"Kopf unter Wasser" ist ein Liebesroman der besonderen Art und das Porträt einer Generation, der nach dem Ende der Illusionen nur noch die Ironie bleibt.
Die Hoffnung, dass es wieder aufwärts gehen würde, hatte Henry aufgegeben. Vorbei waren die Zeiten mit den Abendessen im kleinen Kreis, in den weitläufigen Berliner Altbauwohnungen bei Weißwein und Stoffservietten in Silberreifen. Dass sein Geld weg war, interessierte Henry dabei noch am wenigsten. Beunruhigender war die Situation mit Birte. Seit ihrem unschönen Auszug, bei dem sie ihre Tochter Johanna mitgenommen hatte, konnte er auch vor sich selbst seine Verlorenheit nicht mehr als Freiheit kaschieren. Und nun dachte Henry darüber nach, was Cynthia ihm soeben am Telefon gesagt hatte: Peter, sein bester Freund, war letzte Nacht nicht nach Hause gekommen. Nach einem Streit hatte Henry ihn niedergeschlagen und einfach liegen gelassen.
Die Hoffnung, dass es wieder aufwärts gehen würde, hatte Henry aufgegeben. Vorbei waren die Zeiten mit den Abendessen im kleinen Kreis, in den weitläufigen Berliner Altbauwohnungen bei Weißwein und Stoffservietten in Silberreifen. Dass sein Geld weg war, interessierte Henry dabei noch am wenigsten. Beunruhigender war die Situation mit Birte. Seit ihrem unschönen Auszug, bei dem sie ihre Tochter Johanna mitgenommen hatte, konnte er auch vor sich selbst seine Verlorenheit nicht mehr als Freiheit kaschieren. Und nun dachte Henry darüber nach, was Cynthia ihm soeben am Telefon gesagt hatte: Peter, sein bester Freund, war letzte Nacht nicht nach Hause gekommen. Nach einem Streit hatte Henry ihn niedergeschlagen und einfach liegen gelassen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.03.2009Holt die Städte zurück in die Wälder
Lang lebe die LPG: André Kubiczek will in seinem neuen Roman partout vom neuen Berlin reden, kann aber von der alten DDR nicht schweigen.
Von Edo Reents
Lange Zeit unterschied man zwischen zwei oder, wenn man einen Sonderfall noch dazurechnete, drei Arten von Ironie: der sokratischen, der romantischen und der Thomas Manns - bis die sogenannte Berliner Republik kam, da waren's vier. Die späten neunziger Jahre brachten eine Geisteshaltung hervor, die im Grunde nicht mehr war als eine mit lässig-eingeweihter Attitüde vertretene Standpunktlosigkeit, die aber von einem lifestyleorientierten Milieu zu einer literarischen Kategorie geadelt wurde: der Ironie eben, die vor allem in der Popliteratur eine Rolle spielte, mit der sich alles behaupten, aber auch alles abstreiten ließ und die so diffus war wie die "Berliner Republik".
Man hat lange nichts mehr davon gehört. André Kubiczek versetzt ihr nun einen schmerzhaften Tritt. Zeitlich und räumlich präzise plaziert - in Berlin im Sommer 1999 -, erzählt sein Roman "Kopf unter Wasser" die Liebes- und vor allem Trennungsgeschichten von Henry, der, aus der Uckermark stammend, zum Angehörigen einer Ironie-Generation wird, die im damaligen Kulturjournalismus tonangebend war. Das Volontariat bekommt dieser moderne Taugenichts hauptsächlich deswegen, weil er zum Vorstellungsgespräch im schmal geschnittenen Anzug und krawattenlosen Button-down-Hemd erscheint; seine Kolumnen handeln von "unfreundlichen Supermarktkassiererinnen und schroffen Taxifahrern, von störenden Bettlern in der S-Bahn, von der falschen Fassadenfarbe frisch renovierter Häuser, von kitschigen Fensterdekorationen in den Armenvierteln in der Adventszeit" - Dingen also, die einem eigentlich egal sein könnten.
Henry lernt Bettina kennen, der ihr Künstlertum wichtiger ist als die Beziehung, was ihm ganz recht ist. Eine Lesereise führt ihn bis nach Seoul, wo er die Goethe-Instituts-Praktikantin Birte trifft, mit der er schließlich eine Tochter hat. Der Abstieg kommt rasch: Trennung von Birte, Schulden, Wohnungskündigung - und ein Mord, mit dem der Roman schon begonnen hatte. Das Opfer ist ein Bekannter, den Henry in einer Kneipe niedergeschlagen und einfach liegengelassen hatte.
Erkennbar zielt Kubiczek auf, wie es der Verlag ausdrückt, "das Porträt einer Generation, der nach dem Ende der Illusionen nur noch die Ironie bleibt". Die Ausleuchtung dieser von reichlich Alkohol eher gedämpften als befeuerten Autorenexistenz und der Kreise um sie herum gerät klischeehaft und blutleer. Fast pflichtschuldig werden die Vernissagen, Sektempfänge und Verlagspartys abgehandelt; die Details, die jedem, der den Kulturbetrieb einigermaßen kennt, vertraut sind, ermüden bald. Hinzu kommen Gestelztheiten, Stilbrüche und Ungenauigkeiten: Da wird ein Lächeln "geschenkt", eine "Traurigkeit dargeboten", und weibliche Augen "funkelten im Kerzenlicht".
Aber das ist gewissermaßen nur die Papierform, an der man einen Schriftsteller wie Kubiczek ausnahmsweise nicht messen sollte. Spürbar ist es ihm auch mit seinem vierten Roman um etwas anderes zu tun: die Konfrontation unterschiedlicher Milieus. In der Schilderung des ländlichen, noch ganz der DDR verhafteten Elternhauses ist er in seinem Element. Es ist anrührend, wie Henry sich davon immer wieder einnehmen lässt; und es ist schmerzlich, wie Birte, wahrhaft eine höhere Tochter, mit grobschlächtigen Gepflogenheiten wie Schweineschlachten und Schnapstrinken konfrontiert wird. Bei Bratkartoffeln, Buletten und Bier singt Henrys Mutter plötzlich das Loblied auf LPG und sozialistische Kinderbetreuung und verhöhnt die westlichen Fetische "Reisen und Konsum".
Hier, in der unvermittelt nachgereichten Reflexion auf deutsch-deutsche Wendemanöver, gewinnt der Roman erheblich schärfere Kontur als in den Liebes- und Karriere-Passagen typisch Berliner Prägung. Der überraschende Schluss bringt nicht nur den Mord wieder ins Spiel, den man schon fast vergessen hatte, sondern auch das geheime Anliegen dieses raffiniert gebauten, allerdings mit Konstruktionsschwächen behafteten Romans: Die Kritik an modern-heutigen Paarbeziehungsgeflechten, als die das Buch über weite Strecken gelesen werden kann und die man auch anderswo schon gehört hat, mündet in eine Abrechnung mit der Zivilisation als solcher, die Robin-Hood-hafte Züge trägt. In einer vermutlich nur geträumten Szene gerät Henry an einen weiblichen Guerrilla-Trupp, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, "die Städte zurück in die Wälder zu holen", und dabei nicht zimperlich ist. ",Wir verhelfen der Geschichte zu einem glücklichen Ausgang', sagte die Frau, ,du wirst sehen: Alles fügt sich.'" Es fügt sich dann auch, aber der Ausgang ist alles andere als glücklich.
André Kubiczek: "Kopf unter Wasser". Liebesroman. Piper Verlag, München/Zürich 2009. 238 S., geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Lang lebe die LPG: André Kubiczek will in seinem neuen Roman partout vom neuen Berlin reden, kann aber von der alten DDR nicht schweigen.
Von Edo Reents
Lange Zeit unterschied man zwischen zwei oder, wenn man einen Sonderfall noch dazurechnete, drei Arten von Ironie: der sokratischen, der romantischen und der Thomas Manns - bis die sogenannte Berliner Republik kam, da waren's vier. Die späten neunziger Jahre brachten eine Geisteshaltung hervor, die im Grunde nicht mehr war als eine mit lässig-eingeweihter Attitüde vertretene Standpunktlosigkeit, die aber von einem lifestyleorientierten Milieu zu einer literarischen Kategorie geadelt wurde: der Ironie eben, die vor allem in der Popliteratur eine Rolle spielte, mit der sich alles behaupten, aber auch alles abstreiten ließ und die so diffus war wie die "Berliner Republik".
Man hat lange nichts mehr davon gehört. André Kubiczek versetzt ihr nun einen schmerzhaften Tritt. Zeitlich und räumlich präzise plaziert - in Berlin im Sommer 1999 -, erzählt sein Roman "Kopf unter Wasser" die Liebes- und vor allem Trennungsgeschichten von Henry, der, aus der Uckermark stammend, zum Angehörigen einer Ironie-Generation wird, die im damaligen Kulturjournalismus tonangebend war. Das Volontariat bekommt dieser moderne Taugenichts hauptsächlich deswegen, weil er zum Vorstellungsgespräch im schmal geschnittenen Anzug und krawattenlosen Button-down-Hemd erscheint; seine Kolumnen handeln von "unfreundlichen Supermarktkassiererinnen und schroffen Taxifahrern, von störenden Bettlern in der S-Bahn, von der falschen Fassadenfarbe frisch renovierter Häuser, von kitschigen Fensterdekorationen in den Armenvierteln in der Adventszeit" - Dingen also, die einem eigentlich egal sein könnten.
Henry lernt Bettina kennen, der ihr Künstlertum wichtiger ist als die Beziehung, was ihm ganz recht ist. Eine Lesereise führt ihn bis nach Seoul, wo er die Goethe-Instituts-Praktikantin Birte trifft, mit der er schließlich eine Tochter hat. Der Abstieg kommt rasch: Trennung von Birte, Schulden, Wohnungskündigung - und ein Mord, mit dem der Roman schon begonnen hatte. Das Opfer ist ein Bekannter, den Henry in einer Kneipe niedergeschlagen und einfach liegengelassen hatte.
Erkennbar zielt Kubiczek auf, wie es der Verlag ausdrückt, "das Porträt einer Generation, der nach dem Ende der Illusionen nur noch die Ironie bleibt". Die Ausleuchtung dieser von reichlich Alkohol eher gedämpften als befeuerten Autorenexistenz und der Kreise um sie herum gerät klischeehaft und blutleer. Fast pflichtschuldig werden die Vernissagen, Sektempfänge und Verlagspartys abgehandelt; die Details, die jedem, der den Kulturbetrieb einigermaßen kennt, vertraut sind, ermüden bald. Hinzu kommen Gestelztheiten, Stilbrüche und Ungenauigkeiten: Da wird ein Lächeln "geschenkt", eine "Traurigkeit dargeboten", und weibliche Augen "funkelten im Kerzenlicht".
Aber das ist gewissermaßen nur die Papierform, an der man einen Schriftsteller wie Kubiczek ausnahmsweise nicht messen sollte. Spürbar ist es ihm auch mit seinem vierten Roman um etwas anderes zu tun: die Konfrontation unterschiedlicher Milieus. In der Schilderung des ländlichen, noch ganz der DDR verhafteten Elternhauses ist er in seinem Element. Es ist anrührend, wie Henry sich davon immer wieder einnehmen lässt; und es ist schmerzlich, wie Birte, wahrhaft eine höhere Tochter, mit grobschlächtigen Gepflogenheiten wie Schweineschlachten und Schnapstrinken konfrontiert wird. Bei Bratkartoffeln, Buletten und Bier singt Henrys Mutter plötzlich das Loblied auf LPG und sozialistische Kinderbetreuung und verhöhnt die westlichen Fetische "Reisen und Konsum".
Hier, in der unvermittelt nachgereichten Reflexion auf deutsch-deutsche Wendemanöver, gewinnt der Roman erheblich schärfere Kontur als in den Liebes- und Karriere-Passagen typisch Berliner Prägung. Der überraschende Schluss bringt nicht nur den Mord wieder ins Spiel, den man schon fast vergessen hatte, sondern auch das geheime Anliegen dieses raffiniert gebauten, allerdings mit Konstruktionsschwächen behafteten Romans: Die Kritik an modern-heutigen Paarbeziehungsgeflechten, als die das Buch über weite Strecken gelesen werden kann und die man auch anderswo schon gehört hat, mündet in eine Abrechnung mit der Zivilisation als solcher, die Robin-Hood-hafte Züge trägt. In einer vermutlich nur geträumten Szene gerät Henry an einen weiblichen Guerrilla-Trupp, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, "die Städte zurück in die Wälder zu holen", und dabei nicht zimperlich ist. ",Wir verhelfen der Geschichte zu einem glücklichen Ausgang', sagte die Frau, ,du wirst sehen: Alles fügt sich.'" Es fügt sich dann auch, aber der Ausgang ist alles andere als glücklich.
André Kubiczek: "Kopf unter Wasser". Liebesroman. Piper Verlag, München/Zürich 2009. 238 S., geb., 18,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Den Auftakt des vierten Romans von Andre Kubiczek würde Edo Reents gerne zur Revision an den Autor zurücksenden. Über die Gepflogenheiten junger Paare in der Berliner ironischen Republik hat man ja lange nichts gelesen - warum auch, meint Reents. Warum auch, wenn es so klischeeschwer und blutleer daherkommt wie hier. Stilbrüche und Ungenauigkeiten gehen dem Rezensenten zusätzlich auf die Nerven. Doch dann entdeckt Reents das eigentliche Sujet des Buches: die Konfrontation von Milieus, hier: der Uckermärkischen Bier- und Schlachtefeste mit der Berliner Kulturschickeria, in der Kubiczeks Held volontiert. Und siehe da: in der Reflexion "deutsch-deutscher Wendemanöver" gewinnt der Text für Reents erheblich an Kontur. Ein Mord kommt ins Spiel und zivilationskritische Töne, wie sie Reents nicht erwartet hat.
© Perlentaucher Medien GmbH
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