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Wissenschaftler und Publizisten verschiedener Länder beleuchten den gegenwärtigen Zustand des Föderalismus in Deutschland, diskutieren die Grenzen der Leistungsfähigkeit bundesstaatlicher Ordnungen und erörtern Perspektiven und Ansätze möglicher Reformen. Der Blick auf die Situation föderaler Systeme bzw. föderaler Strukturen in ausgewählten europäischen und außereuropäischen Staaten dient sowohl als vertiefendes Hintergrundbild der Diskussion als auch als Ansatz komparativer Betrachtung der Frage, inwieweit bundesstaatliche Ordnungen in anderen Ländern mit der Struktur des deutschen…mehr

Produktbeschreibung
Wissenschaftler und Publizisten verschiedener Länder beleuchten den gegenwärtigen Zustand des Föderalismus in Deutschland, diskutieren die Grenzen der Leistungsfähigkeit bundesstaatlicher Ordnungen und erörtern Perspektiven und Ansätze möglicher Reformen.
Der Blick auf die Situation föderaler Systeme bzw. föderaler Strukturen in ausgewählten europäischen und außereuropäischen Staaten dient sowohl als vertiefendes Hintergrundbild der Diskussion als auch als Ansatz komparativer Betrachtung der Frage, inwieweit bundesstaatliche Ordnungen in anderen Ländern mit der Struktur des deutschen Bundesstaates vergleichbar sind und welche Erkenntnisse sich aus der Analyse dieser Systeme für die Reformdiskussion in der Bundesrepublik Deutschland gewinnen lassen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.08.1999

Von der Perversion einer Idee
Der Föderalismus in Deutschland und die Notwendigkeit von Reformen

Reform des Föderalismus. Frankfurter Institut - Stiftung Marktwirtschaft und Politik. Bad Homburg 1999. 155 Seiten. 39 DM.

Das ist das Ideal: In einem föderal organisierten Staatswesen sind Aufgaben (Zuständigkeiten) und Verantwortungen klar aufgeteilt, und zwar nach dem Prinzip der Subsidiarität. Das heißt, angewendet auf den Bundesstaat Bundesrepublik Deutschland: Der Bund überlässt den Ländern, was diese selbst regeln können, und ebenso verfahren die Länder mit den Kommunen; nur der Rest ist Sache des Bundes. Der Sinn liegt darin, dass auf Länder- und Gemeindeebene mehr Sach- und Bürgernähe und damit mehr Demokratie möglich sind.

Aber davon ist Deutschland weit entfernt. Der Bund hat zu viele Aufgaben übernommen, und die Verantwortlichkeiten sind verwischt. Es wäre also Zeit für eine Reform. Gedanken hierfür sind Gegenstand dieses Buches - vorgetragen in Beiträgen von insgesamt zwölf Autoren, gleichsam zwölf Aposteln, die den Föderalismus predigen. Das Schwergewicht liegt auf der (deutschen) Finanzverfassung.

Gert Dahlmanns schreibt in seinem Vorwort: "Der deutsche Föderalismus . . . hat sich in sein Gegenteil verkehrt. Die über Jahrzehnte immer weiter vorangetriebene Aufgabenvermengung von Bund und Ländern und die dazu entwickelte, kaum noch durchschaubare Umverteilungsmaschinerie haben das Land in seiner Gesamtheit geschwächt statt gestärkt . . . Die Verlustliste dieser Systemdeformation erinnert an die Fehlentwicklung der kollektiven Sicherungssysteme: Freiheit und Gestaltungsspielräume wurden aufgezehrt durch Gleichheit auf niedrigerem Niveau, Selbstständigkeit und Eigenverantwortung eingetauscht gegen nivellierende Unterstützung durch das Kollektiv, Wettbewerb ersetzt durch Aushandeln und Abhängigkeiten."

Als das öffentlich am meisten diskutierte Beispiel für die Fehlentwicklung des deutschen Föderalismus führt Konrad Morath den Länderfinanzausgleich an: Der horizontale Finanzausgleich unter den Ländern nivelliert die Unterschiede im Finanzaufkommen auf mindestens 99,5 Prozent der länderdurchschnittlichen Pro-Kopf-Finanzmittel. Eine solch konfiskatorische Abschöpfung hoher Staatseinnahmen in gut geführten/gut strukturierten Bundesländern zugunsten schlecht geführter/schlecht strukturierter Länder mit niedrigen Einnahmen lässt für Landespolitiker den Anreiz, mit guten Rahmenbedingungen die Wirtschaft zu höherer Leistung zu ermuntern, dem Land dadurch höhere Einnahmen zu verschaffen und mit ihnen das Landes- und Bürgerwohl zu mehren, eher verkümmern. Und solche Landespolitiker, die sich zu solchen Ermunterungen und solider Finanzpolitik nicht bereit finden, können das nahezu ungestraft tun, weil sie ihre Finanznot abwälzen auf die anderen Länder und den Bund.

Hans Herbert von Arnim nennt die fünfzig Jahre Föderalismus in Deutschland die "Perversion einer Idee". Bei der Aufteilung der Gesetzgebung zwischen Bund und Ländern habe der Bund von Anfang an ein Übergewicht gehabt, das im Lauf der Zeit immer größer geworden sei. Er bedauert, dass die Neugliederung der Bundesländer (anders als die kommunale Gebiets- und Verfassungsreform in den siebziger Jahren) gescheitert ist. Steuerzuweisungen des Bundes höhlten die Länderautonomie aus. Der Finanzausgleich bestrafe die Eigenanstrengungen der Länder. Die eigentliche Aufgabe der Länderparlamente, die Gesetzgebung, habe sich drastisch vermindert, so dass die Parlamente an kumulativer politischer Auszehrung litten. Gleichwohl hätten sie ihre Bezahlung erhöht. Weil sie davon nun gut leben könnten, setze sie das auch noch zeitlich in den Stand, für ihre Wiedernominierung in den Parteigremien Nominierungswahlkampf zu führen und Herausforderern kaum eine Chance zu lassen.

Die Ansicht, dass es dem Eigeninteresse der politischen Klasse in den Ländern geradezu entgegenkommt, die Gesetzgebung auf den Bund zu konzentrieren, teilt auch von Arnim; das schwäche unter ihnen den Wettbewerb und erschwere es damit, ihre politische Leistung zu kontrollieren. Unter den Ländern, konstatiert er, fehle es an Leistungswettbewerb. Er spricht von "Kartellierungstendenzen" der politischen Klasse. Daher müssten sich alle Überlegungen, die Lage zu verbessern, mit der Frage befassen, "unter welchen Bedingungen Reformen gegen die Eigeninteressen der politischen Klasse durchgesetzt werden könnten". Von den Parlamenten selbst seien solche Reformen kaum zu erwarten. Letztlich wirksam sei nur ein Mittel: "die Aktivierung des Volkes selbst", zum Beispiel durch Volksbegehren und Volksentscheide, durch Direktwahl der Ministerpräsidenten, durch Personalisierung des Landtagswahlrechts.

Für Otto Graf Lambsdorff, ebenfalls einer der Autoren, zählt der deutsche Föderalismus zu den "schlimmsten Auswüchsen des Sich-etwas-nehmen-und-nicht-dafür-bezahlen". Beim Reformieren des Finanzausgleichs solle man sich an zwei Leitlinien halten. Die eine: Die vielen zum Teil absurden Transfers seien auf einen Transfer zurückzustutzen. Die andere: Zum Transfer berechtigen sollte nur noch der Notfall, wenn ein Land seinen grundgesetzlich festgelegten Pflichten, die persönlichen, wirtschaftlichen und sozialen Rechte zu wahren, nicht mehr nachkommen könne. Er verlangt den "Abschied von der Umverteilungsethik". Seine "Maximalforderungen" enthalten auch, das Grundgesetzgebot auf Gleichwertigkeit beziehungsweise Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse zu streichen.

Fritz W. Scharpf ("Föderale Politikverflechtung: Was muss man ertragen? Was kann man ändern?") erinnert an einen Vorschlag von 1977. Danach sollten die Länder innerhalb der konkurrierenden Gesetzgebung das Recht bekommen, eine bundesgesetzliche Regelung durch Landesgesetz zu ersetzen oder zu ergänzen, wenn nicht der Bundestag innerhalb von drei Monaten nach Zuleitung dieses Landesgesetzes Einspruch erhebt. Der Vorschlag, meint Scharpf, könne auf die Rahmengesetzgebung erweitert und überdies durch den Zusatz ergänzt werden, dass der Einspruch des Bundestages nur dann Bestand habe, wenn das Landesgesetz zu den Erfordernissen des Grundgesetzartikels 72, Absatz 2 im Widerspruch stehe.

Ulrich von Suntum befasst sich mit der Idee des wettbewerblichen Föderalismus und befürchtet, dass der Zentralismus in Europa weiter um sich greifen wird, wenn der föderative Gedanke in der Europäischen Union institutionell nicht abgesichert wird. Dies folge schon daraus, dass untergeordnete Gebietskörperschaften den Wettbewerb im Allgemeinen scheuten und stattdessen, ähnlich wie Unternehmen, eher zur Kartellierung neigten. Besonders in der Beschäftigungspolitik erscheine es den Entscheidungsträgern verständlicherweise opportun, die Verantwortung dafür auf höhere Ebenen abzuschieben.

In seinem Beitrag über Steuerwettbewerb im Föderalismus plädiert Bernd Huber dafür, den Bundesländern eigene Besteuerungsmöglichkeiten einzuräumen und zwischen ihnen einen Steuerwettbewerb zuzulassen. Steuerautonomie und Steuerwettbewerb würden Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit der Länder stärken. Weitere heilsame Wirkungen seien: "Effizienz und Transparenz der Länderentscheidungen verbessern sich, zugleich werden Defekte des bestehenden Systems wie die mangelnde Einnahmenflexibilität und die inhärenten Verschuldungsanreize nachhaltig abgemildert."

In den anderen Beiträgen beschäftigen sich die Autoren mit dem Wettbewerb um Steuerquellen (Ingolf Deubel), mit dem verfassungsrechtlichen Spielraum für eine Reform des Finanzausgleichs (Hans-Wolfgang Arndt), mit Reformoptionen für den Finanzausgleich (Karl Lichtblau), mit Föderalismus im zusammenwachsenden Europa (Klaus-Dirk Henke und Oliver D. Perschau), mit zehn Thesen zur Zentralisierung der Staatstätigkeit (Charles B. Blankart) und mit dem Förderalismus aus einer schweizerischen Sicht (Dieter Chenaux-Repond). Die Autoren beschreiben den Zustand und die Gründe dafür, legen offen, woran es in der heutigen Finanzverfassung fehlt, untersuchen, was zur Reform des Föderalismus notwendig ist, und machen konkrete Reformvorschläge.

KLAUS PETER KRAUSE

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