Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.05.2004Dr. Jekyll und Monsieur Hyde
Blut ist auch nur Rouge: Amélie Nothomb schminkt den Teufel
Das Fräuleinwunder der belgischen Literatur sieht auf Fotos wie ein zerbrechlicher Engel aus; aber es ist nur "Die Reinheit des Mörders", die aus Amélie Nothombs unschuldigem Lächeln spricht. Mit ihrer Kosmetik des Bösen schminkt sie häßliche Fratzen zu hübschen Lärvchen zurecht: Das sanfte Rouge ist Blut, der Lidschatten schwarzviolett schillernder Zynismus, und der Puder mädchenhaft-koketter Bleichheit übertüncht morbide Perversionen und diabolische Provokationen. Die Diplomatentochter, in China und Japan aufgewachsen, aber weder in Europa noch in Asien ganz zu Hause, inszeniert sich in ihren halbautobiographischen Lebensbeichten ("Mit Staunen und Zittern", "Metaphysik der Röhren","Im Namen des Lexikons") und Romanen gern als unberührbares Wunderkind, das sich weigert, erwachsen zu werden.
In Wahrheit hat sie es aber faustdick hinter den Ohren. Als Kind machte sie sich mit ihrer seltsamen Mischung aus Arroganz und Demut, Größenwahn und Hirnwut offenbar wenig Freunde; aber inzwischen folgen die Leser ihr bedenkenlos in die Wahnwelten romantisch-dekadenter Mörder und Monster. Für Nothomb ist Schreiben Krankheit und Therapie, jedenfalls eine Obsession: "Ich existiere nur, wenn ich schreibe. Alles andere finde ich ziemlich langweilig." Jedes Jahr schreibt sie so drei Romane, gespickt mit philosophischen Spekulationen und psychopathologischen Schocks, und auch wenn sie nur einen davon veröffentlicht, sind es immerhin schon siebzehn geworden; fast jeder wird ein Bestseller.
Fette Männer mit kranken Hirnen sind Nothombs bevorzugte Haßobjekte. Die männliche Bulimie ernährt sich auf Kosten der weiblichen Anorexie, das unverschämt protzende und strotzende Fleisch verschlingt jede feinere Geistesregung und zerstört jede Unschuld. Zur Sühne legen sich die ekelhaft selbstgerechten Frauen- und Kinderschänder gern selber auf die Schlachtbank, aber eine Tötung auf Verlangen befriedigt nur überzeugte Sadomasochisten. In "Die Reinheit des Mörders" erzählte ein widerlich feister, präpotenter Literaturnobelpreisträger einer Journalistin, wie er und seine Schwester ihre geschlechtslos-inzestuöse Unschuld mit radikalen Mitteln verteidigten. In "Der Professor" machte ein fetter, mürrischer Arzt seinen akademischen Nachbarn das Leben zur Hölle: Immun gegen Konversationsangebote, feine Ironie und grobe Beschimpfungen, belästigte er den Professor so lange mit ungebetenen Besuchen, bis sein Gastgeber alle humanistischen Werte und höflichen Umgangsformen vergaß.
Zivilisation ist bei Nothomb nur ein dünner Firnis, immer in Gefahr, unter dem heißen Atem zu- und aufdringlicher Mitmenschen zu schmelzen und Abgründe freizulegen. Das geil wuchernde und wogende Fleisch, bar jeder intellektuellen Zucht und kulturellen Sublimation, strafft den zarten Geist nämlich zur Notwehr. Es kann der Bravste nicht in Frieden leben, wenn sein Nachbar ihm mit fetten Speisen, Körpergerüchen und Lebensbeichten auf den Leib rückt: So werden jungfräulich reine Kindfrauen und gebildete, kultivierte Bürger zu reißenden Bestien.
Auch in Nothombs neuem Roman reizt ein Quälgeist seinen Sitznachbarn mit ungebetenen Geständnissen bis aufs Blut. Der Fremde - er nennt sich, verdächtig genug, Textor Texel - drängt auf dem Flughafen dem Geschäftsmann Jérôme seine Lebensgeschichte nebst Kommentar auf: wie er als ungeliebtes, einsames Kind Katzenfutter aß, um sich an Gott und den Menschen zu rächen; wie er als Schüler einen begabteren, beliebteren Klassenkameraden mit einem Fluch tötete; warum er an die jansenistische Prädestinationslehre glaubt und Sex mit dem Einverständnis des andern für ihn an "Würze" verliert. Auf einem Pariser Friedhof will Textor eine Frau ohne Skrupel und Schuldgefühle vergewaltigt haben. Als er sie nach langem Suchen wiedertraf, ermunterte er sie, "Gerechtigkeit aus erster Hand" an ihm zu üben; aber Isabelle verweigerte ihm nicht nur diesen Liebesdienst, sondern auch die Nennung ihres Namens, und so muß das tollwütige Rumpelstilzchen seine erste und einzige Geliebte wohl oder übel töten.
Bis hierhin ist die "Kosmetik des Bösen" eine gelungene Schönheitsoperation. Mit wahnsinniger Logik und schwarzem Humor entwickelt der verliebte Unhold seine krause Weltsicht und bietet sich seinem Opfer zur Rache an: ein Identitätsphilosoph, der an seinen Widersprüchen gemütlich zerbricht, ein egoistischer Mörder, der am Selbstmord auf Verlangen scheitert. Dann aber setzt Nothomb ihre Geschichte aufs Gleis einer psychoanalytischen Fallstudie, und das nimmt ihr viel von ihrer beunruhigenden Vieldeutigkeit. Textor, erfahren wir nach allerlei gewissenlosen Aphorismen und altklugen Sentenzen ("Die Verdrängung ist die Mülltonne des 20. Jahrhunderts"), ist nur der "innere Feind" Jérômes, der verdrängte Monsieur Hyde in Dr. Jekyll; was jener gewalttätig phantasiert, hat dieser längst in die blutige Tat umgesetzt. Der aufgenötigte Dialog erweist sich als Monolog eines Schizophrenen, der Fremde als Fleisch vom Fleische des eigenen inneren Schweinehundes, Textors Abschlachtung als Jérômes bizarre Selbstjustiz.
"Kosmetik des Bösen" gehört nicht zu Nothombs besten Romanen. Man kennt ihre Leib-Motive inzwischen hinreichend, und die Auflösung des philosophischen Thrillers in freudianische Küchenpsychologie ist doch etwas enttäuschend. Immerhin, das Parfum des Bösen ist auch diesmal mehr als nur eine kosmetische Duftmarke. Mit grimmigen Pointen und überraschenden Volten steuert Nothomb auf den Rollentausch zwischen Opfer und Täter, höflichem Zuhörer und aufdringlichem Erzähler zu. Beide sind anfällig für die Rhetorik des Bösen, und es ist nur eine Frage von Zufall oder Schicksal, ob man dem Versucher Stimme oder Ohr leiht. Neugierig, kaltblütig und lustmörderisch vergnügt reißt sich Nothomb die Maske kindlicher Unschuld vom kosmetisch gepflegten Gesicht, und so viel Mut zur Häßlichkeit und Bosheit macht uns den Quälgeist dann doch wieder sympathisch. Sie würde uns, um Kleist zu variieren, nicht als Engel erscheinen, wenn sie nicht eine so raffinierte Teufelin wäre.
MARTIN HALTER
Amélie Nothomb: "Kosmetik des Bösen". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Brigitte Große. Diogenes Verlag, Zürich 2004. 107 S., geb., 16,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Blut ist auch nur Rouge: Amélie Nothomb schminkt den Teufel
Das Fräuleinwunder der belgischen Literatur sieht auf Fotos wie ein zerbrechlicher Engel aus; aber es ist nur "Die Reinheit des Mörders", die aus Amélie Nothombs unschuldigem Lächeln spricht. Mit ihrer Kosmetik des Bösen schminkt sie häßliche Fratzen zu hübschen Lärvchen zurecht: Das sanfte Rouge ist Blut, der Lidschatten schwarzviolett schillernder Zynismus, und der Puder mädchenhaft-koketter Bleichheit übertüncht morbide Perversionen und diabolische Provokationen. Die Diplomatentochter, in China und Japan aufgewachsen, aber weder in Europa noch in Asien ganz zu Hause, inszeniert sich in ihren halbautobiographischen Lebensbeichten ("Mit Staunen und Zittern", "Metaphysik der Röhren","Im Namen des Lexikons") und Romanen gern als unberührbares Wunderkind, das sich weigert, erwachsen zu werden.
In Wahrheit hat sie es aber faustdick hinter den Ohren. Als Kind machte sie sich mit ihrer seltsamen Mischung aus Arroganz und Demut, Größenwahn und Hirnwut offenbar wenig Freunde; aber inzwischen folgen die Leser ihr bedenkenlos in die Wahnwelten romantisch-dekadenter Mörder und Monster. Für Nothomb ist Schreiben Krankheit und Therapie, jedenfalls eine Obsession: "Ich existiere nur, wenn ich schreibe. Alles andere finde ich ziemlich langweilig." Jedes Jahr schreibt sie so drei Romane, gespickt mit philosophischen Spekulationen und psychopathologischen Schocks, und auch wenn sie nur einen davon veröffentlicht, sind es immerhin schon siebzehn geworden; fast jeder wird ein Bestseller.
Fette Männer mit kranken Hirnen sind Nothombs bevorzugte Haßobjekte. Die männliche Bulimie ernährt sich auf Kosten der weiblichen Anorexie, das unverschämt protzende und strotzende Fleisch verschlingt jede feinere Geistesregung und zerstört jede Unschuld. Zur Sühne legen sich die ekelhaft selbstgerechten Frauen- und Kinderschänder gern selber auf die Schlachtbank, aber eine Tötung auf Verlangen befriedigt nur überzeugte Sadomasochisten. In "Die Reinheit des Mörders" erzählte ein widerlich feister, präpotenter Literaturnobelpreisträger einer Journalistin, wie er und seine Schwester ihre geschlechtslos-inzestuöse Unschuld mit radikalen Mitteln verteidigten. In "Der Professor" machte ein fetter, mürrischer Arzt seinen akademischen Nachbarn das Leben zur Hölle: Immun gegen Konversationsangebote, feine Ironie und grobe Beschimpfungen, belästigte er den Professor so lange mit ungebetenen Besuchen, bis sein Gastgeber alle humanistischen Werte und höflichen Umgangsformen vergaß.
Zivilisation ist bei Nothomb nur ein dünner Firnis, immer in Gefahr, unter dem heißen Atem zu- und aufdringlicher Mitmenschen zu schmelzen und Abgründe freizulegen. Das geil wuchernde und wogende Fleisch, bar jeder intellektuellen Zucht und kulturellen Sublimation, strafft den zarten Geist nämlich zur Notwehr. Es kann der Bravste nicht in Frieden leben, wenn sein Nachbar ihm mit fetten Speisen, Körpergerüchen und Lebensbeichten auf den Leib rückt: So werden jungfräulich reine Kindfrauen und gebildete, kultivierte Bürger zu reißenden Bestien.
Auch in Nothombs neuem Roman reizt ein Quälgeist seinen Sitznachbarn mit ungebetenen Geständnissen bis aufs Blut. Der Fremde - er nennt sich, verdächtig genug, Textor Texel - drängt auf dem Flughafen dem Geschäftsmann Jérôme seine Lebensgeschichte nebst Kommentar auf: wie er als ungeliebtes, einsames Kind Katzenfutter aß, um sich an Gott und den Menschen zu rächen; wie er als Schüler einen begabteren, beliebteren Klassenkameraden mit einem Fluch tötete; warum er an die jansenistische Prädestinationslehre glaubt und Sex mit dem Einverständnis des andern für ihn an "Würze" verliert. Auf einem Pariser Friedhof will Textor eine Frau ohne Skrupel und Schuldgefühle vergewaltigt haben. Als er sie nach langem Suchen wiedertraf, ermunterte er sie, "Gerechtigkeit aus erster Hand" an ihm zu üben; aber Isabelle verweigerte ihm nicht nur diesen Liebesdienst, sondern auch die Nennung ihres Namens, und so muß das tollwütige Rumpelstilzchen seine erste und einzige Geliebte wohl oder übel töten.
Bis hierhin ist die "Kosmetik des Bösen" eine gelungene Schönheitsoperation. Mit wahnsinniger Logik und schwarzem Humor entwickelt der verliebte Unhold seine krause Weltsicht und bietet sich seinem Opfer zur Rache an: ein Identitätsphilosoph, der an seinen Widersprüchen gemütlich zerbricht, ein egoistischer Mörder, der am Selbstmord auf Verlangen scheitert. Dann aber setzt Nothomb ihre Geschichte aufs Gleis einer psychoanalytischen Fallstudie, und das nimmt ihr viel von ihrer beunruhigenden Vieldeutigkeit. Textor, erfahren wir nach allerlei gewissenlosen Aphorismen und altklugen Sentenzen ("Die Verdrängung ist die Mülltonne des 20. Jahrhunderts"), ist nur der "innere Feind" Jérômes, der verdrängte Monsieur Hyde in Dr. Jekyll; was jener gewalttätig phantasiert, hat dieser längst in die blutige Tat umgesetzt. Der aufgenötigte Dialog erweist sich als Monolog eines Schizophrenen, der Fremde als Fleisch vom Fleische des eigenen inneren Schweinehundes, Textors Abschlachtung als Jérômes bizarre Selbstjustiz.
"Kosmetik des Bösen" gehört nicht zu Nothombs besten Romanen. Man kennt ihre Leib-Motive inzwischen hinreichend, und die Auflösung des philosophischen Thrillers in freudianische Küchenpsychologie ist doch etwas enttäuschend. Immerhin, das Parfum des Bösen ist auch diesmal mehr als nur eine kosmetische Duftmarke. Mit grimmigen Pointen und überraschenden Volten steuert Nothomb auf den Rollentausch zwischen Opfer und Täter, höflichem Zuhörer und aufdringlichem Erzähler zu. Beide sind anfällig für die Rhetorik des Bösen, und es ist nur eine Frage von Zufall oder Schicksal, ob man dem Versucher Stimme oder Ohr leiht. Neugierig, kaltblütig und lustmörderisch vergnügt reißt sich Nothomb die Maske kindlicher Unschuld vom kosmetisch gepflegten Gesicht, und so viel Mut zur Häßlichkeit und Bosheit macht uns den Quälgeist dann doch wieder sympathisch. Sie würde uns, um Kleist zu variieren, nicht als Engel erscheinen, wenn sie nicht eine so raffinierte Teufelin wäre.
MARTIN HALTER
Amélie Nothomb: "Kosmetik des Bösen". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Brigitte Große. Diogenes Verlag, Zürich 2004. 107 S., geb., 16,90 [Euro].
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»Amélie Nothomb ist Kult: Ihre Romane haben Millionenauflagen. In ihren Romanen geht es morbide und makaber zu, jedenfalls nicht moralisch und schon gar nicht brav.« Martin Ebel / Tages-Anzeiger Tages-Anzeiger