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Was bedeutet Krieg in unserer Zeit?
Die Angst vor einem großen Krieg ist nach Europa zurückgekehrt. Die Kriege in der Ukraine wie im Mittleren und Nahen Osten lassen zweifeln, ob das 20. Jahrhundert tatsächlich als ein «kurzes Jahrhundert» 1989/90 zu Ende gegangen ist - oder nicht vielmehr auf unheilvolle Weise andauert. Wir sehen uns konfrontiert mit ungeahnten Formen der Gewalt, mit Konflikten, die uns nahe rücken. Der Krieg ist ganz und gar nicht verschwunden; er hat nur eine neue Gestalt angenommen. Herfried Münkler zeichnet die kulturelle wie politische Evolution der Gewalt von den…mehr

Produktbeschreibung
Was bedeutet Krieg in unserer Zeit?

Die Angst vor einem großen Krieg ist nach Europa zurückgekehrt. Die Kriege in der Ukraine wie im Mittleren und Nahen Osten lassen zweifeln, ob das 20. Jahrhundert tatsächlich als ein «kurzes Jahrhundert» 1989/90 zu Ende gegangen ist - oder nicht vielmehr auf unheilvolle Weise andauert. Wir sehen uns konfrontiert mit ungeahnten Formen der Gewalt, mit Konflikten, die uns nahe rücken. Der Krieg ist ganz und gar nicht verschwunden; er hat nur eine neue Gestalt angenommen. Herfried Münkler zeichnet die kulturelle wie politische Evolution der Gewalt von den Weltkriegen des 20. Jahrhunderts bis in die Gegenwart nach - und plädiert für eine echte geopolitische Strategie, um den Herausforderungen unserer Zeit zu begegnen. Ein Buch, das uns die neuen Formen der Gewalt und die Welt von heute begreifen lässt.

Autorenporträt
Herfried Münkler, geboren 1951, ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Berliner Humboldt-Universität. Viele seiner Bücher gelten als Standardwerke, etwa 'Die Deutschen und ihre Mythen' (2009), das mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet wurde, sowie 'Der Große Krieg' (2013), 'Die neuen Deutschen' (2016), 'Der Dreißigjährige Krieg' (2017) oder 'Marx, Wagner, Nietzsche' (2021), die alle monatelang auf der 'Spiegel'-Bestsellerliste standen. Zuletzt erschien 'Welt in Aufruhr. Die Ordnung der Mächte im 21. Jahrhundert', ebenfalls ein 'Spiegel'-Bestseller. Herfried Münkler wurde vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Wissenschaftspreis der Aby-Warburg-Stiftung und dem Carl Friedrich von Siemens Fellowship.
Rezensionen

buecher-magazin.de - Rezension
buecher-magazin.de

Herfried Münkler hatte sich um die Jahrtausendwende mit seinen Thesen über die "neuen Kriege" einen Namen gemacht. Wer wissen will, was zehn Jahre später - nach den Konflikten im Irak, in Afghanistan, in der Ukraine oder in Syrien - daraus geworden ist, greift zum neuen Buch des Politikwissenschaftlers. Wie damals ist er überzeugt, dass Staaten das Monopol der Kriegsführung verloren haben, dieses stünde unter dem Einfluss von Warlords und globalen Terrornetzwerken. Münkler sieht außerdem eine weitere besorgniserregende Entwicklung kommen: die Entstehung von "hybriden" Konflikten. Wie in der Ukraine würden diese sowohl in die Kategorie "Bürgerkrieg" passen als auch zwischenstaatliche Auseinandersetzungen mit sich bringen. Passend zum Titel "Kriegssplitter" zeigt das Buch verschiedene Aspekte des Themas: die Lektionen aus der Geschichte der Weltkriege, die veränderten Auffassungen von Heldentum und Opferbereitschaft oder den Cyberkrieg. Münkler liefert kein Standardwerk mit neuen Erkenntnissen, aber ein Kaleidoskop seiner Analysen über dies und jenes. Wiederholungen und wissenschaftlicher Jargon gehören leider dazu, aber auch anregende Argumente, zum Beispiel über die Rolle der Medien im modernen Kriegsgeschehen.

© BÜCHERmagazin, Claire-Lise Tull
Münkler lesen macht klüger. Tages-Anzeiger

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.10.2015

Sag mir, wo die Helden sind
Herfried Münkler hat eine oberlehrerhafte Studie über historische und gegenwärtige Gewalt verfasst.
Seine „Kriegssplitter“ über die „postheroische Gesellschaft“ bergen einigen Zündstoff
VON DORION WEICKMANN
Selten werden Geisteswissenschaftler von ihren eigenen Forschungsgegenständen eingeholt. Herfried Münkler, Professor für politische Theorie an der Berliner Humboldt-Universität, ist ein solcher Fall. Im vergangenen Sommer fand sich der Politologe unversehens in einem Szenario der „asymmetrischen Kriegsführung“ wieder, über deren Beschaffenheit er seit 2002 ausgiebig publiziert hat. Ein anonymer Studententrupp zerrte den renommierten Politikberater und vielgeladenen Podiumsgast an den Online-Pranger und bezichtigte ihn rufschädigender bis ruinöser Verfehlungen: Chauvinismus, Militarismus, Antifeminismus.
  Dass die tumben Angreifer bereits an der Mindestanforderung korrekter Orthografie scheiterten und einen Klassiker wie Michel Foucault nonchalant zum „Michael“ machten. Das Etikett „asymmetrische Kriegsführung“ passt jedenfalls perfekt auf die Auseinandersetzung zwischen Münkler und seinen Feinden, die den Promiakademiker attackierten, ohne das eigene Visier hochzuklappen. Mit der militärischen Variante derart ungleichgewichtiger Konfrontationen befasst sich Münkler nun einmal mehr in seinem neuen Buch „Kriegssplitter“.
  Auf knapp vierhundert Seiten verhandelt der Autor die „Evolution der Gewalt im 20. und 21. Jahrhundert“, liefert dabei allerdings häufig nur Updates seiner jüngsten, gut verkauften Veröffentlichungen. Der Absatzerfolg mag ihn zum zügigen Nachlegen veranlasst haben, obwohl eine derart verdichtete Produktionstaktung offenbar die Zeit für produktives Nachdenken verkürzt. Jedenfalls wirken die „Kriegssplitter“ bisweilen wie ein flott montiertes Gedankenkaleidoskop, dessen Themen – Erster und Zweiter Weltkrieg, „postheroische Gesellschaft“ und geopolitische Herausforderungen – sich ineinander spiegeln und wiederholen.
  Dabei stolpert der Leser zunächst nur über allzu lässig gehandhabte Details. So wenn gleich zweimal binnen eines Kapitels die „Allmende“ erläutert wird – einst ein Feudalbegriff für kollektiv bewirtschaftetes Land, heute oft im Zusammenhang mit Ressourcenvergeudung gebraucht. Bei solchen Dopplungen hat entweder der akademische Zettelkasten, der Verfasser oder das Lektorat versagt. An anderer Stelle deutet Münkler das Ballett „Le Sacre du printemps“ (1913) als Vorkriegsprophetie, obwohl sich die rituelle Handlung – „Auswahl und Opferung“ einer jungen Frau – „eher spielerisch“ vollziehe. Was die Frage aufwirft, ob der Professor die theatrale Gewaltexplosion von Strawinskys Werk je persönlich inspiziert hat.
  Jenseits solcher Irrläufer steuert Münkler routiniert durch die Fülle seines Materials. Was er zu Ursachen, Verlauf und Lehren der beiden Weltkriege festhält, wie er historische Gemengelagen ausleuchtet, dabei Akteure und Schauplätze erst einzeln betrachtet und anschließend zusammendenkt, liest sich spannend und aufschlussreich. Genauso konzise fällt Münklers Analyse der aktuellen Konfliktlinien und akuten Kriegs- und Gefahrenzonen aus: Terror und Islamismus, Naher Osten und Ukraine.
  Trotzdem stellt sich mit fortschreitender Lektüre ein seltsames Unbehagen ein. Oft wirkt die Diagnose zunächst überzeugend, aber sie entwickelt weder Mehrwert noch Bedeutungstiefe. Stattdessen wird mit Ideen hantiert, die ebenso vage bleiben wie vielschichtig und unscharf.
  So verhält es sich etwa mit Münklers Begriff der „postheroischen Gesellschaft“, die ihre heroischen Vorläufer ablöst – ohne diesen Prozess „als einen Vorgang der Dekadenz zu begreifen“. Münklers Paradebeispiel sind die Nachkriegssysteme des Westens, die infolge ihrer postheroischen Verfasstheit die Bedrohung durch „ehrversessene Todesvirtuosen“ als Armutsphänomen missverstehen. Also versuchen sie, die Terrorsymptomatik mit Finanzspritzen zu kurieren, was der Gelehrte als fatalen Irrtum tadelt. Sein Abwehrvorschlag: „Die postheroische Gesellschaft . . . muss heroische Gemeinschaften ausdifferenzieren, die ihre labile Kollektivpsyche schützen.“ Abgesehen davon, dass offen bleibt, wer den Heldenbedarf abdecken soll – Söldner? Freiwillige? Start-ups mit Lizenz zum Töten? –, verarbeitet Münkler eine Heldenmythologie aus dem Geist diverser Weltanschauungen, und zwar gerade so, als handle es sich um anthropologische Konstanten. Dass solche Denkmuster auf männlichen Ideologemen gründen und in verengte, keineswegs wertneutrale Auffassungen münden, wird mit keiner Silbe erwähnt. Auch das Konzept der „Kollektivpsyche“ hat an dieser Stelle wenig zu suchen. Von C. G. Jungs Seelenkunde bis zur ökonomischen Lehre unserer Tage schillert dieses Konstrukt in so vielen Farben, dass sich damit alles erklären lässt – und folglich nichts.
  Keine Frage, Herfried Münkler ist ein Meister des Normativen, das in den Falten seiner dichten Beschreibung beinahe unsichtbar wird. So rechnet er nebenbei noch mit denjenigen ab, die eine „Gefechtsfeldbewirtschaftung mit Hilfe von Drohnen“ ablehnen, also anderer Ansicht sind als er selbst: „In der Kritik äußert sich die Ethik einer vorbürgerlichen Gesellschaft mit heroisch-nostalgischen Idealen.“ Schlimmer noch: „Es ist dies – politisch betrachtet – eine Kritik, die sich selbst nicht begriffen hat.“
  Solcherlei Oberlehrerdiktion zeugt nicht von Souveränität, zumal Herfried Münkler den gegnerischen Haupteinwand kaum zu entkräften sucht: Zivile Opfer, also die Mehrheit der Getöteten, firmieren bei ihm als Kollateralschäden – bedauerlich zwar, aber scheinbar unvermeidliche Folge „kognitiver Defizite“ seitens der Drohnenlenker.
  Wen wundertʼs, dass sich der Professor von Journalisten vor allem die Tugend
des Abmoderierens und Entschärfens wünscht? Die Berichterstattung über Attentate soll „dem Schrecken entgegenwirken“ und die öffentliche Panik blockieren. Noch so ein Münkler-Rüffel, der an der Sache vorbeigeht. Denn Reporter sind weder für das emotionale Aufheizen noch das Abbremsen der Publikumsreaktionen zuständig, sondern für die Abbildung der Wirklichkeit.
  Wer realpolitisches Handeln für den Königsweg hält, wird Herfried Münklers Leitfaden als Vademecum begrüßen. Alle anderen reizen die „Kriegssplitter“ zum Widerspruch. Gut so. Kontroversen sind das Lebenselixier unserer Demokratie. Deshalb sollten viele das Buch zur Hand nehmen.
Historische Gemengelagen
und verschiedene Schauplätze
werden präzise ausgeleuchtet
Zivile Opfer
von Drohnenattacken firmieren
hier als Kollateralschaden
Überall Leid, Tod und Verderben (von links oben im Uhrzeigersinn):
ein Panzer prorussischer Separatisten bei Luhansk, Oktober 2015; Ansicht
der zerstörten syrischen Stadt Homs, Januar 2015; Zivilisten in Aachen, Oktober 1944; US-Soldaten bei einer Übung gegen Giftgasangriffe während des Ersten Weltkriegs.
Fotos: Alexander Ermochenko/dpa, Fred Ramage/Getty, Reuters (2)
  
  
    
Herfried Münkler:
Kriegssplitter.
Die Evolution der Gewalt
im 20. und 21. Jahrhundert. Rowohlt Verlag, Berlin 2015. 396 Seiten, 24,95 Euro.
E-Book 21,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.01.2016

Bedrohung der Wohlstandszone
Herfried Münkler über die Bedeutung von Krieg und Gewalt in unserer Zeit

Der Krieg hat Deutschland wieder erreicht. Kehrte mit den Kämpfen im Osten der Ukraine erstmals die Angst vor einem großen Krieg wieder nach Deutschland zurück, werden die Deutschen nun seit mehreren Wochen mit den Folgen des seit vier Jahren andauernden Bürgerkriegs in Syrien konfrontiert. Tausende syrische Flüchtlinge haben unter unsäglichen Mühen Schutz vor dem mörderischen Bürgerkrieg in Deutschland gesucht. Sie wurden mit großer Hilfsbereitschaft empfangen. Neben der Frage, "ob wir das wirklich schaffen", wird in den vergangenen Wochen verstärkt die Frage nach den Fluchtmotiven und damit nach den Ursachen sowie vor allem nach einer Lösung des Konflikts diskutiert.

Für viele unerwartet ist der Traum vom "ewigen Frieden" in Europa durch eine schnelle Folge von Krisen an der europäischen Peripherie abgelöst worden, deren Auswirkungen auf das Zentrum Europas weder gesellschaftlich, militärisch noch politisch abzusehen sind. Umso mehr, da diese Krisen mit einer erschreckenden, unvorstellbaren Gewalt gegenüber der Umwelt, einmaligen Weltkulturgütern und vor allem gegenüber unbeteiligten Menschen einhergehen.

Was bedeuten Gewalt und Krieg in unserer Zeit? Der Berliner Politikwissenschaftler Herfried Münkler hat seit Jahren immer wieder diese Frage in den Mittelpunkt seines Schaffens gestellt. Mit seinem Buch "Die neuen Kriege" hat er vor über zehn Jahren den längst überfälligen Anstoß für eine intensivere Beschäftigung über Krieg und Gewalt im 21. Jahrhundert in Deutschland gegeben. Zuletzt ging er unter die Historiker und legte ein vielbeachtetes Werk zum Ersten Weltkrieg vor. In seiner neuen Studie führt er seine Betrachtungen über die neuen Formen des Krieges weiter.

In drei auf den ersten Blick nicht miteinander verbundenen Essays geht er nicht nur gedankenreich und wortgewaltig den verschiedenen Facetten der Gewalt und deren Evolution im 20. und 21. Jahrhundert nach, sondern beleuchtet scharfsinnig auch die sich wandelnde gesellschaftliche Einstellung zur Gewalt sowie daraus resultierende aktuelle geopolitische Entwicklungen. Bewusst will er keine kohärente Kriegsgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts schreiben, sondern beschränkt sich auf die kriegerischen Konflikte dieser Jahrzehnte und auf die aktuelle Situation. Die Entwicklung der Nuklearstrategie sowie die Jahre des Kalten Krieges klammert er dabei ausdrücklich aus, da - so Münkler - "zu unser aller Glück" der Kalte Krieg nie in einen "heißen" übergegangen ist. Den Fokus seiner Untersuchung legt er auf die aktuellen Entwicklungen im Osten der Ukraine, in Syrien und im Irak sowie auf das "Zeitalter der Weltkriege".

Der Krieg, so der Autor, ist nicht verschwunden, er hat sich transformiert. Der klassische Staatenkrieg ist für ihn Geschichte oder auf dem Weg dorthin. Gleichzeitig haben sich die Gesellschaften der nördlichen Hemisphäre zu postheroischen Gesellschaften gewandelt, für die die Anwendung von Gewalt nur noch die ultima ratio ist. Konflikte werden heute asymmetrisch ausgetragen oder treten in hybrider Form auf. Zugleich verlieren die Staaten ihr Monopol der Kriegsführungsfähigkeit.

Sogenannte neue Kriege bestimmen als low intensity wars das Kriegsgeschehen. In Folge der "Ersetzung des Kriegs- durch ein Kriminalitätsparadigma" befindet sich das Militär in der westlichen Hemisphäre in einem Transformationsprozess hin zu einer globalen Polizei. Moderne Armeen stehen dieser Konstabualisierungsperspektive teilweise hilflos gegenüber, sollen sie doch quasi als Zwitter sowohl das klassische Kriegs- als auch das Polizeihandwerk beherrschen. Alle diese Punkte hat der Verfasser schon in seinen früheren Werken behandelt.

Neu ist die Einbindung dieser Thesen in den historischen Kontext und hier besonders in die Geschichte des Ersten Weltkriegs, dem er als Epochenzäsur für die Evolution der Gewalt sowohl gesellschaftlich, politisch als auch militärisch eine besondere Bedeutung zuweist. Nicht zuletzt zeigt er auf, dass heute wie 1914 nicht gelöste oder verdrängte Krisen an der Peripherie die Gewalt ins Zentrum der nördlichen Wohlstandszone zurückbringen können. Neben der Entwicklung hin zur postheroischen Gesellschaft und den daraus resultierenden Konsequenzen für die neuen Kriege sowie der Reindividualisierung des Kampfes stellt Münkler die Kategorien Raum und Zeit in den Mittelpunkt seiner Studie. Deren gelungene Analyse zieht sich wie ein roter Faden durch die Essays und gibt diesen einen inneren Zusammenhang. Er hebt dabei unter anderem auf die als Folge des Untergangs des Osmanischen Reichs, des Habsburgerreichs und Russlands misslungene politische Neuordnung des multikulturellen Raumes zwischen Kaspischem Meer und Balkan und der daraus resultierenden Konsequenzen für die Gegenwart ab und stellt diese in einen geopolitischen Zusammenhang. Überhaupt Geopolitik. Wann hat man in Deutschland in den vergangenen Jahren etwas von dem britischen Geografen Halford Mackinder und seiner geopolitischen Heartland-Theorie sowie deren Konsequenzen für die britische Geostrategie im 20. Jahrhundert in Verbindung mit einer geopolitischen Analyse außerhalb eines Zirkels von Interessierten gehört? Und wann hat man in Deutschland nach 1945 die politische, kulturelle und geographische Struktur eines Raumes in Zusammenhang mit einer politischen Zielsetzung für eine an neuen Raumvorstellungen orientierte Geopolitik gebracht? In seinem abschließenden Essay diskutiert der Autor diese Fragen unter der Überschrift "Vom Nutzen und Nachteil geopolitischen Denkens", um zum Schluss zu postulieren, dass die als Folge des Ersten Weltkriegs entstandenen postimperialen Räume - ob wir wollen oder nicht - die europäische Politik der nächsten Jahrzehnte bestimmen werden.

Münkler hat ein ungeheuer anregendes Buch vorgelegt. Kritiker werden anführen, dass er einiges oder sogar vieles in seinen vorhergehenden Büchern schon dargelegt hat. Das ist sicherlich richtig. Doch das vorliegende Werk ist eine gelungene Synthese seiner bisherigen Studien, die er mit der Einbindung einer Analyse der Epoche der Weltkriege gewinnbringend erweitert hat. Ihm gelingt es, das Wechselspiel zwischen gesellschaftlichen, militärischen und geopolitischen Entwicklungen und ihre Auswirkungen auf die aktuelle und zukünftige Politik beispielhaft herauszuarbeiten. Die Studie profitiert ungemein davon, dass der Verfasser als Politikwissenschaftler in historischen Gefilden "wildert" und so heutige Probleme in ihren historischen Kontext einordnet. So werden viele Leser vielleicht erst nach der Lektüre dieses Buches verstehen, dass heutige Krisen nicht zuletzt Ergebnisse und Folgen des Ersten Weltkriegs sind.

Es ist daher zu wünschen, dass dieses konzise sehr gut lesbare Buch nicht nur eine breite Leserschaft außerhalb der Fachwissenschaft findet, sondern auch von politischen Entscheidungsträgern rezipiert wird. Denn, und darin ist Münkler uneingeschränkt zuzustimmen, um die anstehenden sowie zukünftigen geopolitischen Herausforderungen zu bewältigen, brauchen wir dringend eine echte geopolitische Strategie.

GERHARD P. GROSS

Herfried Münkler: Kriegssplitter. Die Evolution der Gewalt im 20. und 21. Jahrhundert. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2015. 400 S., 24,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Gerhard P. Groß hebt hervor, wie anregend die neue Studie von Herfried Münkler gerade durch ihr "Wildern" auf historischem Gebiet wirkt. Wie der Politikwissenschaftler Münkler in drei Essays Facetten der Gewalt und heutiger wie künftiger Geopolitik in den historischen Kontext einordnet und so Entwicklungen sichtbar macht, findet er schlicht großartig. Der Fokus liegt laut Rezensent auf der Ukraine, auf Syrien und Irak und eröffnet dem Leser über den Blick auf den Untergang des Osmanischen Reichs, des Habsburgerreichs und auf Russlands misslungene politische Neuordnung neue Perspektiven. Auch wenn vieles im Buch Groß schon aus früheren Arbeiten des Autors bekannt ist, als um die Analyse der Weltkriege erweiterte Synthese von Münklers Schaffen überzeugt ihn das Buch auf ganzer Linie.

© Perlentaucher Medien GmbH