Die Kraniche zählen zu den beeindruckendsten Vögeln überhaupt. Ihre faszinierenden Reisen finden nahezu überall auf der Welt Beachtung. Das großartige Schauspiel lässt sich auch hierzulande jedes Jahr aufs Neue beobachten, wenn die von Skandinavien kommenden Tiere sich auf den Weg in die südeuropäischen Winterquartiere machen: In einer V-förmigen Formation ziehen die eleganten Vögel laut trompetend über uns hinweg. Doch nicht nur der Tanz am Himmel, sondern auch die Gestalt des gefiederten Wanderers ist voller Anmut. Neben Schönheit, Wachsamkeit und Klugheit wird dem eleganten Vogel auch das Streben nach Harmonie und Zusammenhalt zugeschrieben. Zudem besitzt er einen ausgeprägten Familiensinn: Gewöhnlich bleiben die Paare ein Leben lang zusammen. Der Bildband von Klaus Nigge entführt in die faszinierende Welt jener scheuen Geschöpfe, die Glück und ein langes Leben verheißen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.08.2007Eine gute Zeit für Kraniche
In der Schulzeit gab es einen Freund, der hieß Alexander, mit Nachnamen "Urban". Es war im Sommer kurz vor den Ferien, da kam unsere Lehrerin auf die Idee, uns zu fragen, ob wir wüssten, woher unsere Namen stammen. Es meldete sich zuerst der Urban Alexander. "Von U-Bahn?!", rief er mit Stolz und ein wenig Zweifel in den Augen.
Als die Klasse schrie vor Lachen, liefen Alexanders Ohren rot an; dabei war sein Fehler ja verzeihlich, wir gingen noch zur Grundschule, und niemand hatte bisher Latein gelernt. Lebensweltlich lag die U-Bahn natürlich viel näher, und die meisten lachten Alexander auch nicht aus, weil sie etwa um die Existenz des lateinischen Wortes "urbs" wussten, sondern nur, weil sie ahnten, dass U-Bahnen jüngere Erfindungen sind als Namen. Und logisch war es nicht möglich, nach etwas zu heißen, was erst später erfunden wird. Es war diese kleine Gewissheit, die uns zur Schadenfreude reichte.
Mit dem Kranich (unsere Abbildung) mag es manchen Kindern ähnlich gehen wie Alexander mit der U-Bahn. Seinen Namen lieh der große Zugvogel nämlich dem "Kran", den riesenhaft aufragenden Maschinen also, die zwischen Frühjahr und Spätherbst die deutschen Baustellen besiedeln und sich in gelber Signalfarbe über der Stadtsilhouette erheben. "Gru" sagt der Italiener, "grulla" der Spanier und "crane" der Engländer. So unterschiedlich diese Namen in unseren Ohren klingen, sie sind doch alle der Versuch, den trompetenhaften Ruf des Zugvogels lautmalerisch wiederzugeben. Das deutsche Wort "Kranich" ähnelt am meisten dem "crane" im Englischen, wo die Baumaschine ihren Namen erhielt. Die Verbindung zwischen Vogel und Kran ist hier die Gestalt. Das Hochbeinige. Die Eleganz. Die Kraft.
Bisher galt, dass wohl die meisten Kinder mehr Kräne als Kraniche gesehen haben. Die Vorstellung, dass "Kranich" von "Kran" kommen könnte und nicht umgekehrt, wäre dann Ausdruck der traurigen Tatsache, dass es in Westdeutschland vor dreißig Jahren nur mehr vier brütende Paare gab. Anders aber als etwa die Großtrappe oder der Auerhahn geht die Geschichte vom Kranich gut weiter: In Westdeutschland brüten inzwischen Hunderte Paare, im Osten werden fast sämtliche geeignete Gebiete angeflogen. Areale in Holland, Frankreich und auf den Britischen Inseln, die über Jahrhunderte verwaist waren, werden derzeit wieder besiedelt.
"Es ist dies eine gute Zeit für Kraniche", schreibt im Vorwort der Fotograf Klaus Nigge, der zusammen mit Karl Schulze-Hagen einen atemraubend schönen Bildband dem Zugvogel gewidmet hat. Über verschiedene Stationen ist Klaus Nigge dem Kranich mit der Kamera gefolgt, und während in diesen Tagen bei uns monsunartige Regengüsse niedergehen, zeigen auch die Bilder Szenen aus Deutschland, wie man sie bisher nicht kannte. Brandenburg sieht aus wie Afrika, Stralsund wie Miami Beach.
Ganz nebenbei erzählen die Autoren klug und kurzweilig Wissenswertes über den Kranich. Vielleicht das Schönste zum Schluss: Der Kranich ist monogam, Paare bleiben ein Leben lang zusammen. Jedes Frühjahr aber legt das Männchen den Kopf in den Nacken, springt, singt und tanzt, um seiner alten Liebe zu imponieren. Überflüssig mag mancher diese Balz finden. Vorbildlich finden wir sie.
JULIA VOSS.
Klaus Nigge, Karl Schulze-Hagen (Hrsg.): "Kranich". Mit Fotobeiträgen von Anton Thielemann. Tecklenborg Verlag, Steinfurt 2007. 167 S., Abb., geb., 49,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
In der Schulzeit gab es einen Freund, der hieß Alexander, mit Nachnamen "Urban". Es war im Sommer kurz vor den Ferien, da kam unsere Lehrerin auf die Idee, uns zu fragen, ob wir wüssten, woher unsere Namen stammen. Es meldete sich zuerst der Urban Alexander. "Von U-Bahn?!", rief er mit Stolz und ein wenig Zweifel in den Augen.
Als die Klasse schrie vor Lachen, liefen Alexanders Ohren rot an; dabei war sein Fehler ja verzeihlich, wir gingen noch zur Grundschule, und niemand hatte bisher Latein gelernt. Lebensweltlich lag die U-Bahn natürlich viel näher, und die meisten lachten Alexander auch nicht aus, weil sie etwa um die Existenz des lateinischen Wortes "urbs" wussten, sondern nur, weil sie ahnten, dass U-Bahnen jüngere Erfindungen sind als Namen. Und logisch war es nicht möglich, nach etwas zu heißen, was erst später erfunden wird. Es war diese kleine Gewissheit, die uns zur Schadenfreude reichte.
Mit dem Kranich (unsere Abbildung) mag es manchen Kindern ähnlich gehen wie Alexander mit der U-Bahn. Seinen Namen lieh der große Zugvogel nämlich dem "Kran", den riesenhaft aufragenden Maschinen also, die zwischen Frühjahr und Spätherbst die deutschen Baustellen besiedeln und sich in gelber Signalfarbe über der Stadtsilhouette erheben. "Gru" sagt der Italiener, "grulla" der Spanier und "crane" der Engländer. So unterschiedlich diese Namen in unseren Ohren klingen, sie sind doch alle der Versuch, den trompetenhaften Ruf des Zugvogels lautmalerisch wiederzugeben. Das deutsche Wort "Kranich" ähnelt am meisten dem "crane" im Englischen, wo die Baumaschine ihren Namen erhielt. Die Verbindung zwischen Vogel und Kran ist hier die Gestalt. Das Hochbeinige. Die Eleganz. Die Kraft.
Bisher galt, dass wohl die meisten Kinder mehr Kräne als Kraniche gesehen haben. Die Vorstellung, dass "Kranich" von "Kran" kommen könnte und nicht umgekehrt, wäre dann Ausdruck der traurigen Tatsache, dass es in Westdeutschland vor dreißig Jahren nur mehr vier brütende Paare gab. Anders aber als etwa die Großtrappe oder der Auerhahn geht die Geschichte vom Kranich gut weiter: In Westdeutschland brüten inzwischen Hunderte Paare, im Osten werden fast sämtliche geeignete Gebiete angeflogen. Areale in Holland, Frankreich und auf den Britischen Inseln, die über Jahrhunderte verwaist waren, werden derzeit wieder besiedelt.
"Es ist dies eine gute Zeit für Kraniche", schreibt im Vorwort der Fotograf Klaus Nigge, der zusammen mit Karl Schulze-Hagen einen atemraubend schönen Bildband dem Zugvogel gewidmet hat. Über verschiedene Stationen ist Klaus Nigge dem Kranich mit der Kamera gefolgt, und während in diesen Tagen bei uns monsunartige Regengüsse niedergehen, zeigen auch die Bilder Szenen aus Deutschland, wie man sie bisher nicht kannte. Brandenburg sieht aus wie Afrika, Stralsund wie Miami Beach.
Ganz nebenbei erzählen die Autoren klug und kurzweilig Wissenswertes über den Kranich. Vielleicht das Schönste zum Schluss: Der Kranich ist monogam, Paare bleiben ein Leben lang zusammen. Jedes Frühjahr aber legt das Männchen den Kopf in den Nacken, springt, singt und tanzt, um seiner alten Liebe zu imponieren. Überflüssig mag mancher diese Balz finden. Vorbildlich finden wir sie.
JULIA VOSS.
Klaus Nigge, Karl Schulze-Hagen (Hrsg.): "Kranich". Mit Fotobeiträgen von Anton Thielemann. Tecklenborg Verlag, Steinfurt 2007. 167 S., Abb., geb., 49,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Julia Voss verschlägt es nach eigenen Angaben den Atem angesichts der berückenden Fotos zu diesem Bildband über den Kranich. Sie ist bezaubert von den Aufnahmen, die die Zugvögel in Deutschland festhalten und die dem Land ein geradezu exotisches Aussehen geben, wie sie findet. Dass man en passant auch noch viel Informatives über den Kranich erfährt, das zudem durchaus unterhaltsam aufgeboten wird, freut sie besonders. Und richtig euphorisch wird sie, als sie aus dem Band erfährt, dass Kraniche ihr Leben lang ihrem Partner treu bleiben und sich das Männchen dennoch jedes Frühjahr wieder balzend für seine Partnerin ins Zeug legt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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