Eine Geschichte von Liebe, Eifersucht - und Musik.
Eine moderne Liebesgeschichte, eine Geschichte von Liebe und Gefahr, in die Margriet de Moor auf raffinierte Weise ein altes Motiv verwoben hat. Aus ihrem Gespräch mit den alten Meistern - Beethoven, Tolstoi, Janácek - entsteht ein mitreißender Roman.
Seit einer verhängnisvollen Beziehung in jungen Jahren hat der blinde Musikkritiker Marius van Vlooten nie mehr wirklich geliebt. Jetzt reist er zu einem Meisterkurs in Bordeaux, in Begleitung eines jungen Musikologen, der ihm ein lebendiges Porträt der Geigerin Suzanna Flier zeichnet und die beiden miteinander bekannt macht.
Als van Vlooten sie in Janáceks Streichquartett 'Kreutzersonate' spielen hört, wird er, ohne es zu wollen, zu einer Gestalt aus einer Tragödie, die auf ihr eigenes, unausweichliches Ende zustrebt. Musik und Gefühl, die beiden Pole der Geschichte, die einander bedingen und kommentieren, verwebt Margriet de Moor in einem dichten, musikalischen Text.
Eine moderne Liebesgeschichte, eine Geschichte von Liebe und Gefahr, in die Margriet de Moor auf raffinierte Weise ein altes Motiv verwoben hat. Aus ihrem Gespräch mit den alten Meistern - Beethoven, Tolstoi, Janácek - entsteht ein mitreißender Roman.
Seit einer verhängnisvollen Beziehung in jungen Jahren hat der blinde Musikkritiker Marius van Vlooten nie mehr wirklich geliebt. Jetzt reist er zu einem Meisterkurs in Bordeaux, in Begleitung eines jungen Musikologen, der ihm ein lebendiges Porträt der Geigerin Suzanna Flier zeichnet und die beiden miteinander bekannt macht.
Als van Vlooten sie in Janáceks Streichquartett 'Kreutzersonate' spielen hört, wird er, ohne es zu wollen, zu einer Gestalt aus einer Tragödie, die auf ihr eigenes, unausweichliches Ende zustrebt. Musik und Gefühl, die beiden Pole der Geschichte, die einander bedingen und kommentieren, verwebt Margriet de Moor in einem dichten, musikalischen Text.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.02.2003Hörst Du die
unruhige Bratsche?
Da capo: Margriet de Moors
„Kreutzersonate”
Die Binsenweisheit, dass Liebe blind macht, lässt sich auf vielfältige Weise illustrieren. Zu den boshaftesten Varianten zählt die Anekdote, in der die nicht mehr ganz taufrische Frau ihren Ehemann fragt, was er tun würde, falls er sie mit einem anderen in flagranti erwischte. Darauf der Gatte, energisch: „Da kenne ich kein Pardon. Ich würde unverzüglich seinen Hund töten und seinen weißen Stock zerbrechen!”
Spuren dieses Sarkasmus haften an Margriet de Moors Erfindung eines Studenten, der sich aus Verzweiflung über die Untreue seiner Geliebten durch Kopfschuss entleiben will, in seiner Raserei leicht schräg zielt und nicht das Leben, sondern das Augenlicht verliert. Der Vorgang samt Pointe scheint besser in die Zeit Tolstois zu passen als in die Gegenwart, aber die Niederländerin trifft in ihren besten Momenten einen Erzählton, dessen selbstverständliche Eleganz mühelos zwischen den Epochen vermittelt. Deshalb kann sie es sich leisten, die Erzählsituation und die Motive der „Kreutzersonate” vom Eisenbahnzeitalter in die Ära der Flugzeuge zu transportieren, ohne in Kitschverdacht zu geraten.
Der Einfall der ausgebildeten Sängerin und Pianistin de Moor, den erblindeten Studenten zu einem genialen Musikkritiker heranreifen zu lassen, versorgt die Figuren reichlich mit klugem Konversationsstoff. Marius van Vlooten, der einem jungen Musikwissenschaftler auf zwei zufällig gemeinsam absolvierten Flugreisen seinen Lebensroman erzählt, erscheint als ruheloser, cholerischer, neurotisch gestörter, ebenso abstoßender wie faszinierender Charakter, dem man eigentlich tiefere Verstrickungen und originellere Erfahrungen zutrauen würde als die für ihn vorgesehenen. Anders gesagt: Die Erwartungen, die das Porträt des kahlköpfigen, sehbehinderten Vielfliegers weckt, werden in der Durchführung ein wenig enttäuscht, aber das überrascht kaum bei dieser Autorin, die sich besser auf das Knüpfen feiner Verrätselungsnetze als darauf versteht, sie mit erzählerischer Substanz zu füllen.
Karrieredamen in den Wolken
Nichts Ausgefalleneres als eine weitere unglückselige Liebe ist dem Mann mit dem Blindenstock beschieden, und sie endet mit seinem zweiten, ebenfalls misslungenen Versuch, ein Lebenslicht auszublasen, diesmal nicht das eigene, sondern das seiner Angetrauten. In der geistvoll-noblen Atmosphäre eines Meisterkurses für Streichquartette, veranstaltet in einem Chateau bei Bordeaux, begegnet Marius van Vlooten der jungen Geigerin Suzanna. Dass er ihr oder vielmehr dem Bild, das er sich von ihr macht, rettungslos verfällt, verdankt sich zum Teil den animierten Schilderungen seines Reisegefährten, zum anderen Teil der Delikatesse ihres Spiels. Margriet de Moor beweist kompositorisches Raffinement, indem sie gerade hier, wo das Gehör als empfänglichstes Sinnesorgan in Aktion treten müsste, musikalische Erotik vorwiegend über visuelle Eindrücke und Vorstellungen erzeugt: „Ihre weißen Arme bewegen sich ohne die geringste Zurückhaltung. Ihr Gesicht dagegen versucht sie unter Kontrolle zu halten, wenn sie den Bogen mit der rechten Hand über die Saiten rasen lässt, während die Fingerspitzen der linken behutsam etwas anderes tun.”
Die Funktion, die Beethovens „Kreutzersonate” bei Tolstoi hatte, übernimmt das gleichnamige Streichquartett von Leos Janácek, das wiederum durch die Novelle inspiriert wurde. Nur dass der leidenschaftsfördernde Einfluss der Klänge hier durch die kultivierte musikalische Analyse gefiltert wird, für die Margriet de Moor laut Nachbemerkung eigens Fachleute zu Rate gezogen hat. Andererseits scheut sie nicht vor operetten-, ja schwankhaften Wendungen zurück, etwa wenn sie Suzanna nach dem ersten Schäferstündchen aus dem Fenster fallen und den armen van Vlooten derangiert und hilflos über den Schlosskorridor tappen lässt.
Diese Stilmischung ist jedenfalls weniger durch Banalität gefährdet als die sich anschließende Ehe- und Eifersuchtstragödie. In der Zeit, die bis zum nächsten gemeinsamen Flug verstrichen ist, hat der Musikkritiker die Violinistin geheiratet, sie des Ehebruchs mit ihrem Streicherkollegen verdächtigt und einen Mordanschlag auf sie geplant, dem sie nur knapp entgangen ist. Das Finale steht noch bevor, aber der Leser spürt bereits eine gewisse Erschöpfung, wie nach einem überlangen Stück Salonmusik. Zeichen wie der doppeldeutige Hinweis auf die Bratsche als „Unruhestifter” im Quartett oder die Erwähnung von Flugzeugen oder Flugkatastrophen an dramatischen Schnittstellen sind allzu plakativ eingesetzt. Ergiebiger, im Hinblick auf die Novellenvorlage, ist da schon das Gespräch junger Karrieredamen hoch über den Wolken im Schlusskapitel, eine neuzeitliche Affirmation des Tolstoischen Frauenbildes.
Aus naheliegenden Gründen schießt der Blinde nicht auf den Bratschisten. Margriet de Moors literarischer Wagemut bleibt auch diesmal wieder in den Grenzen der Konvention. Dennoch: Sollte sie demnächst eine Erzählung vorlegen, deren Hauptfigur ein gehörloser Kunstkritiker ist, werden wir sie uns gewiss nicht entgehen lassen.
KRISTINA MAIDT-ZINKE
MARGRIET DE MOOR: Kreutzersonate. Eine Liebesgeschichte. Aus dem Niederländischen von Helga van Beuningen. Carl Hanser Verlag, München 2002. 144 Seiten, 15,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
unruhige Bratsche?
Da capo: Margriet de Moors
„Kreutzersonate”
Die Binsenweisheit, dass Liebe blind macht, lässt sich auf vielfältige Weise illustrieren. Zu den boshaftesten Varianten zählt die Anekdote, in der die nicht mehr ganz taufrische Frau ihren Ehemann fragt, was er tun würde, falls er sie mit einem anderen in flagranti erwischte. Darauf der Gatte, energisch: „Da kenne ich kein Pardon. Ich würde unverzüglich seinen Hund töten und seinen weißen Stock zerbrechen!”
Spuren dieses Sarkasmus haften an Margriet de Moors Erfindung eines Studenten, der sich aus Verzweiflung über die Untreue seiner Geliebten durch Kopfschuss entleiben will, in seiner Raserei leicht schräg zielt und nicht das Leben, sondern das Augenlicht verliert. Der Vorgang samt Pointe scheint besser in die Zeit Tolstois zu passen als in die Gegenwart, aber die Niederländerin trifft in ihren besten Momenten einen Erzählton, dessen selbstverständliche Eleganz mühelos zwischen den Epochen vermittelt. Deshalb kann sie es sich leisten, die Erzählsituation und die Motive der „Kreutzersonate” vom Eisenbahnzeitalter in die Ära der Flugzeuge zu transportieren, ohne in Kitschverdacht zu geraten.
Der Einfall der ausgebildeten Sängerin und Pianistin de Moor, den erblindeten Studenten zu einem genialen Musikkritiker heranreifen zu lassen, versorgt die Figuren reichlich mit klugem Konversationsstoff. Marius van Vlooten, der einem jungen Musikwissenschaftler auf zwei zufällig gemeinsam absolvierten Flugreisen seinen Lebensroman erzählt, erscheint als ruheloser, cholerischer, neurotisch gestörter, ebenso abstoßender wie faszinierender Charakter, dem man eigentlich tiefere Verstrickungen und originellere Erfahrungen zutrauen würde als die für ihn vorgesehenen. Anders gesagt: Die Erwartungen, die das Porträt des kahlköpfigen, sehbehinderten Vielfliegers weckt, werden in der Durchführung ein wenig enttäuscht, aber das überrascht kaum bei dieser Autorin, die sich besser auf das Knüpfen feiner Verrätselungsnetze als darauf versteht, sie mit erzählerischer Substanz zu füllen.
Karrieredamen in den Wolken
Nichts Ausgefalleneres als eine weitere unglückselige Liebe ist dem Mann mit dem Blindenstock beschieden, und sie endet mit seinem zweiten, ebenfalls misslungenen Versuch, ein Lebenslicht auszublasen, diesmal nicht das eigene, sondern das seiner Angetrauten. In der geistvoll-noblen Atmosphäre eines Meisterkurses für Streichquartette, veranstaltet in einem Chateau bei Bordeaux, begegnet Marius van Vlooten der jungen Geigerin Suzanna. Dass er ihr oder vielmehr dem Bild, das er sich von ihr macht, rettungslos verfällt, verdankt sich zum Teil den animierten Schilderungen seines Reisegefährten, zum anderen Teil der Delikatesse ihres Spiels. Margriet de Moor beweist kompositorisches Raffinement, indem sie gerade hier, wo das Gehör als empfänglichstes Sinnesorgan in Aktion treten müsste, musikalische Erotik vorwiegend über visuelle Eindrücke und Vorstellungen erzeugt: „Ihre weißen Arme bewegen sich ohne die geringste Zurückhaltung. Ihr Gesicht dagegen versucht sie unter Kontrolle zu halten, wenn sie den Bogen mit der rechten Hand über die Saiten rasen lässt, während die Fingerspitzen der linken behutsam etwas anderes tun.”
Die Funktion, die Beethovens „Kreutzersonate” bei Tolstoi hatte, übernimmt das gleichnamige Streichquartett von Leos Janácek, das wiederum durch die Novelle inspiriert wurde. Nur dass der leidenschaftsfördernde Einfluss der Klänge hier durch die kultivierte musikalische Analyse gefiltert wird, für die Margriet de Moor laut Nachbemerkung eigens Fachleute zu Rate gezogen hat. Andererseits scheut sie nicht vor operetten-, ja schwankhaften Wendungen zurück, etwa wenn sie Suzanna nach dem ersten Schäferstündchen aus dem Fenster fallen und den armen van Vlooten derangiert und hilflos über den Schlosskorridor tappen lässt.
Diese Stilmischung ist jedenfalls weniger durch Banalität gefährdet als die sich anschließende Ehe- und Eifersuchtstragödie. In der Zeit, die bis zum nächsten gemeinsamen Flug verstrichen ist, hat der Musikkritiker die Violinistin geheiratet, sie des Ehebruchs mit ihrem Streicherkollegen verdächtigt und einen Mordanschlag auf sie geplant, dem sie nur knapp entgangen ist. Das Finale steht noch bevor, aber der Leser spürt bereits eine gewisse Erschöpfung, wie nach einem überlangen Stück Salonmusik. Zeichen wie der doppeldeutige Hinweis auf die Bratsche als „Unruhestifter” im Quartett oder die Erwähnung von Flugzeugen oder Flugkatastrophen an dramatischen Schnittstellen sind allzu plakativ eingesetzt. Ergiebiger, im Hinblick auf die Novellenvorlage, ist da schon das Gespräch junger Karrieredamen hoch über den Wolken im Schlusskapitel, eine neuzeitliche Affirmation des Tolstoischen Frauenbildes.
Aus naheliegenden Gründen schießt der Blinde nicht auf den Bratschisten. Margriet de Moors literarischer Wagemut bleibt auch diesmal wieder in den Grenzen der Konvention. Dennoch: Sollte sie demnächst eine Erzählung vorlegen, deren Hauptfigur ein gehörloser Kunstkritiker ist, werden wir sie uns gewiss nicht entgehen lassen.
KRISTINA MAIDT-ZINKE
MARGRIET DE MOOR: Kreutzersonate. Eine Liebesgeschichte. Aus dem Niederländischen von Helga van Beuningen. Carl Hanser Verlag, München 2002. 144 Seiten, 15,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.01.2003Triffst du dich immer noch mit deinem Bratschisten?
Tolstoi im Herzen, Janácek im Sinn: Margriet de Moors Flugzeug fällt ins Luftloch der Eifersucht
Fluggäste wie dieser stehen bei manchen Gesellschaften auf der schwarzen Liste: Er ist schon beim Start angetrunken, krakeelt, wirft Gläser und Aschenbecher zu Boden, und als die Stewardess und ein anderer Passagier gemeinsam aufräumen, trampelt er auch noch wüst im Abfall herum. Dennoch hört sein Nachbar auf dem Flug nach Bordeaux gebannt zu, als ihm der Querulant die Geschichte seines Lebens anvertraut: Wie er sich als Student in ein Mädchen verliebte, das ihn plötzlich verließ, wie er sich umbringen wollte und bei dem Schuß nur sein Augenlicht verlor, wie er mühsam ins Leben zurückkehrte und seine Begabung als Musikkritiker entdeckte. Jetzt ist er wie sein Nachbar auf dem Weg zu einem Wettbewerb junger Streichquartette. Daß die Begegnung mit einer Geigerin sein Leben von Grund auf verändern wird, ahnt er nicht, daß er sich nach dem einstigen Desaster noch einmal auf eine Liebesgeschichte einlassen kann, scheint ganz unmöglich, daß er aber diese neue Liebe mit seiner Eifersucht später zugrunde richten wird, ist nach dem erregten Auftritt im Flugzeug sofort vorstellbar.
Von jeher gehen Reisen und Erzählen eine feste Allianz ein, seit den "Canterbury Tales" ist überdies die literarische Technik etabliert, nicht nur von, sondern auch auf einer Reise zu erzählen. In Margriet de Moors "Kreutzersonate" bilden zwei Flugreisen den Hintergrund für die Liebesgeschichte, die der Erzähler von dem blinden Musikkritiker Marius van Vlooten erfährt. Die erste bereitet den Boden, die zweite, zehn Jahre später, berichtet vom Verlauf dieser Liaison im Moment ihres Scheiterns: Zwei Wochen zuvor hatte die Geigerin Suzanna Flier wegen van Vlootens unerträglicher Eifersucht die Scheidung eingereicht, und der Erzähler erlebt einen nun vollends unwirschen, vor der Zeit gealterten van Vlooten, der ihn zunächst wüst beschimpft, um ihm dann, aufs höchste erregt, von seiner zerstörten Liebe zu berichten, die schließlich in den festen Vorsatz mündet, Suzanna umzubringen.
Das Vorbild von Tolstois "Kreutzersonate", das schon der Titel nennt, ist unübersehbar, die Erzählsituation ist ähnlich, die erregte Zufallsbekanntschaft auf der Reise, die, rasend vor Eifersucht, in beiden Texten auf Mord sinnt, schließlich der Einfluß, den die Musik - dort Beethoven, hier Janáceks wiederum von Tolstoi inspiriertes Streichquartett "Kreutzersonate" - auf die Figuren ausübt: all dies unterstreicht die Verwandtschaft der beiden Texte. Natürlich erzählt de Moor dennoch eine ganz andere Geschichte, und indem sie den Akzent auf die Ebene der Musik legt, einen Blinden in den Mittelpunkt stellt und daran die Besonderheiten einer solchen Liebe entwickelt, tritt das akustische Erleben in den Vordergrund, um ein reizvolles Eigenleben zu führen und bedeutende Wendungen der Handlung zu evozieren: "Die zwanzig Minuten, während derer Marius van Vlooten das Liebesmotiv von neuem, jedoch mit eigenen, sehr schwer zu steuernden Kräften in seinem Leben zuließ, waren die zwanzig Minuten, in denen das Schulhoff Kwartet eine Kreutzersonate spielte, daß die Fetzen nur so flogen." Und wenn sich später van Vlooten in die Idee verrennt, Suzanna habe ein Verhältnis mit dem Bratschisten ihres Quartetts, so deutet sich dies schon in einer Bemerkung an, die beim ersten Kennenlernen fällt, "daß es im Quartett aber sehr oft die Bratsche sei, die quasi bescheiden, im Spiel verschwindend, als Unruhestifter auftrete".
Der Abstand, den Margriet de Moor zwischen Tolstois Text und den eigenen legt, zeigt sich vor allem in einem Detail, das man als Element eines zeitgemäßen Fortschreibens unterschätzen könnte, bildete es nicht so beharrlich eine wesentliche Struktur des Textes. Diskret durchzieht die Erwähnung von Flugzeugen die Erzählung; sie markieren Wendepunkte der Handlung wie auch im Leben van Vlootens. Als er nach dem Verlust der Sehkraft noch nicht bereit ist, sich der Welt zuzuwenden, liegt er häufig im Liegestuhl auf der Terrasse. "Einmal hörte er um die Mittagszeit hoch am Himmel ein Flugzeug. Das Dröhnen kam näher, bewegte sich aber auch rückwärts und zur Seite, nach unten und nach oben, bis es mit seinen stoßweisen Vibrationen fast den gesamten Luftraum erfüllte. Als hätte er einen Atlas vor der Nase, sah er das Gebiet, über das die Maschine hinwegflog", und nach einer Weile erwächst ihm aus dem Geräusch und der Sehnsucht nach der Ferne mittelbar seine Berufung als Musikkritiker.
Zwei Flugkatastrophen umrahmen die Erzählung, und die Beschäftigung mit dieser Gefahr ist dem Text auf verschiedene Weise eingeschrieben, wenn etwa fast beiläufig von einem Piloten berichtet wird, der wegen Trunksucht gerade noch rechtzeitig aus dem Verkehr gezogen wird, oder wenn der Erzähler über Havarien nachdenkt: "Dies ist die sicherste Art zu reisen, dachte ich und erinnerte mich gleichzeitig an den Crash in Heathrow vor gut einer Woche."
Aus der üblichen Demonstration der Sicherheitsbestimmungen durch die Stewardess erwächst in diesem zentralen Kapitel ein Gedankenstrom, der sich mit der Liebesgeschichte van Vlootens und Suzanna Fliers beschäftigt. Und indem die Autorin Tolstois ausgedehnte Zugfahrt in eine Reihe von Flugreisen auflöst, indem sie überdies van Vlooten von Beginn an als gar so undisziplinierten Fluggast zeichnet, ein potentielles Sicherheitsrisiko also, deutet sie auf eine Liebesgeschichte voraus, die vor allem durch ihre Intensität gezeichnet ist, ihre selbstgewisse Leichtigkeit, solange der Luftstrom des Vertrauens nicht abreißt, aber auch den fortwährend drohenden Absturz.
Margriet de Moor: "Kreutzersonate". Eine Liebesgeschichte. Aus dem Niederländischen übersetzt von Helga van Beuningen. Hanser Verlag, München 2002. 144 S., geb., 15,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Tolstoi im Herzen, Janácek im Sinn: Margriet de Moors Flugzeug fällt ins Luftloch der Eifersucht
Fluggäste wie dieser stehen bei manchen Gesellschaften auf der schwarzen Liste: Er ist schon beim Start angetrunken, krakeelt, wirft Gläser und Aschenbecher zu Boden, und als die Stewardess und ein anderer Passagier gemeinsam aufräumen, trampelt er auch noch wüst im Abfall herum. Dennoch hört sein Nachbar auf dem Flug nach Bordeaux gebannt zu, als ihm der Querulant die Geschichte seines Lebens anvertraut: Wie er sich als Student in ein Mädchen verliebte, das ihn plötzlich verließ, wie er sich umbringen wollte und bei dem Schuß nur sein Augenlicht verlor, wie er mühsam ins Leben zurückkehrte und seine Begabung als Musikkritiker entdeckte. Jetzt ist er wie sein Nachbar auf dem Weg zu einem Wettbewerb junger Streichquartette. Daß die Begegnung mit einer Geigerin sein Leben von Grund auf verändern wird, ahnt er nicht, daß er sich nach dem einstigen Desaster noch einmal auf eine Liebesgeschichte einlassen kann, scheint ganz unmöglich, daß er aber diese neue Liebe mit seiner Eifersucht später zugrunde richten wird, ist nach dem erregten Auftritt im Flugzeug sofort vorstellbar.
Von jeher gehen Reisen und Erzählen eine feste Allianz ein, seit den "Canterbury Tales" ist überdies die literarische Technik etabliert, nicht nur von, sondern auch auf einer Reise zu erzählen. In Margriet de Moors "Kreutzersonate" bilden zwei Flugreisen den Hintergrund für die Liebesgeschichte, die der Erzähler von dem blinden Musikkritiker Marius van Vlooten erfährt. Die erste bereitet den Boden, die zweite, zehn Jahre später, berichtet vom Verlauf dieser Liaison im Moment ihres Scheiterns: Zwei Wochen zuvor hatte die Geigerin Suzanna Flier wegen van Vlootens unerträglicher Eifersucht die Scheidung eingereicht, und der Erzähler erlebt einen nun vollends unwirschen, vor der Zeit gealterten van Vlooten, der ihn zunächst wüst beschimpft, um ihm dann, aufs höchste erregt, von seiner zerstörten Liebe zu berichten, die schließlich in den festen Vorsatz mündet, Suzanna umzubringen.
Das Vorbild von Tolstois "Kreutzersonate", das schon der Titel nennt, ist unübersehbar, die Erzählsituation ist ähnlich, die erregte Zufallsbekanntschaft auf der Reise, die, rasend vor Eifersucht, in beiden Texten auf Mord sinnt, schließlich der Einfluß, den die Musik - dort Beethoven, hier Janáceks wiederum von Tolstoi inspiriertes Streichquartett "Kreutzersonate" - auf die Figuren ausübt: all dies unterstreicht die Verwandtschaft der beiden Texte. Natürlich erzählt de Moor dennoch eine ganz andere Geschichte, und indem sie den Akzent auf die Ebene der Musik legt, einen Blinden in den Mittelpunkt stellt und daran die Besonderheiten einer solchen Liebe entwickelt, tritt das akustische Erleben in den Vordergrund, um ein reizvolles Eigenleben zu führen und bedeutende Wendungen der Handlung zu evozieren: "Die zwanzig Minuten, während derer Marius van Vlooten das Liebesmotiv von neuem, jedoch mit eigenen, sehr schwer zu steuernden Kräften in seinem Leben zuließ, waren die zwanzig Minuten, in denen das Schulhoff Kwartet eine Kreutzersonate spielte, daß die Fetzen nur so flogen." Und wenn sich später van Vlooten in die Idee verrennt, Suzanna habe ein Verhältnis mit dem Bratschisten ihres Quartetts, so deutet sich dies schon in einer Bemerkung an, die beim ersten Kennenlernen fällt, "daß es im Quartett aber sehr oft die Bratsche sei, die quasi bescheiden, im Spiel verschwindend, als Unruhestifter auftrete".
Der Abstand, den Margriet de Moor zwischen Tolstois Text und den eigenen legt, zeigt sich vor allem in einem Detail, das man als Element eines zeitgemäßen Fortschreibens unterschätzen könnte, bildete es nicht so beharrlich eine wesentliche Struktur des Textes. Diskret durchzieht die Erwähnung von Flugzeugen die Erzählung; sie markieren Wendepunkte der Handlung wie auch im Leben van Vlootens. Als er nach dem Verlust der Sehkraft noch nicht bereit ist, sich der Welt zuzuwenden, liegt er häufig im Liegestuhl auf der Terrasse. "Einmal hörte er um die Mittagszeit hoch am Himmel ein Flugzeug. Das Dröhnen kam näher, bewegte sich aber auch rückwärts und zur Seite, nach unten und nach oben, bis es mit seinen stoßweisen Vibrationen fast den gesamten Luftraum erfüllte. Als hätte er einen Atlas vor der Nase, sah er das Gebiet, über das die Maschine hinwegflog", und nach einer Weile erwächst ihm aus dem Geräusch und der Sehnsucht nach der Ferne mittelbar seine Berufung als Musikkritiker.
Zwei Flugkatastrophen umrahmen die Erzählung, und die Beschäftigung mit dieser Gefahr ist dem Text auf verschiedene Weise eingeschrieben, wenn etwa fast beiläufig von einem Piloten berichtet wird, der wegen Trunksucht gerade noch rechtzeitig aus dem Verkehr gezogen wird, oder wenn der Erzähler über Havarien nachdenkt: "Dies ist die sicherste Art zu reisen, dachte ich und erinnerte mich gleichzeitig an den Crash in Heathrow vor gut einer Woche."
Aus der üblichen Demonstration der Sicherheitsbestimmungen durch die Stewardess erwächst in diesem zentralen Kapitel ein Gedankenstrom, der sich mit der Liebesgeschichte van Vlootens und Suzanna Fliers beschäftigt. Und indem die Autorin Tolstois ausgedehnte Zugfahrt in eine Reihe von Flugreisen auflöst, indem sie überdies van Vlooten von Beginn an als gar so undisziplinierten Fluggast zeichnet, ein potentielles Sicherheitsrisiko also, deutet sie auf eine Liebesgeschichte voraus, die vor allem durch ihre Intensität gezeichnet ist, ihre selbstgewisse Leichtigkeit, solange der Luftstrom des Vertrauens nicht abreißt, aber auch den fortwährend drohenden Absturz.
Margriet de Moor: "Kreutzersonate". Eine Liebesgeschichte. Aus dem Niederländischen übersetzt von Helga van Beuningen. Hanser Verlag, München 2002. 144 S., geb., 15,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main