Wie sind die Folgen des 11. September völkerrechtlich zu bewerten, und was hat der Krieg im Irak damit zu tun? Ist er ein Krieg auf Verdacht oder ein imperialer Gründungskrieg?
In diesem seit Erscheinen kontrovers diskutierten Buch beschreibt Ulrich K. Preuß die Schwierigkeiten der Weltgemeinschaft, die neue Dimension von Krieg und Verbrechen zu begreifen und mit ihr umzugehen.
Nicht umsonst ächtet die Satzung der Vereinten Nationen den Krieg: man muss kein Pazifist sein, um die "Fortsetzung des politischen Verkehrs mit Einfluss anderer Mittel" zu verabscheuen - dennoch: welche Möglichkeiten gibt es, auf Ereignisse wie das des 11. September zu reagieren, auf das Machtvakuum in zerfallenen Staaten oder die Bedrohung, die von Terrorregimen ausgeht?
Wie geht man mit einem "Fall Afghanistan", wie mit dem Irak um? Und welche Rolle spielt dabei Amerika, das von der "Achse des Bösen" redet, aber imperiale Interessen verfolgt?
Zur zweiten, jetzt im Taschenbuch erscheinenden Auflage, wurde das Buch um Gedanken zum Krieg im Irak erweitert.
In diesem seit Erscheinen kontrovers diskutierten Buch beschreibt Ulrich K. Preuß die Schwierigkeiten der Weltgemeinschaft, die neue Dimension von Krieg und Verbrechen zu begreifen und mit ihr umzugehen.
Nicht umsonst ächtet die Satzung der Vereinten Nationen den Krieg: man muss kein Pazifist sein, um die "Fortsetzung des politischen Verkehrs mit Einfluss anderer Mittel" zu verabscheuen - dennoch: welche Möglichkeiten gibt es, auf Ereignisse wie das des 11. September zu reagieren, auf das Machtvakuum in zerfallenen Staaten oder die Bedrohung, die von Terrorregimen ausgeht?
Wie geht man mit einem "Fall Afghanistan", wie mit dem Irak um? Und welche Rolle spielt dabei Amerika, das von der "Achse des Bösen" redet, aber imperiale Interessen verfolgt?
Zur zweiten, jetzt im Taschenbuch erscheinenden Auflage, wurde das Buch um Gedanken zum Krieg im Irak erweitert.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.10.2002Linksatlantisches Tief
In Ulrich K. Preußens Wasserglas stürmen Demokratie und Krieg
Seit einigen Jahren ist es üblich, dass der Westen unter der Führung der Vereinigten Staaten auf dem Globus Kriege anfängt, die als humanitäre Interventionen dargestellt werden. Das ist ungewohnt und neu und hat zur Folge, dass die Begriffe, die zur Beschreibung dieser Interventionen dienen, überholt werden: Zusammen mit dem Nationalstaat alten Zuschnitts, so heißt es, gehe auch die herkömmliche Vorstellung vom Krieg verloren. Und das Völkerrecht müsse sich diesem Prozess billigerweise anpassen.
Über eine Umgestaltung der alten Begriffslandschaft kann man natürlich diskutieren. Ulrich K. Preuß nennt einige Gründe, die dafür sprechen: Heutige Kriege seien immer öfter Bürgerkriege und immer weniger Territorialkriege, wie sie das Abendland in den vergangenen 350 Jahre erlebt habe. Zudem habe der Westen es mit neuen Kriegsschauplätzen zu tun: Immer öfter seien dies Länder, wo die organisierte Staatlichkeit dem Chaos gewichen ist.
Die „failed states”, wie Madeleine Albright sie nannte, Länder wie Somalia, Ruanda, der Sudan, Angola, Afghanistan und andere, verfügen über kein zentrales Gewaltmonopol mehr. Allein schon deshalb können sie keine Kriege nach außen führen. Im Inneren herrscht indes ein rechtsfreier Raum. „Die Grenzen zwischen politischer und krimineller Bandengewalt”, schreibt Preuß, seien fließend geworden: „Man weiß nicht, ob das Verbrechen ein Mittel der Politik und des Krieges oder ob die Politik und der Krieg ein Mittel des Verbrechens sind.”
Das ist ein Befund, der schon vor dem 11. September 2001 galt. Den seitdem laufenden „Krieg gegen den Terror” sucht der Spezialist für Staats- und Verfassungsrecht Ulrich Preuß von verschiedenen Seiten zu beleuchten. Sehr viel heller wird es zwar nicht. Die Gründe dafür sind allerdings interessant: Preuß ist so etwas wie ein „linker Atlantiker”, ein Mann also, der zur Amerikafreundschaft gewissermaßen konvertiert ist. Dass dergleichen mitunter nur um den Preis einer partiellen Blindheit zu haben ist, zeigt sein Essay. Preuß ist es nicht zufrieden, seine juristischen Kenntnisse sprechen zu lassen. Er mischt das politisch Plausible mit dem moralisch Wünschbaren. Zudem macht er Ausflüge in Gebiete, wo er nicht viel verloren hat, etwa in die islamische Religionstheorie.
Preuß versucht sich einen Vers auf den 11. September und seine Folgen zu machen, der dem Entsetzen, das die Welt damals erfasste, Rechnung trüge. Er widmet sich auch noch den letzten Dingen. So fragt er, ob wir an jenem Tag dem grundlegend Bösen begegnet seien. Er ergeht sich in freien Spekulationen über die Religiosität der Attentäter; und er ist sich nicht zu schade, irgendwie angelesene Thesen über den Islam wiederzugeben. So wie diese Religion beschaffen ist, sei es nicht erstaunlich, „dass es unter den gegenwärtigen Staaten mit überwiegend islamischer Bevölkerung nur sehr wenige, wenn überhaupt einen gibt, der die Mindestanforderungen an eine demokratische Ordnung erfüllt”. Zur Darlegung dieser (schon von Samuel Huntington verbreiteten) These, dass Muslime zur Demokratie nicht in der Lage seien, benötigt Preuß keine sechs Buchseiten.
Mindestens so ausführlich widmet er sich den Motiven der Attentäter: Diese begutachtet er unter anderem im Licht der Verheißung, dass im islamischen Paradies „nicht weniger” als 72 Jungfrauen den Märtyrer erwarten, zwar seien diese Jungfrauen himmlische Wesen, weshalb jegliche „sexuelle Konnotation” sich verbiete, doch könne man „wohl vor allem bei schlichteren Gemütern ein stärker weltliches Verständnis der sie erwartenden Seligkeit nicht ausschließen”.
Dessen ungeachtet, meint Preuß, spreche einiges dafür, dass Mohammed Atta „inbrünstig glaubte”. Wissen tut Preuß es nicht, was er etwas später auch mitteilt: über die Religiosität der Täter „wissen wir nicht viel und müssen wir auch nicht viel wissen, um den Anteil der Religion an den Verbrechen zu erkennen”. Was Preuß vor allem nicht zu wissen scheint: Dass politischer Fanatismus, Religion und die schiere Gewalt untrennbar miteinander verschmelzen können, hat man auch unter Christen – etwa in Nordirland – studieren können. So weit zu dem Begriff „Blasphemie”, der dem Titel des Essays die aparte Note gibt.
Im Hinblick auf „Krieg” und „Verbrechen”, ist Preuß zwar näher an der Sache, allerdings vermittelt er auch hier den Eindruck einer gewissen Unschärfe. Das liegt vor allem daran, dass er die mit militärischen Mitteln betriebene Machtpolitik der Vereinigten Staaten nur unvollkommen wahrnimmt.
Preuß widerspricht Immanuel Kants These, Republiken eigneten sich schlecht als Kriegsnationen. Die USA zum Beispiel, sagt er, seien in den Ersten und in den Zweiten Weltkrieg eingetreten und hätten den Kosovo-Krieg geführt, obwohl es dabei nicht in erster Linie um die Verteidigung ihrer „unmittelbaren staatlichen Interessen” gegangen sei. Die Kriege demokratischer Staaten, schreibt er, seien „meistens” Kriege „zur Verteidigung bestimmter überstaatlicher, universelle Geltung beanspruchender Wahrheiten und Werte”.
Das Argument ist so gut wie die Behauptung, dass Hunde „meistens” braun sind, sofern ihr Fell nicht eine andere Farbe hat: In einer klugen Replik auf Samuel Huntingtons Behauptung, demokratische Staaten würden einander nicht bekriegen, hat Dietrich Thränhardt daran erinnert, was die USA in Demokratien so alles angezettelt haben: 1953 wurde die Regierung des gewählten iranischen Premierministers Mossadeq gestürzt. 1968 wurde in der Dominikanischen Republik die gewählte Regierung Juan Boschs durch ein diktatorisches Regime ersetzt. Am 11. September 1973 wurde Salvador Allende umgebracht.
Nacktheit und Spontaneität
Dass Preuß diese und andere militärischen Operationen nicht berücksichtigt, lässt seine Gedanken über Krieg und Demokratie und die Rolle der USA etwas weltfremd aussehen. Dabei zeigt er sich durchaus irritiert über die ungetrübte Interessenpolitik der Vereinigten Staaten. Auch aus dieser Irritation heraus plädiert er dafür, die Jagd auf Al Qaida lieber als internationale Polizeiaktion denn als „Krieg gegen den Terror” zu führen.
Dann aber fährt er sich selbst in die Parade: Immerhin habe die großmächtige Interessenpolitik der USA zur „konkreten Abhilfe” gegen die „grausamen und nachhaltigen Menschenrechtsverletzungen” der Taliban geführt. Preuß ist beeindruckt: „Es bedurfte des nackten Interesses der USA und des spontanen moralischen Affektes ihrer Bürger, um der Vernunft und der Gerechtigkeit zum Siege zu verhelfen.” Man kann über die Sieger des Bombardements in Afghanistan manches sagen, aber „Vernunft” und „Gerechtigkeit” heißen sie sicher nicht. Die sicherheitspolitische Lage in Afghanistans ist seit der amerikanischen Intervention nicht besser geworden, sie ist lediglich anders.
Preuß scheint den Afghanistan-Krieg zu billigen, aber er würde ihn noch lieber billigen, wenn er glauben dürfte, dass dieser ganz allein aus humanitären Motiven geführt wurde. Einerseits erkennt er die Position der USA als selbstherrlicher Hegemon an. Dann aber plädiert er dafür, die völkerrechtliche Legitimation für den Kampf gegen den Terrorismus eher aus der Verantwortung des UNO-Sicherheitsrates denn aus dem Selbstverteidigungsrecht der Staaten herzuleiten. Kurz: Er affirmiert die amerikanische Hegemonie – und fordert gleichzeitig, dass die militärische Souveränität der USA kontrolliert werde. Dass da ein Widerspruch besteht, stört ihn nicht. Und so kommt es ihm auch nicht in den Sinn, dass ein aktualisierter Begriff vom „Krieg” zuallererst davon abhängt, wie die amerikanische Politik beschaffen ist.
FRANZISKAAUGSTEIN
ULRICH K. PREUß: Krieg, Verbrechen, Blasphemie. Zum Wandel bewaffneter Gewalt. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2002. 153 S., 17,50 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
In Ulrich K. Preußens Wasserglas stürmen Demokratie und Krieg
Seit einigen Jahren ist es üblich, dass der Westen unter der Führung der Vereinigten Staaten auf dem Globus Kriege anfängt, die als humanitäre Interventionen dargestellt werden. Das ist ungewohnt und neu und hat zur Folge, dass die Begriffe, die zur Beschreibung dieser Interventionen dienen, überholt werden: Zusammen mit dem Nationalstaat alten Zuschnitts, so heißt es, gehe auch die herkömmliche Vorstellung vom Krieg verloren. Und das Völkerrecht müsse sich diesem Prozess billigerweise anpassen.
Über eine Umgestaltung der alten Begriffslandschaft kann man natürlich diskutieren. Ulrich K. Preuß nennt einige Gründe, die dafür sprechen: Heutige Kriege seien immer öfter Bürgerkriege und immer weniger Territorialkriege, wie sie das Abendland in den vergangenen 350 Jahre erlebt habe. Zudem habe der Westen es mit neuen Kriegsschauplätzen zu tun: Immer öfter seien dies Länder, wo die organisierte Staatlichkeit dem Chaos gewichen ist.
Die „failed states”, wie Madeleine Albright sie nannte, Länder wie Somalia, Ruanda, der Sudan, Angola, Afghanistan und andere, verfügen über kein zentrales Gewaltmonopol mehr. Allein schon deshalb können sie keine Kriege nach außen führen. Im Inneren herrscht indes ein rechtsfreier Raum. „Die Grenzen zwischen politischer und krimineller Bandengewalt”, schreibt Preuß, seien fließend geworden: „Man weiß nicht, ob das Verbrechen ein Mittel der Politik und des Krieges oder ob die Politik und der Krieg ein Mittel des Verbrechens sind.”
Das ist ein Befund, der schon vor dem 11. September 2001 galt. Den seitdem laufenden „Krieg gegen den Terror” sucht der Spezialist für Staats- und Verfassungsrecht Ulrich Preuß von verschiedenen Seiten zu beleuchten. Sehr viel heller wird es zwar nicht. Die Gründe dafür sind allerdings interessant: Preuß ist so etwas wie ein „linker Atlantiker”, ein Mann also, der zur Amerikafreundschaft gewissermaßen konvertiert ist. Dass dergleichen mitunter nur um den Preis einer partiellen Blindheit zu haben ist, zeigt sein Essay. Preuß ist es nicht zufrieden, seine juristischen Kenntnisse sprechen zu lassen. Er mischt das politisch Plausible mit dem moralisch Wünschbaren. Zudem macht er Ausflüge in Gebiete, wo er nicht viel verloren hat, etwa in die islamische Religionstheorie.
Preuß versucht sich einen Vers auf den 11. September und seine Folgen zu machen, der dem Entsetzen, das die Welt damals erfasste, Rechnung trüge. Er widmet sich auch noch den letzten Dingen. So fragt er, ob wir an jenem Tag dem grundlegend Bösen begegnet seien. Er ergeht sich in freien Spekulationen über die Religiosität der Attentäter; und er ist sich nicht zu schade, irgendwie angelesene Thesen über den Islam wiederzugeben. So wie diese Religion beschaffen ist, sei es nicht erstaunlich, „dass es unter den gegenwärtigen Staaten mit überwiegend islamischer Bevölkerung nur sehr wenige, wenn überhaupt einen gibt, der die Mindestanforderungen an eine demokratische Ordnung erfüllt”. Zur Darlegung dieser (schon von Samuel Huntington verbreiteten) These, dass Muslime zur Demokratie nicht in der Lage seien, benötigt Preuß keine sechs Buchseiten.
Mindestens so ausführlich widmet er sich den Motiven der Attentäter: Diese begutachtet er unter anderem im Licht der Verheißung, dass im islamischen Paradies „nicht weniger” als 72 Jungfrauen den Märtyrer erwarten, zwar seien diese Jungfrauen himmlische Wesen, weshalb jegliche „sexuelle Konnotation” sich verbiete, doch könne man „wohl vor allem bei schlichteren Gemütern ein stärker weltliches Verständnis der sie erwartenden Seligkeit nicht ausschließen”.
Dessen ungeachtet, meint Preuß, spreche einiges dafür, dass Mohammed Atta „inbrünstig glaubte”. Wissen tut Preuß es nicht, was er etwas später auch mitteilt: über die Religiosität der Täter „wissen wir nicht viel und müssen wir auch nicht viel wissen, um den Anteil der Religion an den Verbrechen zu erkennen”. Was Preuß vor allem nicht zu wissen scheint: Dass politischer Fanatismus, Religion und die schiere Gewalt untrennbar miteinander verschmelzen können, hat man auch unter Christen – etwa in Nordirland – studieren können. So weit zu dem Begriff „Blasphemie”, der dem Titel des Essays die aparte Note gibt.
Im Hinblick auf „Krieg” und „Verbrechen”, ist Preuß zwar näher an der Sache, allerdings vermittelt er auch hier den Eindruck einer gewissen Unschärfe. Das liegt vor allem daran, dass er die mit militärischen Mitteln betriebene Machtpolitik der Vereinigten Staaten nur unvollkommen wahrnimmt.
Preuß widerspricht Immanuel Kants These, Republiken eigneten sich schlecht als Kriegsnationen. Die USA zum Beispiel, sagt er, seien in den Ersten und in den Zweiten Weltkrieg eingetreten und hätten den Kosovo-Krieg geführt, obwohl es dabei nicht in erster Linie um die Verteidigung ihrer „unmittelbaren staatlichen Interessen” gegangen sei. Die Kriege demokratischer Staaten, schreibt er, seien „meistens” Kriege „zur Verteidigung bestimmter überstaatlicher, universelle Geltung beanspruchender Wahrheiten und Werte”.
Das Argument ist so gut wie die Behauptung, dass Hunde „meistens” braun sind, sofern ihr Fell nicht eine andere Farbe hat: In einer klugen Replik auf Samuel Huntingtons Behauptung, demokratische Staaten würden einander nicht bekriegen, hat Dietrich Thränhardt daran erinnert, was die USA in Demokratien so alles angezettelt haben: 1953 wurde die Regierung des gewählten iranischen Premierministers Mossadeq gestürzt. 1968 wurde in der Dominikanischen Republik die gewählte Regierung Juan Boschs durch ein diktatorisches Regime ersetzt. Am 11. September 1973 wurde Salvador Allende umgebracht.
Nacktheit und Spontaneität
Dass Preuß diese und andere militärischen Operationen nicht berücksichtigt, lässt seine Gedanken über Krieg und Demokratie und die Rolle der USA etwas weltfremd aussehen. Dabei zeigt er sich durchaus irritiert über die ungetrübte Interessenpolitik der Vereinigten Staaten. Auch aus dieser Irritation heraus plädiert er dafür, die Jagd auf Al Qaida lieber als internationale Polizeiaktion denn als „Krieg gegen den Terror” zu führen.
Dann aber fährt er sich selbst in die Parade: Immerhin habe die großmächtige Interessenpolitik der USA zur „konkreten Abhilfe” gegen die „grausamen und nachhaltigen Menschenrechtsverletzungen” der Taliban geführt. Preuß ist beeindruckt: „Es bedurfte des nackten Interesses der USA und des spontanen moralischen Affektes ihrer Bürger, um der Vernunft und der Gerechtigkeit zum Siege zu verhelfen.” Man kann über die Sieger des Bombardements in Afghanistan manches sagen, aber „Vernunft” und „Gerechtigkeit” heißen sie sicher nicht. Die sicherheitspolitische Lage in Afghanistans ist seit der amerikanischen Intervention nicht besser geworden, sie ist lediglich anders.
Preuß scheint den Afghanistan-Krieg zu billigen, aber er würde ihn noch lieber billigen, wenn er glauben dürfte, dass dieser ganz allein aus humanitären Motiven geführt wurde. Einerseits erkennt er die Position der USA als selbstherrlicher Hegemon an. Dann aber plädiert er dafür, die völkerrechtliche Legitimation für den Kampf gegen den Terrorismus eher aus der Verantwortung des UNO-Sicherheitsrates denn aus dem Selbstverteidigungsrecht der Staaten herzuleiten. Kurz: Er affirmiert die amerikanische Hegemonie – und fordert gleichzeitig, dass die militärische Souveränität der USA kontrolliert werde. Dass da ein Widerspruch besteht, stört ihn nicht. Und so kommt es ihm auch nicht in den Sinn, dass ein aktualisierter Begriff vom „Krieg” zuallererst davon abhängt, wie die amerikanische Politik beschaffen ist.
FRANZISKAAUGSTEIN
ULRICH K. PREUß: Krieg, Verbrechen, Blasphemie. Zum Wandel bewaffneter Gewalt. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2002. 153 S., 17,50 Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.01.2003An den Prozeß der Illegalisierung des Krieges könnte man sich glatt gewöhnen
Ulrich K. Preuß kartographiert die Begriffe zum 11. September, kommt dabei aber nicht ohne die alte geschichtsphilosophische Meistererzählung aus
Mit den Türmen des World Trade Center scheint auch so manche Begriffsarchitektur eingestürzt zu sein: Das Ereignis riß ein verbales Loch. Weder konnte die Erfahrung artikuliert, noch die Frage nach der Reaktion angemessen gestellt werden. Die Beschwörung von Unsagbarkeitstopoi war nur eine weitere mediale Verschüttung des Vorgangs. Handelt es sich um einen Schlag gegen die westliche Zivilisation oder um einen kriegerischen Akt gegen die Vereinigten Staaten? Ist ein "Krieg gegen den Terror" wirklich wünschenswert, oder wäre eine polizeiliche Aktion der Uno geboten? Was hat es mit den vielbeschworenen "neuen Kriegen" auf sich? Ulrich K. Preuß versucht nicht, schnelle Antworten zu geben, sondern nähert sich den Fragen durch eine "Kartographie der Begriffe und Prinzipien" - er unternimmt terminologische Rekonstruktionsarbeit und betont mit "Krieg, Verbrechen, Blasphemie" zentrale Termini der Debatte.
Als Verfassungsrechtler legt Preuß im ersten Teil seines Essays die Genese des modernen Kriegs in Zusammenhang mit der Entwicklung des Staatsgedankens dar. Er zeigt auf, wie mit dem Westfälischen Frieden sowohl der moderne Staat als auch der Krieg als Rechtsverhältnis zwischen Staaten geboren wurde. Ein Staat bestätigt sich selbst in dem Moment, wo eines seiner Elemente angegriffen wird - insofern braucht er den Krieg zur Steigerung seiner eigenen Macht, hält seinen Gebrauch aber immer in den Grenzen der Staatsräson. In der Folge wird der Krieg zum einen zunehmend verrechtlicht und zivilisiert, zum anderen jedoch verlagert sich das Politische weg vom Staat und hin zum Volk. Schon seit den Befreiungskriegen wird so die gewünschte Trennung von Militär und Zivilisten zum Schutz Unbeteiligter zunehmend schwieriger.
Die "Krise der Staatlichkeit" erreicht seit 1989 einen neuen Grad: Eine zunehmend rechtlich-zivilisatorisch verbundene Weltgemeinschaft sieht sich mit "failed states" konfrontiert, mit Produkten von Zerfall oder mißlungener Staatsbildung. Sie sind Schauplätze der "neuen Kriege", die Fragen der (ethnischen) Zugehörigkeit betreffen, also Bürgerkriegscharakter haben, und mit kriminellen Aktivitäten verquickt sind. Durch die internationalen Bande können diese Brandherde globale Wirkung erreichen. Zwar ist der Krieg mit dem Staat als Teil der zwischenstaatlichen Beziehungen geboren worden; zugleich ist jedoch ohne Staat auch kein Frieden zu erreichen. Betrachtet man also die Geschichte der bewaffneten Konflikte, so kann seit langem nicht mehr von "Krieg" gesprochen werden. Die begrenzten, am Wohl des Staates orientierten Auseinandersetzungen des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts sind irrationalen und entgrenzten Auseinandersetzungen gewichen - das hat der 11. September nur mit Nachdruck ins Bewußtsein gerufen. Der Prozeß der Illegalisierung des Krieges führt bisher lediglich zu einem Wandel der bewaffneten Konflikte, nicht zu ihrer Abschaffung: eine ebenso bestürzende wie plausible Einsicht.
Der Terrorismus, der sich "die Erzeugung von diffus-öffentlicher Angst" zum Ziel setzt, arbeitet an der Aushöhlung staatlicher Autorität. Preuß nennt ihn folglich einen Zustand der Rechtsverneinung, also ein Verbrechen; die Reaktion muß eine polizeiliche sein. Was die Art der Reaktion angeht, so betont Preuß vernünftigerweise, daß es in unserem moralischen und rechtlichen Universum keine Symmetrie zwischen Untat und Strafe geben kann - diese grundsätzliche Feststellung sollte unmäßigen Rachedurst dämpfen. Trotzdem mußten die Vereinigten Staaten reagieren, und sie taten es mit einem völkerrechtlich "hybriden" Akt. In der Abwägung der völkerrechtlichen Immunität Afghanistans gegen einen "Grundbestand menschlicher Zivilisation" verteidigt Preuß letztlich das Vorgehen der Supermacht, da die staatliche Souveränität Afghanistans nur ein leerer Rechtstitel und die Aktion humanitär sinnvoll gewesen sei. Das Völkerrecht und damit die Souveränität des Staates treten hinter das Recht der internationalen Gemeinschaft zurück.
Auf seiten der Vereinigten Staaten sieht Preuß durchaus materielles Interesse im Spiel, hat aber nichts dagegen einzuwenden, solange es dem moralisch Guten dient. Diese "List der Vernunft" im Sinne Hegels, die Preuß oft im Handeln des Hegemons sieht, ist heikel. Es stimmt, daß Demokratien nicht zur Kriegführung neigen und einen "Anreiz" brauchen - trotzdem ist es problematisch, daß sie sich erst zum Handeln veranlaßt sehen, wenn es opportun ist. Als "Parasit des Interesses" kann Moral von eben diesem Interesse kontaminiert werden. Dies schafft Zweideutigkeiten, die Feinden der westlichen Welt argumentativ Tür und Tor öffnen. Und schließlich haben die Vereinigten Staaten schon, bei allem Altruismus, zu dem sie fähig sind, unangemessene machtpolitische Initiativen auch gegen demokratisch gewählte Regierungen ergriffen.
Im zweiten Teil führt Preuß die Kategorien des Bösen und der Blasphemie zum Verständnis der Attentate ein. Er trifft einen wunden Punkt vieler Diskussionen: Man mag Hergang und Ursachen kausal brilliant erklären, das persönliche Verstehen des Ereignisses wird trotzdem nicht möglich. Das Böse als Erzeuger sinnlosen Leides macht auch für Atheisten den "Furor der Verneinung" begreifbar. Ob allerdings die Terroristen Blasphemiker waren, die nur in der Hoffnung auf persönliche Belohnung im Paradies handelten, kann Preuß nicht entscheiden - er ist kein Islamwissenschaftler. Deutlich wird es daran, daß seine Argumentation im wesentlichen in einer Reihe von Konjunktivsätzen besteht, die, von wenigen Prämissen ausgehend, weitreichende Folgerungen über den Islam, seine Ethik und sein Rechtssystem ziehen. Auch über die möglichen religiösen Motive der Täter kann Preuß - wie er selbst anmerkt - nur "spekulieren". Das begrenzt den Wert der daraus folgenden Erkenntnis.
Im Epilog fordert Preuß "aktive Toleranz" zum Ausgleich der beendeten Nichteinmischung. Überzeugen kann seine Forderung jedoch nicht, denn trotz der nüchternen und selbstkritischen Begriffsarbeit, die er leistet, scheint in vielen Formulierungen auf, wessen Erbe er antritt: Die Idee einer moralischen Entwicklung der "menschlichen Gattung" schwingt immer mit. Es ist die alte geschichtsphilosophische Meistererzählung, die bemüht wird. Kritische Ansätze, die der Text durchaus hat, drohen immer wieder der totalisierenden Ausrichtung auf ein fixes moralisches Ziel zum Opfer zu fallen. Statt einen wirklich offenen ost-westlichen Prozeß zu initiieren, der die eigenen Moralgebäude nicht preisgeben muß, wird die Menschheit vom Telos der Geschichte her entworfen. So bekommen auch die religiösen Begriffe einen unangenehmen Beigeschmack.
NIKLAS BENDER
Ulrich K. Preuß: "Krieg, Verbrechen, Blasphemie". Zum Wandel bewaffneter Gewalt. Wagenbach Verlag, Berlin 2002. 160 S., geb., 17,50 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ulrich K. Preuß kartographiert die Begriffe zum 11. September, kommt dabei aber nicht ohne die alte geschichtsphilosophische Meistererzählung aus
Mit den Türmen des World Trade Center scheint auch so manche Begriffsarchitektur eingestürzt zu sein: Das Ereignis riß ein verbales Loch. Weder konnte die Erfahrung artikuliert, noch die Frage nach der Reaktion angemessen gestellt werden. Die Beschwörung von Unsagbarkeitstopoi war nur eine weitere mediale Verschüttung des Vorgangs. Handelt es sich um einen Schlag gegen die westliche Zivilisation oder um einen kriegerischen Akt gegen die Vereinigten Staaten? Ist ein "Krieg gegen den Terror" wirklich wünschenswert, oder wäre eine polizeiliche Aktion der Uno geboten? Was hat es mit den vielbeschworenen "neuen Kriegen" auf sich? Ulrich K. Preuß versucht nicht, schnelle Antworten zu geben, sondern nähert sich den Fragen durch eine "Kartographie der Begriffe und Prinzipien" - er unternimmt terminologische Rekonstruktionsarbeit und betont mit "Krieg, Verbrechen, Blasphemie" zentrale Termini der Debatte.
Als Verfassungsrechtler legt Preuß im ersten Teil seines Essays die Genese des modernen Kriegs in Zusammenhang mit der Entwicklung des Staatsgedankens dar. Er zeigt auf, wie mit dem Westfälischen Frieden sowohl der moderne Staat als auch der Krieg als Rechtsverhältnis zwischen Staaten geboren wurde. Ein Staat bestätigt sich selbst in dem Moment, wo eines seiner Elemente angegriffen wird - insofern braucht er den Krieg zur Steigerung seiner eigenen Macht, hält seinen Gebrauch aber immer in den Grenzen der Staatsräson. In der Folge wird der Krieg zum einen zunehmend verrechtlicht und zivilisiert, zum anderen jedoch verlagert sich das Politische weg vom Staat und hin zum Volk. Schon seit den Befreiungskriegen wird so die gewünschte Trennung von Militär und Zivilisten zum Schutz Unbeteiligter zunehmend schwieriger.
Die "Krise der Staatlichkeit" erreicht seit 1989 einen neuen Grad: Eine zunehmend rechtlich-zivilisatorisch verbundene Weltgemeinschaft sieht sich mit "failed states" konfrontiert, mit Produkten von Zerfall oder mißlungener Staatsbildung. Sie sind Schauplätze der "neuen Kriege", die Fragen der (ethnischen) Zugehörigkeit betreffen, also Bürgerkriegscharakter haben, und mit kriminellen Aktivitäten verquickt sind. Durch die internationalen Bande können diese Brandherde globale Wirkung erreichen. Zwar ist der Krieg mit dem Staat als Teil der zwischenstaatlichen Beziehungen geboren worden; zugleich ist jedoch ohne Staat auch kein Frieden zu erreichen. Betrachtet man also die Geschichte der bewaffneten Konflikte, so kann seit langem nicht mehr von "Krieg" gesprochen werden. Die begrenzten, am Wohl des Staates orientierten Auseinandersetzungen des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts sind irrationalen und entgrenzten Auseinandersetzungen gewichen - das hat der 11. September nur mit Nachdruck ins Bewußtsein gerufen. Der Prozeß der Illegalisierung des Krieges führt bisher lediglich zu einem Wandel der bewaffneten Konflikte, nicht zu ihrer Abschaffung: eine ebenso bestürzende wie plausible Einsicht.
Der Terrorismus, der sich "die Erzeugung von diffus-öffentlicher Angst" zum Ziel setzt, arbeitet an der Aushöhlung staatlicher Autorität. Preuß nennt ihn folglich einen Zustand der Rechtsverneinung, also ein Verbrechen; die Reaktion muß eine polizeiliche sein. Was die Art der Reaktion angeht, so betont Preuß vernünftigerweise, daß es in unserem moralischen und rechtlichen Universum keine Symmetrie zwischen Untat und Strafe geben kann - diese grundsätzliche Feststellung sollte unmäßigen Rachedurst dämpfen. Trotzdem mußten die Vereinigten Staaten reagieren, und sie taten es mit einem völkerrechtlich "hybriden" Akt. In der Abwägung der völkerrechtlichen Immunität Afghanistans gegen einen "Grundbestand menschlicher Zivilisation" verteidigt Preuß letztlich das Vorgehen der Supermacht, da die staatliche Souveränität Afghanistans nur ein leerer Rechtstitel und die Aktion humanitär sinnvoll gewesen sei. Das Völkerrecht und damit die Souveränität des Staates treten hinter das Recht der internationalen Gemeinschaft zurück.
Auf seiten der Vereinigten Staaten sieht Preuß durchaus materielles Interesse im Spiel, hat aber nichts dagegen einzuwenden, solange es dem moralisch Guten dient. Diese "List der Vernunft" im Sinne Hegels, die Preuß oft im Handeln des Hegemons sieht, ist heikel. Es stimmt, daß Demokratien nicht zur Kriegführung neigen und einen "Anreiz" brauchen - trotzdem ist es problematisch, daß sie sich erst zum Handeln veranlaßt sehen, wenn es opportun ist. Als "Parasit des Interesses" kann Moral von eben diesem Interesse kontaminiert werden. Dies schafft Zweideutigkeiten, die Feinden der westlichen Welt argumentativ Tür und Tor öffnen. Und schließlich haben die Vereinigten Staaten schon, bei allem Altruismus, zu dem sie fähig sind, unangemessene machtpolitische Initiativen auch gegen demokratisch gewählte Regierungen ergriffen.
Im zweiten Teil führt Preuß die Kategorien des Bösen und der Blasphemie zum Verständnis der Attentate ein. Er trifft einen wunden Punkt vieler Diskussionen: Man mag Hergang und Ursachen kausal brilliant erklären, das persönliche Verstehen des Ereignisses wird trotzdem nicht möglich. Das Böse als Erzeuger sinnlosen Leides macht auch für Atheisten den "Furor der Verneinung" begreifbar. Ob allerdings die Terroristen Blasphemiker waren, die nur in der Hoffnung auf persönliche Belohnung im Paradies handelten, kann Preuß nicht entscheiden - er ist kein Islamwissenschaftler. Deutlich wird es daran, daß seine Argumentation im wesentlichen in einer Reihe von Konjunktivsätzen besteht, die, von wenigen Prämissen ausgehend, weitreichende Folgerungen über den Islam, seine Ethik und sein Rechtssystem ziehen. Auch über die möglichen religiösen Motive der Täter kann Preuß - wie er selbst anmerkt - nur "spekulieren". Das begrenzt den Wert der daraus folgenden Erkenntnis.
Im Epilog fordert Preuß "aktive Toleranz" zum Ausgleich der beendeten Nichteinmischung. Überzeugen kann seine Forderung jedoch nicht, denn trotz der nüchternen und selbstkritischen Begriffsarbeit, die er leistet, scheint in vielen Formulierungen auf, wessen Erbe er antritt: Die Idee einer moralischen Entwicklung der "menschlichen Gattung" schwingt immer mit. Es ist die alte geschichtsphilosophische Meistererzählung, die bemüht wird. Kritische Ansätze, die der Text durchaus hat, drohen immer wieder der totalisierenden Ausrichtung auf ein fixes moralisches Ziel zum Opfer zu fallen. Statt einen wirklich offenen ost-westlichen Prozeß zu initiieren, der die eigenen Moralgebäude nicht preisgeben muß, wird die Menschheit vom Telos der Geschichte her entworfen. So bekommen auch die religiösen Begriffe einen unangenehmen Beigeschmack.
NIKLAS BENDER
Ulrich K. Preuß: "Krieg, Verbrechen, Blasphemie". Zum Wandel bewaffneter Gewalt. Wagenbach Verlag, Berlin 2002. 160 S., geb., 17,50 [Euro].
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