Something is running amok in the fields of Pennsylvania Amish country. To solve the mystery, three generations of prodigal sons are brought together in a masterfully orchestrated, hilarious, and compelling take on the classic horror yarn.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.10.2009Wenn geprügelte Hunde zum reißenden Wolf werden
Im Bannkreis der Zerstörung: Der amerikanische Schriftsteller Tristan Egolf nahm sich 2005 im Alter von vierunddreißig Jahren das Leben. Kurz zuvor vollendete er seinen letzten Roman "Kornwolf", in dem er eine Teufelslegende unter den Amischen für einen wütenden Rundumschlag gegen die Sünden Amerikas nutzt.
Auch wenn der Gestaltwandler seit jeher zur europäischen Mythologie gehört, einen Werwolf ins Zentrum der Handlung zu rücken ist in der zeitgenössischen Literatur ein Drahtseilakt. Denn der Lykanthrop treibt tendenziell und zumeist in ironischer Brechung eher in der trivialen Populärkultur, in gut verkäuflichen Genrefilmen und -romanen sein Unwesen: Michael Jackson war einer in "Thriller", Stephen King ließ ihn wüten, ebenso wie Stephenie Meyer oder Joanne K. Rowling.
Für Tristan Egolf hingegen, Autor des vielbeachteten Debüts "Monument für John Kaltenbrunner", ist der Wolfsmensch zuvörderst eine Spielart des Außenseiters, des Underdogs, jenes geprügelten Hundes, der davon träumt, die ihn peinigende Umgebung ins Chaos zu stürzen und an ihr blutige Rache zu nehmen. Zugleich, und das mag ein weiterer Grund für dieses außergewöhnliche Sujet gewesen sein, bietet ihm dieser Topos die Gelegenheit, seiner vor Kraft strotzenden Sprachgewalt, die auch seinen Erstling auszeichnete, freien Lauf zu lassen.
In seinem letzten vollendeten Werk "Kornwolf" nimmt der 1971 geborene amerikanische Schriftsteller und Punk-Musiker, der 2005 Selbstmord beging, die historisch dokumentierte Legende des Peter Stubbe beim Wort. Der Journalist Owen Brynmor, in dem fraglos Züge des Autors angelegt sind, kann die beunruhigenden Vorkommnisse (Vandalismus, Einbrüche, die Sichtung eines "Unfalls der Schöpfung") in der Amisch-Gemeinde von Stepford, Pennsylvania, bis zu einem im späten sechzehnten Jahrhundert hingerichteten, vermeintlichen Werwolf zurückverfolgen. Dabei wittert er anfangs nur eine gute Story, die ihm im Provinzblatt seiner verhassten Heimatstadt zum raschen Durchbruch verhelfen soll, zu einer Artikelserie über den Teufel von Blue Ball beziehungsweise den Kornwolf, an deren wahren Kern er zwar zunächst nicht glaubt, die sich aber hervorragend dazu eignet, sie für eigene Zwecke auszuschlachten.
Denn auch Brynmor ist ein Eigenbrötler, von Anstellung zu Anstellung tingelnd und getrieben von einer Verachtung für die dumpfe Bevölkerung, die er nur zu gerne einmal aus ihrer Lethargie reißen möchte, notfalls durch den Abwurf einer Atombombe, wie er es sich als Heranwachsender wünschte. Dass er während seines Boxtrainings im West Side Gym bei Jack Stumpf dem genetischen Erbe des Peter Stubbe bedrohlich nahe kommt, ahnt er allerdings nicht. Doch jene Spur, das sich für ihn wie für den Leser nur allmählich zusammensetzende und haarsträubende "Gesamtbild aus Tatsachen, Vermutung und Mythos", wird ihn immerhin bis zu Ephraim führen, einem Außenseiter unter Außenseitern, einem verwilderten, zum Himmel stinkenden und für stumm gehaltenen Mitglied der Amisch, der von seinem angeblichen Vater, dem korrupten und saufenden Prediger Benedictus Bontrager, regelmäßig misshandelt und gedemütigt wird. An ihm wird sich beweisen, dass die Grausamkeiten der Vergangenheit bis in die Gegenwart wirken.
"Wer der Welt Freund sein will, der wird Gottes Feind sein" - mit diesem Leitspruch aus dem Jakobus-Brief legitimiert diese christliche Religionsgemeinschaft die eigene Isolation, das Leben fernab technischer Errungenschaften und moderner Verlockungen. Dass der Teufel in Menschengestalt ausgerechnet aus ihren Reihen stammt, ist nur eine böse Pointe von vielen in Egolfs sarkastischem Sermon, der unaufhaltsam auf ein apokalyptisches Ende zurast, das in atonalem Getöse, in heulenden Hundechören, Pandämonien, hedonistischer Entrückung und einer einzigen Kakophonie von Furcht und Zittern kulminiert.
Mit Ephraim schließlich ruft er eine negative Erlöserfigur ins Leben, die aller Frömmigkeit hohnspricht. Die Befreiung von menschlichen Sünden, von Scheinheiligkeit und Niedertracht, erfüllt sich nicht durch ein gottgefälliges Dasein, sie ist allein durch die Wiederkehr einer infernalischen "Zeit des Tötens" zu erlangen, die freilich alle Beteiligten, auch die Polizei, in ihren zerstörerischen Bann zieht. Sie mündet in eine mörderische Treibjagd an Halloween, in der zwischen Gut und Böse nicht mehr zu unterscheiden ist. "Nichts war heilig, nicht mal das Profane" - dies wird zu einem ironischen Motto Egolfs, das gleichberechtigt neben seiner immer wieder auftauchenden Anrufung der Zwietracht steht: "Heil dir, Discordia!"
Doch was soll diese berserkerhafte Stänkerei, dieser beständige, in seiner Unbedingtheit verzweifelt wirkende Aufruf zum Umsturz? Der Übersetzer Frank Heibert schreibt in seinem Nachwort, "Kornwolf" sei als erster Teil eines Zyklus geplant gewesen, "in dem jeweils eine andere der großen Sünden Amerikas durch den Werwolf als Katalysator aufgedeckt worden wäre". Egolf spielt mit seiner intensiven Prosa, durchdrungen von einer hyperbolischen Metaphorik, den Aufrührer, dem die Drastik zum aufklärerischen Instrument wird. Produktive Lösungsansätze hat er nicht parat; es muss genügen, die grässliche Fratze der Heuchelei, die "Entweihungskampagne" gegen eine zersiedelte Landschaft und einiges mehr in schillernden Farben auszumalen.
Mag sein, dass er sich damit zu viel vorgenommen hat. Der narrative Rundumschlag trifft nicht immer sein Ziel, der Plot weist Erklärungslücken auf, und einige untergeordnete Erzählstränge verlaufen ob des hohen Tempos ins Leere. Doch der barock überbordende und ausschweifende Stil, das Anrennen des erschöpften Selbst gegen das Bollwerk der unerträglichen Wirklichkeit, gehört genauso zum literarischen Programm Egolfs wie die mitreißende Sinnlichkeit der Sprache und der gelegentlich aufblitzende Humor. Nicht umsonst wird es zu einem Running Gag, dass der Teufel von Blue Ball laut diverser Zeugen eine gewisse Ähnlichkeit mit Richard Nixon hat.
Die von den Gespenstern der Vergangenheit heimgesuchte Rachegeschichte des Kornwolfs sollte ursprünglich niemals enden; es wäre Tristan Egolf zu wünschen gewesen, um vielleicht doch noch einen Weg aus der Sackgasse zu finden.
ALEXANDER MÜLLER
Tristan Egolf: "Kornwolf". Roman. Aus dem Amerikanischen von Frank Heibert. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009. 432 S., geb., 26,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Im Bannkreis der Zerstörung: Der amerikanische Schriftsteller Tristan Egolf nahm sich 2005 im Alter von vierunddreißig Jahren das Leben. Kurz zuvor vollendete er seinen letzten Roman "Kornwolf", in dem er eine Teufelslegende unter den Amischen für einen wütenden Rundumschlag gegen die Sünden Amerikas nutzt.
Auch wenn der Gestaltwandler seit jeher zur europäischen Mythologie gehört, einen Werwolf ins Zentrum der Handlung zu rücken ist in der zeitgenössischen Literatur ein Drahtseilakt. Denn der Lykanthrop treibt tendenziell und zumeist in ironischer Brechung eher in der trivialen Populärkultur, in gut verkäuflichen Genrefilmen und -romanen sein Unwesen: Michael Jackson war einer in "Thriller", Stephen King ließ ihn wüten, ebenso wie Stephenie Meyer oder Joanne K. Rowling.
Für Tristan Egolf hingegen, Autor des vielbeachteten Debüts "Monument für John Kaltenbrunner", ist der Wolfsmensch zuvörderst eine Spielart des Außenseiters, des Underdogs, jenes geprügelten Hundes, der davon träumt, die ihn peinigende Umgebung ins Chaos zu stürzen und an ihr blutige Rache zu nehmen. Zugleich, und das mag ein weiterer Grund für dieses außergewöhnliche Sujet gewesen sein, bietet ihm dieser Topos die Gelegenheit, seiner vor Kraft strotzenden Sprachgewalt, die auch seinen Erstling auszeichnete, freien Lauf zu lassen.
In seinem letzten vollendeten Werk "Kornwolf" nimmt der 1971 geborene amerikanische Schriftsteller und Punk-Musiker, der 2005 Selbstmord beging, die historisch dokumentierte Legende des Peter Stubbe beim Wort. Der Journalist Owen Brynmor, in dem fraglos Züge des Autors angelegt sind, kann die beunruhigenden Vorkommnisse (Vandalismus, Einbrüche, die Sichtung eines "Unfalls der Schöpfung") in der Amisch-Gemeinde von Stepford, Pennsylvania, bis zu einem im späten sechzehnten Jahrhundert hingerichteten, vermeintlichen Werwolf zurückverfolgen. Dabei wittert er anfangs nur eine gute Story, die ihm im Provinzblatt seiner verhassten Heimatstadt zum raschen Durchbruch verhelfen soll, zu einer Artikelserie über den Teufel von Blue Ball beziehungsweise den Kornwolf, an deren wahren Kern er zwar zunächst nicht glaubt, die sich aber hervorragend dazu eignet, sie für eigene Zwecke auszuschlachten.
Denn auch Brynmor ist ein Eigenbrötler, von Anstellung zu Anstellung tingelnd und getrieben von einer Verachtung für die dumpfe Bevölkerung, die er nur zu gerne einmal aus ihrer Lethargie reißen möchte, notfalls durch den Abwurf einer Atombombe, wie er es sich als Heranwachsender wünschte. Dass er während seines Boxtrainings im West Side Gym bei Jack Stumpf dem genetischen Erbe des Peter Stubbe bedrohlich nahe kommt, ahnt er allerdings nicht. Doch jene Spur, das sich für ihn wie für den Leser nur allmählich zusammensetzende und haarsträubende "Gesamtbild aus Tatsachen, Vermutung und Mythos", wird ihn immerhin bis zu Ephraim führen, einem Außenseiter unter Außenseitern, einem verwilderten, zum Himmel stinkenden und für stumm gehaltenen Mitglied der Amisch, der von seinem angeblichen Vater, dem korrupten und saufenden Prediger Benedictus Bontrager, regelmäßig misshandelt und gedemütigt wird. An ihm wird sich beweisen, dass die Grausamkeiten der Vergangenheit bis in die Gegenwart wirken.
"Wer der Welt Freund sein will, der wird Gottes Feind sein" - mit diesem Leitspruch aus dem Jakobus-Brief legitimiert diese christliche Religionsgemeinschaft die eigene Isolation, das Leben fernab technischer Errungenschaften und moderner Verlockungen. Dass der Teufel in Menschengestalt ausgerechnet aus ihren Reihen stammt, ist nur eine böse Pointe von vielen in Egolfs sarkastischem Sermon, der unaufhaltsam auf ein apokalyptisches Ende zurast, das in atonalem Getöse, in heulenden Hundechören, Pandämonien, hedonistischer Entrückung und einer einzigen Kakophonie von Furcht und Zittern kulminiert.
Mit Ephraim schließlich ruft er eine negative Erlöserfigur ins Leben, die aller Frömmigkeit hohnspricht. Die Befreiung von menschlichen Sünden, von Scheinheiligkeit und Niedertracht, erfüllt sich nicht durch ein gottgefälliges Dasein, sie ist allein durch die Wiederkehr einer infernalischen "Zeit des Tötens" zu erlangen, die freilich alle Beteiligten, auch die Polizei, in ihren zerstörerischen Bann zieht. Sie mündet in eine mörderische Treibjagd an Halloween, in der zwischen Gut und Böse nicht mehr zu unterscheiden ist. "Nichts war heilig, nicht mal das Profane" - dies wird zu einem ironischen Motto Egolfs, das gleichberechtigt neben seiner immer wieder auftauchenden Anrufung der Zwietracht steht: "Heil dir, Discordia!"
Doch was soll diese berserkerhafte Stänkerei, dieser beständige, in seiner Unbedingtheit verzweifelt wirkende Aufruf zum Umsturz? Der Übersetzer Frank Heibert schreibt in seinem Nachwort, "Kornwolf" sei als erster Teil eines Zyklus geplant gewesen, "in dem jeweils eine andere der großen Sünden Amerikas durch den Werwolf als Katalysator aufgedeckt worden wäre". Egolf spielt mit seiner intensiven Prosa, durchdrungen von einer hyperbolischen Metaphorik, den Aufrührer, dem die Drastik zum aufklärerischen Instrument wird. Produktive Lösungsansätze hat er nicht parat; es muss genügen, die grässliche Fratze der Heuchelei, die "Entweihungskampagne" gegen eine zersiedelte Landschaft und einiges mehr in schillernden Farben auszumalen.
Mag sein, dass er sich damit zu viel vorgenommen hat. Der narrative Rundumschlag trifft nicht immer sein Ziel, der Plot weist Erklärungslücken auf, und einige untergeordnete Erzählstränge verlaufen ob des hohen Tempos ins Leere. Doch der barock überbordende und ausschweifende Stil, das Anrennen des erschöpften Selbst gegen das Bollwerk der unerträglichen Wirklichkeit, gehört genauso zum literarischen Programm Egolfs wie die mitreißende Sinnlichkeit der Sprache und der gelegentlich aufblitzende Humor. Nicht umsonst wird es zu einem Running Gag, dass der Teufel von Blue Ball laut diverser Zeugen eine gewisse Ähnlichkeit mit Richard Nixon hat.
Die von den Gespenstern der Vergangenheit heimgesuchte Rachegeschichte des Kornwolfs sollte ursprünglich niemals enden; es wäre Tristan Egolf zu wünschen gewesen, um vielleicht doch noch einen Weg aus der Sackgasse zu finden.
ALEXANDER MÜLLER
Tristan Egolf: "Kornwolf". Roman. Aus dem Amerikanischen von Frank Heibert. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009. 432 S., geb., 26,80 [Euro].
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