Produktdetails
- Verlag: GB / Papermac
- Upd. ed.
- Seitenzahl: 492
- Englisch
- Abmessung: 215mm
- Gewicht: 616g
- ISBN-13: 9780333666135
- Artikelnr.: 25305918
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.12.1998Vorurteils-Schablonen
Noel Malcolms große "Kurze Geschichte" des Kosovo
Noel Malcolm: Kosovo. A Short History. Macmillan, London 1998. 600 Seiten, 20 Pfund Hardback, 12 Pfund Paperback.
Der Balkan ist gesättigt mit Geschichte, mit historischer Mythologie, übersättigt und überfressen, wie Winston Churchill hellsichtig einmal gesagt hat. Das vorliegende Buch ist so wichtig, weil es uns mit Sympathie für die Bewohner aller Teile dieses zerklüfteten, wilden Balkans die Nahtstellen beschreibt und die Knotenpunkte aufdröselt, ohne die man nicht zu einem Verständnis kommen kann. Richard Holbrooke berichtet in seinen Memoiren, wie ihm der britische Botschafter in Belgrad Ivor Roberts einen Brief mitten in den Gesprächen - kurz nach den ersten Nato-Luftschlägen im August 1995 auf serbische Munitionsdepots - zusteckt, die der endgültigen Beendigung des serbischen Imperial-Wahn-Traumes dienen: "Roberts mahnte mich in einem ausführlichen Brief, nie zu vergessen, daß die Serben sich als Opfer der Geschichte fühlen. Drängen Sie sie nicht in die Ecke, mahnte er mich, sonst schlagen sie zurück!"
Unter dieser Mahnung und daß sie die letzten fünf Jahre befolgt wurde, - leidet das, was man kümmerlich EU-Politik nennt, bis in unsere Tage. Und setzt sich fast bruchlos fort aus dem einen (bosnischen) in das nächste Szenarium: Kosovo. Wie zur ungewollten Demonstration dessen, was wir tief fühlen: Wir Menschen lernen nichts - oder wenig - aus der Geschichte. Manchmal auch nichts aus der gerade eben beendeten Zeitgeschichte.
Noel Malcolms Buch hat seinen Wert in der Aufdeckung der Schwächen aktueller Politik und Semantik. Er untersucht die Klischees der nationalistischen Geschichtsschreibung, und zwar der Historiographien aller Seiten, der serbischen und der albanischen, nach der die ottomanische Zeit eine Fremdherrschaft für die Kosovo-Region gewesen sei. Etwas, was sich nach Noel Malcolm ganz aktuell in der barbarischen Zerstörung aller ottomanischen Monumente im jüngsten Bosnien-Krieg geäußert hat. "Das ottomanische Erbe, was das Erbe des Islam einschließt, ist etwas, was zu der Kultur der Völker des Balkans gehört. Dieses Erbe als ,fremd' abzutun und zurückzuweisen ist historisch absurd - so wie es für irische Schriftsteller absurd wäre, die englische Sprache zurückzuweisen!"
Die aktuelle Diskussion beginnt mit den konkurrierenden geopolitischen Bezeichnungen. Als im Herbst Vuk Draskovic die Hoffnungen vergessen machte, die die Studenten in Belgrad in ihn setzten, als man gemeinsam dabei war, Slobodan Milosevic zu stürzen, gebrauchte er das alte großserbische Vokabular: Kos-Met, Kosovo und Metohija, die alte, für die Ohren der Albaner schmerzliche Abkürzung aus der Zeit des Albaner-Fressers und Gründers der Tito-Geheimpolizei Aleksandar Rankovic. Metohija ist die griechisch-byzantinische Bezeichnung für einen orthodoxen Klosterstaat, während die Kosovo-Albaner dieses Gebiet im Westen Dukagini-Plateau nennen, nach dem Begründer ihres "Kanun", ihres ethnischen Kanons. Wirtschaftlich und militärstrategisch ist die Region bedeutend. 1920 übernahm eine britische Firma die Ausbeutung der Trepca-Minen, die weltführend in der Ausbeutung von Magnesit und in Europa führend in der Förderung von Zink, Silber und Chrom waren.
Das war auch den geschäftstüchtigen Nazis klar. Adolf Hitler unterteilte die Okkupationszone nach 1941: "Er trug Sorge, daß die deutsche Okkupationszone auf jeden Fall die Trepca-Bergwerkszone und auch die umliegenden Bergwerke und Fabriken umfaßte. Innerhalb von drei Monaten kam es dazu, daß täglich mit einem Güter-Frachtzug nicht weniger als 500 Tonnen Zink und Kupfer ins Deutsche Reich abtransportiert wurden, um dort die Kriegsindustrie am Laufen zu halten."
Die heutige Tragödie hat nach Noel Malcolm damit zu tun, daß Slobodan Milosevic, der machiavellistische Herrscher in Belgrad, seinen nach Slowenien, Kroatien und Bosnien nächsten Versuch unternimmt, die angrenzenden Territorien zu "säubern", Hunderttausende Zivilisten aus ihren Häusern zu vertreiben. Wieder läßt er ohne internationalen Widerstand seine Armee marschieren und behauptet, eine Polizeioperation gegen wenige Kriminelle zu führen. Niemand fällt ihm in den Arm. Die Europäer scheinen ins vergangene Jahrhundert zurückgefallen und gelähmt zu sein. Die Amerikaner, die immer erst die Vorstufe eines totalen, über mehrere Jahre angestauten Desasters brauchen, ehe sie sich bitten lassen, sind vom Kosovo noch weit entfernt.
Die Behauptung von den serbischen Ureinwohnern, die von den mobilen Albanern verdrängt worden seien, ist Unsinn. Die Mehrzahl aller Familien im Kosovo, ganz gleich, ob serbisch oder türkisch, hat nie Ureinwohner verdrängt. Anfang des 19. Jahrhunderts haben viele serbische Familien und junge Leute das Kosovo nach Norden in den modernen serbischen Staat verlassen. Aber das ist bis heute der Lauf der Welt. So wie die Kosovarer sich unter der serbischen Unterdrückung in den Jahren 1982 und verstärkt dann nach 1989 zu uns nach Deutschland bewegt haben, so die Serben nach Belgrad oder in die Vojvodina nach Novi Sad oder Subotica.
Auch eine andere Vorurteils-Schablone der Serben paßt nicht im Kosovo, eigentlich noch weniger als in Bosnien: Die Christenheit und das Abendland würden dort gegen die unchristlichen und antieuropäischen Muslime und Fundamentalisten verteidigt. Das ist im Kosovo nicht zu finden. Die Distanz zur eigenen Religion geht bei den Kosovo-Albanern weit. Muslime sagen: Die einzigen, auf die wir bauen können, sind die Katholiken. Einmal weil auf sie Verlaß ist, zweitens weil sie über ihre Caritas international verläßliche Unterstützung haben. Drittens weil die größte Albanerin der Weltgeschichte Mutter Theresa ist.
Was für die Kosovaren jetzt die serbische Unterdrückung, war für die Bevölkerung im letzten Jahrhundert die ottomanische Fremdherrschaft. Aber die Ottomanen waren von Zeit zu Zeit noch zu Reformen und Kompromissen bereit. So pilgerten 1822 an die 3000 Notabeln vom Kosovo nach Istanbul, um den Großwesir davon zu überzeugen, daß man die Bevölkerung anders behandeln müsse - leider erfolglos. 1856 gab es ein Dekret, das die völlige Gleichberechtigung zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen festlegte. Es gab in diesem Gesetzwerk auch einen Paragraphen gegen das Haßgerede. Dieses Dekret sah vor, daß "Worte für den offiziellen Gebrauch verboten sind, die dazu angetan sein könnten, eine Gruppe der Bevölkerung minderwertiger erscheinen zu lassen wegen ihrer Rasse, ihrer Religion oder ihrer Sprache".
Noel Malcolm hat ein Buch geschrieben, das für den Leser der täglichen Nachrichten und Berichte aus den Konferenzzirkeln der Außenminister fast unentbehrlich ist. Es gibt dem Leser jedenfalls einen großen Vorsprung. Alle Anklagen gegen die Albaner, wie sie von der serbischen Akademie vorgetragen wurden, sind falsch. Die Propaganda-Lügen sind für die Mehrheit der Bevölkerung beleidigend und schrecklich gewesen. Der Orthodoxe Archimandrit Atanasije Jevtic machte 1970 die Albaner zu vergewaltigenden Monstern, vor denen sich züchtige serbische Frauen und Nonnen zu fürchten hätten. Daraus wurde in serbischen Publikationen: Die Albaner vergewaltigen jede. In anderen Teilen Jugoslawiens wie auch im Innern Serbiens gab es statistisch 2,34 Fälle von Vergewaltigung auf 100 000 Einwohner, im Kosovo 0,96.
Das Buch ist eine Fundgrube für den politisch interessierten Leser. Für die humanitären Organisationen sollte es Pflichtlektüre werden. Und für Politiker auch.
RUPERT NEUDECK
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Noel Malcolms große "Kurze Geschichte" des Kosovo
Noel Malcolm: Kosovo. A Short History. Macmillan, London 1998. 600 Seiten, 20 Pfund Hardback, 12 Pfund Paperback.
Der Balkan ist gesättigt mit Geschichte, mit historischer Mythologie, übersättigt und überfressen, wie Winston Churchill hellsichtig einmal gesagt hat. Das vorliegende Buch ist so wichtig, weil es uns mit Sympathie für die Bewohner aller Teile dieses zerklüfteten, wilden Balkans die Nahtstellen beschreibt und die Knotenpunkte aufdröselt, ohne die man nicht zu einem Verständnis kommen kann. Richard Holbrooke berichtet in seinen Memoiren, wie ihm der britische Botschafter in Belgrad Ivor Roberts einen Brief mitten in den Gesprächen - kurz nach den ersten Nato-Luftschlägen im August 1995 auf serbische Munitionsdepots - zusteckt, die der endgültigen Beendigung des serbischen Imperial-Wahn-Traumes dienen: "Roberts mahnte mich in einem ausführlichen Brief, nie zu vergessen, daß die Serben sich als Opfer der Geschichte fühlen. Drängen Sie sie nicht in die Ecke, mahnte er mich, sonst schlagen sie zurück!"
Unter dieser Mahnung und daß sie die letzten fünf Jahre befolgt wurde, - leidet das, was man kümmerlich EU-Politik nennt, bis in unsere Tage. Und setzt sich fast bruchlos fort aus dem einen (bosnischen) in das nächste Szenarium: Kosovo. Wie zur ungewollten Demonstration dessen, was wir tief fühlen: Wir Menschen lernen nichts - oder wenig - aus der Geschichte. Manchmal auch nichts aus der gerade eben beendeten Zeitgeschichte.
Noel Malcolms Buch hat seinen Wert in der Aufdeckung der Schwächen aktueller Politik und Semantik. Er untersucht die Klischees der nationalistischen Geschichtsschreibung, und zwar der Historiographien aller Seiten, der serbischen und der albanischen, nach der die ottomanische Zeit eine Fremdherrschaft für die Kosovo-Region gewesen sei. Etwas, was sich nach Noel Malcolm ganz aktuell in der barbarischen Zerstörung aller ottomanischen Monumente im jüngsten Bosnien-Krieg geäußert hat. "Das ottomanische Erbe, was das Erbe des Islam einschließt, ist etwas, was zu der Kultur der Völker des Balkans gehört. Dieses Erbe als ,fremd' abzutun und zurückzuweisen ist historisch absurd - so wie es für irische Schriftsteller absurd wäre, die englische Sprache zurückzuweisen!"
Die aktuelle Diskussion beginnt mit den konkurrierenden geopolitischen Bezeichnungen. Als im Herbst Vuk Draskovic die Hoffnungen vergessen machte, die die Studenten in Belgrad in ihn setzten, als man gemeinsam dabei war, Slobodan Milosevic zu stürzen, gebrauchte er das alte großserbische Vokabular: Kos-Met, Kosovo und Metohija, die alte, für die Ohren der Albaner schmerzliche Abkürzung aus der Zeit des Albaner-Fressers und Gründers der Tito-Geheimpolizei Aleksandar Rankovic. Metohija ist die griechisch-byzantinische Bezeichnung für einen orthodoxen Klosterstaat, während die Kosovo-Albaner dieses Gebiet im Westen Dukagini-Plateau nennen, nach dem Begründer ihres "Kanun", ihres ethnischen Kanons. Wirtschaftlich und militärstrategisch ist die Region bedeutend. 1920 übernahm eine britische Firma die Ausbeutung der Trepca-Minen, die weltführend in der Ausbeutung von Magnesit und in Europa führend in der Förderung von Zink, Silber und Chrom waren.
Das war auch den geschäftstüchtigen Nazis klar. Adolf Hitler unterteilte die Okkupationszone nach 1941: "Er trug Sorge, daß die deutsche Okkupationszone auf jeden Fall die Trepca-Bergwerkszone und auch die umliegenden Bergwerke und Fabriken umfaßte. Innerhalb von drei Monaten kam es dazu, daß täglich mit einem Güter-Frachtzug nicht weniger als 500 Tonnen Zink und Kupfer ins Deutsche Reich abtransportiert wurden, um dort die Kriegsindustrie am Laufen zu halten."
Die heutige Tragödie hat nach Noel Malcolm damit zu tun, daß Slobodan Milosevic, der machiavellistische Herrscher in Belgrad, seinen nach Slowenien, Kroatien und Bosnien nächsten Versuch unternimmt, die angrenzenden Territorien zu "säubern", Hunderttausende Zivilisten aus ihren Häusern zu vertreiben. Wieder läßt er ohne internationalen Widerstand seine Armee marschieren und behauptet, eine Polizeioperation gegen wenige Kriminelle zu führen. Niemand fällt ihm in den Arm. Die Europäer scheinen ins vergangene Jahrhundert zurückgefallen und gelähmt zu sein. Die Amerikaner, die immer erst die Vorstufe eines totalen, über mehrere Jahre angestauten Desasters brauchen, ehe sie sich bitten lassen, sind vom Kosovo noch weit entfernt.
Die Behauptung von den serbischen Ureinwohnern, die von den mobilen Albanern verdrängt worden seien, ist Unsinn. Die Mehrzahl aller Familien im Kosovo, ganz gleich, ob serbisch oder türkisch, hat nie Ureinwohner verdrängt. Anfang des 19. Jahrhunderts haben viele serbische Familien und junge Leute das Kosovo nach Norden in den modernen serbischen Staat verlassen. Aber das ist bis heute der Lauf der Welt. So wie die Kosovarer sich unter der serbischen Unterdrückung in den Jahren 1982 und verstärkt dann nach 1989 zu uns nach Deutschland bewegt haben, so die Serben nach Belgrad oder in die Vojvodina nach Novi Sad oder Subotica.
Auch eine andere Vorurteils-Schablone der Serben paßt nicht im Kosovo, eigentlich noch weniger als in Bosnien: Die Christenheit und das Abendland würden dort gegen die unchristlichen und antieuropäischen Muslime und Fundamentalisten verteidigt. Das ist im Kosovo nicht zu finden. Die Distanz zur eigenen Religion geht bei den Kosovo-Albanern weit. Muslime sagen: Die einzigen, auf die wir bauen können, sind die Katholiken. Einmal weil auf sie Verlaß ist, zweitens weil sie über ihre Caritas international verläßliche Unterstützung haben. Drittens weil die größte Albanerin der Weltgeschichte Mutter Theresa ist.
Was für die Kosovaren jetzt die serbische Unterdrückung, war für die Bevölkerung im letzten Jahrhundert die ottomanische Fremdherrschaft. Aber die Ottomanen waren von Zeit zu Zeit noch zu Reformen und Kompromissen bereit. So pilgerten 1822 an die 3000 Notabeln vom Kosovo nach Istanbul, um den Großwesir davon zu überzeugen, daß man die Bevölkerung anders behandeln müsse - leider erfolglos. 1856 gab es ein Dekret, das die völlige Gleichberechtigung zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen festlegte. Es gab in diesem Gesetzwerk auch einen Paragraphen gegen das Haßgerede. Dieses Dekret sah vor, daß "Worte für den offiziellen Gebrauch verboten sind, die dazu angetan sein könnten, eine Gruppe der Bevölkerung minderwertiger erscheinen zu lassen wegen ihrer Rasse, ihrer Religion oder ihrer Sprache".
Noel Malcolm hat ein Buch geschrieben, das für den Leser der täglichen Nachrichten und Berichte aus den Konferenzzirkeln der Außenminister fast unentbehrlich ist. Es gibt dem Leser jedenfalls einen großen Vorsprung. Alle Anklagen gegen die Albaner, wie sie von der serbischen Akademie vorgetragen wurden, sind falsch. Die Propaganda-Lügen sind für die Mehrheit der Bevölkerung beleidigend und schrecklich gewesen. Der Orthodoxe Archimandrit Atanasije Jevtic machte 1970 die Albaner zu vergewaltigenden Monstern, vor denen sich züchtige serbische Frauen und Nonnen zu fürchten hätten. Daraus wurde in serbischen Publikationen: Die Albaner vergewaltigen jede. In anderen Teilen Jugoslawiens wie auch im Innern Serbiens gab es statistisch 2,34 Fälle von Vergewaltigung auf 100 000 Einwohner, im Kosovo 0,96.
Das Buch ist eine Fundgrube für den politisch interessierten Leser. Für die humanitären Organisationen sollte es Pflichtlektüre werden. Und für Politiker auch.
RUPERT NEUDECK
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main