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Vom überzeugten Marxisten zum kompetenten Kritiker des sozialistischen Wirtschaftssystems hat János Kornai die Nachkriegsgeschichte Ungarns miterlebt und miterlitten. An der ideologischen Vorbereitung der ungarischen Revolution von 1956 beteiligt, wurde er zu einem einflussreichen Theoretiker der Planwirtschaft, ihrer Reformunfähigkeit und der post-sozialistischen Transformation. Kornai arbeitete als Journalist und als Wirtschaftswissenschaftler. An der Budapester Universität durfte er nicht lehren, doch wurde er ordentlicher Professor an der Harvard Universität. Im halbjährlichen Rhythmus…mehr

Produktbeschreibung
Vom überzeugten Marxisten zum kompetenten Kritiker des sozialistischen Wirtschaftssystems hat János Kornai die Nachkriegsgeschichte Ungarns miterlebt und miterlitten. An der ideologischen Vorbereitung der ungarischen Revolution von 1956 beteiligt, wurde er zu einem einflussreichen Theoretiker der Planwirtschaft, ihrer Reformunfähigkeit und der post-sozialistischen Transformation. Kornai arbeitete als Journalist und als Wirtschaftswissenschaftler. An der Budapester Universität durfte er nicht lehren, doch wurde er ordentlicher Professor an der Harvard Universität. Im halbjährlichen Rhythmus pendelte er viele Jahre zwischen Budapest und Harvard und vermittelte zwischen östlichem Sachwissen und westlichem Fachwissen. "Kraft des Gedankens" ist der Bericht seiner lebenslangen intellektuellen Reise - eine subjektive Ergänzung zu seinem akademischen Werk.
Autorenporträt
János Kornai ist Professor em. für Ökonomie der Harvard Universität und Permanent Fellow em. des Collegium Budapest Institute for Advanced Study. Mitglied der Ungarischen Akademie der Wissenschaften und der Academia Europaea sowie ausländisches Mitglied der amerikanischen, britischen, bulgarischen, finnischen, russischen und schwedischen Akademien. Früherer Präsident der Econometric Society, der European Economic Association und der International Economic Association. Träger der höchsten ungarischen Auszeichnung für Wissenschaft sowie des Seidman Award (USA), des Humboldt-Preises (Deutschland), der Erasmus Medaille (Academia Europaea) und der Leontief Medaille (Russland). Offizier der französischen Eherenlegion. 14 Universitäten verliehen ihm ein Ehrendoktorat. János Kornais Forschung konzentrierte sich auf die kritische Analyse des sozialistischen Systems und der post-sozialistischen Transformation. Nach dem Zusammenbruch des Sozialismus in Osteuropa richtete sich seine Aufmerksa

mkeit auch auf die Wirtschaftspolitik, vor allem makro-ökonomische Probleme und Reformen des Wohlfahrtsstaates. Seine bekanntesten Bücher sind Overcentralization in Economic Administration (1957), Anti-Aequilibrium (1975), Economics of Shortage (1980), The Road to a Free Economy (1990), Das sozialistische System (1995), Unterwegs (1996), Struggle and Hope (1997), Welfare, Choice, and Solidarity in Transition (Koautorin Karen Eggleston, 2001), From Socialism to Capitalism (2008). Seine Arbeiten wurden in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.04.2012

Ein Grenzgänger
János Kornais faszinierende Autobiographie

Dies ist die faszinierende Autobiographie des Denkens eines Volkswirts mit einem singulären Werdegang. János Kornai wurde im Jahre 1928 geboren. Er besuchte bis 1942 die reichsdeutsche Schule in Budapest. Kornais Vater, ein angesehener Budapester Rechtsanwalt und Bewunderer Deutschlands, wurde von den Deutschen wegen seiner jüdischen Herkunft in Auschwitz ermordet. Sein Sohn überlebte in den Jahren 1944/45 mit knapper Not die Judenverfolgung in Budapest. So war der Einmarsch der Sowjets in Budapest für Kornai eine Befreiung. Unter dem Einfluss des geistigen Nachkriegsklimas wurde der damals siebzehnjährige János Kornai überzeugter Kommunist. Er las "Das Kapital" von Karl Marx Zeile für Zeile und entdeckte so auch seine Vorliebe für analytisches ökonomisches Denken. In den Folgejahren diente er der kommunistischen Sache als Journalist und als Leiter des Wirtschaftsressorts der Parteizeitung Szabad Nép. Er vertrat in seinen Artikeln die Parteilinie einer zentral gelenkten Befehlswirtschaft.

Nach Stalins Tod 1953 wurden viele Häftlinge des stalinistischen Rákosi-Regimes freigelassenen. Ein Gespräch im Jahre 1954 mit einem dieser freigelassen überzeugten Kommunisten wurde ein Schlüsselerlebnis für den 26 Jahre alten Kornai. Ihm wurde klar, dass das Regime der zentral gelenkten Befehlswirtschaft wesentlich auch die Unterdrückung abweichender Meinungen mit einschließen musste. So war die Folter zur Erpressung falscher "Geständnisse" der Zusammenarbeit mit dem Klassenfeind unverzichtbarer Bestandteil einer Befehlswirtschaft. Die Liberalisierung der Verhältnisse in Ungarn zwischen 1954 und Oktober 1956 machte aus dem Partei-Journalisten einen Wissenschaftler.

Er führte zahlreiche Tiefeninterviews mit Männern und Frauen der wirtschaftlichen Praxis. Mit dem Kádár-Regime der Unterdrückung der Revolution vom Oktober 1956 stand er in einem schlechten Verhältnis. Aber hinreichend viele liberale Kräfte behielten Einfluss, so dass Kornai seine inzwischen nicht-marxistischen Forschungen in engem Kontakt mit der wirtschaftlichen Praxis fortsetzen konnte. Dies gipfelte in seinem Buch "Overcentralization", das auch ins Englische übersetzt wurde und im Westen erhebliche Resonanz erfuhr.

Kornai wurde von westlichen Wirtschaftswissenschaftlern eingeladen - und die ungarischen Behörden erlaubten ihm diese Reisen. Er kam in intensiven Kontakt mit Malinvaud, Hicks, Koopmans, Hurwicz, Arrow, Tinbergen, später auch Tobin und Solow, sowie anderen hervorragenden Vertretern der mathematischen Ökonomie. Er arbeitete sich in die westliche Wirtschaftstheorie ein und konnte sie aufgrund seines ganz anderen Erfahrungshintergrunds glänzend kritisieren und weiter entwickeln. Dies geschah in seinem Buch "Anti-Equilibrium" mit der Grundthese, dass sowohl die zentral gesteuerte Befehlswirtschaft als auch die Marktwirtschaft Ungleichgewichtssysteme sind. Während in der Befehlswirtschaft eine ständige Übernachfrage nach Gütern besteht, ist in der Marktwirtschaft ein ständiges Überangebot auf den Warenmärkten strukturell angelegt. Die Reaktion der vorherrschenden Neoklassik war: "We are not amused". Das enttäuschte Kornai.

Indessen setzten sich die Einladungen fort - und Kornais Autobiographie ist in Teilen ein Lobgesang auf die Freiheit des Geistes an den angelsächsischen Spitzenuniversitäten wie Cambridge, Oxford, London School of Economics, Havard, MIT, Stanford und Princeton.

Kornais Abfall vom Marxismus veranlasste ihn nicht, Budapest den Rücken zu kehren. Trotz Widerstands der Parteibürokratie konnte er mit Billigung Kádárs zum Mitglied der Akademie der Wissenschaften gewählt werden. Ein Lehrstuhl an der Karl-Marx-Universität blieb ihm versagt, da deren Rektor Kornais Einfluss auf die Studenten fürchtete. Später teilten sich er und seine Frau ihre Zeit zwischen Budapest und Cambridge, Massachusetts.

Den wirtschaftlichen Reformbemühungen Kádárs stand Kornai skeptisch gegenüber, da er sich ganz vom Gedanken des Marktsozialismus abgewendet hatte. Für ihn kam der Zusammenbruch des befehlswirtschaftlichen Systems nach dem Beginn der Perestroika Gorbatschows keineswegs überraschend.

Trotz mannigfacher Unterbrechungen verfasste er in zehnjähriger Arbeit eine Gesamtdarstellung des befehlswirtschaftlichen Systems. Es erschien 1992 auf Englisch unter dem Titel "The Socialist System - The Political Economy of Communism". Hier wird klar der Zusammenhang zwischen dem politischen und dem wirtschaftlichen Lenkungssystem herausgearbeitet. Die zentral gesteuerte Befehlswirtschaft erfordert für ihr "Funktionieren" ein autoritäres Regime, dessen Struktur die Fortschrittsfähigkeit des wirtschaftlichen Regimes langfristig untergräbt. Dass das sowjetische System so lange fortexistieren konnte, lag an dem anfänglich vorhandenen religiös-idealistischen Enthusiasmus, der aber in Stalins Terror endete. Dem ausgereiften System im Osteuropa der fünfziger und sechziger Jahre mangelte systeminhärent die Fortschrittsdynamik. Die Versuche, diese durch Dezentralisierung und durch einen "Sozialismus mit menschlichem Antlitz" wiederzugewinnen, waren zum Scheitern verurteilt. Dieser Gesamtdarstellung eines vergangenen Regimes kommt der Rang eines "Klassikers" zu. Sein authentischer Charakter, der auf jeder Seite spürbar ist, beruht darauf, dass hier jemand schreibt, der das System selbst über Jahrzehnte "von innen" analysiert und erlitten hat. Gleiches gilt für die hier vorgestellt intellektuelle Autobiographie.

CARL CHRISTIAN VON WEIZSÄCKER.

János Kornai: Kraft des Gedankens.

Böhlau-Verlag, Wien-Köln-Weimar 2011. 515 Seiten. 35 Euro

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