Seit 1906 forderte die Führung der k.u.k. Armee immer wieder, auf Krieg als Mittel zur Stabilisierung der Großmachtposition Österreich-Ungarns zurückzugreifen. Dabei verfügte das Habsburgerreich gar nicht über die militärischen Ressourcen für einen Kampf an mehreren Fronten: Die politischen Strukturen der Doppelmonarchie verhinderten eine massive Aufrüstung und die militärischen Absprachen mit Deutschland und Italien boten keinen Ersatz für mangelnde eigene Schlagkraft. Der Wiener Generalstab setzte dennoch auf umfassende Operationsplanungen und die rigorose Ausrichtung des Friedensalltags der Armee auf den Kriegsfall. In den Krisen ab 1908 bestimmten daher auch keineswegs nur die Versatzstücke zeitgenössischer Weltanschauungsangebote oder konkrete Gruppeninteressen das Handeln der Militärelite; genauso wichtig waren die durch den "Krieg im Frieden" geprägten Denkmuster.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Franz-Josef Kos sieht die Studie zum Beitrag der österreichisch-ungarischen Militärelite zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges als Beitrag der inzwischen aus seiner Sich zur Recht in Frage gestellten These einer deutschen Hauptschuld daran. Die Darstellung des Buches zerfalle in zwei Teile. Zunächst untersuche Autor Günther Kronenbitter in einem längeren strukturgeschichtlichen Abschnitt u.a. soziale Herkunft und Sozialisation der Offiziere, die Planungsvorstellungen des Generalstabs, die aus der Sicht der militärischen Elite fehlende Militarisierung der Gesellschaft sowie die Bedeutung von Spionage und Berichterstattung. Im zweiten Abschnitt werde der Einfluss des Generalstabs auf die Politik untersucht, wobei Kos die Auseinandersetzung zwischen Generalstabschef Conrad von Hötzendorf und Thronfolger Franz Ferdinands, den Vorständen seiner Militärkanzlei sowie den jeweiligen Kriegs- und Außenministern im Vordergrund stehen sieht.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.01.2004Conrad der Kriegstreiber
Die Führung der österreichisch-ungarischen Armee vor 1914
Günther Kronenbitter: Krieg im Frieden. Die Führung der k.u.k. Armee und die Großmachtpolitik Österreich-Ungarns 1906-1914. R. Oldenbourg Verlag, München 2003. 579 Seiten, 79,80 [Euro].
Nachdem in den sechziger Jahren im Zuge der Fischer-Ritter-Kontroverse die Hauptschuld Deutschlands am Ausbruch des Ersten Weltkriegs gesichert schien, wird dies zu Recht seit Mitte der neunziger Jahre - unter anderem vor dem Hintergrund der Kriege um den Zerfall Jugoslawiens - wieder in Frage gestellt. Günther Kronenbitter untersucht den Beitrag der österreichisch-ungarischen Militärelite zum Kriegsausbruch. Im Mittelpunkt steht Franz Conrad von Hötzendorf, seit 1906 Chef des Generalstabs. Zu Beginn seines Amtsantritts plädierte er für Präventivkriege gegen den unsicheren Dreibund-Partner Italien und daran anschließend gegen Serbien, solange Rußland nach dem verlorenen Krieg gegen Japan noch nicht zu einem Eingreifen in der Lage war. Dem widersetzten sich allerdings Außenminister Aehrenthal (bis 1912) und Thronfolger Franz Ferdinand, obwohl der Generalstabschef sein Protegé war.
Erzherzog Franz Ferdinand lehnte wegen der innenpolitischen Schwäche der Donaumonarchie - vor allem wegen der nationalen Zusammensetzung - einen Krieg ab. Lediglich im November/Dezember 1912 neigte er vor dem Hintergrund der Balkan-Kriege und der Erstarkung Serbiens vorübergehend zu einem militärischen Schlag gegen den slawischen Nachbarstaat. Der Nachfolger Aehrenthals als Außenminister, Berchtold, der ursprünglich zu den Kriegsgegnern gerechnet werden konnte, änderte 1913 seine Auffassung und hielt im Herbst dieses Jahres ebenso wie der bis dahin eher friedlich gesinnte Kaiser Franz Joseph einen Krieg gegen Serbien für unvermeidlich. So benötigte in der Julikrise 1914 Conrad keinen besonderen Druck auf seinen Monarchen und die Politiker - lediglich der ungarische Ministerpräsident Tisza widerstrebte anfänglich -, um die Zustimmung zum Angriff auf Serbien zu erhalten.
Der Autor sieht primär in der internationalen Konstellation den entscheidenden Impuls für den Haltungswechsel des Außenministers. Für ihre friedliche Politik zu Beginn des ersten Balkan-Kriegs erhielt die Habsburgermonarchie von den Großmächten nur das Zugeständnis zur Gründung eines albanischen Staates, dessen Grenzen aber bereits wieder stärker von Rußland diktiert wurden. Zum anderen sah sich die Großmacht immer wieder einer Nadelstichpolitik Serbiens ausgesetzt, das im Zuge der Balkan-Kriege vom Klein- zum Mittelstaat mutierte und nun attraktiv für die Slawen in der Donaumonarchie sein konnte. Durch sein Verhalten brachte Serbien dann Österreich-Ungarn häufig an den Rand des Krieges. Die erfolgreiche Erfahrung mit Gewaltandrohungen gegenüber Serbien und die mangelhafte Unterstützung durch die Großmächte veranlaßten Berchtold zu einem Umschwenken auf die Linie Conrads. Unberücksichtigt läßt Kronenbitter, ob nicht die ständigen Präventivkriegsforderungen des Generalstabschefs indirekt die Haltung des Außenministers mitbestimmten, ob das Dringen fast aller höheren Militärs seit den Balkan-Kriegen auf einen Krieg gegen Serbien, selbst auf die Gefahr eines Zusammenbruchs des Reichs hin, nicht auf dem Wunsch beruhte, lieber mit Glorie unterzugehen, als den Status einer Großmacht zu verlieren.
Nachdem die Entscheidung zum Krieg gefallen war, spielte der Generalstabschef va banque: Obwohl er mit einem Kriegseintritt Rußlands rechnen mußte, konzentrierte er seinen Aufmarsch zunächst gegen den südlichen Nachbarstaat und disloziert in der Hoffnung auf ein starkes deutsches Engagement an der Ostfront zu geringe Kräfte gegen das Zarenreich. Statt an der russischen Front auf die Defensive zu setzen, huldigte er der bereits in Friedenszeiten bevorzugten Strategie: dem Angriff. Dies führte zu einem Desaster und Verlusten, von denen sich die Monarchie nie mehr ganz erholte.
Die Darstellung zerfällt in zwei Teile: In einem längeren strukturgeschichtlichen Abschnitt untersucht der Autor unter anderem die soziale Herkunft und Sozialisation der Offiziere, die Planungsvorstellungen des Generalstabs, die Ressourcen der Armee, die aus der Sicht der militärischen Elite fehlende Militarisierung der Gesellschaft, schließlich die Bedeutung von Spionage und von offizieller Berichterstattung durch die Militärattachés über die Gegner, aber auch die Verbündeten. Im zweiten Abschnitt verfolgt Kronenbitter den Einfluß des Generalstabschefs auf die Politik. Im Zentrum stehen die Auseinandersetzungen zwischen Conrad von Hötzendorf, dem Thronfolger Franz Ferdinand und den Vorständen seiner Militärkanzlei sowie den jeweiligen Kriegs- und Außenministern. Während der erste Buchteil eine Fülle von Informationen zur k.u.k. Armee in Friedenszeiten liefert, bestätigt der zweite weitgehend die bisherige Forschung zur Haltung der Militärs und der Außenpolitiker, wenn dies der Autor auch nicht immer deutlich zum Ausdruck bringt.
FRANZ-JOSEF KOS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Führung der österreichisch-ungarischen Armee vor 1914
Günther Kronenbitter: Krieg im Frieden. Die Führung der k.u.k. Armee und die Großmachtpolitik Österreich-Ungarns 1906-1914. R. Oldenbourg Verlag, München 2003. 579 Seiten, 79,80 [Euro].
Nachdem in den sechziger Jahren im Zuge der Fischer-Ritter-Kontroverse die Hauptschuld Deutschlands am Ausbruch des Ersten Weltkriegs gesichert schien, wird dies zu Recht seit Mitte der neunziger Jahre - unter anderem vor dem Hintergrund der Kriege um den Zerfall Jugoslawiens - wieder in Frage gestellt. Günther Kronenbitter untersucht den Beitrag der österreichisch-ungarischen Militärelite zum Kriegsausbruch. Im Mittelpunkt steht Franz Conrad von Hötzendorf, seit 1906 Chef des Generalstabs. Zu Beginn seines Amtsantritts plädierte er für Präventivkriege gegen den unsicheren Dreibund-Partner Italien und daran anschließend gegen Serbien, solange Rußland nach dem verlorenen Krieg gegen Japan noch nicht zu einem Eingreifen in der Lage war. Dem widersetzten sich allerdings Außenminister Aehrenthal (bis 1912) und Thronfolger Franz Ferdinand, obwohl der Generalstabschef sein Protegé war.
Erzherzog Franz Ferdinand lehnte wegen der innenpolitischen Schwäche der Donaumonarchie - vor allem wegen der nationalen Zusammensetzung - einen Krieg ab. Lediglich im November/Dezember 1912 neigte er vor dem Hintergrund der Balkan-Kriege und der Erstarkung Serbiens vorübergehend zu einem militärischen Schlag gegen den slawischen Nachbarstaat. Der Nachfolger Aehrenthals als Außenminister, Berchtold, der ursprünglich zu den Kriegsgegnern gerechnet werden konnte, änderte 1913 seine Auffassung und hielt im Herbst dieses Jahres ebenso wie der bis dahin eher friedlich gesinnte Kaiser Franz Joseph einen Krieg gegen Serbien für unvermeidlich. So benötigte in der Julikrise 1914 Conrad keinen besonderen Druck auf seinen Monarchen und die Politiker - lediglich der ungarische Ministerpräsident Tisza widerstrebte anfänglich -, um die Zustimmung zum Angriff auf Serbien zu erhalten.
Der Autor sieht primär in der internationalen Konstellation den entscheidenden Impuls für den Haltungswechsel des Außenministers. Für ihre friedliche Politik zu Beginn des ersten Balkan-Kriegs erhielt die Habsburgermonarchie von den Großmächten nur das Zugeständnis zur Gründung eines albanischen Staates, dessen Grenzen aber bereits wieder stärker von Rußland diktiert wurden. Zum anderen sah sich die Großmacht immer wieder einer Nadelstichpolitik Serbiens ausgesetzt, das im Zuge der Balkan-Kriege vom Klein- zum Mittelstaat mutierte und nun attraktiv für die Slawen in der Donaumonarchie sein konnte. Durch sein Verhalten brachte Serbien dann Österreich-Ungarn häufig an den Rand des Krieges. Die erfolgreiche Erfahrung mit Gewaltandrohungen gegenüber Serbien und die mangelhafte Unterstützung durch die Großmächte veranlaßten Berchtold zu einem Umschwenken auf die Linie Conrads. Unberücksichtigt läßt Kronenbitter, ob nicht die ständigen Präventivkriegsforderungen des Generalstabschefs indirekt die Haltung des Außenministers mitbestimmten, ob das Dringen fast aller höheren Militärs seit den Balkan-Kriegen auf einen Krieg gegen Serbien, selbst auf die Gefahr eines Zusammenbruchs des Reichs hin, nicht auf dem Wunsch beruhte, lieber mit Glorie unterzugehen, als den Status einer Großmacht zu verlieren.
Nachdem die Entscheidung zum Krieg gefallen war, spielte der Generalstabschef va banque: Obwohl er mit einem Kriegseintritt Rußlands rechnen mußte, konzentrierte er seinen Aufmarsch zunächst gegen den südlichen Nachbarstaat und disloziert in der Hoffnung auf ein starkes deutsches Engagement an der Ostfront zu geringe Kräfte gegen das Zarenreich. Statt an der russischen Front auf die Defensive zu setzen, huldigte er der bereits in Friedenszeiten bevorzugten Strategie: dem Angriff. Dies führte zu einem Desaster und Verlusten, von denen sich die Monarchie nie mehr ganz erholte.
Die Darstellung zerfällt in zwei Teile: In einem längeren strukturgeschichtlichen Abschnitt untersucht der Autor unter anderem die soziale Herkunft und Sozialisation der Offiziere, die Planungsvorstellungen des Generalstabs, die Ressourcen der Armee, die aus der Sicht der militärischen Elite fehlende Militarisierung der Gesellschaft, schließlich die Bedeutung von Spionage und von offizieller Berichterstattung durch die Militärattachés über die Gegner, aber auch die Verbündeten. Im zweiten Abschnitt verfolgt Kronenbitter den Einfluß des Generalstabschefs auf die Politik. Im Zentrum stehen die Auseinandersetzungen zwischen Conrad von Hötzendorf, dem Thronfolger Franz Ferdinand und den Vorständen seiner Militärkanzlei sowie den jeweiligen Kriegs- und Außenministern. Während der erste Buchteil eine Fülle von Informationen zur k.u.k. Armee in Friedenszeiten liefert, bestätigt der zweite weitgehend die bisherige Forschung zur Haltung der Militärs und der Außenpolitiker, wenn dies der Autor auch nicht immer deutlich zum Ausdruck bringt.
FRANZ-JOSEF KOS
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"Kronenbitter leistet mit seinen Forschungsergebnissen einen entscheidenden Beitrag, bei der Betrachtung des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges den Blick nicht nur auf das Deutsche Reich zu richten, sondern vor allem die Verantwortung Österreich-Ungarns als entscheidender Faktor im Vabanquespiel der Großmächte mit zu berücksichtigen. Die Arbeit wird sich zweifellos als Standardwerk durchsetzen." Sönke Neitzel, Historische Zeitschrift 279,3 / 2004 "...ce livre reste un des classiques indispensables pour toute étude future de l'armée austro-hongroise et de l'Europe à la veille de 1914." Bernard Michel, Francia 34/3, 2007