Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Susan Vahabzadeh ist nach der Lektüre des ersten Romans gespannt auf die neue Krimi-Reihe, die Christian Schünemann und Jelena Volic mit "Kornblumenblau" eröffnet haben. Die Rezensentin findet die Beschreibung Belgrads ungemein "reizvoll" und auch die für eine Krimiheldin "wunderbar untypische" Protagonistin Milena Lukin, eine Serbin mit deutschem Pass, die bei Nachforschungen für ihre Habilitation in Belgrad auf den vertuschten Mord an zwei jungen Soldaten stößt, gefällt ihr sehr. Vahabzadeh sieht in dem Berliner Krimi-Autor Christian Schünemann und der Belgrader Expertin für deutsche Literatur Jelena Volic ein gutes Team, denn es sei spürbar, dass beide Experten auf ihrem Gebiet seien.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.03.2013DIE KRIMI-KOLUMNE
Milena Lukin ermittelt in Belgrad
Für eine Kriminologin muss Serbien das Schlaraffenland sein, hinter jeder Fassade verbergen sich düstere Geheimnisse und fürchterliche Schicksale, die die Menschen zum Äußersten treiben. Genau das richtige Biotop für Milena Lukin, Serbin mit deutschem Pass und Berliner Universitätserfahrung. In Belgrad versucht sie nun, am Institut die Vergangenheit zu erforschen, „Die Strafverfolgung des Kriegsverbrechens auf dem Territorium des ehemaligen Jugoslawien in der Zeit von 1990 bis einschließlich 1999“ lautet der Titel der Habilitation, an der sie arbeitet. Dass sie mit ihr nicht voran kommt, hat einen guten Grund – die Bekanntschaft mit einem umtriebigen Anwalt, der große Freude daran hat, die düsteren Geheimnisse hinter den bröckelnden Fassaden hervorzuzerren ins Scheinwerferlicht der Kameras. Vor denen posiert Siniša auch selbst ganz gern.
Am Anfang des Kriminalromans „Kornblumenblau“, mit dem die Autoren Christian Schünemann und Jelena Volic eine neue Reihe beginnen, zieht der Anwalt Milena in einen Fall hinein, von dem die Staatsanwaltschaft behauptet, dass er gar keiner sei. Zwei junge Soldaten, Mitglieder einer Eliteeinheit, sind ein paar Wochen zuvor auf dem Gelände einer Kaserne in Belgrad tot aufgefunden worden – ein Selbstmord soll das gewesen sein, die beiden Jungen seien an eine suizidale, aber nicht näher bezeichnete Sekte geraten, lautet die offizielle Version. Als Siniša Milena bittet, den Obduktionsbefund aus dem deutschen Original zu übersetzen, findet sie den entscheidenden Hinweis: Selbstmord ist ausgeschlossen, das Detail haben die serbischen Kollegen unterschlagen.
„Kornblumenblau“ ist so reich an Beschreibungen, wie es nur Kriminalromane sind, deren Autoren auf dem eigenen Territorium bleiben. Schünemann ist ein Berliner Krimi-Autor, Jelena Volic lehrt deutsche Literaturgeschichte in Belgrad. „Kornblumenblau“ ist so zum einen ein Porträt der Stadt Belgrad geworden, fünfzehn Jahre nach dem Krieg, eine Mischung aus kriegsversehrt, rottenden Sozialistenbauten und den grandiosen Überresten vor allem architektonisch besserer Zeiten, dazu allerlei Spezialitäten aus dem vergangenen Vielvölkerstaat – Konstantinopelschnitten, selbstgemachte Nudeln und kroatische Pralinen, die umso begehrter wurden, als sie im Krieg verboten wurden.
Das Ergebnis ist so reizvoll, dass sich das Belgrader Fremdenverkehrsamt eigentlich bei den Autoren bedanken müsste. Und dann die Heldin, Milena Lukin, die so wunderbar untypisch ist und gar nichts verdrängen mag: eine Frau in mittleren Jahren, mit Kind und alter Mutter, die sich darauf verlassen, dass sie die Brötchen verdient. Sie fürchtet, dass man ihr in Bonn die Forschungsgelder streicht, und daheim kann es ihr schon mal passieren, dass der Vorgesetzte am Institut für Kriminologie fordert, sie möge doch bitte, wenn sie schon dauernd im Massaker von Srebrenica herumstochern muss, wenigstens den Begriff Genozid vermeiden. Eigentlich sind das Sorgen genug, sie treibt das Mitgefühl mit den Familien der beiden jungen Soldaten – bosnische Serben, die in Belgrad von vorn anfangen mussten und sich nach ihrem alten Leben zurücksehnen.
„Kornblumenblau“ ist auf Zuwachs angelegt, der neue deutsche Botschafter, ein verschmähter Verehrer aus Berlin, wird sicherlich zum Stammpersonal gehören, und Tanja, die beste Freundin, die mit ihrem Geld für gelegentliche Erholungspausen sorgt, zwischen all den traurigen Geschichten, die der Krieg geschrieben hat und denen Milena Lukin auf die Schliche kommt. Und gerade weil sie überall herumschnüffeln, wo Verdrängung stattfindet, entwirft „Kornblumenblau“ ein Bild von Serbien, das ganz weit weg ist von allem, was einen sonst Berührungsängste entwickeln lässt.
SUSAN VAHABZADEH
Christian Schünemann, Jelena Volic: Kornblumenblau. Ein Fall für Milena Lukin. Roman. Diogenes Verlag Zürich 2013. 362 Seiten, 19,90 Euro.
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Milena Lukin ermittelt in Belgrad
Für eine Kriminologin muss Serbien das Schlaraffenland sein, hinter jeder Fassade verbergen sich düstere Geheimnisse und fürchterliche Schicksale, die die Menschen zum Äußersten treiben. Genau das richtige Biotop für Milena Lukin, Serbin mit deutschem Pass und Berliner Universitätserfahrung. In Belgrad versucht sie nun, am Institut die Vergangenheit zu erforschen, „Die Strafverfolgung des Kriegsverbrechens auf dem Territorium des ehemaligen Jugoslawien in der Zeit von 1990 bis einschließlich 1999“ lautet der Titel der Habilitation, an der sie arbeitet. Dass sie mit ihr nicht voran kommt, hat einen guten Grund – die Bekanntschaft mit einem umtriebigen Anwalt, der große Freude daran hat, die düsteren Geheimnisse hinter den bröckelnden Fassaden hervorzuzerren ins Scheinwerferlicht der Kameras. Vor denen posiert Siniša auch selbst ganz gern.
Am Anfang des Kriminalromans „Kornblumenblau“, mit dem die Autoren Christian Schünemann und Jelena Volic eine neue Reihe beginnen, zieht der Anwalt Milena in einen Fall hinein, von dem die Staatsanwaltschaft behauptet, dass er gar keiner sei. Zwei junge Soldaten, Mitglieder einer Eliteeinheit, sind ein paar Wochen zuvor auf dem Gelände einer Kaserne in Belgrad tot aufgefunden worden – ein Selbstmord soll das gewesen sein, die beiden Jungen seien an eine suizidale, aber nicht näher bezeichnete Sekte geraten, lautet die offizielle Version. Als Siniša Milena bittet, den Obduktionsbefund aus dem deutschen Original zu übersetzen, findet sie den entscheidenden Hinweis: Selbstmord ist ausgeschlossen, das Detail haben die serbischen Kollegen unterschlagen.
„Kornblumenblau“ ist so reich an Beschreibungen, wie es nur Kriminalromane sind, deren Autoren auf dem eigenen Territorium bleiben. Schünemann ist ein Berliner Krimi-Autor, Jelena Volic lehrt deutsche Literaturgeschichte in Belgrad. „Kornblumenblau“ ist so zum einen ein Porträt der Stadt Belgrad geworden, fünfzehn Jahre nach dem Krieg, eine Mischung aus kriegsversehrt, rottenden Sozialistenbauten und den grandiosen Überresten vor allem architektonisch besserer Zeiten, dazu allerlei Spezialitäten aus dem vergangenen Vielvölkerstaat – Konstantinopelschnitten, selbstgemachte Nudeln und kroatische Pralinen, die umso begehrter wurden, als sie im Krieg verboten wurden.
Das Ergebnis ist so reizvoll, dass sich das Belgrader Fremdenverkehrsamt eigentlich bei den Autoren bedanken müsste. Und dann die Heldin, Milena Lukin, die so wunderbar untypisch ist und gar nichts verdrängen mag: eine Frau in mittleren Jahren, mit Kind und alter Mutter, die sich darauf verlassen, dass sie die Brötchen verdient. Sie fürchtet, dass man ihr in Bonn die Forschungsgelder streicht, und daheim kann es ihr schon mal passieren, dass der Vorgesetzte am Institut für Kriminologie fordert, sie möge doch bitte, wenn sie schon dauernd im Massaker von Srebrenica herumstochern muss, wenigstens den Begriff Genozid vermeiden. Eigentlich sind das Sorgen genug, sie treibt das Mitgefühl mit den Familien der beiden jungen Soldaten – bosnische Serben, die in Belgrad von vorn anfangen mussten und sich nach ihrem alten Leben zurücksehnen.
„Kornblumenblau“ ist auf Zuwachs angelegt, der neue deutsche Botschafter, ein verschmähter Verehrer aus Berlin, wird sicherlich zum Stammpersonal gehören, und Tanja, die beste Freundin, die mit ihrem Geld für gelegentliche Erholungspausen sorgt, zwischen all den traurigen Geschichten, die der Krieg geschrieben hat und denen Milena Lukin auf die Schliche kommt. Und gerade weil sie überall herumschnüffeln, wo Verdrängung stattfindet, entwirft „Kornblumenblau“ ein Bild von Serbien, das ganz weit weg ist von allem, was einen sonst Berührungsängste entwickeln lässt.
SUSAN VAHABZADEH
Christian Schünemann, Jelena Volic: Kornblumenblau. Ein Fall für Milena Lukin. Roman. Diogenes Verlag Zürich 2013. 362 Seiten, 19,90 Euro.
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