Meckern und nörgeln...oder machen
Wir haben nicht zu wenig Reformen, sondern zu wenig Motivation.
Die in Deutschland herrschende Jammerkultur hat sich zu einem ernsten Krankheitsbild entwickelt. Das allgemeine Meckern und Mäkeln bremst nicht nur Lebenslust und Schaffensfreude, es verstellt auch den Blick auf die Erfolgsgeschichten, die derzeit hier geschrieben werden.
Dieses Buch ist parteilich, emotional und optimistisch. Es präsentiert Menschen, die anpacken, ausprobieren und auch mal auf die Nase fallen. Mutige, freche, fleißige, unkonventionelle Typen, die durch ihre Tatkraft einem verzagten Land den Weg aus dem Jammertal weisen.
Wir haben nicht zu wenig Reformen, sondern zu wenig Motivation.
Die in Deutschland herrschende Jammerkultur hat sich zu einem ernsten Krankheitsbild entwickelt. Das allgemeine Meckern und Mäkeln bremst nicht nur Lebenslust und Schaffensfreude, es verstellt auch den Blick auf die Erfolgsgeschichten, die derzeit hier geschrieben werden.
Dieses Buch ist parteilich, emotional und optimistisch. Es präsentiert Menschen, die anpacken, ausprobieren und auch mal auf die Nase fallen. Mutige, freche, fleißige, unkonventionelle Typen, die durch ihre Tatkraft einem verzagten Land den Weg aus dem Jammertal weisen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.04.2005Traurige Tröster
Kopf hoch im Supergau! Uwe Müller und Hajo Schumacher fühlen der Nation den Puls
Einmal fuhr Wilhelm Genazino in Frankfurt am Main mit der U-Bahn, als eine Gruppe fröhlicher Straßenmusikanten zustieg. Das mißfiel ihm. Nicht so sehr die Musik, als vielmehr die Zumutung der Situation, daß man ihm signalisierte, er, ja alle Passagiere seien dringend aufmunterungsbedürftig, seien offenbar so "fertig vom Leben", daß nur noch handgemachte Musik helfen könne. Manchmal ist Aufmunterung die größte Beschwernis.
Auf dem Sachbuchmarkt gibt gerade Hajo Schumacher das Ein-Mann-Orchester. Er meint es gut: Statt das Land immer weiter schlechtzureden, will er Menschen vorstellen, die etwas bewegen. Er beruft sich auf verhaltenspsychologische Experimente der sechziger Jahre: Schüler, denen Lehrer viel zutrauten, brachten bessere Leistungen, Schüler, denen Versagen prophezeit worden war, wurden schlechter. Und derzeit, so Schumacher, sind die Nationallehrer Merz und Henkel so einschüchternd, daß bald das ganze Land leistungsverweigernd in der Raucherecke stehen bleibt.
Schumacher klatscht dagegen frisch in die Hände und führt uns einen bescheidenen älteren Mann aus Bad Bibra in Sachsen-Anhalt vor, der mit dem Fahrrad fährt. Er ist der Retter einer Molkerei, weil er erkannt hat, daß im Sommer in Italien ein Mozzarella-Engpaß entsteht, wegen der Caprese-Mode. In Bad Bibra produzieren sie seitdem Cagliata: "feinporiger Käsebruch, der in Blöcken plastikverpackt wird. In Italien wird die krümelige Cagliata dann mit heißem Wasser überbrüht und unter ständigem Rühren und Kneten zu endlosen weißen Mozzarella-Würsten verarbeitet." Araber, Russen, Chinesen, alle seien versessen auf diese "hellgelbe, geschmacksneutrale Masse." Warum auch nicht. Sicher eine pfiffige Idee.
Aber was für eine traurige Trostlektüre. War das nicht mal ein Industrie-, ein Hochtechnologie-, ein Spitzenforschungsland? Warum gibt es nur noch eine große deutsche Softwarefirma? Warum verdienen wir unser Geld immer noch mit dem Bau von Autos?
Nicht weinen. Noch ein bißchen Bad-Bibra-Käsebruch? Es ist undankbar, so zu empfinden. Es ist, als ob man von der Geliebten verlassen wird und die Mutter erfreut ausruft: Hey, jetzt können wir viel öfter zusammen wandern.
Es gibt aber nicht nur Käse im Kopf-hoch-Deutschland. Es werden auch kleine Engelsskulpturen aus Metall entworfen, die sich hunderttausendfach verkaufen. Es gibt Realschulen, in denen die Schüler Kartoffelsalat anrichten und mit Gewinn verkaufen, Theatermacher, die Theater machen, und Bürgermeister, die den kommunalen Haushalt ausgleichen. Man wird aber bei der Lektüre zunehmend panisch. So schlimm steht es? Menschen, die einfach ihren Job gut machen, müssen schon derartig herausgestellt werden wie Lebensretter bei Oprah Winfrey?
Man kann noch mehr Erfreuliches entdecken, wenn man nur deprimiert genug ist: In diesem Restaurant in Berlin werden Sie nicht vergiftet, ist das nicht super? Es gibt deutsche Chirurgen, die nüchtern zur Arbeit kommen und die wesentlichen Teile des Operationsbestecks auch wieder aus den Patienten entfernen. Toll, was? Recherchen haben ergeben, daß in weiten Teilen des Landes noch Menschen morgens zur Arbeit erscheinen und tatsächlich dafür bezahlt werden. Es gibt Feuerwehrleute, Krankenschwestern, Polizisten, die ihren Job machen, einige davon sogar ganz gut.
Es scheint allerdings keine solchen Journalisten zu geben: Die beschreibt Schumacher durchweg als überabgesichert, unterproduktiv und permanent schwarzmalend. Man kennt das aus Leserbriefen: Können Sie nicht mal über die vielen schönen Dinge in der Welt berichten? Dann wäre es allerdings richtig ernst, wenn in den Zeitungen plötzlich über die guten und gelungenen Dinge geschrieben würde, denn dann wäre das Gelingen die Ausnahme und nicht das Scheitern: Radfahrer überquert lebend den Alexanderplatz. Welt hält den Atem an.
Es ist ungerecht, aber die Lektüre eines genußvoll und hemmungslos alarmistischen Buchs wie Uwe Müllers "Supergau Deutsche Einheit" ist befriedigender. Dort stehen die Zahlen und Fakten, die jeder kennt oder kennen kann, aber stets mit einem lautstarken Kommentar, so in der Art: Haben Sie überhaupt eine blasse Ahnung davon, wie viele Nullen so eine ausgewachsene Billion hat? Nie, nie, nie wird so viel Geld zu erwirtschaften sein.
Trotzdem ist es keine deprimierende Lektüre. Das sind auch die von Schumacher so scharf kritisierten Bücher von Hans-Werner Sinn und Gabor Steingart nicht. Denn auch schlechte Zahlen können bewegen. Sie wirken nicht nur lähmend. Viele der schönen Beispiele aus dem Schumacher-Buch sind nur deswegen zustande gekommen weil seine Heroen erkannt haben, daß "Weiter so" nicht funktioniert, daß es neuer Ideen bedarf.
Die ökonomischen Eckdaten lassen sich nicht beschönigen. Um sie zu verbessern, müssen große Akteure handeln: Konzerne, Parteien, Verbände, Gewerkschaften und europäische Institutionen. Nachbarschaftliche Initiativen sind toll, aber sie lösen andere Probleme als die Agenda 2010. Man muß die Ebenen auseinanderhalten.
NILS MINKMAR.
Hajo Schumacher: Kopf hoch, Deutschland. Optimistische Geschichten aus einer verzagten Republik. Blessing, München, 2005. 224 Seiten, 16 Euro.
Uwe Müller: Supergau Deutsche Einheit. Rowohlt Berlin, 2005. 224 Seiten, 12,90 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Kopf hoch im Supergau! Uwe Müller und Hajo Schumacher fühlen der Nation den Puls
Einmal fuhr Wilhelm Genazino in Frankfurt am Main mit der U-Bahn, als eine Gruppe fröhlicher Straßenmusikanten zustieg. Das mißfiel ihm. Nicht so sehr die Musik, als vielmehr die Zumutung der Situation, daß man ihm signalisierte, er, ja alle Passagiere seien dringend aufmunterungsbedürftig, seien offenbar so "fertig vom Leben", daß nur noch handgemachte Musik helfen könne. Manchmal ist Aufmunterung die größte Beschwernis.
Auf dem Sachbuchmarkt gibt gerade Hajo Schumacher das Ein-Mann-Orchester. Er meint es gut: Statt das Land immer weiter schlechtzureden, will er Menschen vorstellen, die etwas bewegen. Er beruft sich auf verhaltenspsychologische Experimente der sechziger Jahre: Schüler, denen Lehrer viel zutrauten, brachten bessere Leistungen, Schüler, denen Versagen prophezeit worden war, wurden schlechter. Und derzeit, so Schumacher, sind die Nationallehrer Merz und Henkel so einschüchternd, daß bald das ganze Land leistungsverweigernd in der Raucherecke stehen bleibt.
Schumacher klatscht dagegen frisch in die Hände und führt uns einen bescheidenen älteren Mann aus Bad Bibra in Sachsen-Anhalt vor, der mit dem Fahrrad fährt. Er ist der Retter einer Molkerei, weil er erkannt hat, daß im Sommer in Italien ein Mozzarella-Engpaß entsteht, wegen der Caprese-Mode. In Bad Bibra produzieren sie seitdem Cagliata: "feinporiger Käsebruch, der in Blöcken plastikverpackt wird. In Italien wird die krümelige Cagliata dann mit heißem Wasser überbrüht und unter ständigem Rühren und Kneten zu endlosen weißen Mozzarella-Würsten verarbeitet." Araber, Russen, Chinesen, alle seien versessen auf diese "hellgelbe, geschmacksneutrale Masse." Warum auch nicht. Sicher eine pfiffige Idee.
Aber was für eine traurige Trostlektüre. War das nicht mal ein Industrie-, ein Hochtechnologie-, ein Spitzenforschungsland? Warum gibt es nur noch eine große deutsche Softwarefirma? Warum verdienen wir unser Geld immer noch mit dem Bau von Autos?
Nicht weinen. Noch ein bißchen Bad-Bibra-Käsebruch? Es ist undankbar, so zu empfinden. Es ist, als ob man von der Geliebten verlassen wird und die Mutter erfreut ausruft: Hey, jetzt können wir viel öfter zusammen wandern.
Es gibt aber nicht nur Käse im Kopf-hoch-Deutschland. Es werden auch kleine Engelsskulpturen aus Metall entworfen, die sich hunderttausendfach verkaufen. Es gibt Realschulen, in denen die Schüler Kartoffelsalat anrichten und mit Gewinn verkaufen, Theatermacher, die Theater machen, und Bürgermeister, die den kommunalen Haushalt ausgleichen. Man wird aber bei der Lektüre zunehmend panisch. So schlimm steht es? Menschen, die einfach ihren Job gut machen, müssen schon derartig herausgestellt werden wie Lebensretter bei Oprah Winfrey?
Man kann noch mehr Erfreuliches entdecken, wenn man nur deprimiert genug ist: In diesem Restaurant in Berlin werden Sie nicht vergiftet, ist das nicht super? Es gibt deutsche Chirurgen, die nüchtern zur Arbeit kommen und die wesentlichen Teile des Operationsbestecks auch wieder aus den Patienten entfernen. Toll, was? Recherchen haben ergeben, daß in weiten Teilen des Landes noch Menschen morgens zur Arbeit erscheinen und tatsächlich dafür bezahlt werden. Es gibt Feuerwehrleute, Krankenschwestern, Polizisten, die ihren Job machen, einige davon sogar ganz gut.
Es scheint allerdings keine solchen Journalisten zu geben: Die beschreibt Schumacher durchweg als überabgesichert, unterproduktiv und permanent schwarzmalend. Man kennt das aus Leserbriefen: Können Sie nicht mal über die vielen schönen Dinge in der Welt berichten? Dann wäre es allerdings richtig ernst, wenn in den Zeitungen plötzlich über die guten und gelungenen Dinge geschrieben würde, denn dann wäre das Gelingen die Ausnahme und nicht das Scheitern: Radfahrer überquert lebend den Alexanderplatz. Welt hält den Atem an.
Es ist ungerecht, aber die Lektüre eines genußvoll und hemmungslos alarmistischen Buchs wie Uwe Müllers "Supergau Deutsche Einheit" ist befriedigender. Dort stehen die Zahlen und Fakten, die jeder kennt oder kennen kann, aber stets mit einem lautstarken Kommentar, so in der Art: Haben Sie überhaupt eine blasse Ahnung davon, wie viele Nullen so eine ausgewachsene Billion hat? Nie, nie, nie wird so viel Geld zu erwirtschaften sein.
Trotzdem ist es keine deprimierende Lektüre. Das sind auch die von Schumacher so scharf kritisierten Bücher von Hans-Werner Sinn und Gabor Steingart nicht. Denn auch schlechte Zahlen können bewegen. Sie wirken nicht nur lähmend. Viele der schönen Beispiele aus dem Schumacher-Buch sind nur deswegen zustande gekommen weil seine Heroen erkannt haben, daß "Weiter so" nicht funktioniert, daß es neuer Ideen bedarf.
Die ökonomischen Eckdaten lassen sich nicht beschönigen. Um sie zu verbessern, müssen große Akteure handeln: Konzerne, Parteien, Verbände, Gewerkschaften und europäische Institutionen. Nachbarschaftliche Initiativen sind toll, aber sie lösen andere Probleme als die Agenda 2010. Man muß die Ebenen auseinanderhalten.
NILS MINKMAR.
Hajo Schumacher: Kopf hoch, Deutschland. Optimistische Geschichten aus einer verzagten Republik. Blessing, München, 2005. 224 Seiten, 16 Euro.
Uwe Müller: Supergau Deutsche Einheit. Rowohlt Berlin, 2005. 224 Seiten, 12,90 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main