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Eine poetische Zeitreise an den japanischen Kaiserhof des Jahres 1000 Neuübersetzung - erstmals vollständig auf Deutsch!
Ein Bündel edlen Papiers diente Sei Shonagon vor tausend Jahren als Notizbuch. Ihm vertraute sie an, was ihr durch den Kopf ging, darunter Vertrauliches und Delikates aus den Privatgemächern des Kaiserpalasts. Ob sie geistreiche Zwiegespräche schildert, ein intimes Tête-à-Tête oder das Schwertlilienfest ausmalt - ihre Impressionen wirken wie mit dem Tuschepinsel hingetupfte Ewigkeitsbilder. Nie hat man eine Frau inspirierter über sich und ihre Welt plaudern hören!
Sei
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Produktbeschreibung
Eine poetische Zeitreise an den japanischen Kaiserhof des Jahres 1000
Neuübersetzung - erstmals vollständig auf Deutsch!

Ein Bündel edlen Papiers diente Sei Shonagon vor tausend Jahren als Notizbuch. Ihm vertraute sie an, was ihr durch den Kopf ging, darunter Vertrauliches und Delikates aus den Privatgemächern des Kaiserpalasts. Ob sie geistreiche Zwiegespräche schildert, ein intimes Tête-à-Tête oder das Schwertlilienfest ausmalt - ihre Impressionen wirken wie mit dem Tuschepinsel hingetupfte Ewigkeitsbilder. Nie hat man eine Frau inspirierter über sich und ihre Welt plaudern hören!

Sei Shonagons «Telegramme» aus einer sagenhaften Hochkultur gewähren tiefe Einblicke in das Japan der Heian-Zeit wie auch ins Seelenleben der Verfasserin selbst. Ihr radikal subjektives Bekenntnisbuch, erstmals vollständig ins Deutsche übersetzt und dabei von aller falschen Süßlichkeit befreit, bezaubert durch seinen klaren, ungekünstelten Ton. Freizügig stellt hier eine kluge, selbstbewusste Frau Weltbewegendes neben scheinbar Banales, spricht über Mode oder Galanterie und entlarvt mit spitzer Feder das Intrigenspiel bei Hofe. Aus kritischer Halbdistanz zu den Mächtigen zeigt sie das Treiben einer müßiggängerischen Feudalkaste, die sich ihre Zeit mit Kalligraphie, Flötenspiel oder Fußball vertreibt. Und amüsiert erkennen wir heutigen Leser: Auch vor tausend Jahren gab es sie schon, die eitlen Parvenüs und Bonzen, Trendsetter und Stilikonen, Ästheten und Fashion-Victims.

Der Einband aus bedrucktem und foliengeprägtem Feinleinen, die farbige Fadenheftung und der Zweifarbdruck (Schmuckfarbe rot) auf Satinpapier machen diese Ausgabe zu einer bibliophilen Kostbarkeit.
Autorenporträt
Sei Shônagon (ca. 966-nach 1010) stammte aus einer literarisch und wissenschaftlich hochbegabten Familie - ihr Vater war ein bekannter Dichter -, trat mit sechsundzwanzig Jahren in den Dienst der Kaiserin Sadako und verbrachte ein Jahrzehnt bis zu deren Tod im Hofdienst. In dieser Zeit schrieb sie ihre zauberhaften Aufzeichnungen nieder, mit denen sie japanische Weltliteratur begründete.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Ludger Lütkehaus singt eine Hymne auf Sei Shonagons "Kopfkissenbuch" aus der "Heian-Periode", das Michael Stein neu und meisterhaft aus dem Japanischen übersetzt hat. Pornografische Erwartungen werden allerdings enttäuscht, baut der Kritiker falschen Erwartungen vor. Dafür wird der Leser mit einem ungeheuren Reichtum an humorvollen, anspielungsreichen Notaten über das Leben am kaiserlichen Hof, Glossen über Männer, Mode, Leidenschaften und Liebeswirren sowie zeitgenössischen Reflexionen belohnt, verspricht der Rezensent. Tief beeindruckt zeigt sich Lütkehaus nicht nur von Shonagons Intelligenz und Spracheleganz, ihren "erotischen Sprachspielen" und ihrem philosophischen und psychologischen Gespür, sondern auch von ihrem modernen Selbstbewusstsein und ihrer Selbstironie. Jeder dieser faszinierenden "Miszellen" ist es wert, auf dem "heiligen Gott des Papiers" festgehalten zu werden, versichert der Kritiker.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.11.2015

Wie eine belesene Hofdame den ganzen Kaiserpalast elektrisierte

Weltliteratur nicht nur für Herrschende: Sei Shonagons tausend Jahre altes "Kopfkissenbuch" lässt die Welt der fernöstlichen Dichtung neu vor uns erstehen.

Von Andreas Platthaus

Dieses Buch sieht aus und fühlt sich an, wie es heißt. Quadratisch kommt es daher, der Einband weich gepolstert und bezogen mit floral bedrucktem Satin. Die roten Blüten darauf gehören zu einem Pflaumenbaum, natürlich, denn die Verfasserin beginnt eine ihrer Ausführungen mit dem Satz: "Ob blassrosa oder tiefrot, ich mag rote Pflaumenblüten." Und so ist auch am Fuß jeder Seite als Vignette eine solche zu finden. Eine schöne Buchkunst-Spielerei, mit der sich der stolze Preis dieses Werks wohl auch bei denjenigen rechtfertigen lässt, die nicht sofort wissen, was es bedeutet, Sei Shonagons "Kopfkissenbuch" endlich vollständig auf Deutsch zu haben.

Es bedeutet für Liebhaber der japanischen Kultur unendlich viel. Sei Shonagon - ihr wirklicher Name ist nicht überliefert, aber am Kaiserhof wurde sie so genannt -, geboren 966, schrieb in den Jahren um die Jahrtausendwende etwas, das sie selbst als private Reflexionen ansah: "Ich hatte nicht damit gerechnet, dass irgendjemand diese Aufzeichnungen zu Gesicht bekommt, und daher vorgehabt, auch Unschönes und Unangenehmes freiweg aufzuschreiben, so wie es mir in den Sinn kommt." Heute würden wir das, was daraus entstand, am ehesten ein Tagebuch nennen, und man kann den Reiz ermessen, den es bedeutet, tausend Jahre zurückgeführt zu werden, nach Kyoto an den japanischen Kaiserhof der Heian-Zeit, wo die Verfasserin zum Gefolge der Kaiserin gehörte.

Entsprechend intim war ihr Einblick. Es gibt keine vergleichbare Quelle, auch nicht die nahezu gleichzeitig entstandene "Geschichte vom Prinzen Genji" von Murasaki Shikibu, einer weiteren japanischen Hofdame. Auch sie erzählt von den minutiös ausgearbeiteten Regularien und Raffinements in der Kaiserresidenz, bettet diese Betrachtungen aber in einen Roman ein. Sei Shonagon spricht dagegen nicht nur von ihrer Umgebung - dem gerade erst der Minderjährigkeit entwachsenen Kaiser und seiner kaum älteren Gemahlin, all den Hofbeamten und -damen -, sondern vor allem von sich selbst und den eigenen Erlebnissen; und da sie eine ungemein gewitzte und offenherzige Beobachterin ist, bekommen wir ein Sittenbild der farbigsten Art. Die seit Jahrhunderten im Westen gebrauchte Übersetzung "Kopfkissen" für den japanischen Begriff makura des Originaltitels ist zu harmlos - und überdies zu erotisch konnotiert - für einen Text dieses Ranges. Auch wenn Michael Stein, der die Herkulesaufgabe der ersten vollständigen deutschen Übersetzung übernommen hat, am eingeführten Namen festhält, merkt er doch an, dass man mit mehr Recht vom "Sattelbuch" zu sprechen hätte. Und das wäre denn fürwahr ein geeigneter Buchtitel gewesen, denn erst Sei Shonagons Werk gibt uns festen Halt in der japanischen Mentalität.

Wie überfällig war es also, dass der 1948 geborene Michael Stein, der seit Jahrzehnten in Tokio lebt und lehrt, sich dem Ganzen angenommen hat und nicht, wie bislang üblich, den Lesern nur besonders schöne Passagen bietet. Denn erst die gesamten 326 von der Forschung als authentisch anerkannten Abschnitte des nur in späteren japanischen Abschriften unterschiedlichen Umfangs überlieferten Buchs lassen jenen Eindruck entstehen, auf den es der Autorin ankam: eines Spiegels ihrer Welt. Die darf jedoch nicht missverstanden werden als das gesamte Japan vor tausend Jahren. Der Kaiserhof war eine Welt für sich, vom Alltag der Untertanen sorgsam geschieden, und nicht selten verleiht Shonagon ihrer Verachtung für das Leben außerhalb auch deutlich Ausdruck. Doch zugleich geben gerade solche Passagen aus der Arroganz heraus wichtige Auskünfte. So etwa, wenn die Hofdame jungen Frauen bei der Landarbeit zusieht: "Reiskörner schälen und dazu Lieder singen. Wir lachten vor Begeisterung, es war so amüsant!"

Was sich aus dieser herablassenden Bemerkung ablesen lässt, ist nicht Verachtung für körperliche Arbeit, sondern stilisierte Unwissenheit. Es gehörte sich für eine Palastangehörige einfach nicht, etwas von Landarbeit zu verstehen, also stellt Shonagon sich in ihren Aufzeichnungen diesbezüglich bewusst dumm. Tatsächlich waren diese Texte nämlich doch verbreitete Lektüre bei Hofe. Michael Stein vermutet, dass die Notizen in einer heiklen politischen Situation, als die Position der Kaiserin eine Schwächung erfuhr und Shonagon sich dafür entscheiden musste, ihrer Herrin treu zu bleiben oder die Seite zu wechseln, zum Zwecke der Selbstüberprüfung angelegt wurden. In einem Postskriptum zu dem Textkonvolut heißt es: "Ich wollte diese Aufzeichnungen nach Möglichkeit verborgen halten, doch entgegen meinen Absichten sind sie nun allgemein bekanntgeworden." Im Wissen darum darf man bei etlichen Abschnitten eine bereits auf Außenwirkung gerichtete Absicht unterstellen.

Umso wichtiger ist die von Stein in Fußnoten und einem biographischen Personenregister mustergültig besorgte Kommentierung dieses "Tagebuchs", das sich um Chronologie gar nicht schert. Die geschilderten Ereignisse sind jedoch oft über die erhaltenen Annalen jener Epoche datierbar, und der Verzicht auf eine zeitliche Reihenfolge wird ausgeglichen durch einen inneren Zusammenhang der Abschnitte, der thematischen wie rhythmischen Gesetzen gehorcht. Letztere sind in einer Übersetzung nicht zu retten, aber allein die Leistung, die Stein mit der Übertragung und Annotation der zahlreichen Gedichte vollbringt - Shonagon war bei Hofe berühmt-berüchtigt für ihre Fähigkeiten als vorwitzige Stegreifdichterin, die in der hochgeschätzten Kunst der Variation klassischer chinesischer Poesie brillierte -, ist eine Pioniertat. Zusammen mit dem japanischen Kaiserhof entsteht durch seine Arbeit auch die ganze Welt der fernöstlichen Dichtung jener Zeit vor uns neu.

Und Stein hat einen Tonfall für Sei Shonagons "Kopfkissenbuch" gefunden, der dessen Entstehungszeit und -situation gerecht wird, ohne archaisch oder exotisch zu klingen. Es genügen in den Palastszenen die Spezifika des seinerzeit gebräuchlichen Kalendariums oder der Architektur (die natürlich jeweils in den aus unerfindlichen Gründen leider senkrecht zum Satzspiegel gedruckten Fußnoten und dem Nachwort erläutert werden) und vor allem die Eleganz von Shonagons durch Stein verliehener Sprache, um aus der prinzipiellen Vieldeutigkeit des Japanischen einen in unseren Ohren höfischen und somit auch vertrauten Klang herauszudestillieren. Nur ein Beispiel: "An einem müßigen, sonnigen Tag um den 20. Tag des 2. Monats saß der Kaiser auf der westlichen Balustrade des Zwischenflügels und spielte Flöte. Herr Fujiwara no Takato, der Leiter des Ministeriums für Militärwesen, weilte als Kaiserlicher Flötenlehrer an seiner Seite; mir fällt leider nur die Allerweltsfloskel ,schlichtweg hinreißend und wundervoll' ein, um zu beschreiben, wie sie zu zweit das Stück Takasago spielten."

Aber auch für katalogartige Auflistungen von Vorlieben und Abneigungen der Autorin, für ironische Spitzen oder kleine Entrüstungen, für neckische Bosheiten oder selbstverliebte Reminiszenzen steht Michael Stein jeweils der richtige Klang zur Verfügung - wie überhaupt das "Kopfkissenbuch" eines jener Werke der Weltliteratur ist, die wie große musikalische Kompositionen angelegt sind, was nicht verwundert angesichts der Bedeutung, die das Musizieren am kaiserlichen Hof von Kyoto hatte. Auch dazu ist dem Buch viel zu entnehmen, wie zu religiösen, offiziösen oder amourösen Praktiken.

Und zugleich sind die Aufzeichnungen geschrieben für Leser - egal, ob Sei Shonagon dabei nur an sich selbst oder auch an andere Höflinge dachte -, die ihr größtes intellektuelles und soziales Vergnügen im strengen Spiel mit literarischen Formen suchten. Als die Autorin von einem Hofbeamten einen Pflaumenzweig, dessen Blüten abgefallen waren, zugesandt bekam, schickte sie als Antwort eine Formulierung aus den Erläuterungen einer berühmten Gedichtsammlung. "Daraufhin ließen sich zahlreiche Privilegierte vor unserer Holztür nieder und rezitierten das betreffende Gedicht." Nie war Literatur so zentral für Herrschaft wie im Japan der Heian-Zeit. Und nie ist Herrschaft wieder zu so herrlicher Literatur geworden wie bei Sei Shonagon.

Sei Shonagon: "Kopfkissenbuch".

Hrsg. und aus dem Japanischen von Michael Stein. Manesse Verlag, München 2015. 383 S., geb., 59,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.03.2016

Wenn ein Kaiser ein Hündchen verbannt
Erstmals vollständig auf Deutsch: Das „Kopfkissenbuch“, eines der bedeutendsten Werke des japanischen Mittelalters, in einer wunderbaren Ausgabe
Bei Hof besteht kein Mangel an Festen. Feierlich geht es dabei zu, aber fröhlich doch auch. Wenn zum Beispiel bei der Präsentation des Aouma-Schimmels die Adligen ihre Wagen schmuck herrichten und dabei über die Schwelle des mittleren Palasttores mit Namen Taikenmon fahren müssen, dann rumpelt es drinnen so heftig, dass die Insassen mit den Köpfen zusammenstoßen und den Damen die Steckkämme aus dem Haar zu Boden fallen. „Das Gelächter dabei, welch ein Spaß!“
  Hier hat man gleich am Anfang des „Kopfkissenbuchs“, des wichtigsten Werks aus dem japanischen Mittelalter, beides: die Merkwürdigkeit, ja Unverständlichkeit der Bräuche; und die Lebendigkeit, mit denen die Vorgänge dennoch vor Augen treten. Was es mit dem Aouma-Schimmel auf sich hat, muss man sich allerdings erst erklären lassen: einen solchen schenkten die Hofrang-Inhaber jedes Jahr am Tag der Beförderungen dem Kaiser.
Dass beides, das sogleich menschlich Einleuchtende und das Befremdliche einer in Raum und Zeit so fernen Kultur wie die des japanischen Kaiserhofs vor tausend Jahren, sich zu einem so lustbringenden Erlebnis verschränkt, verdanken Buch und Leser der Vermittlung von Michael Stein; seine Verdienste bei der Eroberung dieses Werks für eine deutsche Leserschaft kann man nicht hoch genug loben.
  Nicht nur die Übersetzung hat er besorgt – die erste vollständige des im Deutschen bisher nur gekürzt vorliegenden Buches –, sondern durch eine Fülle von Kommentaren, ein Nachwort, ein Glossar und ein Personenverzeichnis erschlossen, was sonst verborgen bliebe wie die Gesichter der Palastdamen, die sich hinter ihre Fächer und Wandschirme zurückziehen und bis zu zehn Schichten Kleidung tragen.
  Ganz einfach freilich wird es dem Leser nie. Bei den ungefähr vierzig Trägern des Namens Fujiwara, die das Personenverzeichnis bietet, sieht er es schließlich ein, dass man sie nicht wirklich alle auseinanderhalten muss; aber das Buch jeweils um 90 Grad zu drehen, um an die fast tausend quer gedruckten und stets unentbehrlichen Anmerkungen heranzukommen, darf er sich nicht ersparen. Das Bild der aufgeschlagenen Doppelseite wird so zu einer kalligrafisch belebten Größe, immer in der Fußnotenzone mit einer Blüte versehen und einem Stichwort geschmückt, Abbreviatur des je besprochenen Themas, „Katzenohren“ zum Beispiel, oder „Arznei-Mädchen“ oder „Gören“.
  Über letztere weiß Sei Shōnagon, die Verfasserin, Folgendes zu sagen: „Mütter, die ihren Kindern diese Sachen (die sie sich bei Besuchen einfach holen) nicht abnehmen und in Sicherheit bringen, sondern nur Floskeln sagen wie ‚Hör auf damit‘, ‚So etwas tut man nicht‘ oder ‚Mach das nicht kaputt‘, und dabei auch noch freundlich lächeln, finde ich genauso unausstehlich wie ihre Gören. Schließlich kann ich fremde Kinder nicht vor ihren Müttern zurechtweisen und bin gezwungen, das alles voller Ingrimm mitanzusehen.“
  Was „Gören“ wohl auf Japanisch heißt? Stein war hier unerschrocken und hat das Alte und Fremde wirkungsvoll in ein neuzeitliches Idiom gewendet: Die Situation kommt einem trotz kultureller Alterität nicht ganz unbekannt vor. Sei Shōnagon hält mit ihren Gefühlen in solchen Fällen nicht hinterm Berg. Systematisch stellt sie zusammen, „Was würdelos aussieht“, „Was mir zu Herzen geht“, „Was zum Schämen Anlass gibt“ (an erster Stelle natürlich „der Sinn der Männer“). Auf den ersten Blick mag das aussehen wie eine Ansammlung von Launen; aber es steckt darin eine Art japanischer Knigge. Die bloße Subjektivität hat in dieser Umgebung, wo alles Individuelle hinter einer maskenhaft weißen Schminke verschwindet (die Zähne werden sorgsam geschwärzt) und es je nach Rang vier verschiedene Formen der Anrede gibt, nichts zu suchen.
  Der scheinbar frische und spontane Ton liefert ein Sittenbild, fein austariert wie ein Mobile, das beim kleinsten Luftzug zu schwingen beginnt, aber immer in denselben Gelenken verankert ruht. Und so ziehen, sensibel und unbarmherzig, die langen Listen dessen vorüber, was der Autorin „elegant“ oder „enttäuschend“ vorkommt, „peinlich“, „liebreizend“ oder „unausstehlich“. Unausstehlich sind die Flöhe, die unter den Gewändern so wild herumhüpfen, dass es fast den Stoff hochhebt, und mit Staunen nimmt der Leser die Tatsache zur Kenntnis, dass keines dieser Luxusgeschöpfe jemals sich oder seine kostbaren Kleider wäscht, allein das mehr als körperlange Haar ausgenommen.
  Zu einer solch höfischen Gesellschaft gehört unausweichlich die Arroganz gegen alle Volksschichten außerhalb und unterhalb ihrer selbst, ja mehr als das: deren völliges Ignorieren. Wenn man einen kleinen Ausflug über Land macht, sieht man da befremdliche Figuren, die in einem überschwemmten Feld gebückt rückwärts gehen. „,Was treiben die da bloß? Es sieht so komisch aus!‘, dachte ich bei mir, und was sie sangen, klang so, als wollten sie die Nachtigall verhöhnen, wie herzlos kam mir das vor!“ Kann es sein, dass Sei Shōnagon keine Ahnung hat von der Praxis des Reisanbaus, von dem das ganze Land lebt? Für nichts Schlimmeres landete Marie Antoinette unter der Guillotine. Dazu kommt es in Japan nie. Nicht als ob seine Geschichte frei wäre von politischer Gewalt. Aber die Achtung vor dem Überkommenen ist immer stärker als sie. Schon damals, vor tausend Jahren, war der Kaiser faktisch von einem „Regenten“ entmachtet. Die einzige kaiserliche Entscheidung, von dem wir im Buch erfahren, betrifft die Verbannung eines Hündchens aus dem Palast – und selbst die wird rückgängig gemacht.
  Japan empfindet diese lange, friedliche Zeit, die sogenannte Heian-Periode, die vom 8. bis zum 12. Jahrhundert dauerte, bis heute als seine goldene Ära (während die viel später auftretenden Samurai und Shogune nur Anspruch auf das silberne Zeitalter machen dürfen). Viel präsenter ist sie dort als uns unser eigenes Mittelalter, diese selbst bei bestem Willen graue Vorzeit. Besonders betrifft das die Geltung der bis heute hochgeschätzten Lyrik. Niemand darf hoffen, gute Figur und Karriere am Hof zu machen, der nicht auf entsprechende Aufforderung in kurzer Zeit ein Gedicht zu produzieren vermag; am besten wandelt er ein schon vorhandenes geistreich ab, denn so beweist er nicht nur sein poetisches Talent, sondern auch seine Kenntnis der Tradition, die damals schon ebenso steinalt ist, wie sie sich offenbar in Japan bis heute jung erhalten hat.
  Für einen Europäer ist es ganz unmöglich, den Wert dieser Gebilde zu beurteilen; an nichts als dem Beifall der Hofgesellschaft vermag er zu ermessen, was hier gelungen ist. „Eifrig gepflückt, doch leider völlig vergebens... / Das arme Mimina-Kraut! / Auch Chrysanthemen sind / unter den vielen Kräutern!“ Damit wüssten wir ja nun gar nichts anzufangen. Sehr wohl aber die Verfasserin, die gleich daneben setzt: „Eifrig gepflückt, doch leider / von Kräutern keine Ahnung, / die armen Kinder. / Auch eines, das sich auskennt, / ist unter den vielen Kindern“, lautet ihre Version, die sich, wie die Anmerkung erklärt, geistesgegenwärtig auf die Homonymie von japanisch „kiku“ als „Chrysantheme“ und „Bescheid wissen“ stützt – „aber das hätten die Kinder sicher nicht verstanden.“
  Schadenfreude ist im Buddhismus eine Sünde, wie auch Sei Shōnagon sehr wohl weiß. Trotzdem gönnt sie sich hin und wieder solche kleinen Bosheiten. Wer war diese Frau? Wir erfahren von ihr viel mehr als von irgendeiner ihrer europäischen Zeit- und Geschlechtsgenossinnen, und trotzdem noch viel zu wenig. Auch für sie, wie schon für ihren Vater, der sie fördert und zärtlich liebt, wird die Lyrik zum Ticket des sozialen Aufstiegs. So schafft sie es in die Gesellschaft der Kaiserin, für deren Freundschaft sie tiefe Dankbarkeit hegt (und mit der zusammen sie offenbar schließlich in Ungnade fällt). Mit dreißig fühlt sie sich alt und muss eine Perücke tragen, eine Schande in dieser Welt von Haarfetischisten. Sie amtet als Instanz des guten Geschmacks, hell, wachsam, witzig, eine Aufgabe, die sie mit solcher Intelligenz und Sensibilität nur erfüllen kann, weil sie sich ihrer Stellung niemals sicher ist.
  Den Titel „Kopfkissenbuch“ sollte man demnach nicht so verstehen, als vertraute hier ein Teenager seinem Tagebuch Geheimnisse an. Michael Stein macht es wahrscheinlich, dass hier wieder einmal ein unübersetzbares Wortspiel der Autorin vorliegt. „Kopfkissenbuch“ ist trotzdem kein schlechter Titel; immer vorausgesetzt, man stellt sich darunter kein modernes Kuschelkissen vor, sondern die damals übliche hölzerne Nackenstütze, welche die komplizierte Frisur auf Kosten der Nachtruhe schützt.
  Es ist ein wunderbares Buch geworden: eines, das schon äußerlich mit seinem blühenden Pflaumenzweig auf goldenem Grund und seinem quadratischen Format, dazu sacht wattiert wie das Wintergewand einer Hofdame, so japanisch-kostbar anmutet, dass man mit Genuss eintaucht in ein Stück Weltliteratur und Weltkultur, das man bislang nicht kannte.
BURKHARD MÜLLER
Der scheinbar frische und
spontane Ton liefert ein Sittenbild,
fein austariert wie ein Mobile
Das titelgebende Kopfkissen ist
hier kein Kuschelkissen,
sondern eine harte Nackenstütze
Sei Shōnagon: Kopfkissenbuch. Erstmals vollständig aus dem Japanischen übersetzt und herausgegeben von Michael Stein. Manesse Verlag, Zürich 2015. 384 Seiten, 59,95 Euro. E-Book 19,99 Euro.
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»Nie war Literatur so zentral für Herrschaft wie im Japan der Heian-Zeit. Und nie ist Herrschaft wieder zu so herrlicher Literatur geworden wie hier.« Frankfurter Allgemeine Zeitung, Andreas Platthaus
»Sh_nagons kurze, assoziative Texte erinnern nicht nur in ihrer Form an gegenwärtige Formate wie Tweets oder Blogposts; dank Michael Steins zeitgenössischer Übersetzung sind sie auch auf Deutsch in einer Sprache lesbar, die von klebrigen Kolonialismen und exotistischen Japanklischees befreit ist. Ein Meisterwerk.« Süddeutsche Zeitung, Lea Schneider