Wildkräuter liegen im Trend. Nicht nur angesichts hoher Lebensmittelpreise klingt die Vorstellung verlockend, sich von dem zu ernähren, was draußen in der Natur wächst.
„Kostbare Wildpflanzen“ stellt 72 Pflanzen vor, die ganz oder teilweise essbar sind. Sortiert nach Lebensräumen findet man
jeweils Steckbriefe mit Fotos und einer groben Beschreibung des Äußeren. Es sind keine botanisch…mehrWildkräuter liegen im Trend. Nicht nur angesichts hoher Lebensmittelpreise klingt die Vorstellung verlockend, sich von dem zu ernähren, was draußen in der Natur wächst.
„Kostbare Wildpflanzen“ stellt 72 Pflanzen vor, die ganz oder teilweise essbar sind. Sortiert nach Lebensräumen findet man jeweils Steckbriefe mit Fotos und einer groben Beschreibung des Äußeren. Es sind keine botanisch präzisen Merkmalbeschreibungen, sondern allgemeinverständliche und nicht auf Vollständigkeit zielende Kurzbeschreibungen, die sich mehr auf typische Standorte, Häufigkeit und Blütezeit stützen. Da Wildkräuter im Gegensatz zur Supermarkt-Treibhausware jahreszeitlichen Verfügbarkeiten unterworfen ist, erklärt die Autorin auch geeignete Konservierungstechniken. Zwischenkapitel behandeln historische Verwendungen, Mythologie oder den besonderen Einsatz bestimmter Pflanzenteile.
Relativ sorgfältig berücksichtigt die Autorin Verwechslungsgefahren, allerdings sollte man sich keinesfalls blind darauf verlassen. So hat sie beispielsweise den hochgiftigen Wasserschierling übersehen, dessen Blätter der wilden Pastinake ähneln, von der die Autorin besonders die jungen Blätter empfiehlt (also gerade, wenn man keine Blüte zum Vergleich heranziehen kann). Sicher nicht zufällig lehnt die Autorin an mehreren Stellen die Haftung für mögliche Gesundheitsschäden ab. Sehr bedenklich ist in meinen Augen auch, dass Gisela Tube Pyrrolizidinalkaloide als „nur in größeren Mengen krebserzeugend“ bewertet und entsprechende Heilkräuter zur Verwendung empfiehlt. Diese Einschätzung entspricht nicht den derzeitigen wissenschaftlichen Risikobewertungen, z. B. der Europäischen Lebensmittelbehörde EFSA, die fordert, die Exposition gegen Pyrrolizidinalkaloide so weit zu reduzieren, wie es technisch möglich ist. Es gibt nämlich keine Dosis, die nicht krebserzeugend wäre. Nicht umsonst ist z. B. Beinwell als Arzneimittel in Europa nur noch als Salbe zugelassen, Gisela Tube empfiehlt dagegen auch die Blätter als Salat, was ich als Toxikologe sehr bedenklich finde. Es gibt noch andere pyrrolizidinhaltige Kräuter im Buch, für die sie ähnliche Empfehlungen gibt. Angesichts einer "3. durchgesehenen Auflage" sind solche Fehler schwer verständlich.
Der zweite Abschnitt behandelt bestimmte Einsatzgebiete für Heilkräuter und ist nach der Symptomatik sortiert. Es sind vor allem leichtere Beschwerden, nicht unbedingt mit Krankheitswert, für die Heilkräuter eingesetzt werden. Hier weist die Autorin deutlich darauf hin, dass im Zweifel immer ein Arzt hinzugezogen werden muss (auch in den Einzelsteckbriefen wird ggf. auf gesundheitliche Risiken wie Allergien und Unverträglichkeiten hingewiesen, nicht dagegen auf mögliche Wechselwirkungen mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln).
Im dritten Teil des Buchs finden sich Rezeptideen, in denen zum Beispiel beschrieben wird, wie man Limonadenauszüge, Kräuterbutter oder -plätzchen macht. Sehr nützlich ist der Sammelkalender im Anhang, nach dem man das Sammeljahr organisieren kann.
Mein Fazit: Insbesondere junge Pflanzen darf man nur ernten, wenn man sie auch sicher bestimmen kann und Verwechslungen ausgeschlossen sind. Wie am Beispiel gezeigt, kann man sich nicht unbedingt darauf verlassen, dass Gisela Tubes alle Möglichkeiten bedacht hat. Wer sich fachlich ernsthaft mit dem Thema „nicht blühende Pflanzen“ auseinandersetzen will, dem empfehle ich das Buch „Flora vegetativa“ von Stefan Eggenberg und Adrian Möhl. Außerdem sind nicht alle schädlichen Wirkungen und Wechselwirkungen von Pflanzeninhaltsstoffen von Gisela Tubes ausreichend berücksichtigt, auch hier empfiehlt es sich, noch einmal gründlich nach zu recherchieren, wenn man Zweifel hat oder die Pflanze nicht gut kennt.
(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)