«Es liest sich, als wäre einer der ganz Großen auferstanden, um sein Werk um ein wesentliches Kapitel zu ergänzen.» (Der Spiegel)
Flandern im Herbst 1914. Gleich zu Beginn des Kriegs wird der junge Soldat Ferdinand schwer verwundet. Unter furchtbaren Bedingungen operiert, kommt er halb tot ins Militärkrankenhaus, wo eine Krankenschwester ihn pflegt, die ihn sexuell so anzieht wie er umgekehrt sie. Das Rauschen im Ohr raubt Ferdinand den Schlaf, viel schlimmer aber sind die Bilder im Kopf. Zurück im Leben, freundet er sich mit dem Zuhälter Bébert an und gibt sich zügellosem Vergnügen hin. Er überlistet den Tod, befreit sich von dem Schicksal, das ihm bestimmt war.
Die betäubende Gleichzeitigkeit von Kriegsgrauen, Naturschönheit, menschlicher Verrohung, Zynismus und Liebessehnsucht macht die Einzigartigkeit dieses Buches aus. Ein unvergesslicher Roman über die Hölle, die die Menschen sich gegenseitig bereiten.
Im Sommer 2021 ereignete sich eine literarische Sensation: Tausende Manuskriptseiten Célines tauchten wieder auf. Sie waren 1944 aus seiner Wohnung in Montmartre, während er in Nazideutschland Unterschlupf suchte, entfernt worden. «Krieg» ist das erste Buch aus diesem Konvolut. Diese kritische Ausgabe ist übersetzt auf der Grundlage der französischen Pléiade-Ausgabe (der hochangesehenen, unter
strengen Editionsrichtlinien erarbeitete Reihe von Werkausgaben des Verlages Gallimard) und mit einem Vorwort von Niklas Bender sowie einer editorischen Notiz des Übersetzers versehen.Platz 1 der französischen Bestsellerliste. 200.000 verkaufte Exemplare«Die größte literarische Sensation, die Frankreich erlebt hat.» Frankfurter Allgemeine Zeitung«Ein abgründiges, explosives, empörtes Buch, das niemals versucht, den Dreck in Gold zu verwandeln, und dennoch daraus nicht weniger macht als einen wahren Schatz.» L'Observateur«Ein kurzer, lebendiger, tragischer und schlüpfriger Text, der sich einreiht in die Meisterwerke des Autors. Ein Ereignis.» Le Monde des Livres«Ein ungeschliffener Diamant.» Le Point
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Flandern im Herbst 1914. Gleich zu Beginn des Kriegs wird der junge Soldat Ferdinand schwer verwundet. Unter furchtbaren Bedingungen operiert, kommt er halb tot ins Militärkrankenhaus, wo eine Krankenschwester ihn pflegt, die ihn sexuell so anzieht wie er umgekehrt sie. Das Rauschen im Ohr raubt Ferdinand den Schlaf, viel schlimmer aber sind die Bilder im Kopf. Zurück im Leben, freundet er sich mit dem Zuhälter Bébert an und gibt sich zügellosem Vergnügen hin. Er überlistet den Tod, befreit sich von dem Schicksal, das ihm bestimmt war.
Die betäubende Gleichzeitigkeit von Kriegsgrauen, Naturschönheit, menschlicher Verrohung, Zynismus und Liebessehnsucht macht die Einzigartigkeit dieses Buches aus. Ein unvergesslicher Roman über die Hölle, die die Menschen sich gegenseitig bereiten.
Im Sommer 2021 ereignete sich eine literarische Sensation: Tausende Manuskriptseiten Célines tauchten wieder auf. Sie waren 1944 aus seiner Wohnung in Montmartre, während er in Nazideutschland Unterschlupf suchte, entfernt worden. «Krieg» ist das erste Buch aus diesem Konvolut. Diese kritische Ausgabe ist übersetzt auf der Grundlage der französischen Pléiade-Ausgabe (der hochangesehenen, unter
strengen Editionsrichtlinien erarbeitete Reihe von Werkausgaben des Verlages Gallimard) und mit einem Vorwort von Niklas Bender sowie einer editorischen Notiz des Übersetzers versehen.Platz 1 der französischen Bestsellerliste. 200.000 verkaufte Exemplare«Die größte literarische Sensation, die Frankreich erlebt hat.» Frankfurter Allgemeine Zeitung«Ein abgründiges, explosives, empörtes Buch, das niemals versucht, den Dreck in Gold zu verwandeln, und dennoch daraus nicht weniger macht als einen wahren Schatz.» L'Observateur«Ein kurzer, lebendiger, tragischer und schlüpfriger Text, der sich einreiht in die Meisterwerke des Autors. Ein Ereignis.» Le Monde des Livres«Ein ungeschliffener Diamant.» Le Point
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Céline, der Schriftsteller, der auch Arzt ist, schreibt über die Sepsis des Lebens. Der Roman «Krieg» ist der literarische Ernstfall dieser Weltsicht. Wer Céline gelesen hat, der weiß, dass sich das menschlich Böse nicht durch Triggerwarnungen aus der Welt schaffen lässt. Paul Jandl Neue Zürcher Zeitung 20230925
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
In einer perfekten Edition, so Martin Oehlen, liegt dieser im Nachlass Louis-Ferdinand Célines gefundene Roman hier vor, freut sich Rezensent Martin Oehlen. Das Vorwort Niklas Benders zeichnet, lernen wir, die Überlieferungsgeschichte dieses ursprünglich wohl 1934 verfassten Textes nach und verweist außerdem sowohl auf Célines literarisches Können als auch auf den Antisemitismus des Nazi-Sympathisanten. In dem Roman steht allerdings, so Oehlen, klar der Schrecken des Krieges im Zentrum, der sich in eine allgemeine Verrohung aller Weltwahrnehmung sowie in eine konstitutive Unruhe übersetzt. Die von Hinrich Schmidt-Henkel verantwortete Übersetzung bringt laut Rezensent die Derbheit der Sprache Célines perfekt zum Ausdruck.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.09.2023Die Sprache
des Traumas
Louis-Ferdinand Célines wiederentdecktes,
meisterhaftes Romanfragment „Krieg“
und die Frage nach der Beziehung
zwischen Autor und literarischem Werk
VON ANDREAS BERNARD
Die Überwindung von Kriegstraumata ist in dieser Woche ein bestimmendes Thema in der deutschen Öffentlichkeit. Gerade finden in Düsseldorf die „Invictus Games“ statt („Spiele der Unbesiegten“), eine Art militärischer Paralympics, die Prinz Harry im Jahr 2014 initiiert hat und seither als Schirmherr begleitet; am vergangenen Samstag hat er für die Veranstaltung in einem viel beachteten Gespräch mit traumatisierten Veteranen im „Aktuellen Sportstudio“ geworben. Der Krieg in der Ukraine verlagert diese Fragen seit eineinhalb Jahren wieder mitten nach Europa.
Psychologie und Sport sind im 21. Jahrhundert die beiden zentralen Hilfsmittel, um das Leid der körperlich und seelisch schwerverwundeten Soldaten zu lindern; ein Leid, das, wie der beginnenden Forschung über Schlachtneurosen im späten 19. Jahrhundert und dann vor allem zur Zeit des Ersten Weltkriegs auffiel, oft durch Nachträglichkeit und beträchtliche Verzögerung gekennzeichnet ist. Unter dem Namen „Posttraumatische Belastungsstörung“, PTBS, ist diese quälende Nachträglichkeit seit dem Jahr 1980 als psychiatrische Diagnose klassifiziert. Der äußerlich unversehrte Afghanistan-Veteran im „Sportstudio sprach ruhig und informiert über seine unsichtbare Krankheit, die langsamen Erfolge der Psychotherapie und die Heilkraft des Sports.
Es ist ein logistischer Zufall, dass in der Woche der „Invictus Games“ ein neunzig Jahre alter Roman auf Deutsch veröffentlicht wird, in dem sich eine Bewältigungsstrategie soldatischer Traumata offenbart, die seit Langem verschwunden ist: die Literatur. „Krieg“ von Louis-Ferdinand Céline erscheint als erstes Buch aus dem spektakulären Konvolut von etwa 6000 Manuskriptseiten, das im Sommer 2021 im Besitz eines Journalisten aufgetaucht ist und wohl bei einem Einbruch in der Pariser Wohnung des Schriftstellers 1944 entwendet wurde.
Célines großer Roman „Reise ans Ende der Nacht“ von 1932 gilt als eine der eindringlichsten literarischen Darstellungen des Ersten Weltkriegs. Das knapp 150 Seiten lange, nicht vollständig ausgearbeitete Prosafragment „Krieg“, grandios übersetzt von Hinrich Schmidt-Henkel, schildert zwei Jahre später eine Folge von autobiografisch fundierten Ereignissen zwischen Ende 1914 und Sommer 1915, die in „Reise ans Ende der Nacht“ nur mit wenigen Sätzen angedeutet werden: die schwere Verwundung des 20-jährigen Kriegsfreiwilligen bei Ypern in Flandern, der monatelange Aufenthalt im Lazarett in einer Garnisonsstadt an der französisch-belgischen Grenze.
Ferdinand, der Ich-Erzähler, kommt zu Beginn des Fragments im Matsch des flämischen Schlachtfeldes zu sich, mit einer Kugel im Ohr und zerschossenem Arm, vermutlich als einziger Überlebender seiner Kolonne. „Gut durchpassierter Bombenbrei.“ (Dass die ersten neun Seiten des Romans fehlen, erscheint beinahe als konsequent, wiederholt die überlieferte Textfassung doch die Struktur des Traumas, dessen Ursprung in der Erinnerung ausgelöscht ist und das nur als Effekt existiert.)
Der zerfaserte innere Monolog Ferdinands im ersten Kapitel des Romans erschafft eine Sprache für die Erschütterung des unerwarteten Angriffs, die in der Geschichte der Literatur ihresgleichen sucht. Als er sich nach zwei Tagen und Nächten zum ersten Mal aufrafft, heißt es etwa: „Grauenhafte Schmerzen, von unterm Knie bis in den Kopf. Im Ohr abgesehen davon die reinste Geräuschsuppe, nichts war so wie vorher. Die Bäume wie aus Gummi, nicht mehr starr, die Straße unter meinen Stiefeln wellte sich (. . .). Ich glaubte, ich würde die Schlacht wieder aufwecken, so viel Krach machte ich innerlich. Ich machte in mir drin mehr Krach als eine Schlacht.“ Die einzige stabile Realität des Verwundeten ist der körperliche Schmerz, unter einem „Helm aus Lärm“, der sogar jeden lieblichen Naturlaut zum Kriegsgeräusch verzerrt; der Gesang der Vögel klingt „wie pfeifende Kugeln“.
Der Hauptteil von „Krieg“ spielt im Lazarett, in dem Ferdinand landet und das in seinem nihilistischen Ambiente – als Ort des Verkümmerns und Sterbens, inmitten von Kranken und Pflegerinnen, die alle fern ihrer Heimat sind – mit außergewöhnlicher Drastik beschrieben wird. Medizinische Eingriffe und sexuelle Handlungen, Katheterisierung der Inkontinenten und aufgezwungene Masturbation durch die Pflegerin gehen ineinander über; die überforderten, schlecht ausgebildeten Militärärzte benützen die todkranken Soldaten für Menschenversuche. Im Kriegslazarett reduziert sich der Mensch auf sein nacktes, animalisches Leben und wird zum „Homo sacer“, wie ihn Giorgio Agamben in seinem berühmten Buch über die Lager des 20. Jahrhunderts beschrieben hat. „Genau betrachtet“, sagt Ferdinand am Ende des Romans, bevor ihm die Flucht nach London gelingt, „hatte ich kein Gewissen mehr.“
Jede literarische Würdigung Célines muss sich mit der Tatsache auseinandersetzen, dass der Schriftsteller nach dem Misserfolg seines zweiten Romans „Tod auf Raten“ von 1936 und im Angesicht der politischen Zuspitzungen in Europa zum Autor widerwärtiger antisemitischer Pamphlete und zum Kollaborateur der Nationalsozialisten wurde; im Sommer 1944 flüchtete er von Paris nach Deutschland und Dänemark und kehrte erst 1951 nach Frankreich zurück.
Die Trennung zwischen brillantem künstlerischen Werk und abstoßenden Elementen der Künstlerbiografie ist in den vergangenen Jahren in zunehmendem Maße infrage gestellt worden; erst vorige Woche hat diese Problematisierung im Zusammenhang mit den neuen Filmen Polanskis und Woody Allens bei den Filmfestspielen in Venedig wieder lautstarke Proteste hervorgebracht.
Wie ist die immer häufiger eingeforderte Kongruenz zwischen persönlicher Ethik und der Ethik des Kunstwerks in Bezug auf Céline zu beurteilen? Seine singuläre Sprache des Kriegstraumas – Zeugnis jener Mitte des 20. Jahrhunderts ausgestorbenen Figur des schreibenden Soldaten, noch ohne Therapie und Sport – bildet die Destabilisierung und vielleicht sogar den Zusammenbruch des Subjekts ab, das volle Verantwortung für seine Standpunkte und seine Handlungen übernehmen kann. Die meisterhaft arrangierten Wahrnehmungs- und Assoziationssprünge in „Krieg“, Granatsplitter im Bewusstseinsstrom, finden eine literarische Form für die Erfahrung der Schlacht, die 1914 bis 1918 zum letzten Mal vorwiegend auf archaisch-unmittelbare Weise, ohne die Abstraktion späterer Luftkriege und computergestützter Waffeneinsätze, geführt wurde. Romane wie „Krieg“ oder „Reise ans Ende der Nacht“ müssen daher gerade als kunstvolle Herstellung einer Rede ohne souveränen Sprecher gelesen werden, als Protokolle einer namenlosen Erschütterung, und kappen damit die Entsprechung von Autor und Werk.
Zudem ließen sich am Fall Céline bestimmte Anmerkungen zum Verhältnis von literarischer Form und intendiertem Inhalt erproben, die etwa für Adornos Ästhetik konstitutiv waren und die in seinen literaturtheoretischen Essays zu unerwarteten Vorlieben und Zurückweisungen geführt haben – zur Verteidigung reaktionärer Schriftsteller wie Rudolf Borchardt oder Paul Valéry und zu scharfer Kritik an den wohlgemeinten Theaterstücken Brechts und Sartres. Die politische Wirkungskraft von Literatur zeigt sich für Adorno allein in ihrem spezifischen Geformtsein, in ihrer Antithese zur rohen Empirie; das radikale Versenken in Probleme der literarischen Form, unabhängig von allen politischen Haltungen und Botschaften des Autors, erscheint als genau der Beitrag zu einer humaneren Welt, der Kunstwerken möglich ist.
Im Vergleich zu den dialektischen Überlegungen Adornos wirkt ein Teil der gegenwärtigen Literaturkritik – mit seiner Verlagerung von sprachlichen und strukturellen Kriterien auf rein inhaltliche, mit seinen Entsprechungsvorgaben zwischen der sozialpolitischen Relevanz eines Roman-Plots und der Bewertung der literarischen Güte – wie eine Banalisierung der Auseinandersetzung mit poetologischen Fragen. Louis-Ferdinand Célines Fragment „Krieg“, der erste einer Reihe kommender Romane aus dem wiedergefundenen Nachlass, könnte womöglich dazu führen, an ein komplexeres Denken der Beziehung von Literatur und empirischer Welt, von Autor und Werk anzuknüpfen.
Céline wurde später
zum Autor widerwärtiger
antisemitischer Pamphlete
Adorno: Literatur
als Antithese
zur rohen Empirie
Louis-Ferdinand Céline im Jahr 1932.
Foto: mauritius images / Alamy / Zip Lexing
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des Traumas
Louis-Ferdinand Célines wiederentdecktes,
meisterhaftes Romanfragment „Krieg“
und die Frage nach der Beziehung
zwischen Autor und literarischem Werk
VON ANDREAS BERNARD
Die Überwindung von Kriegstraumata ist in dieser Woche ein bestimmendes Thema in der deutschen Öffentlichkeit. Gerade finden in Düsseldorf die „Invictus Games“ statt („Spiele der Unbesiegten“), eine Art militärischer Paralympics, die Prinz Harry im Jahr 2014 initiiert hat und seither als Schirmherr begleitet; am vergangenen Samstag hat er für die Veranstaltung in einem viel beachteten Gespräch mit traumatisierten Veteranen im „Aktuellen Sportstudio“ geworben. Der Krieg in der Ukraine verlagert diese Fragen seit eineinhalb Jahren wieder mitten nach Europa.
Psychologie und Sport sind im 21. Jahrhundert die beiden zentralen Hilfsmittel, um das Leid der körperlich und seelisch schwerverwundeten Soldaten zu lindern; ein Leid, das, wie der beginnenden Forschung über Schlachtneurosen im späten 19. Jahrhundert und dann vor allem zur Zeit des Ersten Weltkriegs auffiel, oft durch Nachträglichkeit und beträchtliche Verzögerung gekennzeichnet ist. Unter dem Namen „Posttraumatische Belastungsstörung“, PTBS, ist diese quälende Nachträglichkeit seit dem Jahr 1980 als psychiatrische Diagnose klassifiziert. Der äußerlich unversehrte Afghanistan-Veteran im „Sportstudio sprach ruhig und informiert über seine unsichtbare Krankheit, die langsamen Erfolge der Psychotherapie und die Heilkraft des Sports.
Es ist ein logistischer Zufall, dass in der Woche der „Invictus Games“ ein neunzig Jahre alter Roman auf Deutsch veröffentlicht wird, in dem sich eine Bewältigungsstrategie soldatischer Traumata offenbart, die seit Langem verschwunden ist: die Literatur. „Krieg“ von Louis-Ferdinand Céline erscheint als erstes Buch aus dem spektakulären Konvolut von etwa 6000 Manuskriptseiten, das im Sommer 2021 im Besitz eines Journalisten aufgetaucht ist und wohl bei einem Einbruch in der Pariser Wohnung des Schriftstellers 1944 entwendet wurde.
Célines großer Roman „Reise ans Ende der Nacht“ von 1932 gilt als eine der eindringlichsten literarischen Darstellungen des Ersten Weltkriegs. Das knapp 150 Seiten lange, nicht vollständig ausgearbeitete Prosafragment „Krieg“, grandios übersetzt von Hinrich Schmidt-Henkel, schildert zwei Jahre später eine Folge von autobiografisch fundierten Ereignissen zwischen Ende 1914 und Sommer 1915, die in „Reise ans Ende der Nacht“ nur mit wenigen Sätzen angedeutet werden: die schwere Verwundung des 20-jährigen Kriegsfreiwilligen bei Ypern in Flandern, der monatelange Aufenthalt im Lazarett in einer Garnisonsstadt an der französisch-belgischen Grenze.
Ferdinand, der Ich-Erzähler, kommt zu Beginn des Fragments im Matsch des flämischen Schlachtfeldes zu sich, mit einer Kugel im Ohr und zerschossenem Arm, vermutlich als einziger Überlebender seiner Kolonne. „Gut durchpassierter Bombenbrei.“ (Dass die ersten neun Seiten des Romans fehlen, erscheint beinahe als konsequent, wiederholt die überlieferte Textfassung doch die Struktur des Traumas, dessen Ursprung in der Erinnerung ausgelöscht ist und das nur als Effekt existiert.)
Der zerfaserte innere Monolog Ferdinands im ersten Kapitel des Romans erschafft eine Sprache für die Erschütterung des unerwarteten Angriffs, die in der Geschichte der Literatur ihresgleichen sucht. Als er sich nach zwei Tagen und Nächten zum ersten Mal aufrafft, heißt es etwa: „Grauenhafte Schmerzen, von unterm Knie bis in den Kopf. Im Ohr abgesehen davon die reinste Geräuschsuppe, nichts war so wie vorher. Die Bäume wie aus Gummi, nicht mehr starr, die Straße unter meinen Stiefeln wellte sich (. . .). Ich glaubte, ich würde die Schlacht wieder aufwecken, so viel Krach machte ich innerlich. Ich machte in mir drin mehr Krach als eine Schlacht.“ Die einzige stabile Realität des Verwundeten ist der körperliche Schmerz, unter einem „Helm aus Lärm“, der sogar jeden lieblichen Naturlaut zum Kriegsgeräusch verzerrt; der Gesang der Vögel klingt „wie pfeifende Kugeln“.
Der Hauptteil von „Krieg“ spielt im Lazarett, in dem Ferdinand landet und das in seinem nihilistischen Ambiente – als Ort des Verkümmerns und Sterbens, inmitten von Kranken und Pflegerinnen, die alle fern ihrer Heimat sind – mit außergewöhnlicher Drastik beschrieben wird. Medizinische Eingriffe und sexuelle Handlungen, Katheterisierung der Inkontinenten und aufgezwungene Masturbation durch die Pflegerin gehen ineinander über; die überforderten, schlecht ausgebildeten Militärärzte benützen die todkranken Soldaten für Menschenversuche. Im Kriegslazarett reduziert sich der Mensch auf sein nacktes, animalisches Leben und wird zum „Homo sacer“, wie ihn Giorgio Agamben in seinem berühmten Buch über die Lager des 20. Jahrhunderts beschrieben hat. „Genau betrachtet“, sagt Ferdinand am Ende des Romans, bevor ihm die Flucht nach London gelingt, „hatte ich kein Gewissen mehr.“
Jede literarische Würdigung Célines muss sich mit der Tatsache auseinandersetzen, dass der Schriftsteller nach dem Misserfolg seines zweiten Romans „Tod auf Raten“ von 1936 und im Angesicht der politischen Zuspitzungen in Europa zum Autor widerwärtiger antisemitischer Pamphlete und zum Kollaborateur der Nationalsozialisten wurde; im Sommer 1944 flüchtete er von Paris nach Deutschland und Dänemark und kehrte erst 1951 nach Frankreich zurück.
Die Trennung zwischen brillantem künstlerischen Werk und abstoßenden Elementen der Künstlerbiografie ist in den vergangenen Jahren in zunehmendem Maße infrage gestellt worden; erst vorige Woche hat diese Problematisierung im Zusammenhang mit den neuen Filmen Polanskis und Woody Allens bei den Filmfestspielen in Venedig wieder lautstarke Proteste hervorgebracht.
Wie ist die immer häufiger eingeforderte Kongruenz zwischen persönlicher Ethik und der Ethik des Kunstwerks in Bezug auf Céline zu beurteilen? Seine singuläre Sprache des Kriegstraumas – Zeugnis jener Mitte des 20. Jahrhunderts ausgestorbenen Figur des schreibenden Soldaten, noch ohne Therapie und Sport – bildet die Destabilisierung und vielleicht sogar den Zusammenbruch des Subjekts ab, das volle Verantwortung für seine Standpunkte und seine Handlungen übernehmen kann. Die meisterhaft arrangierten Wahrnehmungs- und Assoziationssprünge in „Krieg“, Granatsplitter im Bewusstseinsstrom, finden eine literarische Form für die Erfahrung der Schlacht, die 1914 bis 1918 zum letzten Mal vorwiegend auf archaisch-unmittelbare Weise, ohne die Abstraktion späterer Luftkriege und computergestützter Waffeneinsätze, geführt wurde. Romane wie „Krieg“ oder „Reise ans Ende der Nacht“ müssen daher gerade als kunstvolle Herstellung einer Rede ohne souveränen Sprecher gelesen werden, als Protokolle einer namenlosen Erschütterung, und kappen damit die Entsprechung von Autor und Werk.
Zudem ließen sich am Fall Céline bestimmte Anmerkungen zum Verhältnis von literarischer Form und intendiertem Inhalt erproben, die etwa für Adornos Ästhetik konstitutiv waren und die in seinen literaturtheoretischen Essays zu unerwarteten Vorlieben und Zurückweisungen geführt haben – zur Verteidigung reaktionärer Schriftsteller wie Rudolf Borchardt oder Paul Valéry und zu scharfer Kritik an den wohlgemeinten Theaterstücken Brechts und Sartres. Die politische Wirkungskraft von Literatur zeigt sich für Adorno allein in ihrem spezifischen Geformtsein, in ihrer Antithese zur rohen Empirie; das radikale Versenken in Probleme der literarischen Form, unabhängig von allen politischen Haltungen und Botschaften des Autors, erscheint als genau der Beitrag zu einer humaneren Welt, der Kunstwerken möglich ist.
Im Vergleich zu den dialektischen Überlegungen Adornos wirkt ein Teil der gegenwärtigen Literaturkritik – mit seiner Verlagerung von sprachlichen und strukturellen Kriterien auf rein inhaltliche, mit seinen Entsprechungsvorgaben zwischen der sozialpolitischen Relevanz eines Roman-Plots und der Bewertung der literarischen Güte – wie eine Banalisierung der Auseinandersetzung mit poetologischen Fragen. Louis-Ferdinand Célines Fragment „Krieg“, der erste einer Reihe kommender Romane aus dem wiedergefundenen Nachlass, könnte womöglich dazu führen, an ein komplexeres Denken der Beziehung von Literatur und empirischer Welt, von Autor und Werk anzuknüpfen.
Céline wurde später
zum Autor widerwärtiger
antisemitischer Pamphlete
Adorno: Literatur
als Antithese
zur rohen Empirie
Louis-Ferdinand Céline im Jahr 1932.
Foto: mauritius images / Alamy / Zip Lexing
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