'[...] ich habe mich eingehend mit der Logik des Krieges beschäftigt. Tatsächlich ist es mir vor langer Zeit gelungen, die wesentliche Dynamik des Krieges vermittels eines recht einfachen Brettspiels zu veranschaulichen... Ich habe dieses Spiel gespielt, und in oftmals schwierigen Lebenssituationen einige Lehren daraus gezogen - nämlich Regeln für mein Leben festzulegen, und diese zu befolgen. Während ich mein Kriegsspiel spielte, konfrontierte es mich immer wieder aufs Neue mit überraschenden Wendungen; fast fürchte ich mich davor, dass das Kriegsspiel das einzige meiner Werke sein könnte, dem die Leute irgendeine Bedeutung zumessen. Ich überlasse es anderen, darüber zu urteilen, ob ich daraus die richtigen Lehren gezogen habe.' G. D.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Helmut Mayer liest das Bändchen mit der Beschreibung, die Guy Debord dem von ihm erdachten Kriegsbrettspiel folgen ließ, mit gemischten Gefühlen. Braucht ein Spiel nicht ein Brett und Figuren. Die Verschriftlichung des Spielspaßes als Spielregel kommt bei Mayer jedenfalls nicht so gut an. Ist eher was für Sammler, meint er. Auch wenn Debord sein Spiel nach den Regeln militärischer Organisation und Taktik des klassischen Krieges im 18. Jahrhundert modelliert. Bestenfalls nostalgisch findet der Rezensent die Dokumentation einer Spielpartie zwischen Debord und dessen Ehefrau Alice Becker-Ho.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.04.2016Eine Frage der Taktik
Guy Debord und Alice Becker-Ho spielen Krieg
"Ich habe eine tatsächlich kindliche Seite, und sie freut mich: Karten, Kriegsspiel, Bleisoldaten. Ich habe auch größere Spiele gemocht: Kunst, Städte, die Erschütterung einer Gesellschaft." So steht es auf einer der vielen Karteikarten, die Guy Debord hinterließ. Von Schlachten auf dem Spielbrett zur Minierarbeit an den Fundamenten der Gesellschaft war es für den frühen Lettristen und späteren Wortführer der Situationisten also nur ein Wechsel in der Größenordnung: Strategisch-taktisches Denken war da wie dort gefordert.
Das machte für Debord einen Autor wie Clausewitz so attraktiv. Der Theoretiker des Krieges demonstrierte den klaren Blick für Kräfteverhältnisse, den auch Debord für sich in Anspruch nahm. Es war dann auch der Blick dafür, die anvisierte Erschütterung der Gesellschaft mitnichten zu erreichen: Die "Gesellschaft des Spektakels", die Debord 1967 angeprangert hatte, zeichnete sich als Form moderner westlicher Massendemokratien ab.
Die Kräfteverhältnisse waren klar, Debord hatte keinen Grund zum Widerruf - und hielt sich später ans früh entdeckte Spiel kleineren Formats. Denn ein "Kriegsspiel" oder, wie er es zuerst deutsch schrieb, "Kriegspiel", hatte sich Debord schon Mitte der fünfziger Jahre ausgedacht. 1965 meldete er ein Patent an, 1977 entstanden einige wenige Prototypen von Spielbrett und Figuren - ein Exemplar war in der großen Debord-Ausstellung der französischen Nationalbibliothek zu sehen -, aber aus der geplanten Vermarktung des Spiels wurde nichts.
1987 erschien jedoch ein schmaler Band, in dem das Spiel in Form einer "Beschreibung der aufeinanderfolgenden Positionen aller Kräfte im Laufe einer Partie" vorgestellt wurde. Nun ist dieses Bändchen nach Neuauflagen in französischer und englischer Sprache - Debord hatte 1991, drei Jahre vor seinem Tod, die Bestände aller seiner Bücher einstampfen lassen - auch auf Deutsch erschienen. Man vermisst dabei ein wenig das Spielbrett, würde sich auch mit einer bescheideneren Ausführung der Figuren als jener der Prototypen aus versilbertem Kupfer begnügen.
Doch es bleibt nur die Lektüre der Spielregeln, in die Debord die "Gesetze der Theorie von Clausewitz" goss und nach denen die Armeen der beiden Spieler gegeneinander antreten, bis die Kampfkraft einer der Parteien vernichtet ist. Modelliert sind in den Regeln militärische Organisation und Taktik des "klassischen Kriegs" im achtzehnten Jahrhundert, zumindest einige ihrer wichtigen Elemente. Die kommentierte Dokumentation einer Partie, geführt zwischen Debord und seiner Ehefrau Alice Becker-Ho, füllt den Hauptteil des Bandes.
Keine Frage, eine eher nostalgische Angelegenheit. Passend also zur Erinnerung an Debords Darstellung der Gesellschaft des Spektakels, die durchaus nicht veraltet und trotzdem hinfällig geworden ist. Situationistische Traktate, erst recht aber Autographen Debords erzielen heute auf dem Devotionalienmarkt für subversive Vergangenheiten stattliche Preise. Mit diesem Band ist man viel billiger dabei!
HELMUT MAYER.
Guy Debord, Alice Becker-Ho: "Kriegsspiel".
Aus dem Französischen von Ronald Voullié. Merve Verlag, Berlin 2016. 172 S., Abb., br., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Guy Debord und Alice Becker-Ho spielen Krieg
"Ich habe eine tatsächlich kindliche Seite, und sie freut mich: Karten, Kriegsspiel, Bleisoldaten. Ich habe auch größere Spiele gemocht: Kunst, Städte, die Erschütterung einer Gesellschaft." So steht es auf einer der vielen Karteikarten, die Guy Debord hinterließ. Von Schlachten auf dem Spielbrett zur Minierarbeit an den Fundamenten der Gesellschaft war es für den frühen Lettristen und späteren Wortführer der Situationisten also nur ein Wechsel in der Größenordnung: Strategisch-taktisches Denken war da wie dort gefordert.
Das machte für Debord einen Autor wie Clausewitz so attraktiv. Der Theoretiker des Krieges demonstrierte den klaren Blick für Kräfteverhältnisse, den auch Debord für sich in Anspruch nahm. Es war dann auch der Blick dafür, die anvisierte Erschütterung der Gesellschaft mitnichten zu erreichen: Die "Gesellschaft des Spektakels", die Debord 1967 angeprangert hatte, zeichnete sich als Form moderner westlicher Massendemokratien ab.
Die Kräfteverhältnisse waren klar, Debord hatte keinen Grund zum Widerruf - und hielt sich später ans früh entdeckte Spiel kleineren Formats. Denn ein "Kriegsspiel" oder, wie er es zuerst deutsch schrieb, "Kriegspiel", hatte sich Debord schon Mitte der fünfziger Jahre ausgedacht. 1965 meldete er ein Patent an, 1977 entstanden einige wenige Prototypen von Spielbrett und Figuren - ein Exemplar war in der großen Debord-Ausstellung der französischen Nationalbibliothek zu sehen -, aber aus der geplanten Vermarktung des Spiels wurde nichts.
1987 erschien jedoch ein schmaler Band, in dem das Spiel in Form einer "Beschreibung der aufeinanderfolgenden Positionen aller Kräfte im Laufe einer Partie" vorgestellt wurde. Nun ist dieses Bändchen nach Neuauflagen in französischer und englischer Sprache - Debord hatte 1991, drei Jahre vor seinem Tod, die Bestände aller seiner Bücher einstampfen lassen - auch auf Deutsch erschienen. Man vermisst dabei ein wenig das Spielbrett, würde sich auch mit einer bescheideneren Ausführung der Figuren als jener der Prototypen aus versilbertem Kupfer begnügen.
Doch es bleibt nur die Lektüre der Spielregeln, in die Debord die "Gesetze der Theorie von Clausewitz" goss und nach denen die Armeen der beiden Spieler gegeneinander antreten, bis die Kampfkraft einer der Parteien vernichtet ist. Modelliert sind in den Regeln militärische Organisation und Taktik des "klassischen Kriegs" im achtzehnten Jahrhundert, zumindest einige ihrer wichtigen Elemente. Die kommentierte Dokumentation einer Partie, geführt zwischen Debord und seiner Ehefrau Alice Becker-Ho, füllt den Hauptteil des Bandes.
Keine Frage, eine eher nostalgische Angelegenheit. Passend also zur Erinnerung an Debords Darstellung der Gesellschaft des Spektakels, die durchaus nicht veraltet und trotzdem hinfällig geworden ist. Situationistische Traktate, erst recht aber Autographen Debords erzielen heute auf dem Devotionalienmarkt für subversive Vergangenheiten stattliche Preise. Mit diesem Band ist man viel billiger dabei!
HELMUT MAYER.
Guy Debord, Alice Becker-Ho: "Kriegsspiel".
Aus dem Französischen von Ronald Voullié. Merve Verlag, Berlin 2016. 172 S., Abb., br., 18,- [Euro].
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