Das Deutsche Reich wurde auf den Schlachtfeldern Frankreichs geboren, im Spiegelsaal von Versailles schien sich Preußens Berufung in der deutschen Geschichte zu erfüllen. Doch die nationale Einheitsrhetorik der Publizisten verdeckte nur mühsam die Gräben zwischen Nord und Süd, zwischen Konservativen und Demokraten und vor allem auch zwischen Katholiken und Protestanten. Mit einem wissenssoziologisch fundierten Erfahrungsbegriff untersucht der Autor, wie Feldgeistliche den deutsch-französischen Krieg gedeutet haben. Die Kontrastierung von archivalischen und publizierten Quellen - von Briefen und Berichten über Feld- predigten bis zu Kriegserinnerungen - zeigt, wie selektiv einzelne, teilweise widersprüchliche Elemente der Kriegserfahrungen in verschiedenen Kommunikationsfeldern und zu unterschiedlichen Zeiten Gewicht erhielten. Vor der Schablone der publizistischen Diskurse wird ersichtlich, wie das vermeintlich hoch Individuelle aus den kollektiven Mustern erwuchs und sich seinerseits verstärkend oder umlenkend in das allgemeine Wissen um den Krieg zurück speiste. Damit bereichert die Studie auch methodisch die Diskussion um eine Weiterentwicklung der Militärgeschichte um einen gewichtigen Beitrag.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Die Frage, auf die dieser Band einige nicht uninteressante Lichter wirft, ist die nach der Entstehung der deutschen Nation. Der Autor sucht dabei nicht auf den vertrauten Pfaden, sondern auf dem Nebenweg des Alltags der Feld- und Lazarattgeistlichen. Deren Briefe, Berichte, Predigten hat er untersucht, um eine Antwort auf seine Frage zu finden. Zu erfahren ist dabei, dass es neben Übereinstimmungen in der religiösen Haltung und in der Überzeugung von der Legitimität des Krieges entscheidende Differenzen zwischen den Konfessionen gab. Während die Katholiken die Niederlage der Franzosen in deren Abwendung vom Katholizismus begründet sahen, erkannten die Protestanten gerade im Katholizismus der Franzosen die Ursache für die - da war man sich wieder einig: gerechte - Niederlage. Der Rezensent Ulrich Lappenküler beschränkt sich weitgehend aufs Referat, lobt die gewonnenen Erkenntnisse aber als "sehr interessant".
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.11.2004Gott mit uns!
Feldgeistliche und der Sieg 1870/71 / Von Ulrich Lappenküper
Daß das Deutsche Reich 1870/71 auf den Schlachtfeldern Frankreichs gegründet wurde, ist bekannt. Wie aber entstand die deutsche Nation? Sehr interessante Antworten auf diese Frage liefert Christian Rak. Er analysiert Privatbriefe, Dienstberichte, Feldpredigten, Erlebnisreportagen und Kriegserinnerungen der im deutsch-französischen Krieg tätigen Feld- und Lazarettgeistlichen. Dabei interessieren ihn weniger die in den Dokumenten wiedergegebenen unmittelbaren Kriegserlebnisse als vielmehr die Konstruktion der Kriegswirklichkeit "in verschiedenen Kommunikationsordnungen". Nach kompakten Erläuterungen über die Organisation der Feld- und Lazarettseelsorge durchleuchtet Rak die Kriegsschilderungen der aus Preußen, Bayern und Württemberg stammenden "Männer des Friedens". Obwohl die etwa 350 Feldgeistlichen nach Titel und Rang, geographischer Herkunft und konfessioneller Zugehörigkeit keine homogene Gruppe waren, stimmte das Bild ihrer Kriegserfahrungen in zweierlei Hinsicht überein: in der Betonung der tiefen Religiosität der deutschen Soldaten und in der Legitimierung des Krieges. Durch konfessionelle Prägungen bedingte Meinungsverschiedenheiten gab es hingegen über den Kriegsgegner Frankreich. Grosso modo interpretierten Katholiken wie Protestanten die Auseinandersetzung gegen den Nachbarn als Konsequenz eines "sittlich-religiösen Verfalls", für den sie vor allem "Prostitution und öffentliche Präsentation ,obszöner' Motive", das "törichte Streben" der französischen Frauen nach Emanzipation sowie das "allzu lebhafte sexuelle ,Normalverhalten' der Franzosen" verantwortlich machten.
Während die katholischen Feldgeistlichen den Niedergang Frankreichs aus dem Abfall von der katholischen Kirche erklärten, führten die protestantischen Kameraden ihn auf den schädlichen Einfluß der römischen Kirche zurück. Abgesehen vom gemeinsamen Deutungsmuster des Krieges als "Gottesgericht", kamen sie in ihrer Ursachenforschung zu entgegengesetzten Ergebnissen: Die protestantische Seite erkannte die Wurzeln der französischen Mißstände in der dortigen Herrschaft der katholischen Kirche und führte die Übermacht der deutschen Soldaten auf den Protestantismus und dessen höheren sittlich-moralischen Wert zurück. Demgegenüber sprach die katholische Seite dem französischen Volk ob seiner Entfremdung von der Kirche das Attribut katholisch ganz ab.
Mochte der Blick auf das sündhafte Nachbarvolk den Kampf auch in einen "göttlichen Heilsplan" einordnen, waren die Katholiken dennoch nicht bereit, sich in die nationalprotestantische Lesart vom Feldzug des überlegenen germanischen Protestantismus gegen den rückständigen romanischen Katholizismus einzufügen. Interpretationen, die den Schlachtfeldtod für das Vaterland zu sakrilisieren und Gott für die Nation in Besitz zu nehmen versuchten, fand Rak hauptsächlich in Schriften protestantischer Provenienz, und zwar in solchen, die zur Veröffentlichung bestimmt waren. Gewiß, auch die katholischen Feldgeistlichen gaben seinen Forschungen zufolge nationalistische Parolen an die Soldaten aus und nahmen so in gewisser Weise "die Nationalisierung, die im deutschen Katholizismus erst nach der Beilegung des Kulturkampfes durchgriff", vorweg. Wie die Lutheraner sperrten sie sich aber gegen eine Vergötzung der Nation, weil diese die Religion in ihrer Bedeutung zu relativieren drohte. Rak weist nach, daß die mentale Deutschlandkarte bei den Feldgeistlichen des deutsch-französischen Krieges unter der Oberfläche der nationalen Einheitssemantik "außerordentlich stark föderativ geprägt" war. Letztlich aber bildete in der Beschreibung ihrer Kriegserfahrungen nicht die Region, sondern die Religion das zentrale Unterscheidungskriterium.
Christian Rak: "Krieg, Nation und Konfession". Die Erfahrung des deutsch-französischen Krieges von 1870/71. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2004. 455 S., 69,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Feldgeistliche und der Sieg 1870/71 / Von Ulrich Lappenküper
Daß das Deutsche Reich 1870/71 auf den Schlachtfeldern Frankreichs gegründet wurde, ist bekannt. Wie aber entstand die deutsche Nation? Sehr interessante Antworten auf diese Frage liefert Christian Rak. Er analysiert Privatbriefe, Dienstberichte, Feldpredigten, Erlebnisreportagen und Kriegserinnerungen der im deutsch-französischen Krieg tätigen Feld- und Lazarettgeistlichen. Dabei interessieren ihn weniger die in den Dokumenten wiedergegebenen unmittelbaren Kriegserlebnisse als vielmehr die Konstruktion der Kriegswirklichkeit "in verschiedenen Kommunikationsordnungen". Nach kompakten Erläuterungen über die Organisation der Feld- und Lazarettseelsorge durchleuchtet Rak die Kriegsschilderungen der aus Preußen, Bayern und Württemberg stammenden "Männer des Friedens". Obwohl die etwa 350 Feldgeistlichen nach Titel und Rang, geographischer Herkunft und konfessioneller Zugehörigkeit keine homogene Gruppe waren, stimmte das Bild ihrer Kriegserfahrungen in zweierlei Hinsicht überein: in der Betonung der tiefen Religiosität der deutschen Soldaten und in der Legitimierung des Krieges. Durch konfessionelle Prägungen bedingte Meinungsverschiedenheiten gab es hingegen über den Kriegsgegner Frankreich. Grosso modo interpretierten Katholiken wie Protestanten die Auseinandersetzung gegen den Nachbarn als Konsequenz eines "sittlich-religiösen Verfalls", für den sie vor allem "Prostitution und öffentliche Präsentation ,obszöner' Motive", das "törichte Streben" der französischen Frauen nach Emanzipation sowie das "allzu lebhafte sexuelle ,Normalverhalten' der Franzosen" verantwortlich machten.
Während die katholischen Feldgeistlichen den Niedergang Frankreichs aus dem Abfall von der katholischen Kirche erklärten, führten die protestantischen Kameraden ihn auf den schädlichen Einfluß der römischen Kirche zurück. Abgesehen vom gemeinsamen Deutungsmuster des Krieges als "Gottesgericht", kamen sie in ihrer Ursachenforschung zu entgegengesetzten Ergebnissen: Die protestantische Seite erkannte die Wurzeln der französischen Mißstände in der dortigen Herrschaft der katholischen Kirche und führte die Übermacht der deutschen Soldaten auf den Protestantismus und dessen höheren sittlich-moralischen Wert zurück. Demgegenüber sprach die katholische Seite dem französischen Volk ob seiner Entfremdung von der Kirche das Attribut katholisch ganz ab.
Mochte der Blick auf das sündhafte Nachbarvolk den Kampf auch in einen "göttlichen Heilsplan" einordnen, waren die Katholiken dennoch nicht bereit, sich in die nationalprotestantische Lesart vom Feldzug des überlegenen germanischen Protestantismus gegen den rückständigen romanischen Katholizismus einzufügen. Interpretationen, die den Schlachtfeldtod für das Vaterland zu sakrilisieren und Gott für die Nation in Besitz zu nehmen versuchten, fand Rak hauptsächlich in Schriften protestantischer Provenienz, und zwar in solchen, die zur Veröffentlichung bestimmt waren. Gewiß, auch die katholischen Feldgeistlichen gaben seinen Forschungen zufolge nationalistische Parolen an die Soldaten aus und nahmen so in gewisser Weise "die Nationalisierung, die im deutschen Katholizismus erst nach der Beilegung des Kulturkampfes durchgriff", vorweg. Wie die Lutheraner sperrten sie sich aber gegen eine Vergötzung der Nation, weil diese die Religion in ihrer Bedeutung zu relativieren drohte. Rak weist nach, daß die mentale Deutschlandkarte bei den Feldgeistlichen des deutsch-französischen Krieges unter der Oberfläche der nationalen Einheitssemantik "außerordentlich stark föderativ geprägt" war. Letztlich aber bildete in der Beschreibung ihrer Kriegserfahrungen nicht die Region, sondern die Religion das zentrale Unterscheidungskriterium.
Christian Rak: "Krieg, Nation und Konfession". Die Erfahrung des deutsch-französischen Krieges von 1870/71. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2004. 455 S., 69,- [Euro].
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