In einer Zeit, wo der Medienbegriff universell zu werden droht, wird eine Kritik der neuen Medien nötig. Gegen deren eschatologische Perspektive erinnert Jochum daran, daß das eschaton eine unübersteigbare Grenze unserer Welt markiert, die die Frage nach dem Jenseits offen hält. Neue Medien und Eschatologie, das klingt wie die Zusammenstellung einander widerstreitender Begriffe: hier die neuen Medien, die unseren Alltag telematisch umzugestalten beginnen, und dort die religiöse Dimension einer Eschatologie, die nicht vom Alltag spricht, sondern von den letzten Dingen, wenn sich am Ende aller Zeiten das transzendente Ziel der Geschichte enthüllen wird. Was könnte einander ferner sein als ein alltäglicher Umgang mit den neuen Medien und jenes eschaton, jenes Äußerste und Letzte einer aus dem Christentum hervorgegangenen Geschichtstheologie? Aber diese Ferne ist nur eine scheinbare. Wer genauer hinsieht, muß erkennen, daß die Attraktivität der neuen Medien sich eben nicht aus ihrem schieren Gebrauch speist, sondern aus dem theologischen Versprechen, das eschaton mit eigenen Mitteln herbeiführen zu können, um den Menschen von seinem Leib und einer Welt zu erlösen, die ihm auf Schritt und Tritt Grenzen setzen.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.10.2003Kräfte des Geistes
Uwe Jochums „eschatologischer” Blick auf die neuen Medien
Wie alle Kulturkritik läuft auch Medienkritik Gefahr, sich im gerechten Kampf gegen das Unabänderliche aufzureiben. Dann steht der Kritiker da wie einst Don Quixote: Im Prinzip sympathisch, im Ergebnis erfolglos und im Erscheinungsbild schwer zerzaust. Ob sich Uwe Jochum, der Konstanzer Bibliotheks-Experte, mit der „Kritik der Neuen Medien” leichtfertig einer Donquichotterie hingegeben oder – wie zweifellos beabsichtigt – Fundamentalkritik im Sinne Kants geleistet hat, bleibt aber eher eine Frage des Glaubens als der Argumentationslogik.
Natürlich kann man mit Martin Heidegger Technik als „Gestalt der Wahrheit” begreifen, die in der Geschichte der Metaphysik gründet. Eben diesen Horizont hat Jochum im Auge, während er die Inhumanität der neuen Entwicklungen an der Medienfront beklagt. Für ihn steht „unsere menschliche und weltliche Substanz” auf dem Spiel, wenn „Advokaten des Cyberspace” behaupten, dass die maschinelle Evolution die Fortsetzung der biologischen sei und in der postbiologischen Welt die Vollendung der Intelligenz als elektronischer Maschine erwarten. Die „Neuen Medien” und ihre Theoretiker vereint Jochum zum technisch-geistigen Komplex, der die Entwirklichung des Realen und die Mediatisierung des Seins voran treibt. Sein Generalverdacht lautet, dass das eschaton, der letzte Zweck hinter allen Zwecken, mit dem Hype um das Digitale in die Welt hinein gezogen werden soll. „Immanentisierung” nennt der Autor diesen utopischen Prozess, in dem jeder Mausklick zur Apokalypse wird: Zur Enthüllung (apokalypsis) der vermeintlichen Wahrheit nämlich, dass das Ziel der Menschheitsgeschichte sei, in elektronischen Netzwerken aufzugehen.
Jochum versteht die Verherrlichung der Maschine Computer als neue Heilsgeschichte im Zeichen der Erlösung des menschlichen Körpers als Revolte gegen die hergebrachte Theologie. Zu den wenigen Gegnern, die er beim Namen nennt, gehören der Futurologe Alvin Tofler und der ehemalige Präsidenten-Berater George A. Keyworth. Sie hatten 1994 in der „Magna Charta für das Zeitalter des Wissens” geschrieben, das zentrale Ereignis des 20. Jahrhunderts sei der „Sturz der Materie”, bei dem mittels Technologie „die Kräfte des Geistes die Oberhand über die rohe Macht der Dinge gewinnen”. Solche Maximalthesen sind Jochum rote Tücher, zumal er unterstellt, sie würden „mit apokalyptischem Ernst” vorgetragen.
Doch ist es ratsam, aus den Spekulationen publicity-süchtiger Hobby-Propheten ein Szenario zu generieren, gegen dessen Horror nur die schwersten Kaliber des abendländischen Denkens aufkommen? Fest steht, dass der gebildete Alt-Europäer von den Anmaßungen universalistischer Medientheorien übel gereizt ist. Deshalb fragt er nicht nach Wahrscheinlichkeit und Plausibilität, sondern schlägt mit kantigen philosophischen Grundbegriffen zurück. Unterhaltsam ist das schon, oft auch lehrreich.
Am Ende, nachdem sämtliche medialen Blütenträume ausgetrieben und einige Feinde beleidigt sind – darunter die Poststrukturalisten mit ihrem „autistischen Terrorismus von Theorie und Praxis” –, wird Jochum zum Paulus und verklärt die Liebe als Fundament der conditio humana. Liebe soll der Keim „jenes wahren Wissens” sein, das weiß, dass es „nicht Herr im eigenen Haus ist, sondern das Geschenk eines logos”. Alles weitere siehe Johannes-Evangelium.
ARNO ORZESSEK
UWE JOCHUM: Kritik der Neuen Medien. Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2003. 158 Seiten, 22,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Uwe Jochums „eschatologischer” Blick auf die neuen Medien
Wie alle Kulturkritik läuft auch Medienkritik Gefahr, sich im gerechten Kampf gegen das Unabänderliche aufzureiben. Dann steht der Kritiker da wie einst Don Quixote: Im Prinzip sympathisch, im Ergebnis erfolglos und im Erscheinungsbild schwer zerzaust. Ob sich Uwe Jochum, der Konstanzer Bibliotheks-Experte, mit der „Kritik der Neuen Medien” leichtfertig einer Donquichotterie hingegeben oder – wie zweifellos beabsichtigt – Fundamentalkritik im Sinne Kants geleistet hat, bleibt aber eher eine Frage des Glaubens als der Argumentationslogik.
Natürlich kann man mit Martin Heidegger Technik als „Gestalt der Wahrheit” begreifen, die in der Geschichte der Metaphysik gründet. Eben diesen Horizont hat Jochum im Auge, während er die Inhumanität der neuen Entwicklungen an der Medienfront beklagt. Für ihn steht „unsere menschliche und weltliche Substanz” auf dem Spiel, wenn „Advokaten des Cyberspace” behaupten, dass die maschinelle Evolution die Fortsetzung der biologischen sei und in der postbiologischen Welt die Vollendung der Intelligenz als elektronischer Maschine erwarten. Die „Neuen Medien” und ihre Theoretiker vereint Jochum zum technisch-geistigen Komplex, der die Entwirklichung des Realen und die Mediatisierung des Seins voran treibt. Sein Generalverdacht lautet, dass das eschaton, der letzte Zweck hinter allen Zwecken, mit dem Hype um das Digitale in die Welt hinein gezogen werden soll. „Immanentisierung” nennt der Autor diesen utopischen Prozess, in dem jeder Mausklick zur Apokalypse wird: Zur Enthüllung (apokalypsis) der vermeintlichen Wahrheit nämlich, dass das Ziel der Menschheitsgeschichte sei, in elektronischen Netzwerken aufzugehen.
Jochum versteht die Verherrlichung der Maschine Computer als neue Heilsgeschichte im Zeichen der Erlösung des menschlichen Körpers als Revolte gegen die hergebrachte Theologie. Zu den wenigen Gegnern, die er beim Namen nennt, gehören der Futurologe Alvin Tofler und der ehemalige Präsidenten-Berater George A. Keyworth. Sie hatten 1994 in der „Magna Charta für das Zeitalter des Wissens” geschrieben, das zentrale Ereignis des 20. Jahrhunderts sei der „Sturz der Materie”, bei dem mittels Technologie „die Kräfte des Geistes die Oberhand über die rohe Macht der Dinge gewinnen”. Solche Maximalthesen sind Jochum rote Tücher, zumal er unterstellt, sie würden „mit apokalyptischem Ernst” vorgetragen.
Doch ist es ratsam, aus den Spekulationen publicity-süchtiger Hobby-Propheten ein Szenario zu generieren, gegen dessen Horror nur die schwersten Kaliber des abendländischen Denkens aufkommen? Fest steht, dass der gebildete Alt-Europäer von den Anmaßungen universalistischer Medientheorien übel gereizt ist. Deshalb fragt er nicht nach Wahrscheinlichkeit und Plausibilität, sondern schlägt mit kantigen philosophischen Grundbegriffen zurück. Unterhaltsam ist das schon, oft auch lehrreich.
Am Ende, nachdem sämtliche medialen Blütenträume ausgetrieben und einige Feinde beleidigt sind – darunter die Poststrukturalisten mit ihrem „autistischen Terrorismus von Theorie und Praxis” –, wird Jochum zum Paulus und verklärt die Liebe als Fundament der conditio humana. Liebe soll der Keim „jenes wahren Wissens” sein, das weiß, dass es „nicht Herr im eigenen Haus ist, sondern das Geschenk eines logos”. Alles weitere siehe Johannes-Evangelium.
ARNO ORZESSEK
UWE JOCHUM: Kritik der Neuen Medien. Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2003. 158 Seiten, 22,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Die Neuen Medien sind bei Uwe Jochum der Cyberspace, genauer gesagt: es sind die Phantasmen, der Körperlosigkeit insbesondere, die die ersten Begegnungen mit dem Cyberspace ausgelöst haben. Den Ausschweifungen der Vorstellungskraft möchte Jochum mit seiner "Kritik" einen Boden der Tatsachen einziehen - und zwar nicht durch empirische Beobachtungen, sondern durch die Auseinandersetzung mit dem, was er als "Medientheologie" wahrnimmt (so jedenfalls die Formulierung des Rezensenten Uwe Justus Wenzel). Gegen die frei flottierenden Träume von Selbsterlösung und Transzendenz im Raum ohne Körper setzt er den "Horizont der Endlichkeit", den Verweis auf die "irdische conditio humana". Was dem Rezensenten zu kurz kommt, ist die genauere Beleuchtung "medienanthropologischer" Fragestellungen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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