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Blick ins BuchDer Kredit gilt gemeinhin als neutrale Transaktion, die dazu dient, ökonomische Akteure möglichst effizient und profitabel miteinander zu vernetzen. In der realistischen Erzählliteratur des 19. Jahrhunderts zeichnet sich jedoch ein ganz anderes Bild ab: Kreditfiktionen von Autorinnen und Autoren wie Honoré de Balzac, Gustave Flaubert, George Eliot, Gottfried Keller oder Herman Melville präsentieren den Kredit als volatile und ruinöse Fiktion, die soziale Reibungen und Konflikte erzeugt und die Realität selbst in ein verkäufliches Gut ummünzt. So kristallisiert sich in Texten des…mehr

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Produktbeschreibung
Blick ins BuchDer Kredit gilt gemeinhin als neutrale Transaktion, die dazu dient, ökonomische Akteure möglichst effizient und profitabel miteinander zu vernetzen. In der realistischen Erzählliteratur des 19. Jahrhunderts zeichnet sich jedoch ein ganz anderes Bild ab: Kreditfiktionen von Autorinnen und Autoren wie Honoré de Balzac, Gustave Flaubert, George Eliot, Gottfried Keller oder Herman Melville präsentieren den Kredit als volatile und ruinöse Fiktion, die soziale Reibungen und Konflikte erzeugt und die Realität selbst in ein verkäufliches Gut ummünzt. So kristallisiert sich in Texten des Realismus ein wildes Wissen über die ontologischen, epistemologischen und gesellschaftlichen Verwerfungen der Schuldenwirtschaft heraus.
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Autorenporträt
Philippe Roepstorff-Robiano arbeitet als freier Autor, Lektor, Übersetzer und Deutschlehrer in Berlin.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.03.2021

Lady
Debit
Eine kleine Literaturgeschichte
der Schulden
Längst ist die Illusion verflogen, die Rationalität hätte im Wirtschaftsleben ein festes Fundament. Zu ihr gehörte die Vorstellung, der Kapitalismus habe seit der Frühen Neuzeit die Leidenschaften in die Interessen des homo oeconomicus verwandelt, der seine Erfolge nüchterner Kalkulation verdankt.
Zur Erosion dieser Vorstellung haben in jüngerer Zeit nicht zuletzt die Finanzkrisen und Finanzskandale beigetragen. Der Fall des Dax-Unternehmens Wirecard verdankt sein Beunruhigungspotenzial zwar auch der kriminellen Energie der Protagonisten beim Aufbau ihrer Fiktionen, vor allem aber der Einsicht, wie lange es dauerte, bis ihr Vertrauenskredit – auch bei den Kontrollorganen – aufgebraucht war.
Für Fiktionen ist die Literatur eine Spezialistin, das gilt zumal für die Romane des 19. Jahrhunderts. Meist werden sie in das Regal „bürgerlicher Realismus“ eingeordnet, aber wer sie liest, landet in einer Welt, in der es bürgerliche Solidität nicht gibt und die Wirklichkeit Illusionen nur zerstört, um neue zu produzieren. Sehr willkommen ist als Hintergrundlektüre zum Wirecard-Skandal die literaturwissenschaftliche Dissertation „Kreditfiktionen“ von Philippe Roepstorff-Robiano, ein glänzend geschriebener Streifzug durch Werke von Balzac, Flaubert und Zola, George Eliot, Herman Melville und Henry David Thoreau, Gottfried Keller, Gustav Freytag und Wilhelm Raabe.
Als materielle Transformation der äußeren Welt, die mit den Eisenbahnen, Großstädten und Fabriken als neuen Akteur das Proletariat hervorbringt, erschien die Industrielle Revolution den Zeitgenossen. Wie ein Spürhund heftet sich Roepstorff-Robiano auf die Fährte, die zur anderen Seite dieser Transformation führt, in die Welt der Schulden, des Ruins, der Börsenkräche und Bankrotte, der Pfandleiher und Wechselgeschäfte.
An der Figur des Pariser Dandys interessiert ihn nicht lediglich das lässige Halstuch oder das Eis, das er im Café Procope schlürft, sondern vor allem wie er es schafft, seine Rechnungen unbezahlt zu lassen. Er misst den Kreditrahmen der Figuren aus und zeichnet nach, welche ästhetischen Operationen die realistischen Romane vollziehen müssen, um Lebensverhältnisse darstellen zu können, in denen Finanzoperationen zunehmend an Einfluss gewinnen. Balzacs Theorie des Schuldenmachens stammt von einem Autor, der zugleich Unternehmer war. Sie leitet den Spürhund ins Innere der „Comédie humaine“, wo er das Kreditnetzwerk sichtbar macht, das sie zusammenhält.
Frédéric Moreau, Held in Flauberts Romans „L’Éducation sentimentale“ und Sohn einer schuldenbelasteten Mutter, erweist sich bis in die Details seiner Lebens- und Liebesgeschichten als vom Verhältnis zum Geld geprägt, aus Gottfried Kellers Erzählung „Kleider machen Leute“ wird „Kleider machen Kredit“ und im Rückgriff auf Daniel Defoe, der den Begriff „Lady Debit“ prägte, zeigt Roepstorff-Robiano, wie die Frauen als Heiratskandidatinnen Kreditversprechen sind und als Ehebrecherinnen wie Madame Bovary ideale Schuldnerinnen. Sein gedankenfunkelndes Buch hat nur einen Nachteil. Es ist zu teuer. Eine Taschenbuchausgabe ist ihm dringend zu wünschen.
LOTHAR MÜLLER
Philippe Roepstorff-Robiano: Kreditfiktionen. Der literarische Realismus und die Kunst, Schulden zu erzählen.
Wilhelm Fink Verlag,
Paderborn, 2020.
336 Seiten, 72 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Lothar Müller liest Philippe Roepstorff-Robianos Dissertation über das Thema Schulden und Kredit in der Literatur auch als Hintergrundinfo zum Wirecard-Skandal. Das laut Müller "glänzend" verfasste Buch führt ihn aber vor allem durch Werke von Balzac, Keller, Melville und Zola, um zu zeigen, wie die Finanzwelt und ihre komplexen Operationen jeweils ästhetisch umgesetzt werden. Wenn der Dandy im Roman sein Eis schlürft, denkt Müller fortan darüber nach, wie er das finanziert, und in Madame Bovary erkennt er die "ideale Schuldnerin". Für diese Erweiterung des Blicks ist Müller dem Autor dankbar.

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