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  • Buch mit Leinen-Einband

Produktdetails
  • Verlag: WBG Philipp von Zabern
  • Seitenzahl: 384
  • Abmessung: 38mm x 223mm x 305mm
  • Gewicht: 2230g
  • ISBN-13: 9783805323338
  • Artikelnr.: 25579546
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.12.1998

Die Krone des Löwen fiel vom Himmel
Auch Joachim Ott findet keinen Schlüssel zum Rätsel der Welfen / Von Johannes Fried

Geschichtswissenschaftliche Bildinterpretationen gibt es viele, historisch ausgerichtete Bildcorpora hingegen wenige. Diesem Mangel sucht die hervorragende Marburger Dissertation aus der Schule von Jürgen Petersohn abzuhelfen. Sie füllt eine empfindliche Lücke, indem sie eine Sammlung von annähernd dreihundert Bildern zum Thema der Krönung aus Byzanz und dem Westen und von der Spätantike bis zum Ende des zwölften Jahrhunderts zusammenstellt. Herrscherkrönungen stellen lediglich einen Sonderfall aus dem Bereich der Herrscherikonographie dar. Siegesbilder konnten Krönungen implizieren. Hochzeitsbilder vereinten das Paar unter einem Kranz oder Brautkronen. Antike und spätantike Vorbilder wirkten zusammen und insgesamt bis tief ins Mittelalter fort. Religiöse Elemente traten alsbald hinzu. Die Krönung mit der Krone des Martyriums, mit der himmlischen, von Gott, Christus oder Engeln gereichten Krone ewigen Lebens, der Krone der Erwählten, Zeichen der Mitherrschaft im Himmel, wurden als sprachliche Metaphern der Bibel oder Väterschriften entlehnt und mit der Zeit ins Bild gesetzt. "Dornenkrönung" oder "Marienkrönung" sind späte Ableger des Grundmusters.

Joachim Ott ordnet dieses Material in drei großen Kapiteln, deren erstes der Ikonographie gewidmet ist ("Krone und Kranz in der Hand Gottes", "Christus als himmlischer Coronator", "Engel als Coronator", "Zwei Personen nebeneinander", "Paar und Mittelfigur", "Selbstkrönung", "Kronen für Christus und Maria"), deren zweites literarischen Deutungen der Krone gilt, deren letztes sich Kontexten der Bildentstehung und des Bildgebrauchs zuwendet. Der Katalog und die Illustrationsfolge sind chronologisch geordnet. Der weitgespannte Rahmen und der Reichtum an Material machen es geradezu unvermeidlich, daß sich auch die eine oder andere Schwäche in die Arbeit einschlich. Die Ikonographie etwa führt zu der Einsicht, "daß es im frühen und hohen Mittelalter kein ,gültiges' Muster für die Darstellung der ephemeren Krönungshandlung gibt". In der Folge verwirft Ott den Begriff "Krönungsbild". Er verzichtet dezidiert auf einen Oberbegriff, der seine Bildquellen vereint, und vermeidet die "Suche nach einer pauschalierenden Begrifflichkeit", um allein in die "beschreibende Erörterung der einzelnen Bilder" einzutreten.

Das aber ist ein gravierender Umstand. Denn die Definition bedingt die Auswahl des Bildmaterials. Wie legt der Historiker fest, was er erörtern möchte? Warum beispielsweise wurde die "Anbetung des Lammes" im "Codex Aureus" von St. Emmeram mit den sich krönenden Vierundzwanzig Ältesten der Apokalypse nicht berücksichtigt? Ott hat anscheinend übersehen, daß ihm mit der Definition der Gegenstand aus der Hand gleitet. Doch nicht ganz. Denn der Autor ist inkonsequent und operiert unkontrolliert mit einem Begriff für Bilder, in denen ein sichtbarer oder unsichtbarer Spender oder Koronator einem Empfänger eine Krone sichtbar zuweist; eine derartige Zuordnung kann verheißenden, vollziehenden, erfüllten oder einen für alle Ewigkeit befestigenden Charakter besitzen. Es gibt keinen Grund, derartige Darstellungen nicht als Krönungsbilder zu definieren.

Inkonsequenz besteht auch in der partiellen Berücksichtigung von "Hängekronen", der Ausklammerung aber aller sonstigen Bilder des Kronen- oder Kranz-Tragens. Konsequenzen werden evident, sobald mehrere Gebärden gleichzeitig inszeniert sind. Als Beispiel diene das Herrscherbild des Aachener Liuthar-Evangeliars, das in der Regel als ein Krönungsbild Ottos III. angesprochen wird. Ott verweist zu Recht darauf, daß die aus dem Himmel sich herabsenkende Hand Gottes die Krone auf dem Haupt des Kaisers nur bedecke und nicht "halte", mithin, so folgert er, auch nicht "kröne". Doch kein zweites Bild schiebt die Gotteshand in solcher Weise frontal über die Krone wie dieses auch sonst rätselvolle Bild. Die Deutung hat das zu beachten. Offenkundig sind in dieser Miniatur mehrere Gesten - etwa des Segnens, des Krone-Aufsetzens, des Befestigens - in eins verschmolzen. Die Deutung auf eine einzige Geste zu reduzieren läuft Gefahr, die Intention des Illuminators zu verfehlen.

Die literarischen Interpretationen der Krone als Zeichen vereinen spätantike und mittelalterliche Texterzeugnisse zu "Kranz", "Diadem und Herrscher", "Mitherrschaft im Himmel", "irdische und himmlische Krone", "Hängekronen"; auch vorchristliche und außerbiblische Kronen werden gestreift. Die christliche Interpretation setzt mit eschatologischen Konnotationen ein, die mit dem weltlichen Zeichen zu Aussagen über den vierfachen Sinn von Krone oder Kranz verschmelzen. Bemerkenswert ist die Vielfalt der Deutungen. Die umfassende Sammlung des Materials macht dieses Kapitel zu einem Glanzstück des ganzen Buches. Sie bietet dem Historiker einen reichen Schatz interpretatorischer Möglichkeiten, der freilich gehoben werden will. Ott selbst hält sich mit Versuchen zurück, die gesammelten Texte mit seinen ikonographischen Beobachtungen zu verbinden; die "Kontexte", die er anschließend untersucht, gelten anderen Zusammenhängen. Diese "Kontexte" berühren den Historiker in besonderer Weise. Erhofft er sich doch von Bildern ähnliche Aufschlüsse auch über ihre Entstehungszeit wie von Wortquellen. Ott ordnet sie formal nach drei Gruppen: den Illustrationen zum Krönungszeremoniell in liturgischen Handschriften, dem imaginierten Gebetsgedenken sowie den Bildkommentaren zu historischen Ereignissen in Werken der Geschichtsschreibung. Er endet mit Interpretationen von Zeugnissen vorweggenommener Vergabe himmlischer Kronen an nichtkönigliche Personen.

Gesteigerte Aufmerksamkeit ist diesen beispielhaften Interpretationen gewiß, da jenes Herrscherbild im Zentrum steht, das in jüngster Zeit von historischer und kunsthistorischer Seite besonders kontrovers diskutiert wurde, das "Krönungsbild" Heinrichs des Löwen und seiner Gemahlin Mathilde. Es handelt sich unstrittig um ein Memorialbild. Kontrovers ist die Konnotation, die damit verbunden ist. Verglichen wird es mit vier zeitlich und räumlich mitunter recht disparaten Exempeln. Wie sehr diese fünf Werke, jedes für sich genommen, Ausnahmen darstellen, verdeutlicht Otts gesamte Arbeit. Damit aber werden - entgegen Otts Ansicht - verallgemeinernde Schlußfolgerungen problematisch.

Der namenlose Kronenempfänger auf dem Buchdeckel des Codex Douce 292 beweist nichts. Das Krönungsbild des sogenannten Gertrudencodex, das Ott für bloße Fürsten, keine Könige vindiziert, ist ebenfalls zu streichen, da das Wissen des Historikers im zwanzigsten Jahrhundert im Widerspruch steht zu den Intentionen des handelnden Papstes, Gregors VII., und der Betroffenen; sie galten dem Papst und sich selbst als "Könige" ("Reges Ruscorum").

Für das Widmungsbild der Augustin-Handschrift aus Anchin hat Ott das angegebene Tagesdatum des 19. April fälschlich auf das zuvor erwähnte, aber durch ";" in der Handschrift gedanklich getrennte Osterfest bezogen statt auf den anschließend genannten Mittwoch nach Ostern, den Todes- und Memorialtag des im Bild als Toten gezeigten Mönches Balduin. Dadurch kommen andere Jahre in Betracht, als Ott meinte, nämlich solche mit Ostern am 16. April. Danach starb Balduin 1172, nicht, was kalendarisch auch in Erwägung gezogen werden könnte, schon 1161, da der Abt Gozuin, der 1165 das Zeitliche segnete, wie ein Heiliger, mithin verstorben ins Bild gebracht ist. Die Miniatur ist demnach im Jahr 1172 oder bald danach entstanden - eine für die mit absoluten Daten nicht gerade gesegnete Kunstgeschichte wichtige Feststellung.

Auch die Interpretation des Bildes muß gegenüber Ott präzisiert werden. Die Miniatur ist ein Memorialbild für Balduin, über den auch andere "Schreiber" - repräsentiert durch den betenden Johannes - in das Gebetsgedenken einbezogen sind. Balduin ist die Krone bestimmt, die in der Bildmitte ein Engel vom Himmel bringt, nicht dem dort knienden Mönch Johannes. Die zentrale Bildachse beweist es. Sie führt vom Haupte Christi über die Krone zum Kopf der vom Erzengel Michael getragenen Seele des Toten, für den Gozuin vor Gott Fürbitte einlegt. An Johannes vorbei weist über den Kreuzstab Michaels auch der rechte Zeigefinger des Engels auf den Toten, der durch das Kreuz zur "Königshalle des Lichts" geleitet wird, zum "Königreich des Lebens", wie die Bildverse sagen. Daß verstorbene Mönche die himmlische Krönung erwarten dürfen, entsprach zutiefst dem Selbstverständnis des mittelalterlichen Mönchtums. Mit dem lebenden Heinrich dem Löwen ist das kaum zu vergleichen - trotz gelegentlicher Beziehungen des Klosters Anchin zum Welfenhof. Das Bild aus Anchin unterstreicht gerade die Einzigartigkeit des welfischen Memorialbildes.

So bleibt ein einziges Beispiel für nicht-königliche Kronenempfänger, die weder Heilige noch Tote sind: die Krönungen des Erzbischofs Angilbert II. und des Goldschmieds Wolvinus auf dem Goldenen Altar von S. Ambrogio in Mailand aus der Mitte des neunten Jahrhunderts. Doch dieses ist für den Welfen des zwölften Jahrhunderts schlechthin nicht aussagekräftig. Weder die Ikonographie noch die Koronatoren noch die Kronenempfänger stimmen zusammen.

Diese Darlegungen, weniger als Einwände denn als weiterführende Beobachtungen gedacht, schmälern nicht den Nutzen, den Historiker aus dem Buch ziehen werden. Ott hat eine Leistung vollbracht, die künftigen Forschern die Arbeit entscheidend erleichtert.

Joachim Ott: "Krone und Krönung". Die Verheißung und Verleihung von Kronen in der Kunst von der Spätantike bis um 1200 und die geistige Auslegung der Krone. Verlag Philipp von Zabern, Mainz 1998. 384 S., 80 Tafeln mit 370 S/W-Abb., geb., 148,- DM.

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