Produktdetails
- Verlag: Böhlau Wien
- Seitenzahl: 260
- Deutsch
- Abmessung: 27mm x 176mm x 246mm
- Gewicht: 782g
- ISBN-13: 9783205052388
- ISBN-10: 3205052382
- Artikelnr.: 20782195
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.12.2006Im Kokon hypothetischer Herrschaft
Jean-Paul Bleds empfehlenswerte Biographie des Habsburger Kronprinzen Rudolf II., der sich und seiner Geliebten die Kugel gab
Wenn heute abend in der ARD die stark gekürzte Fassung des Films von Robert Dornhelm mit Max von Thun in der Hauptrolle gezeigt wird, dann erfüllt das österreichische Kaiserhaus wieder einmal die kleindeutsche Lust an Herz und Schmerz. Diesmal ist es nicht Kaiserin Sisi, die rühren soll, sondern ihr Sohn, Kronprinz Rudolf II., der Österreichs Glanz und Elend verkörpert und mit seiner angeblich "letzten Liebe" 1889 in den Tod ging. Begabt, blendend aussehend, temperamentvoll und durchaus zu politischen Anschauungen fähig, ruiniert er sich bei allzu vielen Ausschweifungen, steckt seine Gemahlin mit einer Geschlechtskrankheit an und findet am Ende in der jungen Mary Vetsera, die er gar nicht besonders liebt, eine bedingungslose Bewunderin, die mit ihm in den Tod geht. Das heißt, die sich von ihm im Jagdschloß Mayerling totschießen läßt, bevor er sich selbst die Kugel gibt.
Diese Geschichte, die traurig genug, aber gänzlich frei von Sentimentalität ist, hat den Zeitgenossen reichlich Gelegenheit gegeben, allerlei Verschwörungstheorien anzuhängen und über die vermeintlich "wahren" Hintergründe der Tat zu spekulieren. Uns wird sie vom Fernsehen nun als eine Art Geschichte aus dem "Wiener Wald Sentimentalitäten-Naturreservat" präsentiert. Ein Familiendrama aber ist diese Geschichte allemal: Rudolfs Mutter Sisi ist für ihren Sohn kaum da, und so versucht Rudolf seinem Vater bei der Jagd und anderen Gelegenheiten zu imponieren und Anerkennung zu finden, bleibt aber in der Hofgesellschaft einsam.
Tatsächlich birgt die Geschichte des Kronprinzen Rudolf viel mehr als dieses k.u.k. Abziehbildchen, und wer jetzt die Muße findet, dem sei der Band des französischen Historikers Jean-Paul Bled empfohlen. Hier erfährt man, wie der junge Kronprinz ausgebildet wurde, daß man so frei war, ihm Montesquieu und sogar den "Contrat social" von Jean-Jacques Rousseau zur Lektüre zu geben, was auch fast ein Jahrhundert nach der Französischen Revolution am Wiener Hof sicher nicht als Erbauungsliteratur durchging. Rudolf wendet sich politisch bald gegen die Politik seines Vaters, er schreibt unter Pseudonym für regierungsfeindliche Blätter und entwickelt eine ausgeprägte Feindschaft gegen Adel und Klerus, die er für die eigentliche Gefahr der k.u.k. Monarchie hält. Und Rudolf ist strikt antipreußisch.
Vor allem aber ist er ein dezidierter Gegner des deutschen Kaisers Wilhelm II. In einem Brief schreibt er: "Wilhelm II. macht sich; er dürfte bald eine große Confusion im alten Europa ausrichten. Er dürfte im Laufe weniger Jahre das hohenzollernerische Deutschland auf den Standpunkt bringen, den es verdient." Rudolf opponiert gegen die Bündnispolitik seines Vaters, der in der Allianz mit Deutschland den Grundpfeiler seiner Außenpolitik sieht.
Der Kronprinz hat echte Liebe zur Wissenschaft, und er reist gerne. Der Band "Eine Orientreise", den Rudolf im Anschluß an eine Reise nach Ägypten und Palästina in den frühen achtziger Jahren veröffentlicht, findet beim Publikum großen Anklang.
Die Wiener Universität verleiht ihm die Ehrendoktorwürde. Er ist ein begeisterter Jäger und veröffentlicht in seinem Buch sogar eine Tabelle über die von ihm erlegten Tiere, die für ihn zugleich Studienobjekte sind. Auch die Habsburgermonarchie ist Gegenstand seines wissenschaftlichen Eifers. Er zieht für dieses Unternehmen Wissenschaftler vieler Fächer heran, um darzulegen, daß die Habsburgermonarchie keineswegs zusammengewürfelt, sondern ein organisches Ganzes sei.
Jean-Paul Bled versteht es, diese Ambitionen des Kronprinzen aus seiner Zeit heraus verständlich zu machen - die in manchen Aspekten den Neigungen Wilhelms II. zu ähneln scheinen und doch dem Grundimpuls nach sehr verschieden sind. Rudolf geht es nicht primär um Repräsentation und Eindruck, sondern tatsächlich um politisch nutzbare Erkenntnis. Er ist nicht pessimistisch wie sein Vater, aber ein Träumer ist er auch nicht. Er wirft der Innenpolitik des Grafen Taaffe vor, sie sei den Interessen eines rückwärtsgewandten Katholizismus verhaftet und spalte die Völker des Reichs, anstatt sie für ein gemeinsames Vorhaben zu gewinnen. Bis hierher scheint es eine geradezu typische Thronfolgerbiographie zu sein, die dadurch geprägt ist, daß das eigene politische Leben auf unbestimmte Zeit verschoben ist. Rudolf kommt nach und nach in Gefahr, sich in seine Ideen zu verspinnen. Er lebt in einem Kokon hypothetischer Herrschaft.
Wie aber kommt es zum festen Willen, gemeinsam mit einer Vertrauten den Tod zu suchen? Ein Faktor ist ohne Zweifel seine unglückliche Ehe mit der belgischen Prinzessin Stephanie, deren leidvolle Biographie Jean-Paul Bled einfühlsam in die des Kronprinzen hineinspiegelt. Vor allem aber wird sich Rudolf bewußt, daß seine Krankheit ihm nicht mehr die Zeit schenken wird, die Monarchie nachhaltig in seinem Sinn lenken zu können. So bleibt ihm auch biologisch verweigert, was politisch für ihn ohnehin noch unerreichbar ist. Bled zeichnet genau nach, wie einfallsreich Rudolf und Mary Vetsera ihre Absprachen trafen. Mit seinem letzten Akt will Rudolf seine lebenslange Einsamkeit im Tod überwinden. Mit dem Vertuschen der ganzen Angelegenheit, mit Schuldzuschreibungen und Spekulationen hatte dann der Hof seinen Einfallsreichtum unter Beweis zu stellen.
MICHAEL JEISMANN
Jean-Paul Bled: "Kronprinz Rudolf". Aus dem Französischen von Marie-Therese Pitner und Daniela Homan. Böhlau Verlag, Wien 2006. 260 S., geb., 8 Bildtafeln, 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Jean-Paul Bleds empfehlenswerte Biographie des Habsburger Kronprinzen Rudolf II., der sich und seiner Geliebten die Kugel gab
Wenn heute abend in der ARD die stark gekürzte Fassung des Films von Robert Dornhelm mit Max von Thun in der Hauptrolle gezeigt wird, dann erfüllt das österreichische Kaiserhaus wieder einmal die kleindeutsche Lust an Herz und Schmerz. Diesmal ist es nicht Kaiserin Sisi, die rühren soll, sondern ihr Sohn, Kronprinz Rudolf II., der Österreichs Glanz und Elend verkörpert und mit seiner angeblich "letzten Liebe" 1889 in den Tod ging. Begabt, blendend aussehend, temperamentvoll und durchaus zu politischen Anschauungen fähig, ruiniert er sich bei allzu vielen Ausschweifungen, steckt seine Gemahlin mit einer Geschlechtskrankheit an und findet am Ende in der jungen Mary Vetsera, die er gar nicht besonders liebt, eine bedingungslose Bewunderin, die mit ihm in den Tod geht. Das heißt, die sich von ihm im Jagdschloß Mayerling totschießen läßt, bevor er sich selbst die Kugel gibt.
Diese Geschichte, die traurig genug, aber gänzlich frei von Sentimentalität ist, hat den Zeitgenossen reichlich Gelegenheit gegeben, allerlei Verschwörungstheorien anzuhängen und über die vermeintlich "wahren" Hintergründe der Tat zu spekulieren. Uns wird sie vom Fernsehen nun als eine Art Geschichte aus dem "Wiener Wald Sentimentalitäten-Naturreservat" präsentiert. Ein Familiendrama aber ist diese Geschichte allemal: Rudolfs Mutter Sisi ist für ihren Sohn kaum da, und so versucht Rudolf seinem Vater bei der Jagd und anderen Gelegenheiten zu imponieren und Anerkennung zu finden, bleibt aber in der Hofgesellschaft einsam.
Tatsächlich birgt die Geschichte des Kronprinzen Rudolf viel mehr als dieses k.u.k. Abziehbildchen, und wer jetzt die Muße findet, dem sei der Band des französischen Historikers Jean-Paul Bled empfohlen. Hier erfährt man, wie der junge Kronprinz ausgebildet wurde, daß man so frei war, ihm Montesquieu und sogar den "Contrat social" von Jean-Jacques Rousseau zur Lektüre zu geben, was auch fast ein Jahrhundert nach der Französischen Revolution am Wiener Hof sicher nicht als Erbauungsliteratur durchging. Rudolf wendet sich politisch bald gegen die Politik seines Vaters, er schreibt unter Pseudonym für regierungsfeindliche Blätter und entwickelt eine ausgeprägte Feindschaft gegen Adel und Klerus, die er für die eigentliche Gefahr der k.u.k. Monarchie hält. Und Rudolf ist strikt antipreußisch.
Vor allem aber ist er ein dezidierter Gegner des deutschen Kaisers Wilhelm II. In einem Brief schreibt er: "Wilhelm II. macht sich; er dürfte bald eine große Confusion im alten Europa ausrichten. Er dürfte im Laufe weniger Jahre das hohenzollernerische Deutschland auf den Standpunkt bringen, den es verdient." Rudolf opponiert gegen die Bündnispolitik seines Vaters, der in der Allianz mit Deutschland den Grundpfeiler seiner Außenpolitik sieht.
Der Kronprinz hat echte Liebe zur Wissenschaft, und er reist gerne. Der Band "Eine Orientreise", den Rudolf im Anschluß an eine Reise nach Ägypten und Palästina in den frühen achtziger Jahren veröffentlicht, findet beim Publikum großen Anklang.
Die Wiener Universität verleiht ihm die Ehrendoktorwürde. Er ist ein begeisterter Jäger und veröffentlicht in seinem Buch sogar eine Tabelle über die von ihm erlegten Tiere, die für ihn zugleich Studienobjekte sind. Auch die Habsburgermonarchie ist Gegenstand seines wissenschaftlichen Eifers. Er zieht für dieses Unternehmen Wissenschaftler vieler Fächer heran, um darzulegen, daß die Habsburgermonarchie keineswegs zusammengewürfelt, sondern ein organisches Ganzes sei.
Jean-Paul Bled versteht es, diese Ambitionen des Kronprinzen aus seiner Zeit heraus verständlich zu machen - die in manchen Aspekten den Neigungen Wilhelms II. zu ähneln scheinen und doch dem Grundimpuls nach sehr verschieden sind. Rudolf geht es nicht primär um Repräsentation und Eindruck, sondern tatsächlich um politisch nutzbare Erkenntnis. Er ist nicht pessimistisch wie sein Vater, aber ein Träumer ist er auch nicht. Er wirft der Innenpolitik des Grafen Taaffe vor, sie sei den Interessen eines rückwärtsgewandten Katholizismus verhaftet und spalte die Völker des Reichs, anstatt sie für ein gemeinsames Vorhaben zu gewinnen. Bis hierher scheint es eine geradezu typische Thronfolgerbiographie zu sein, die dadurch geprägt ist, daß das eigene politische Leben auf unbestimmte Zeit verschoben ist. Rudolf kommt nach und nach in Gefahr, sich in seine Ideen zu verspinnen. Er lebt in einem Kokon hypothetischer Herrschaft.
Wie aber kommt es zum festen Willen, gemeinsam mit einer Vertrauten den Tod zu suchen? Ein Faktor ist ohne Zweifel seine unglückliche Ehe mit der belgischen Prinzessin Stephanie, deren leidvolle Biographie Jean-Paul Bled einfühlsam in die des Kronprinzen hineinspiegelt. Vor allem aber wird sich Rudolf bewußt, daß seine Krankheit ihm nicht mehr die Zeit schenken wird, die Monarchie nachhaltig in seinem Sinn lenken zu können. So bleibt ihm auch biologisch verweigert, was politisch für ihn ohnehin noch unerreichbar ist. Bled zeichnet genau nach, wie einfallsreich Rudolf und Mary Vetsera ihre Absprachen trafen. Mit seinem letzten Akt will Rudolf seine lebenslange Einsamkeit im Tod überwinden. Mit dem Vertuschen der ganzen Angelegenheit, mit Schuldzuschreibungen und Spekulationen hatte dann der Hof seinen Einfallsreichtum unter Beweis zu stellen.
MICHAEL JEISMANN
Jean-Paul Bled: "Kronprinz Rudolf". Aus dem Französischen von Marie-Therese Pitner und Daniela Homan. Böhlau Verlag, Wien 2006. 260 S., geb., 8 Bildtafeln, 24,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Die eigene Basis früherer Froschungsergebnisse lässt der Band glücklich hinter sich und erfreut damit den Rezensenten. Hans Pleschinski lobt den "trockenen Ton" dieser Rudolf-Biografie, auf alles wienerisch Schwelgende kann er nämlich gern verzichten. Lieber sind ihm die von Jean-Paul Bled vorgeführte Tugenden der Behutsamkeit, Distanz und Präzision, gelingt es ihnen auch nicht, wie er einräumt, das Drama von Mayerling ganz zu klären. Immerhin zeitigen sie die These von einer durchaus nicht maroden Donaumonarchie. Pleschinski erscheint dies "bemerkenswert".
© Perlentaucher Medien GmbH
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