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"Auch Totsein ist eine Kunst", hat der einstige George-Jünger Max Kommerell einmal bemerkt. Stefan George hat diese Kunst meisterhaft beherrscht. Wo andere Dichter eine Rezeptionsgeschichte haben, da hat er ein Nachleben. Eines, das es in sich hat. Ulrich Raulff legt in seinem fulminant geschriebenen Buch die postume Biographie Georges frei, die es noch zu entdecken gilt. Spannend, kurios, exzentrisch, schräg, zugleich akribisch recherchiert, erzählt es die Geschichte eines einzigartigen Kreises voll illustrer Charaktere, der langsam zerfällt, Allianzen bildet und Feindschaften pflegt, um…mehr

Produktbeschreibung
"Auch Totsein ist eine Kunst", hat der einstige George-Jünger Max Kommerell einmal bemerkt. Stefan George hat diese Kunst meisterhaft beherrscht. Wo andere Dichter eine Rezeptionsgeschichte haben, da hat er ein Nachleben. Eines, das es in sich hat.
Ulrich Raulff legt in seinem fulminant geschriebenen Buch die postume Biographie Georges frei, die es noch zu entdecken gilt. Spannend, kurios, exzentrisch, schräg, zugleich akribisch recherchiert, erzählt es die Geschichte eines einzigartigen Kreises voll illustrer Charaktere, der langsam zerfällt, Allianzen bildet und Feindschaften pflegt, um Deutungshoheit und Treue ringt und dabei vom annus horribilis 1933 bis zum Satyrspiel 1968 beinahe nebenher eine höchst außergewöhnliche Wirkungsgeschichte entfaltet. Eine abgründige Ideengeschichte, eine kaputte Apostelgeschichte und ein Lesevergnügen der exquisiten Art.
Autorenporträt
Ulrich Raulff, geb. 1950, Studium der Philosophie und Geschichte. Ab 1997 Feuilletonchef der FAZ; 2001-2004 Leitender Redakteur im Feuilleton der SZ. Seit 2004 Direktor des Deutschen Literaturarchivs Marbach. Träger des Anna-Krüger-Preis des Wissenschaftskollegs in Berlin für wissenschaftliche Prosa (1996) und des Hans-Reimer-Preises der Aby-Warburg-Stiftung (1997).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.09.2009

Gedichte, darin sich Schicksale kreuzen

Hier war Delphi: Ulrich Raulff hat mit seinem Meisterwerk über das Nachleben Stefan Georges eine deutsche Bildungsgeschichte geschrieben - gelehrt und unterhaltsam zugleich.

Von Lorenz Jäger

Was für ein Wurf! Das Wagnis, die Geschichte eines charismatischen Dichters und seines Kreises ganz aus der Perspektive der Nachwirkung oder besser der Nachbeben zu schildern, ist noch kaum einer so bewusst eingegangen. "Langsam wurde der Atem schwächer, und am Montag, dem 4. Dezember 1933, stand das Herz still." Diese Aufzeichnung Robert Boehringers aus dem schweizerischen Minusio ist der Ausgangspunkt von Ulrich Raulffs Buch. Sicher, die Erforschung des "Nachlebens der Werke" hatte schon Walter Benjamin als Aufgabe der Literaturwissenschaft gefordert, nur um sie seinerseits dann nicht einzulösen. Und die Idee, die kanonisierende Feier der Großen durch eine Literatursoziologie ihres Ruhms sei es zu rechtfertigen, sei es zu unterhöhlen, gab es schon früher. Friedrich Gundolfs "Cäsar" hatte den Untertitel: "Geschichte seines Ruhms".

Und sagen wir es gleich; das Wagnis ist geglückt, ja es ist für den Leser beglückend. Nur deshalb, weil es im Kreis um George eben doch Brücken zu einer methodisch reflektierten Geschichtsschreibung gab, nicht nur die Schwabinger Dante- und Dionysos-Kostümfeste, war die Anknüpfung für Raulff, den Leiter des Deutschen Literaturarchivs in Marbach, möglich. Der Stoff ist aber auch danach. Kein leises Verdämmern einer Tradition sehen wir, die nach dem Tod des Meisters zu vergilben beginnt, sondern eine Geschichte der Deutungskämpfe, die bis in die höchste Politik reichen. Naturgemäß muss hier der Name Stauffenberg fallen. Der Hitler-Attentäter stand mit seinen Brüdern Bertold und Alexander an Georges Totenbett. Und als der Major Remer am Nachmittag des 20. Juli 1944 mit Goebbels Kontakt aufnahm, war der Vermittler ein Mann aus dem Propagandaministerium, ein großer Verehrer Rilkes - was Carl Schmitt zu dem bösen Wort brachte: "Der 20. Juli, das ist der Sieg Rilkes über George."

Auch Walter Kempner stand am Totenbett, Georges Arzt. Sein Bruder Robert wurde später stellvertretender Hauptankläger im Nürnberger Prozess. Georges Gedichte waren wirklich das Schloss, darin sich Schicksale kreuzten. Das reicht weit über das Anekdotische hinaus, auch wenn Raulff gerade in diesem Punkt nichts zu wünschen übriglässt. Denn es geht schließlich um nicht weniger als um eine deutsche Bildungsgeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts, die ganz zwanglos im Werk Georges ihren Mittelpunkt hat. Neu ist die Erforschung des institutionellen Unterholzes dieser Bildungspolitik, die noch in den sechziger Jahren tief in das Schulwesen hineinreichte, etwa in das Internat Birklehof im Schwarzwald.

Aber die Geschichte beschränkt sich keineswegs auf Deutschland im geographischen Sinn. Wir sehen Ernst Kantorowicz, Erich und die schöne Fine von Kahler im amerikanischen Exil. Wir sehen Wolfgang Frommel und das "Castrum Peregrini" in Amsterdam. Aber bei Frommel wird der Ton von Raulff auch deutlich frostiger; er scheint ihn mehr als einen späten, indes begabten George-Darsteller zu sehen und kratzt vernehmlich an der Legitimitäts-Legende - in Wahrheit seien sich Frommel und George nur einmal kurz begegnet. Auch Dissidenten und ungetreue Schüler wie Rudolf Borchardt, der Dichter, rasante Polemiker und Essayist, werden behandelt.

Raulff ist eine Darstellung gelungen, die den strengsten akademischen Ansprüchen genügt, zugleich aber die höhere Unterhaltung des Lesers nicht vernachlässigt: ein Meisterwerk der heutigen Kulturwissenschaft ist zu entdecken. Zudem ist es von einer großen inneren Freiheit. Sollte der Verfasser jemals ein Adept gewesen sein, dann ist davon nichts geblieben als Liebe zur Sache. Die esoterische Begrifflichkeit des Kreises wird dabei nicht durch eine ebenso starre sozial- oder psychohistorische ersetzt, sondern umspielt, nie ohne Einfühlung, nie ganz ohne urbane Ironie.

Je weiter man in dem Buch voranschreitet, in die fünfziger und sechziger Jahre hinein, um so reicher und überraschender wird die Ausbeute. Es ist ja kein langsames Verblassen zu beobachten, sondern immer wieder flammen Themen und Motive auf. Immer wieder kreuzen sich Wege, und oft genug an ziemlich verhexten Orten. Etwa im Wilhelmstraßen-Prozess gegen Ernst von Weizsäcker. Dieser hatte 1933 als Gesandter in Bern den Kranz der Reichsregierung an Georges Grab niedergelegt. Die Anklage vertrat auch diesmal Robert Kempner, der Bruder von Georges Arzt. Als Weizsäckers Verteidiger sehen wir Hellmut Becker, den Sohn des sehr georgefreundlichen preußischen Kultusministers C. H. Becker und Schüler des maßgeblichen nationalsozialistischen Verfassungsrechtlers Ernst Rudolf Huber. Schneller Schnitt: Und Hellmut Becker ist plötzlich Justiziar des Frankfurter Instituts für Sozialforschung und Mentor des jungen Alexander Kluge, der später sein Nachfolger wird. Man denkt an das Bonmot des Soziologen Georg Simmel, der George einmal nahegestanden hatte: "Es gibt in Wirklichkeit nur siebzehn Leute auf der Welt, die bewegen sich aber so schnell, dass man meint, es seien mehr."

Zu den schönsten Passagen gehören jene über den Marburger Germanisten Gert Mattenklott. Er war in einer Ära, als an der Philipps-Universität ein ziemlich doktrinärer, moskowitischer Marxismus vorherrschte (der auch auf Mattenklott nicht ohne Wirkung blieb), der Einzige, der in der federnden, leichten Weise, mit der er die Überlieferung weiterzugeben und umzudeuten verstand, etwas von dem Eindruck vermittelte, den Friedrich Gundolf und Max Kommerell ein, zwei Generationen zuvor hinterlassen hatten. Einen "jungen Gott der Schwelle" nennt ihn Raulff, der damals in Marburg studierte, mit erkennbarer Sympathie. Es ist auch nicht sehr übertrieben.

Mit diesem Buch lassen sich die Hauptlinien von Raulffs eigenem Werk überblicken. Vergleichen wir es einer Ellipse mit zwei Brennpunkten: Georges Nachleben auf der einen, die Kunst- und Kulturwissenschaft Aby Warburgs auf der anderen Seite. Das waren die Bildungsmächte, ohne die man in Raulffs und meiner Generation keine wirklichen Einsichten gewinnen konnte. Es lohnt sich, hier für einen Moment innezuhalten und eine Wahrnehmungsumschaltung zu versuchen, indem man den unthematisierten Hintergrund als Vordergrund nimmt.

Edgar Salin, der erste Memorialist um George, war der Neffe von Jacob Schiff. Dieser Mann aber, mit dem Salin und Gundolfs spätere Frau Elisabeth Salomon 1919 in Berlin das Laubhüttenfest feierten, war nicht irgendein amerikanischer Bankier, sondern einer der bedeutendsten Finanzstrategen seiner Zeit. Warburgs Bruder Felix wiederum wurde in den Vereinigten Staaten zum ersten Chef der "Federal Reserve" - und heiratete Schiffs Tochter Frieda. Plötzlich merkt man, dass man Raulffs Geschichten auch ganz anders erzählen könnte. Dann wäre die große Finanzpolitik die Mitte, und an der Peripherie, aber durchaus "auf Augenhöhe", fände man die Bildungsprojekte der Deutschen.

Raulff macht es evident, dass George keineswegs an Selbstüberschätzung litt, wenn er in seinem Werk den delphischen Ort sah, an dem alle Linien der deutschen Geschicke sich trafen. Das ist nun in der Tat ein "Sonderweg". Es gibt kein anderes Land, in dem einem dichterischen Werk diese magnetische Fähigkeit zugewachsen wäre - es sei denn, man geht eben doch wieder auf die vom Kreis kanonisierten Homer, Dante, Shakespeare und Goethe zurück.

Ulrich Raulff: "Kreis ohne Meister". Stefan Georges Nachleben. Eine abgründige Geschichte. C. H. Beck Verlag, München 2009. 544 S., Abb., geb., 29,90 [Euro].

Die F.A.Z.-Leseprobe mit Auszügen aus dem Buch von Ulrich Raulff finden Sie unter "www.faz.net/george".

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Perlentaucher-Notiz zur 9punkt-Rezension

Schon vor einigen Tagen berichtete Reinhard Bingener in der FAZ über die Studie "Pädophilie im Fokus", die der Historiker Uwe Kaminsky im Auftrag der Evangelischen Kirche angefertigt hat. Sie kommt auf ein Netzwerk zurück, das das intellektuelle Klima der Bundesrepublik nachhaltig prägte - Ralf Dahrendorf hatte es als "protestantische Mafia" bezeichnet. Es geht um des sexuellen Missbrauchs überführte Täter wie Gerold Becker und Helmut Kentler, aber auch um den Pädagogen Hartmut von Hentig und ihren Einfluss auf die Odenwaldschule und auf Medien wie die Zeit. Auch beim Kirchentag der Evangelischen Kirche war diese Gruppe sehr prägend. Erste Anschuldigungen wegen sexueller Belästigung gingen im Jahr 1999 noch unter, so Bingener: "Kaminsky nennt auch den Verdacht, dass dies mit den Kontakten Gerold Beckers und Hartmut von Hentigs zu Marion Gräfin Dönhoff, der damaligen Herausgeberin der Zeit, zu tun hatte, in deren Redaktionsstuben der Kirchentagsadel stets bestens vernetzt war. 2010 kamen die Vorwürfe dann abermals auf den Tisch und dieses Mal mit Wucht. Der Kirchentag reagierte aber auch dieses Mal nicht, stattdessen verwies man das Thema Missbrauch in die katholische Ecke." Hingewiesen sei noch mal auf die fulminanten Bücher von Ulrich Raulff (hier) und Thomas Karlauf (hier) über den George-Kreis, die diese Themen vor einigen Jahren mit ins Bewusstsein brachten.

© Perlentaucher Medien GmbH
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