Uber 100 Jahre einer auf den Grundsatz der Solidaritiit gegriindeten Sozial gesetzgebung in Deutschland haben dem Thema "Krankheit und soziale Un gleichheit" die einstige Brisanz genommen. Die mittlere Lebenserwartung der hier Geborenen hat sich in dieser Zeit verdoppelt und der im Rahmen der So zialversicherung fur Jedermann erreichbare medizinische Leistungsstandard braucht den internationalen Vergleich nicht zu scheuen. Obwohl tiber 90% der Bevolkerung durch die gesetzliche Krankenversicherung geschutzt sind, ist heute das Erscheinungsbild trotz aller Leistungsfahigkeit des Systems nicht ungetrubt: Das Gesundheitssystem ist nicht durch mangelnde Leistungsfahig keit bedroht, sondern durch Strukturen, die zu wenig Augenmerk auf die inne re Rationalitiit richten. Ein so unfinanzierbares System wurde sich selbst zer storen (N. BlUm, 1987). In gesundheitspolitischen Diskussionen ist deshalb die Finanzierbarkeit der Krankenversicherung das fast ausschlieBliche Thema, denn bei etwa gleichbleibender Lebenserwartung und gleichbleibendem Kran kenstand in den letzten Jahren sind die Kosten des Gesundheitswesens drama tisch gestiegen. Dagegen spielt die Beeintriichtigung der Gesundheit einzelner BevOikerungsgruppen durch ihre soziale Lage in der offentlichen Diskussion keine oder nur eine sehr nachgeordnete Rolle. In der in letzter Zeit zunehmend hitziger geflihrten gesundheitspolitischen Debatte urn die Zukunft der sozialen Absicherung von Krankheit, die gegen wfutig im Streit der zustiindigen Gesundheitspolitiker mit Funktionaren und Standesvertretern der Arzte- und Apothekerschaft, der Pharmaindustrie und den Krankenkassen urn das Gesetz zur Gesundheitsstrukturreform einen ge wissen Hohepunkt erreicht hat, kommen die Betroffenen eigentlich nicht zu Wort, weder in der Rolle als Beitragszahler noch in der als Patienten, also Leistungsnehmer.