Entscheidungsträger aller Ebenen entdecken den Begriff der Kreativwirtschaft: Von der Wirtschafts- und Innovationspolitik über die Bildungspolitik bis zur Stadtentwicklung wird Kreativwirtschaft als Erfolgsmodell bezeichnet. Strategien der Umsetzung in die reale Praxis jedoch bleiben vage. Immer dringender wird der Wunsch nach konkreten, umsetzbaren Ansätzen.
Die vorliegende Publikation versucht, eine längst nötig gewordene Übersicht über die Begrifflichkeit und die Spezifika dieses Branchenkomplexes herzustellen. Dazu analysiert sie den internationalen Diskurs, leitet Modelle ab und zieht daraus Schlüsse für die Diskussion in der Schweiz. Ein besonderes Gewicht wird auf das bislang kaum untersuchte Innovationspotential der Kreativszene und deren Dynamik für die gesamte Kreativwirtschaft gelegt. Zentral präsentiert die Publikation aktuellste empirisch-statistische Analysen zu den einzelnen Teilmärkten der Kreativwirtschaft in der Schweiz und vergleichend zu Europa.
Die vorliegende Publikation versucht, eine längst nötig gewordene Übersicht über die Begrifflichkeit und die Spezifika dieses Branchenkomplexes herzustellen. Dazu analysiert sie den internationalen Diskurs, leitet Modelle ab und zieht daraus Schlüsse für die Diskussion in der Schweiz. Ein besonderes Gewicht wird auf das bislang kaum untersuchte Innovationspotential der Kreativszene und deren Dynamik für die gesamte Kreativwirtschaft gelegt. Zentral präsentiert die Publikation aktuellste empirisch-statistische Analysen zu den einzelnen Teilmärkten der Kreativwirtschaft in der Schweiz und vergleichend zu Europa.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.04.2008Der Staat weiß nicht, wer da geigt
Ein kluges, gründliches Buch zu einer zwar bürokratischen, aber noch unscharfen Debatte: Der jüngste Kulturwirtschaftsbericht der Schweiz
Die Formeln „Kreativwirtschaft” und „Kulturwirtschaft” befeuern seit etwa Mitte der achtziger Jahre die kulturpolitischen und volkswirtschaftlichen Debatten. Die zugehörige Terminologie hat ihren Ursprung in der Mitte der Siebziger – in den französischen „pouvoirs publics” und den eher handelspolitisch geprägten „arts and culture industries” aus Kanada (letztere sollten eine Front gegenüber dem übermächtigen Nachbarn USA markieren). Von einer theoretischen Systematisierung sind Kreativ- wie Kulturwirtschaft jedoch noch weit entfernt. Die Diskussionen drehen sich im Kreis, jedoch haben Entscheidungsträger aller Ebenen diese Begriffe entdeckt.
Die Vorlage eines Kulturwirtschaftsberichts gehört in den deutschen Bundesländern inzwischen (seit 1992, Nordrhein-Westfalen machte den Anfang) trotzdem nahezu zum Pflichtprogramm. Die systematischen Mängel werden mit jeder neuen Vorlage offenbarer. Das Thema hat die Wirtschaftsministerkonferenz erreicht. Der Beauftragte für Kultur und Medien in Berlin hat jüngst ein eigenes Referat für Kulturwirtschaft eingerichtet, die Tagungen und Kongresse werden zahlreicher (und nehmen ein Referentenkarussell in Kauf), Beratungsbüros wittern Morgenluft.
Europaweit setzt die die Kultur- oder Kreativwirtschaft gut 550 Milliarden Euro um – damit liegt sie zwischen Chemie und Energie, nur die Automobilindustrie und die Ernährungswirtschaft setzen mehr um. Das reicht aus, um dem Thema Aufmerksamkeit zu sichern, die volkswirtschaftliche Bedeutung anzuerkennen, entsprechende Produktions-, Lobby- und Marketingarbeit zu leisten. Jedoch sind bei diesem Thema kulturelle, kulturpolitische, statistische und volkswirtschaftliche Bedingungen zu berücksichtigen, die den Zugang zur Materie schwieriger machen. Zunächst erstreckt sich die volkswirtschaftliche Dimension von Kultur und Kreativität erheblich stärker als die anderer Wirtschaftszweige auf alle drei gesellschaftlichen Sektoren: den öffentlichen Sektor, die freie Wirtschaft und die Bürgerschaftlichkeit. Das macht sich zum Beispiel darin bemerkbar, dass Kulturleistungen, die in öffentlichen Haushalten abgerechnet werden, in den Statistiken zur Umsatzsteuer nur selten erscheinen.
Das „Drei-Sektoren-Modell”, das solchen Schwierigkeiten Rechnung trägt, wird zwar gegenwärtig als System-Grundlage diskutiert, hat sich aber noch nicht endgültig durchgesetzt. Kulturpolitisch ist das Thema darüber hinaus auch verführerisch als Stellvertreterdebatte: Wenn die Kulturwirtschaft brummt, kann es der Kultur so schlecht nicht gehen – und man kann mit Fug ein paar öffentliche Mittel dafür sparen.
Darüber hinaus ist vieles, was mit Kultur oder Kreativität zu tun hat, auf schon notorische Weise kleinteilig. Nehmen wir ein Beispiel: Eine Geigerin, die in einem als gemeinnützige GmbH verfassten städtischen Symphonieorchester spielt, gibt auch privat Musikstunden. Mit dem Unterricht verdient sie weniger als 17 500 Euro im Jahr und befindet sich also unterhalb der Umsatzsteuerpflicht – und damit außerhalb der Statistik. Da aber auch der gemeinnützige Umsatz des Orchesters außerhalb bleibt, wird ihre gesamte wirtschaftliche Existenz nicht angemessen erfasst. Und so ist es überall: Ein großer Teil der kultur-/kreativwirtschaftlichen Umsätze sind steuerlich wie volkswirtschaftlich bislang nur vage zu schätzen, nicht aber zu ermessen.
Dieses Problem hat auch eine sozialpolitische Seite: Mitten in dieser volkswirtschaftlichen Grauzone arbeitet das Prekariat. Die durchaus respektablen Gesamtumsatzzahlen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass europaweit Künstler aller Sparten als Kleinstunternehmer häufig am Existenzminimum leben. Da spendet die (ihrerseits vollkommen richtige) betriebswirtschaftliche Nachricht wenig Trost, die nüchtern feststellt, dass der klassische Wertschöpfungsansatz „Entwicklung – Produktion – Distribution – Konsumption” für Kultur-/Kreativwirtschaft nicht taugt und durch Modelle komplexer Abhängigkeiten ersetzt werden sollte, welche auch die Produktion symbolischer und nicht reproduzierbarer Werte berücksichtigen.
In dieser Gemengelage kommt eine Schweizer Publikation, entstanden im Umfeld der Zürcher Hochschule der Künste, sehr gelegen und verdient große Aufmerksamkeit; zwei der Autoren, Christoph Weckerle und Michael Söndermann, haben schon den Kulturwirtschaftsbericht Schweiz 2003 verfasst, Söndermann gilt im deutschsprachigen Raum als kundigster Mann zum Thema. Die Ansätze einer die Kulturwirtschaft im weltwirtschaftlichen Kontext erklärenden Systematik (Kunst und Kultur als Branche; Kreativbranchen; Kreativität in der Wirtschaft lauten die Oberkategorien) stimmen, die statistische Zuordnung von dreizehn Teilmärkten zu den drei durch die EU-Kommission definierten statistischen Abgrenzungen (1. Publishing, printing and reproduction of recorded media, 2. Recreational and cultural activities, 3. Other business activities) erschließt das gesamte Feld. Söndermann, Gerig, Weckerle können die Gesamtproblematik in einer bisher einmaligen Form darstellen; sie trennen die Begriffe Kreativität, Kunst, Kultur präzise und machen auf deren jeweils soziale, historische, (aus-)bildungsbezogene und wirtschaftliche Kontexte aufmerksam. Sie machen Vorschläge für ein kulturwirtschaftlich orientiertes, systematisches Miteinander von Wirtschaftspolitik, wissensbasierter Ökonomie, Regionalpolitik, Bildungspolitik, Kulturpolitik, Sozialpolitik. Kultur kann sich darin als gleichberechtigter Faktor einer gesellschaftlichen Infrastruktur wiedererkennen: das könnte ihr bisheriges, eher einfaches Selbstverständnis als das gern behauptete allgemeine Gute in anspruchsvollere Richtungen lenken.
In der Schweiz wie in Deutschland arbeiten etwa 3,2 Prozent der Gesamterwerbstätigen im Kultur-/Kreativsektor; in absoluten Zahlen liegt Deutschland jedoch mit knapp einer Million dort Beschäftigter auf dem ersten Platz unter den europäischen Staaten (knapp darunter Großbritannien, dann Frankreich; Schweiz knapp 100 000). Allein dies ist Grund genug, diesen Beitrag zu Systematisierung, Versachlichung und Vernetzung aus der Schweiz genau zur Kenntnis zu nehmen. STEPHAN OPITZ
CHRISTOPH WECKERLE, MANFRED GERIG, MICHAEL SÖNDERMANN: Kreativwirtschaft Schweiz. Daten, Modelle, Szene. Basel , Birkhäuser Verlag 2008. 160 Seiten, 46,46 Euro.
Die Kultur, der drittgrößte Wirtschaftszweig in ganz Europa
Ein Rechnungswesen für das allgemeine Gute
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Ein kluges, gründliches Buch zu einer zwar bürokratischen, aber noch unscharfen Debatte: Der jüngste Kulturwirtschaftsbericht der Schweiz
Die Formeln „Kreativwirtschaft” und „Kulturwirtschaft” befeuern seit etwa Mitte der achtziger Jahre die kulturpolitischen und volkswirtschaftlichen Debatten. Die zugehörige Terminologie hat ihren Ursprung in der Mitte der Siebziger – in den französischen „pouvoirs publics” und den eher handelspolitisch geprägten „arts and culture industries” aus Kanada (letztere sollten eine Front gegenüber dem übermächtigen Nachbarn USA markieren). Von einer theoretischen Systematisierung sind Kreativ- wie Kulturwirtschaft jedoch noch weit entfernt. Die Diskussionen drehen sich im Kreis, jedoch haben Entscheidungsträger aller Ebenen diese Begriffe entdeckt.
Die Vorlage eines Kulturwirtschaftsberichts gehört in den deutschen Bundesländern inzwischen (seit 1992, Nordrhein-Westfalen machte den Anfang) trotzdem nahezu zum Pflichtprogramm. Die systematischen Mängel werden mit jeder neuen Vorlage offenbarer. Das Thema hat die Wirtschaftsministerkonferenz erreicht. Der Beauftragte für Kultur und Medien in Berlin hat jüngst ein eigenes Referat für Kulturwirtschaft eingerichtet, die Tagungen und Kongresse werden zahlreicher (und nehmen ein Referentenkarussell in Kauf), Beratungsbüros wittern Morgenluft.
Europaweit setzt die die Kultur- oder Kreativwirtschaft gut 550 Milliarden Euro um – damit liegt sie zwischen Chemie und Energie, nur die Automobilindustrie und die Ernährungswirtschaft setzen mehr um. Das reicht aus, um dem Thema Aufmerksamkeit zu sichern, die volkswirtschaftliche Bedeutung anzuerkennen, entsprechende Produktions-, Lobby- und Marketingarbeit zu leisten. Jedoch sind bei diesem Thema kulturelle, kulturpolitische, statistische und volkswirtschaftliche Bedingungen zu berücksichtigen, die den Zugang zur Materie schwieriger machen. Zunächst erstreckt sich die volkswirtschaftliche Dimension von Kultur und Kreativität erheblich stärker als die anderer Wirtschaftszweige auf alle drei gesellschaftlichen Sektoren: den öffentlichen Sektor, die freie Wirtschaft und die Bürgerschaftlichkeit. Das macht sich zum Beispiel darin bemerkbar, dass Kulturleistungen, die in öffentlichen Haushalten abgerechnet werden, in den Statistiken zur Umsatzsteuer nur selten erscheinen.
Das „Drei-Sektoren-Modell”, das solchen Schwierigkeiten Rechnung trägt, wird zwar gegenwärtig als System-Grundlage diskutiert, hat sich aber noch nicht endgültig durchgesetzt. Kulturpolitisch ist das Thema darüber hinaus auch verführerisch als Stellvertreterdebatte: Wenn die Kulturwirtschaft brummt, kann es der Kultur so schlecht nicht gehen – und man kann mit Fug ein paar öffentliche Mittel dafür sparen.
Darüber hinaus ist vieles, was mit Kultur oder Kreativität zu tun hat, auf schon notorische Weise kleinteilig. Nehmen wir ein Beispiel: Eine Geigerin, die in einem als gemeinnützige GmbH verfassten städtischen Symphonieorchester spielt, gibt auch privat Musikstunden. Mit dem Unterricht verdient sie weniger als 17 500 Euro im Jahr und befindet sich also unterhalb der Umsatzsteuerpflicht – und damit außerhalb der Statistik. Da aber auch der gemeinnützige Umsatz des Orchesters außerhalb bleibt, wird ihre gesamte wirtschaftliche Existenz nicht angemessen erfasst. Und so ist es überall: Ein großer Teil der kultur-/kreativwirtschaftlichen Umsätze sind steuerlich wie volkswirtschaftlich bislang nur vage zu schätzen, nicht aber zu ermessen.
Dieses Problem hat auch eine sozialpolitische Seite: Mitten in dieser volkswirtschaftlichen Grauzone arbeitet das Prekariat. Die durchaus respektablen Gesamtumsatzzahlen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass europaweit Künstler aller Sparten als Kleinstunternehmer häufig am Existenzminimum leben. Da spendet die (ihrerseits vollkommen richtige) betriebswirtschaftliche Nachricht wenig Trost, die nüchtern feststellt, dass der klassische Wertschöpfungsansatz „Entwicklung – Produktion – Distribution – Konsumption” für Kultur-/Kreativwirtschaft nicht taugt und durch Modelle komplexer Abhängigkeiten ersetzt werden sollte, welche auch die Produktion symbolischer und nicht reproduzierbarer Werte berücksichtigen.
In dieser Gemengelage kommt eine Schweizer Publikation, entstanden im Umfeld der Zürcher Hochschule der Künste, sehr gelegen und verdient große Aufmerksamkeit; zwei der Autoren, Christoph Weckerle und Michael Söndermann, haben schon den Kulturwirtschaftsbericht Schweiz 2003 verfasst, Söndermann gilt im deutschsprachigen Raum als kundigster Mann zum Thema. Die Ansätze einer die Kulturwirtschaft im weltwirtschaftlichen Kontext erklärenden Systematik (Kunst und Kultur als Branche; Kreativbranchen; Kreativität in der Wirtschaft lauten die Oberkategorien) stimmen, die statistische Zuordnung von dreizehn Teilmärkten zu den drei durch die EU-Kommission definierten statistischen Abgrenzungen (1. Publishing, printing and reproduction of recorded media, 2. Recreational and cultural activities, 3. Other business activities) erschließt das gesamte Feld. Söndermann, Gerig, Weckerle können die Gesamtproblematik in einer bisher einmaligen Form darstellen; sie trennen die Begriffe Kreativität, Kunst, Kultur präzise und machen auf deren jeweils soziale, historische, (aus-)bildungsbezogene und wirtschaftliche Kontexte aufmerksam. Sie machen Vorschläge für ein kulturwirtschaftlich orientiertes, systematisches Miteinander von Wirtschaftspolitik, wissensbasierter Ökonomie, Regionalpolitik, Bildungspolitik, Kulturpolitik, Sozialpolitik. Kultur kann sich darin als gleichberechtigter Faktor einer gesellschaftlichen Infrastruktur wiedererkennen: das könnte ihr bisheriges, eher einfaches Selbstverständnis als das gern behauptete allgemeine Gute in anspruchsvollere Richtungen lenken.
In der Schweiz wie in Deutschland arbeiten etwa 3,2 Prozent der Gesamterwerbstätigen im Kultur-/Kreativsektor; in absoluten Zahlen liegt Deutschland jedoch mit knapp einer Million dort Beschäftigter auf dem ersten Platz unter den europäischen Staaten (knapp darunter Großbritannien, dann Frankreich; Schweiz knapp 100 000). Allein dies ist Grund genug, diesen Beitrag zu Systematisierung, Versachlichung und Vernetzung aus der Schweiz genau zur Kenntnis zu nehmen. STEPHAN OPITZ
CHRISTOPH WECKERLE, MANFRED GERIG, MICHAEL SÖNDERMANN: Kreativwirtschaft Schweiz. Daten, Modelle, Szene. Basel , Birkhäuser Verlag 2008. 160 Seiten, 46,46 Euro.
Die Kultur, der drittgrößte Wirtschaftszweig in ganz Europa
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Obwohl Kreativ- und Kulturwirtschaft ein immer wichtigerer Faktor in wirtschaftlichen Debatten wird, fehlt bislang deren systematische und wirtschaftstheoretische Erfassung, konstatiert Stefan Opitz, der deshalb den Kulturwirtschaftsbericht der Schweiz, den Christoph Weckerle, Manfred Gerig und Michael Söndermann jetzt vorgelegt haben, auch für Deutschland als wegweisend begrüßt. Sowohl die systematische Einbettung in den weltwirtschaftlichen Kontext als auch die in 13 Rubriken betrachtete Statistik der Kreativwirtschaft überzeugt den Rezensenten, und er erhofft sich davon, dass Kulturwirtschaft, in der immerhin 3,2 Prozent der gesamten Erwerbstätigen arbeiten, künftig systematischer und genauer erfasst werden kann.
© Perlentaucher Medien GmbH
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