürt, dass seine Arbeiten zu "schön" geraten - auch Rilke wirft ihm das hinter seinem Rücken vor und spricht von "dekorativem Tand" oder "dekorativ-antiquierender Effekthascherei". Die Seelenverwandtschaft der Künstler ist "zu steifer Höflichkeit verdunstet". Am Ende will Vogeler das große Gemälde - "Sommerabend" oder "Das Konzert", wie es auch genannt wird - dem Käufer Roselius wieder abkaufen.
"Wenn er jetzt sagt, dass er es zerstören will, bekommt er es nie. ,Es ist nicht fertig', sagt er. ,Ich muss da noch etwas ---' ich meine ---'"
"Heraus aus dem Goldenen Käfig. Weg von hier, das ist mein Ziel."
Dass Roselius damit nichts anfangen kann, selbstredend. Er findet das Bild "perfekt, wie es ist". "Alle Welt findet es perfekt." Und während Roselius triumphiert, dass er einem anderen interessierten Käufer zuvorgekommen ist, fühlt sich Vogeler von ihm behandelt "wie ein[..] exotische[r] Schoßhund". Das Bild bleibt bei dem Bremer Kaufmann - und Vogeler?
"Nichts geht verloren. Und wenn er sein Bild zerstören und verbrennen könnte, würde es auch nicht verloren gehen. Aus den Erfahrungen, die er mit diesem Bild gemacht hat, und den Erfahrungen mit den Menschen, Blicken, Worten, die das Bild hervorgebracht haben, würde etwas Neues entstehen. [...] Das Ziel spielt keine Rolle. Nur weg von hier, denkt er, heraus aus dem Goldenen Käfig. Weg von hier, das ist mein Ziel."
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Kristina Maidt-Zinke hätte sich durchaus einen riskanteren Roman zum tragisch in der Sowjetunion geendeten Maler Heinrich Vogeler vorstellen können, doch Klaus Modicks "elegante Worpswede-Fantasie" hat ihr auch gefallen. Sie kennt und schätzt Modick als erfahrenen Romancier, und wie er die Künstlerfreundschaft zwischen Vogeler und dem Dichter Rainer Maria Rilke ins Bild setzt, kreuzt in ihren Augen sehr charmant den Künstler- mit dem Heimatroman. Ohne seinen Protagonisten die Ernsthaftigkeit abzusprechen, führt Modick der Rezensentin sehr schön die Komik vor Augen, für die Rilke mit seinem "Stegreif-Pathos" im norddeutschen Moor gesorgt haben muss. Die chronique scandaleuse aus dem Untertitel, meint Maidt-Zinke, ist tatsächlich eher "néglibeable", sie bezieht sich auf Rilkes Schwanken zwischen Paula Becker (später Modersohn) und Clara Westhoff (später Rilke). Das Bittere liegt im Scheitern der Künstlerutopie.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.03.2015Dorf,
Kunst,
Torf
Klaus Modick erzählt
mit Charme und spitzer
Feder von Rilke
und Heinrich Vogeler
in Worpswede
VON KRISTINA MAIDT-ZINKE
Moore haben die schöne Eigenart, Leichen zu konservieren. Der niedersächsischen Gemeinde Worpswede, die ihr Leben als Künstlerkolonie längst ausgehaucht hat, scheint die Toplage im Teufelsmoor (der Name leitet sich nicht vom Satan, sondern vom plattdeutschen „duv“ für „taub“ oder „unfruchtbar“ her) eine zweite Existenz in der Fiktion zu sichern. Vor fünf Jahren hat der dort aufgewachsene Dramatiker Moritz Rinke eine anekdotenreiche Abrechnung mit dem selbsternannten „Weltdorf“ vorgelegt, die leider etwas zu volksbühnenhaft putzig geraten war. Der erfahrene Romancier Klaus Modick ist da genügsamer: Er erinnert an die kurze Episode um 1900, in der das Moorkaff zum Malerparadies mutierte. Sie gibt immer noch gefälligeren Erzählstoff her als die von Rinke betrachteten Jahrzehnte des Versumpfens zum Rentnerausflugsziel mit Bohème-Kulisse.
Eine „Chronique scandaleuse“ war dessen Werk dennoch eher als Modicks Roman „Konzert ohne Dichter“, der dieses Etikett als Anreißer auf dem jugendstiligen Umschlag trägt. Gemeint ist damit das erotische Schwanken des temporären Wahl-Worpsweders Rainer Maria Rilke zwischen den Künstlerinnen Clara Westhoff (bald darauf Frau Rilke) und Paula Becker (wenig später Frau Modersohn). Gemessen etwa an dem, was bei Rinke über Worpswedes „braune Periode“ ans Licht kam, ist der Skandalfaktor jener Dreierkonstellation aus heutiger Sicht eher négligeable. Der Doppelflirt des Dichters darf bei Modick denn auch dem Dekor zugerechnet werden. Seine Hauptfigur ist der Maler, Architekt und Gestalter Heinrich Vogeler, und im Fokus steht, wie schon häufiger bei diesem Autor, das Selbstverständnis des Künstlers, seine Rolle in der Gesellschaft und Position im Betrieb.
Am problematischen Verhältnis zwischen Vogeler und Rilke lassen sich solche Fragen unterhaltsam zuspitzen. Der eine ist ein Multitalent, bodenständiger Handwerker und geschickter Vermarkter, wird jedoch von Selbstzweifeln geplagt; der andere hält Hof in höheren Sphären und poliert die eigene Aura, ist wenig alltagstauglich, aber im Schnorren äußerst versiert. „In seiner Sprache, über der stets ein Blattgoldschimmer zu schweben scheint“, heißt es im Roman, „kommen bestimmte Dinge nicht vor.“ Was den heiligen Rainer nicht hindert, bei Bedarf das schmutzigste Wort von allen in den Mund zu nehmen und dem Freund zu offenbaren: „Ein wenig Geld würde mir unsäglich wohltun.“
Das literarische Reenactment einer Künstlerfreundschaft hat Modick in seinem Kalifornien-Roman „Sunset“ mit den Protagonisten Feuchtwanger und Brecht schon geübt. Und doch liegt ihm, dem gebürtigen Oldenburger, das norddeutsche Milieu viel näher als die oft von ihm favorisierten amerikanischen Schauplätze. So ist ihm diesmal eine sehr charmante Kreuzung aus Künstler- und Heimatroman gelungen, in der die Aporien der utopisch verklärten „Lebensform Worpswede“ am trockenen Humor der Region abprallen.
Selten wurde die unfreiwillige Komik manch früher Rilke-Dichtungen so schonungslos zur Schau gestellt wie hier: Der Poet, der „so gut wie nie lachte“, muss mit seinem Stegreif-Pathos und seinen Empfindlichkeiten in die bäuerliche Landschaft gepasst haben wie ein Flamingo in den Torfkanal. Aber Modick liefert keine wohlfeile Rilke-Satire, sondern filtert alles durch die Perspektive Vogelers, der als Bremer Kaufmannssohn mit Biedermeierallüren und Ornamentsucht seinerseits eine kuriose Figur abgibt. Doch wird keinem von beiden die Ernsthaftigkeit des künstlerischen Strebens abgesprochen. Der Autor jongliert klug mit Ambivalenzen, ohne viel Aufhebens darum zu machen.
Wie es zum Gastspiel Rilkes in Worpswede kam, hat uns auch noch niemand so anschaulich erzählt. Modick lässt Vogeler im Jahr 1905, auf dem Höhepunkt seines Erfolgs und in einer tiefen persönlichen Krise, an jene erste Begegnung in Florenz zurückdenken, auf die ein kürzerer Besuch und dann ein längerer Aufenthalt des Dichters in Vogelers märchenhaftem Jugendstil-Gehege „Barkenhoff“ folgten. Modick inszeniert einen internationalen Dämmerschoppen am Arno, bei dem Rilke als mönchisch versponnener Partyschreck auftritt, und imitiert wie beiläufig dessen Ton: „Im Stahlblau des Himmels zogen Sterne als glühende Nadelspitzen auf, während ein Leisewerden wie ein Strom über Gassen und Plätze floss.“
Die Rückblende-Technik schafft das Handlungsgerüst; als Stilmittel dient die zwanglose, bisweilen sanft ironische Anverwandlung der Sprache in Rilkes Tagebüchern und Briefen sowie in Vogelers fragmentarischen Lebenserinnerungen. Wie nahe Modick an den Quellen bleibt, zeigt ein Fauxpas: Er übernimmt eine von Beethoven vertonte italienische Gedichtzeile so falsch, wie sie von Rilke oder dessen Transkriptor wiedergegeben wurde.
Dafür versteht er sich auf eine Malerei der Worte, die viel vom herben Zauber der Moorlandschaft einfängt. Auch Vogelers München-Aufenthalt im Milieu des Millionärs und Insel-Gründers Alfred Heymel stattet er mit adäquatem Kolorit aus, und sein Porträt des Kaffeehändlers und Mäzens Ludwig Roselius enthüllt amüsant, ein welch schillernder Charakter sich um die Kunstförderung in Bremen und Worpswede verdient machte. Roselius steht exemplarisch für jene Öffentlichkeit, die Vogelers 1905 vollendetes Ölgemälde „Das Konzert oder Sommerabend auf dem Barkenhoff“ als Gruppenporträt der Worpsweder Künstlerkolonie und ihres geselligen Lebens- und Arbeitsideals feiert. Dabei ist die Gemeinschaft zu diesem Zeitpunkt schon unwiderruflich zerbrochen, und für den Maler ist das Bild ein „Schwanengesang“, der die bittere Wahrheit einer gescheiterten Vision enthält.
Rilke hat sich der provinziellen Enge längst entzogen, sein Platz bleibt leer – daher der Romantitel „Konzert ohne Dichter“. Vogeler selbst wird noch viele Jahre brauchen, um sich aus dem Pseudo-Idyll zu befreien. Seine Wandlung zum politischen Revolutionär, seine Emigration in die Sowjetunion und sein trauriges Ende ergäben einen starken Romanstoff, für den man allerdings literarisch etwas mehr riskieren müsste als für diese elegante kleine Worpswede-Fantasie.
Klaus Modick: Konzert ohne Dichter. Roman. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2014. 17,99 Euro. E-Book 15,99 Euro.
Das Reenactment einer
Künstlerfreundschaft hat Modick
schon mit „Sunset“ geübt
Gruppenbild im märchenhaften Jugendstil-Gehege: Heinrich Vogelers Gemälde „Sommerabend auf dem Barkenhoff“.
Fotos: privat
Bremer Kaufmannssohn und Künstler: Heinrich Vogeler um 1895.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Kunst,
Torf
Klaus Modick erzählt
mit Charme und spitzer
Feder von Rilke
und Heinrich Vogeler
in Worpswede
VON KRISTINA MAIDT-ZINKE
Moore haben die schöne Eigenart, Leichen zu konservieren. Der niedersächsischen Gemeinde Worpswede, die ihr Leben als Künstlerkolonie längst ausgehaucht hat, scheint die Toplage im Teufelsmoor (der Name leitet sich nicht vom Satan, sondern vom plattdeutschen „duv“ für „taub“ oder „unfruchtbar“ her) eine zweite Existenz in der Fiktion zu sichern. Vor fünf Jahren hat der dort aufgewachsene Dramatiker Moritz Rinke eine anekdotenreiche Abrechnung mit dem selbsternannten „Weltdorf“ vorgelegt, die leider etwas zu volksbühnenhaft putzig geraten war. Der erfahrene Romancier Klaus Modick ist da genügsamer: Er erinnert an die kurze Episode um 1900, in der das Moorkaff zum Malerparadies mutierte. Sie gibt immer noch gefälligeren Erzählstoff her als die von Rinke betrachteten Jahrzehnte des Versumpfens zum Rentnerausflugsziel mit Bohème-Kulisse.
Eine „Chronique scandaleuse“ war dessen Werk dennoch eher als Modicks Roman „Konzert ohne Dichter“, der dieses Etikett als Anreißer auf dem jugendstiligen Umschlag trägt. Gemeint ist damit das erotische Schwanken des temporären Wahl-Worpsweders Rainer Maria Rilke zwischen den Künstlerinnen Clara Westhoff (bald darauf Frau Rilke) und Paula Becker (wenig später Frau Modersohn). Gemessen etwa an dem, was bei Rinke über Worpswedes „braune Periode“ ans Licht kam, ist der Skandalfaktor jener Dreierkonstellation aus heutiger Sicht eher négligeable. Der Doppelflirt des Dichters darf bei Modick denn auch dem Dekor zugerechnet werden. Seine Hauptfigur ist der Maler, Architekt und Gestalter Heinrich Vogeler, und im Fokus steht, wie schon häufiger bei diesem Autor, das Selbstverständnis des Künstlers, seine Rolle in der Gesellschaft und Position im Betrieb.
Am problematischen Verhältnis zwischen Vogeler und Rilke lassen sich solche Fragen unterhaltsam zuspitzen. Der eine ist ein Multitalent, bodenständiger Handwerker und geschickter Vermarkter, wird jedoch von Selbstzweifeln geplagt; der andere hält Hof in höheren Sphären und poliert die eigene Aura, ist wenig alltagstauglich, aber im Schnorren äußerst versiert. „In seiner Sprache, über der stets ein Blattgoldschimmer zu schweben scheint“, heißt es im Roman, „kommen bestimmte Dinge nicht vor.“ Was den heiligen Rainer nicht hindert, bei Bedarf das schmutzigste Wort von allen in den Mund zu nehmen und dem Freund zu offenbaren: „Ein wenig Geld würde mir unsäglich wohltun.“
Das literarische Reenactment einer Künstlerfreundschaft hat Modick in seinem Kalifornien-Roman „Sunset“ mit den Protagonisten Feuchtwanger und Brecht schon geübt. Und doch liegt ihm, dem gebürtigen Oldenburger, das norddeutsche Milieu viel näher als die oft von ihm favorisierten amerikanischen Schauplätze. So ist ihm diesmal eine sehr charmante Kreuzung aus Künstler- und Heimatroman gelungen, in der die Aporien der utopisch verklärten „Lebensform Worpswede“ am trockenen Humor der Region abprallen.
Selten wurde die unfreiwillige Komik manch früher Rilke-Dichtungen so schonungslos zur Schau gestellt wie hier: Der Poet, der „so gut wie nie lachte“, muss mit seinem Stegreif-Pathos und seinen Empfindlichkeiten in die bäuerliche Landschaft gepasst haben wie ein Flamingo in den Torfkanal. Aber Modick liefert keine wohlfeile Rilke-Satire, sondern filtert alles durch die Perspektive Vogelers, der als Bremer Kaufmannssohn mit Biedermeierallüren und Ornamentsucht seinerseits eine kuriose Figur abgibt. Doch wird keinem von beiden die Ernsthaftigkeit des künstlerischen Strebens abgesprochen. Der Autor jongliert klug mit Ambivalenzen, ohne viel Aufhebens darum zu machen.
Wie es zum Gastspiel Rilkes in Worpswede kam, hat uns auch noch niemand so anschaulich erzählt. Modick lässt Vogeler im Jahr 1905, auf dem Höhepunkt seines Erfolgs und in einer tiefen persönlichen Krise, an jene erste Begegnung in Florenz zurückdenken, auf die ein kürzerer Besuch und dann ein längerer Aufenthalt des Dichters in Vogelers märchenhaftem Jugendstil-Gehege „Barkenhoff“ folgten. Modick inszeniert einen internationalen Dämmerschoppen am Arno, bei dem Rilke als mönchisch versponnener Partyschreck auftritt, und imitiert wie beiläufig dessen Ton: „Im Stahlblau des Himmels zogen Sterne als glühende Nadelspitzen auf, während ein Leisewerden wie ein Strom über Gassen und Plätze floss.“
Die Rückblende-Technik schafft das Handlungsgerüst; als Stilmittel dient die zwanglose, bisweilen sanft ironische Anverwandlung der Sprache in Rilkes Tagebüchern und Briefen sowie in Vogelers fragmentarischen Lebenserinnerungen. Wie nahe Modick an den Quellen bleibt, zeigt ein Fauxpas: Er übernimmt eine von Beethoven vertonte italienische Gedichtzeile so falsch, wie sie von Rilke oder dessen Transkriptor wiedergegeben wurde.
Dafür versteht er sich auf eine Malerei der Worte, die viel vom herben Zauber der Moorlandschaft einfängt. Auch Vogelers München-Aufenthalt im Milieu des Millionärs und Insel-Gründers Alfred Heymel stattet er mit adäquatem Kolorit aus, und sein Porträt des Kaffeehändlers und Mäzens Ludwig Roselius enthüllt amüsant, ein welch schillernder Charakter sich um die Kunstförderung in Bremen und Worpswede verdient machte. Roselius steht exemplarisch für jene Öffentlichkeit, die Vogelers 1905 vollendetes Ölgemälde „Das Konzert oder Sommerabend auf dem Barkenhoff“ als Gruppenporträt der Worpsweder Künstlerkolonie und ihres geselligen Lebens- und Arbeitsideals feiert. Dabei ist die Gemeinschaft zu diesem Zeitpunkt schon unwiderruflich zerbrochen, und für den Maler ist das Bild ein „Schwanengesang“, der die bittere Wahrheit einer gescheiterten Vision enthält.
Rilke hat sich der provinziellen Enge längst entzogen, sein Platz bleibt leer – daher der Romantitel „Konzert ohne Dichter“. Vogeler selbst wird noch viele Jahre brauchen, um sich aus dem Pseudo-Idyll zu befreien. Seine Wandlung zum politischen Revolutionär, seine Emigration in die Sowjetunion und sein trauriges Ende ergäben einen starken Romanstoff, für den man allerdings literarisch etwas mehr riskieren müsste als für diese elegante kleine Worpswede-Fantasie.
Klaus Modick: Konzert ohne Dichter. Roman. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2014. 17,99 Euro. E-Book 15,99 Euro.
Das Reenactment einer
Künstlerfreundschaft hat Modick
schon mit „Sunset“ geübt
Gruppenbild im märchenhaften Jugendstil-Gehege: Heinrich Vogelers Gemälde „Sommerabend auf dem Barkenhoff“.
Fotos: privat
Bremer Kaufmannssohn und Künstler: Heinrich Vogeler um 1895.
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»Ein unangestrengt daherkommendes, facettenreiches, kluges und spannendes Buch.« Sabine Peters Deutschlandfunk 20150828