Ist der Star der Star unter den Vögeln?
Zirka 11.000 Vogelarten gibt es. Jürgen und Thomas Roth picken sich die wichtigsten, wuchtigsten und winzigsten (zum Beispiel die Rotkehlchenmirabelle) heraus und diskutieren mit Hilfe ihrer Fallbeispiele bis heute unbeantwortete Fragen, etwa: Schimpfen Vögel? Sind sie sozial integrierbar? Welche Rolle spielen sie in der Kunst? Und warum? Und wieso ist der Specht nicht der Schutzpatron der Handwerker?
Eine opulent vom großen F. W. Bernstein illustrierte Vogelkunde der ganz besonderen Art: Witzig und gelehrt, im Stil der Neuen Frankfurter Schule, porträtieren, ja sammeln die Gebrüder Roth alles über unsere gefiederten Freunde. Eine Fundamentalkritik in Text und Bild, die Brehm, Grzimek und Franzen weit überfliegt.
Vermehrt ist Erschütterndes aus der Welt der Vögel zu vernehmen. Im Radio hört man von "fiesen Enten", in der Zeitung vertritt ein Ornithologe die These, unsere gefiederten Freunde seien "Opportunisten", onlinetitelt der Spiegel: "Futterdiebstahl unter Vögeln - Die Superbetrüger aus der Kalahari". Höchste Zeit also, nach 201,3 Millionen Jahren Evolutionsgeschichte Bilanz zu ziehen, einen Überblick und zumal Remedur zu schaffen - und zwar möglichst gründlich, wenn nicht gar versiert.
Der promovierte Germanist Jürgen Roth und der promovierte Historiker Thomas Roth, Vogelkundschafter von Kindesbeinen an, sind dank Ausbildung und Leidenschaft prädestiniert, ja befugt, für Übersicht in der wirren Welt der "Ornis" (Josef H. Reichholf) zu sorgen und deutliche Antworten auf die ewigschwierigen Fragen zu liefern: Wie fällt das Führungszeugnis des Kormorans aus? Ist die Elster ethisch zu rechtfertigen? Und was bilden sich die Meisen ein? Dass nicht einmal Kant dazu etwas gesagt hat, unterstreicht die Dringlichkeit einer transzendentalbiologischen Kritik der Vögel, die mit klaren Urteilen und zugleich mit einem Größtmaß an Empathie nicht spart, was auch stille, andächtige Betrachtungen einschließt.
Zirka 11.000 Vogelarten gibt es. Jürgen und Thomas Roth picken sich die wichtigsten, wuchtigsten und winzigsten (zum Beispiel die Rotkehlchenmirabelle) heraus und diskutieren mit Hilfe ihrer Fallbeispiele bis heute unbeantwortete Fragen, etwa: Schimpfen Vögel? Sind sie sozial integrierbar? Welche Rolle spielen sie in der Kunst? Und warum? Und wieso ist der Specht nicht der Schutzpatron der Handwerker?
Eine opulent vom großen F. W. Bernstein illustrierte Vogelkunde der ganz besonderen Art: Witzig und gelehrt, im Stil der Neuen Frankfurter Schule, porträtieren, ja sammeln die Gebrüder Roth alles über unsere gefiederten Freunde. Eine Fundamentalkritik in Text und Bild, die Brehm, Grzimek und Franzen weit überfliegt.
Vermehrt ist Erschütterndes aus der Welt der Vögel zu vernehmen. Im Radio hört man von "fiesen Enten", in der Zeitung vertritt ein Ornithologe die These, unsere gefiederten Freunde seien "Opportunisten", onlinetitelt der Spiegel: "Futterdiebstahl unter Vögeln - Die Superbetrüger aus der Kalahari". Höchste Zeit also, nach 201,3 Millionen Jahren Evolutionsgeschichte Bilanz zu ziehen, einen Überblick und zumal Remedur zu schaffen - und zwar möglichst gründlich, wenn nicht gar versiert.
Der promovierte Germanist Jürgen Roth und der promovierte Historiker Thomas Roth, Vogelkundschafter von Kindesbeinen an, sind dank Ausbildung und Leidenschaft prädestiniert, ja befugt, für Übersicht in der wirren Welt der "Ornis" (Josef H. Reichholf) zu sorgen und deutliche Antworten auf die ewigschwierigen Fragen zu liefern: Wie fällt das Führungszeugnis des Kormorans aus? Ist die Elster ethisch zu rechtfertigen? Und was bilden sich die Meisen ein? Dass nicht einmal Kant dazu etwas gesagt hat, unterstreicht die Dringlichkeit einer transzendentalbiologischen Kritik der Vögel, die mit klaren Urteilen und zugleich mit einem Größtmaß an Empathie nicht spart, was auch stille, andächtige Betrachtungen einschließt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.05.2017Was glaubt die Amsel in ihrem Jugendwahn?
Gezwitschert: Jürgen und Thomas Roth kommentieren, was Vögeln so alles an Charakterzügen zugeschrieben wird
Jürgen Roth ist Schriftsteller, promovierter Philosoph und unter den Jüngeren der "Neuen Frankfurter Schule" zweifellos der Begabteste. Mit seinem Bruder Thomas, einem Historiker, und Zeichnungen von F.W. Bernstein stellt er in einem schlichtweg glänzend geschriebenen Buch unseren jahrhundertealten eingefleischten Umgang mit den Vögeln zur Debatte. Alle Formen der Vermenschlichung der Tiere von der Affenliebe bis zur Totalverteufelung des fliegenden Federviehs werden zum Schein noch einmal zelebriert, in vorgetäuschter Demut vor den historischen Größen der Ornithologie.
Das Rotkehlchen ist süß. Die Möwe ein Pirat und Kannibale. In der Brutpflege erkennt der französische Philosoph Michelet "wenigstens einen Schimmer von Moral". Jede Annäherung an den Menschen wird den Vögeln nach Menschenmaß belohnt. Dass Papageien unsere Sprache nachplappern, wird ihnen als Tugend angerechnet. Es gibt die moralischen "Zwischenformen": den Trampel, den Spaßvogel und den komischen Kauz. Und Konrad Lorenz bescheinigt den Graugänsen immerhin, dass sie trauern könnten. Aber dann die "schädlichen"! Die Amsel frisst Würmer und Insekten - aber sie räubert auch unsere Kirschbäume. Und als Kinder sagten wir: "Da kann man schon mal eine rausschießen."
Die beiden Roths, auf dem Land, im Fränkischen, aufgewachsen, wissen, wovon sie reden. Sie haben so gut wie alles, was - ob klug oder dumm - je über Vögel gesagt und geschrieben wurde, gesammelt. Und so gehen die beiden das Abc der Vogelwelt durch und geben jeder Art den uns zubereiteten Senf dazu: der Harpyie und der Heckenbraunelle, dem Bussard und dem Kranich, dem Zilpzalp, den Spatzen und der Krähe. Und dabei sitzt ihnen selbst der Schalk im Nacken, wenn sie den Spatz einen "gottlosen Gesellen" nennen, um zu zeigen, wie tief ihnen der vermenschlichende Blick selbst zur zweiten Natur geworden ist. Turgenjew wird als Zeuge dafür aufgerufen, dass die Amsel auf sinnlose Weise glaube, jugendlich zu sein. Auch, dass es mit dem nur Unfug stiftenden neuseeländischen Kea so nicht weitergehen könne, geben sie zu bedenken. Sie stellen das "Naßforsche, das Vulgäre, das Unartige und Abartige der Meisen" heraus. Und schelten den Pinguin, er habe sich lange genug mit seinen Perversionen bedeckt gehalten.
Am Schluss aber legen sie, wie schon im Vorwort, noch mal los: Wohin haben uns Affenliebe und Geringschätzung der Vögel geführt? Wohin mit dem ganzen Vogelvolk, das nur herumschwadroniert. Wenigstens "luftbeherrschendes Weltbürgertum" - so zitieren sie - verdankten wir ihnen, denen sonst die Erde längst nicht mehr geheuer sein kann. "Der Durchschnittsvogel steht in seiner geistigen Begabung unter dem Durchschnittssäugetier wohl recht zurück", so ein anderer "Steinweiser" der Zunft.
Wie angreifbar haben solche Urteile die Vögel gemacht? Die Etikettierungen allein schaden nicht allzu sehr. Aber immerhin dulden wir den systematischen Vogelmassenmord in Malta und Serbien. Hierzulande rangiert die lustige Jägerei weiter hinten. Doch haben unsere Agrarindustriellen mit Pestiziden die Lebensräume und Nistplätze von Feldvögeln fast zum Verschwinden gebracht. Einige Arten suchen Schutz in den Nischen der Städte, und Touristen winken ab: Sie hätten winters am Ku'damm die Bäume voller Stare gesehen. Doch um achtzig Prozent hat die Zahl der Vögel hierzulande abgenommen in den vergangenen zweihundert Jahren.
Was raten uns die beiden Roths? Lasst sie sein. Lasst sie in Ruhe. Fragt nicht nach ihrem Nutzen. Fragt ihr vielleicht nach eurem? Baut ihnen ein paar Nistkästen. Streut meinetwegen auch im Winter Futter. Lasst Euch zu Tränen rühren vom ersten Amselgesang im Frühling; denn keine Primadonna singt wie sie. Aber wenn ihr sie beobachtet, dann bitte so scheu und besonnen und von ihrer ungeheuren Fremdheit so betört wie J.A. Baker von seinen "Wanderfalken". Oder wie eben Jürgen Roth: " Wie es uns ergriff, als wir auf der Frankenhöhe, auf einem Hochsitz in der Nähe eines Fischweihers in einer Fichtenschonung hockend, zum ersten Mal gewahrten, wie im Morgenzwielicht ein - damals ausgesprochen seltener - Graureiher heranschwebte, herabsank, sich aufpflanzte und zu husten und zu bellen begann."
HERMANN PIWITT
Jürgen und Thomas Roth: "Kritik der Vögel". Mit Illustrationen von F.W. Bernstein.
Blumenbar Verlag, Berlin 2017. 332 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Gezwitschert: Jürgen und Thomas Roth kommentieren, was Vögeln so alles an Charakterzügen zugeschrieben wird
Jürgen Roth ist Schriftsteller, promovierter Philosoph und unter den Jüngeren der "Neuen Frankfurter Schule" zweifellos der Begabteste. Mit seinem Bruder Thomas, einem Historiker, und Zeichnungen von F.W. Bernstein stellt er in einem schlichtweg glänzend geschriebenen Buch unseren jahrhundertealten eingefleischten Umgang mit den Vögeln zur Debatte. Alle Formen der Vermenschlichung der Tiere von der Affenliebe bis zur Totalverteufelung des fliegenden Federviehs werden zum Schein noch einmal zelebriert, in vorgetäuschter Demut vor den historischen Größen der Ornithologie.
Das Rotkehlchen ist süß. Die Möwe ein Pirat und Kannibale. In der Brutpflege erkennt der französische Philosoph Michelet "wenigstens einen Schimmer von Moral". Jede Annäherung an den Menschen wird den Vögeln nach Menschenmaß belohnt. Dass Papageien unsere Sprache nachplappern, wird ihnen als Tugend angerechnet. Es gibt die moralischen "Zwischenformen": den Trampel, den Spaßvogel und den komischen Kauz. Und Konrad Lorenz bescheinigt den Graugänsen immerhin, dass sie trauern könnten. Aber dann die "schädlichen"! Die Amsel frisst Würmer und Insekten - aber sie räubert auch unsere Kirschbäume. Und als Kinder sagten wir: "Da kann man schon mal eine rausschießen."
Die beiden Roths, auf dem Land, im Fränkischen, aufgewachsen, wissen, wovon sie reden. Sie haben so gut wie alles, was - ob klug oder dumm - je über Vögel gesagt und geschrieben wurde, gesammelt. Und so gehen die beiden das Abc der Vogelwelt durch und geben jeder Art den uns zubereiteten Senf dazu: der Harpyie und der Heckenbraunelle, dem Bussard und dem Kranich, dem Zilpzalp, den Spatzen und der Krähe. Und dabei sitzt ihnen selbst der Schalk im Nacken, wenn sie den Spatz einen "gottlosen Gesellen" nennen, um zu zeigen, wie tief ihnen der vermenschlichende Blick selbst zur zweiten Natur geworden ist. Turgenjew wird als Zeuge dafür aufgerufen, dass die Amsel auf sinnlose Weise glaube, jugendlich zu sein. Auch, dass es mit dem nur Unfug stiftenden neuseeländischen Kea so nicht weitergehen könne, geben sie zu bedenken. Sie stellen das "Naßforsche, das Vulgäre, das Unartige und Abartige der Meisen" heraus. Und schelten den Pinguin, er habe sich lange genug mit seinen Perversionen bedeckt gehalten.
Am Schluss aber legen sie, wie schon im Vorwort, noch mal los: Wohin haben uns Affenliebe und Geringschätzung der Vögel geführt? Wohin mit dem ganzen Vogelvolk, das nur herumschwadroniert. Wenigstens "luftbeherrschendes Weltbürgertum" - so zitieren sie - verdankten wir ihnen, denen sonst die Erde längst nicht mehr geheuer sein kann. "Der Durchschnittsvogel steht in seiner geistigen Begabung unter dem Durchschnittssäugetier wohl recht zurück", so ein anderer "Steinweiser" der Zunft.
Wie angreifbar haben solche Urteile die Vögel gemacht? Die Etikettierungen allein schaden nicht allzu sehr. Aber immerhin dulden wir den systematischen Vogelmassenmord in Malta und Serbien. Hierzulande rangiert die lustige Jägerei weiter hinten. Doch haben unsere Agrarindustriellen mit Pestiziden die Lebensräume und Nistplätze von Feldvögeln fast zum Verschwinden gebracht. Einige Arten suchen Schutz in den Nischen der Städte, und Touristen winken ab: Sie hätten winters am Ku'damm die Bäume voller Stare gesehen. Doch um achtzig Prozent hat die Zahl der Vögel hierzulande abgenommen in den vergangenen zweihundert Jahren.
Was raten uns die beiden Roths? Lasst sie sein. Lasst sie in Ruhe. Fragt nicht nach ihrem Nutzen. Fragt ihr vielleicht nach eurem? Baut ihnen ein paar Nistkästen. Streut meinetwegen auch im Winter Futter. Lasst Euch zu Tränen rühren vom ersten Amselgesang im Frühling; denn keine Primadonna singt wie sie. Aber wenn ihr sie beobachtet, dann bitte so scheu und besonnen und von ihrer ungeheuren Fremdheit so betört wie J.A. Baker von seinen "Wanderfalken". Oder wie eben Jürgen Roth: " Wie es uns ergriff, als wir auf der Frankenhöhe, auf einem Hochsitz in der Nähe eines Fischweihers in einer Fichtenschonung hockend, zum ersten Mal gewahrten, wie im Morgenzwielicht ein - damals ausgesprochen seltener - Graureiher heranschwebte, herabsank, sich aufpflanzte und zu husten und zu bellen begann."
HERMANN PIWITT
Jürgen und Thomas Roth: "Kritik der Vögel". Mit Illustrationen von F.W. Bernstein.
Blumenbar Verlag, Berlin 2017. 332 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"diese[s] formidable (...) wunderbar illustrierte Buch [gehört] in die Hausbibliothek eines jeden vernünftzigen Menschen" Schnüss- Das Bonner Stadtmagazin 20181101