75 Jahre Sarah Kirsch
"Moorgeschrey und Lerchengedröhn" - Sarah Kirschs poetische Kraft durchdringt auch ihre Tagebuchaufzeichnungen. Meisterhaft verbindet sie in ihren Notaten aus den achtziger Jahren Alltagsbeobachtungen und Poetisches, Persönliches und Politisches. Immer scheinen die Sinne aufs Höchste geschärft, und so, eins mit der Natur, strahlt die Prosa mit einer elementar erdhaften Kraft.
Sarah Kirschs Miniaturprosa schillert, leuchtet, glimmt mal traumgleich-elegisch, dann ironisch-kommentierend oder heiter. In "Krähengeschwätz" versammelt sie lyrische Nachrichten aus den Jahren 1985 bis 1987 - Jahre, in denen die Anfang der Achtziger aus der DDR ausgewanderte Autorin sich gesellschaftlich engagiert. Getragen von kritischem Zeitbewusstsein entfaltet ihre Prosa eine gebrochene Bukolik. Und zugleich ist ihre persönliche Chronik von der Natur durchtränkt: "Triefende Nebellaken, schwarz blühendes Feiertagsgras, Kniekehlenküsse und Zittern" werden abgelöst von den herbstlichen Stürmen, dann "pfeift der nächste Orkan aufm Schlüssel ums Haus, die Wolken zerreißen sich und die Bäume küssen die Erde". Erneut zeigen diese Aufzeichnungen die im Einklang mit den Jahreszeiten lebende Schriftstellerin, die Erlebnisse und Reflexionen über ihre Gegenwart und die Welt zu einer harmonischen Einheit führt.
"Moorgeschrey und Lerchengedröhn" - Sarah Kirschs poetische Kraft durchdringt auch ihre Tagebuchaufzeichnungen. Meisterhaft verbindet sie in ihren Notaten aus den achtziger Jahren Alltagsbeobachtungen und Poetisches, Persönliches und Politisches. Immer scheinen die Sinne aufs Höchste geschärft, und so, eins mit der Natur, strahlt die Prosa mit einer elementar erdhaften Kraft.
Sarah Kirschs Miniaturprosa schillert, leuchtet, glimmt mal traumgleich-elegisch, dann ironisch-kommentierend oder heiter. In "Krähengeschwätz" versammelt sie lyrische Nachrichten aus den Jahren 1985 bis 1987 - Jahre, in denen die Anfang der Achtziger aus der DDR ausgewanderte Autorin sich gesellschaftlich engagiert. Getragen von kritischem Zeitbewusstsein entfaltet ihre Prosa eine gebrochene Bukolik. Und zugleich ist ihre persönliche Chronik von der Natur durchtränkt: "Triefende Nebellaken, schwarz blühendes Feiertagsgras, Kniekehlenküsse und Zittern" werden abgelöst von den herbstlichen Stürmen, dann "pfeift der nächste Orkan aufm Schlüssel ums Haus, die Wolken zerreißen sich und die Bäume küssen die Erde". Erneut zeigen diese Aufzeichnungen die im Einklang mit den Jahreszeiten lebende Schriftstellerin, die Erlebnisse und Reflexionen über ihre Gegenwart und die Welt zu einer harmonischen Einheit führt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.04.2010Schriftversteller quaken
Ländliche Unruhe: Sarah Kirsch und das liebe Vieh
Als Sarah Kirsch 1987 eine Lesung in Marbach hatte, war auch ihr Verlagschef zugegen, den sie launig den "Anstaltsleiter" nennt. Da konnte der "mal sehen, wie beliebt ich doch bin, weil er sich immer rausredet, er verstünde nichts von Gedichten". Ihre "Missions-" und "Alphabetisierungsreisen" sind überhaupt meist erfreulich, da gehen ihr die Worte "flott aus dem Maul", wenngleich sie es manchmal nur "für die Knete" macht. Einmal in Eutin muss sie sich aber über Buchhändler ärgern, die ihr glatt sagen, sie hätten lieber Christa Wolf dagehabt.
Zurück in Tielenhemme, in ihrem "Seelenländchen", ist Sarah Kirsch meist so fröhlich wie ihre Tiere. "Oh wie gut es mir geht! Ich besitze geschorene Schafe, einen Esel, einen Wagen mit Gummirädern an mein Fahrrad zu hängen und ein Dutzend weißgoldener Kaffeelöffelchen." Von ländlicher Ruhe kann aber keine Rede sein. "Lerchen brüllen den ganzen Tag, und Kiebitze quieken, Amseln und Drosseln flöten ihre Liedchen", allenthalben "Moorgeschrey". Auch nachts lauscht die Dichterin den Stimmen der Wildgänse und versteht sie mühelos: "Schwester es brennt."
Aus der DDR klingen gelegentlich auch tierische Laute herüber. "Die Schriftversteller" auf ihrem Kongress "quaken so viel sie noch wollen, indessen haut man die jungen normalen Bürger stark aufen Kopp". Über Land fahren ist aber viel "gescheuter als fortwährend über Miseren reden". Wie Uwe Barschel in die Badewanne gekommen ist, interessiert zwar kurz. Lieber aber wird dankbar über das gute Leben hierzulande gesprochen. "Göthens Geburtstag" fällt 1987 glücklich mit "10 Jahre Goldener Westen" zusammen, da gibt es Champagner für alle.
Besuch ist meist willkommen, die Katzen lieben das. Wenn er wieder geht, ist es auch schön, "wieder freie Bude zu haben". Besonders wenn ihr ein Schwadroneur wie Dieter E. Sattler mit seiner "zwanghaften Geltungssucht" auf die Nerven geht. Lieber unterhält sich die Dichterin mit ihrem Esel, der viel Liebe braucht. Er findet die Welt langweilig; "es lohnt sich nicht, ein Mensch zu sein". Damit kann er nur die Welt außerhalb des "Landgütleins" am Deich meinen, auf dem immer was zu tun ist. Hier im "leuchtenden Landstrich" ist selbst der Winter "große Klasse".
Die kleine Welt in "Krähengeschwätz" ordnet sich nach Märchengesetzen. Selbst die "Arbeitsmethode" der Dichterin erinnert an Aschenputtel. Manche Texte kommen in "ein Mäppchen für Gedichte, andere in eines für Prosa". Die gelegentlich erschütternde Naivität, mit der sich Sarah Kirsch in Notizen und Gedichten Mitte der achtziger Jahre als ein Wesen zwischen Pippi Langstrumpf und Allerleirauh entwirft, wird nur dem geneigten Leser als Einübung in eine selbstbestimmte Freiheit der Wahrnehmung kenntlich. Den "kleinen und großen Furchtbarkeiten" der DDR entronnen zu sein, ohne sich den Zwängen der Konsumgesellschaft zu unterwerfen, erscheint als des Glückes wahres Unterpfand.
FRIEDMAR APEL
Sarah Kirsch: "Krähengeschwätz". Deutsche Verlags-Anstalt, München 2010. 176 S., geb., 17,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ländliche Unruhe: Sarah Kirsch und das liebe Vieh
Als Sarah Kirsch 1987 eine Lesung in Marbach hatte, war auch ihr Verlagschef zugegen, den sie launig den "Anstaltsleiter" nennt. Da konnte der "mal sehen, wie beliebt ich doch bin, weil er sich immer rausredet, er verstünde nichts von Gedichten". Ihre "Missions-" und "Alphabetisierungsreisen" sind überhaupt meist erfreulich, da gehen ihr die Worte "flott aus dem Maul", wenngleich sie es manchmal nur "für die Knete" macht. Einmal in Eutin muss sie sich aber über Buchhändler ärgern, die ihr glatt sagen, sie hätten lieber Christa Wolf dagehabt.
Zurück in Tielenhemme, in ihrem "Seelenländchen", ist Sarah Kirsch meist so fröhlich wie ihre Tiere. "Oh wie gut es mir geht! Ich besitze geschorene Schafe, einen Esel, einen Wagen mit Gummirädern an mein Fahrrad zu hängen und ein Dutzend weißgoldener Kaffeelöffelchen." Von ländlicher Ruhe kann aber keine Rede sein. "Lerchen brüllen den ganzen Tag, und Kiebitze quieken, Amseln und Drosseln flöten ihre Liedchen", allenthalben "Moorgeschrey". Auch nachts lauscht die Dichterin den Stimmen der Wildgänse und versteht sie mühelos: "Schwester es brennt."
Aus der DDR klingen gelegentlich auch tierische Laute herüber. "Die Schriftversteller" auf ihrem Kongress "quaken so viel sie noch wollen, indessen haut man die jungen normalen Bürger stark aufen Kopp". Über Land fahren ist aber viel "gescheuter als fortwährend über Miseren reden". Wie Uwe Barschel in die Badewanne gekommen ist, interessiert zwar kurz. Lieber aber wird dankbar über das gute Leben hierzulande gesprochen. "Göthens Geburtstag" fällt 1987 glücklich mit "10 Jahre Goldener Westen" zusammen, da gibt es Champagner für alle.
Besuch ist meist willkommen, die Katzen lieben das. Wenn er wieder geht, ist es auch schön, "wieder freie Bude zu haben". Besonders wenn ihr ein Schwadroneur wie Dieter E. Sattler mit seiner "zwanghaften Geltungssucht" auf die Nerven geht. Lieber unterhält sich die Dichterin mit ihrem Esel, der viel Liebe braucht. Er findet die Welt langweilig; "es lohnt sich nicht, ein Mensch zu sein". Damit kann er nur die Welt außerhalb des "Landgütleins" am Deich meinen, auf dem immer was zu tun ist. Hier im "leuchtenden Landstrich" ist selbst der Winter "große Klasse".
Die kleine Welt in "Krähengeschwätz" ordnet sich nach Märchengesetzen. Selbst die "Arbeitsmethode" der Dichterin erinnert an Aschenputtel. Manche Texte kommen in "ein Mäppchen für Gedichte, andere in eines für Prosa". Die gelegentlich erschütternde Naivität, mit der sich Sarah Kirsch in Notizen und Gedichten Mitte der achtziger Jahre als ein Wesen zwischen Pippi Langstrumpf und Allerleirauh entwirft, wird nur dem geneigten Leser als Einübung in eine selbstbestimmte Freiheit der Wahrnehmung kenntlich. Den "kleinen und großen Furchtbarkeiten" der DDR entronnen zu sein, ohne sich den Zwängen der Konsumgesellschaft zu unterwerfen, erscheint als des Glückes wahres Unterpfand.
FRIEDMAR APEL
Sarah Kirsch: "Krähengeschwätz". Deutsche Verlags-Anstalt, München 2010. 176 S., geb., 17,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Mit Begeisterung wirft Rezensentin Beatrice Eichmann-Leutenegger gemeinsam mit Sarah Kirsch einen Blick zurück in die Zeit zwischen März 1985 und Dezember 1987. Diese Lebensepisode nämlich verarbeitet die Autorin in ihrem neuen Tagebuchprosabändchen "Krähengeschwätz". Eigentlich sorgte sich Eichmann-Leutenegger, dass der provokanten Dichterin der Umzug von Berlin ins idyllisch-ländliche Schleswig-Holstein nicht sonderlich gut bekommen würde; ihre Prosaminiaturen beweisen jedoch das Gegenteil. "Luftig-leicht", unbekümmert und mit biologischem Fachwissen berichte Kirsch von ihrer Liebe zu Fauna und Flora und verwebe dies immer wieder mit einigen persänlichen Erinnerungen; dieses "mediative Einerlei" werde nur ab und zu durch einige politische Ereignisse unterbrochen: wenn es zum Beispiel um den "10. Schriftstellerkongress" im November 1987 ginge, könne Kirschs Ton durchaus auch schärfer ausfallen, bemerkt die Rezensentin. Abgesehen von einigen etwas albernen Wortspielen freut sich Eichmann-Leutenegger über ein "zauberhaftes" Buch, bestens geeignet für die "Aristokraten des höheren Müßiggangs", die in Momenten vollkommenen Glücks an die fernen Stimmen eines Hölderlins oder eines Goethes erinnert werden möchten.
© Perlentaucher Medien GmbH
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