Produktdetails
  • Verlag: Europa Verlag
  • Seitenzahl: 239
  • Abmessung: 210mm
  • Gewicht: 391g
  • ISBN-13: 9783203771502
  • ISBN-10: 3203771500
  • Artikelnr.: 11325325
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Ein bisschen unangenehm findet Franz Haas diesen neuen Roman von Ludwig Fels, ein Schriftsteller, der als Hilfsarbeiter angefangen hat, wie Haas erklärt. Fels interessieren "starke Gefühle", schreibt Haas. Es geht um einen Schlagertexter, der an der Welt leidet - seine Frau hat einen Liebhaber, täglich vergällen einem die Nachrichten mit ihren Berichten von Krieg und Tod das Leben. Angesichts der gerade in diesem Buch demonstrativen "Macht der Gefühle" fühlt Haas sich bisweilen verprellt: man "kann sich in diesem Roman vorkommen wie in einem jener Supermärkte mit lautstarker Zwangsmusik von der ganz aufdringlichen Sorte". Dazu kommt im zweiten Teil des Buches eine Kulisse, die der Rezensent als "exotische Hölle" bezeichnet. Der Held reist in ein fernes, von einem Diktator gequältes Land, um eine Freundin vor einem schlimmen Schicksal zu bewahren. Vor diesem Hintergrund bremst gar nichts mehr die "grellen Töne" des Autors, so Haas. Er jedenfalls war erleichtert, als das Buch endlich zu Ende war.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.04.2003

Das Leben – kein Hit
Ludwig Fels führt einen
Schlagertexter in Versuchung
Draußen tobt der Krieg. Im Autoradio, im Fernsehen, in der Zeitung werden Menschen massakriert, sind Tiere auf der Flucht. Drinnen, diesseits der Stirn, wohnt Krum Kelding und wartet auf den Einbruch, endlich den Einbruch des Wirklichen. Krum kann riechen, fühlen, schmecken wie jeder normale Mensch. Er kann sogar Schlagertexte schreiben und für teures Geld bei Plattenproduzent Tschimza abliefern: „Meine Liebe reicht so weit / bis in alle Ewigkeit.” Krum weiß aber nicht, wo das eigene Leben anfängt und der Nachvollzug fremder Leidenschaften aufhört. Krum liebt seine Frau, liebt die beiden erwachsenen Kinder, doch wenn er einschläft, beherrscht „das Getier der Nacht” seine Träume, und wenn er aufwacht, hat er begriffen: „Die Wahrheit gab es nur ein einziges Mal im Leben, dann nie wieder.”
Mit Edna, der Ehefrau, schwimmt Krum im Bodensee. Wegen Saalha sprang er einst ins Hafenwasser. Er wollte das Schiff nicht ziehen lassen, mit dem Saalha in ihre afrikanische Heimat zurückkehrte. Die Rettungswacht zog ihn aus dem Meer, Saalha und ihr Schiff verschwanden am Horizont. Nun findet er Saalhas Postkarte wieder, „zart und zerbrechlich, wie die Haut seines Herzens”, und wenig später ist Saalhas Stimme am Telefon, emporgekommen „aus dem Abgrund der Jahre, den er zugeschüttet hatte mit schwarzen Träumen, die keinen Anfang und kein Ende hatten und nie wirklich zu Ende geträumt worden waren.” Tags darauf besteigt er das Flugzeug nach Angoche. Dort tobt der Krieg, dort lebt Saalha und mit ihr die eine große Wahrheit in Krum Keldings schütterem Leben.
Der Name des missvergnügten Schlagerdichters erinnert nicht nur wegen des Stabreims an einen anderen großen Unglücklichen. In Ludwig Fels’ Roman „Bleeding Heart” (1993) quartierte sich ein gewisser Karl Krautwurst für vier traurige, ekstatische Tage in einem Hotel der nordafrikanischen Stadt Tanger ein. Er dachte an seine Verflossene und rang mit Gott, dem „Herrn meiner Haut”. Das Etablissement hieß „Rif”. Nun nennt sich die vom Krieg gezeichnete Herberge „Fitz Roy”, und abermals durchlebt der Held ein biblisch aufgeladenes Martyrium. In Afrika, wie meist bei Fels, stranden die Hoffnungen der vom Leben enttäuschten, von der Liebe verlassenen Männer. Sie alle schämen sich der Tränen nicht, die sie aus Kummer um sich selbst vergießen. Weinerliche Hünen sind sie, Krum und Karl, Paul Valla („Rosen für Afrika”) und Georg Bleistein („Ein Unding der Liebe”). Wenn der Roman beginnt, haben sie das Beste schon hinter sich. Dem Schlagertexter Kelding jedoch entgleitet mehr als nur die Jugend oder der Ehrgeiz. Die Dinge selbst haben ihren Pakt mit ihm gebrochen. Wo immer er steht und läuft und schweigt, geht die Welt entzwei.
Selbstekel im Paradies
Fels schildert in großer Zahl Momente der Zerstörung. Erst fallen nur Glühbirnen oder Kaffeetassen zu Boden, weil sich zwischen Edna und Krum die Lieblosigkeit breit macht. Krum nimmt die kleinen Unglücke befriedigt zur Kenntnis, baut sie aus zu Etüden des Nihilismus. Auf Glasscherben vollführt er den „Tanz der Morgenröte, Dornen und Tau.” Im Schmerz will er sein Gefühl für Schönheit wiedergewinnen. Doch als er dann Edna beobachtet, wie sie mit einem obdachlosen Pflastermaler schläft, spürt er, „unendlich fern von sich selbst, wie jede Sekunde ein Stück aus seinem Körper bricht und abspringt”. In Angoche zerstiebt dann vollends die Illusion, durch Schmerz und Schmutz zu einer wahren Empfindung zu gelangen. Die Phantasien der Verstümmelung werden ohne jeden Zugewinn an Glück oder Erkenntnis wahr. Schließlich sind Saalhas und Krums Körper zerschunden. Was die Befreiung aus einem steril gewordenen Paradies sein sollte, war der Aufbruch in den Untergang.
Krum Kelding fügt sich in das Pandämonium der Fels’schen Helden. Dem Alkohol ist er ebenso wenig abgeneigt wie der Fäkalsprache. Diese ist der Panzer einer sensiblen Seele, die sich hinterrücks zu poetischen Höhenflügen aufrafft. Unvermittelt kippen Alltagsbeobachtungen ins Surreale: Während Edna und Krum sich küssen, „brüten Saurier draußen in der Garage, fressen Tonnen von Liebesgedichten.” Anders kann es in Krums Welt nicht sein, denn draußen ist immer da, wo Krum nicht ist. Draußen ist die Vorzeit, draußen lockt Afrika, draußen wird Krum in Versuchung geführt, weil er es „im Innern des Paradieses” nicht mehr aushält. Der Roman ist die Geschichte einer symbolischen Selbstverbannung. Der Held verkörpert die Avantgarde derer, die aus einer privaten Glaubens- und Lebenskatastrophe den Trugschluss ziehen, sie seien dazu berufen, die Welt zu erlösen und sich gleich mit. Tatsächlich aber verstellt der Selbstekel den Blick auf die anderen. Schlecht wird die Welt, wenn man sie im Bewusstsein eigener Schlechtigkeit durchwandert.
Auch in Fels’ neuem Werk liegen Kitsch und Poesie, Mythos und Trash dicht beieinander. Einwände gegen eine stellenweise sehr reißerische Fabel und einen schwülen Exotismus lassen sich zuhauf finden. Dennoch beeindruckt der Mut zum Pathos und die Beharrlichkeit, mit der in tausend Anläufen die alte Frage gestellt wird: Wie leben? Wäre das Leben ein Schlager, Krum Kelding wüsste die Antwort: „Der Schmerz begann zu siegen / wir lebten für das Glück.”
ALEXANDER KISSLER
LUDWIG FELS: Krums Versuchung. Roman. Europa Verlag, Hamburg 2003. 240 Seiten, 19,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.06.2003

Nur weg aus dem Paradies
Stilübungen im Schmerz: Ein neuer Roman von Ludwig Fels

Mit dem Erscheinen des Romans "Krums Versuchung" endet eine Phase, in der es um Ludwig Fels stiller geworden war. Einen "deutschen Charles Bukowski" hatte man ihn genannt, einen "Erben Rolf Dieter Brinkmanns", einen "Bürgerschreck". Der Romanautor, Lyriker und Dramatiker schockierte das Publikum mit seinem Vokabular der Wut, aber er ballte die Faust nicht in den Marschkolonnen revolutionärer Ideologien. In seinen "Betonmärchen" (1983) fängt er die "Geräusche sterbender Städte" auf. Von den apokalyptischen Visionen anderer Autoren setzte Fels sich ab, indem er die Katastrophen implodieren ließ in den Ausschreitungen zwischen menschlicher Gewalt und in der knallharten Sprache der Leiblichkeit und der Sexualität. Seine Botschaften waren Antibotschaften, Protokolle zerstörter Hoffnungen. So behauptet schon der Titel des Romans "Ein Unding der Liebe" (1981) die Unmöglichkeit des Gefühls. Fels sieht das Geschlechterverhältnis als Kampfplatz, Liebe als Herrschaftsausübung, die Ehe als Folterkammer ("Die Eroberung der Liebe", 1985). Im Roman "Rosen für Afrika" (1987) bäumen die unterdrückten Sehnsüchte sich auf. "Afrika" ist der Name für das Wunschland. Was sich der Flugplatz-Arbeiter Paul Valla in seiner anarchischen Kreatürlichkeit erträumt, ist "Wildnis". Doch "Afrika" steht hier auch für jenen dunklen Kontinent, der Tod heißt.

Wer Fels als Autor der Aggression in Erinnerung hatte, den überraschte die autobiographische Prosa "Der Himmel war eine große Gegenwart. Ein Abschied" (1990). Sie handelt vom langen Sterben der krebskranken Mutter, der ehemaligen Bauernmagd, von ihrer Leidensgeschichte und von einem Abschied mit schlechtem Gewissen - der Sohn hat zuwenig getan, ihre Einsamkeit zu mildern. Zurückgenommen hat Fels die exzessive Sprache der Darstellung von Geschlechterliebe in diesen Bekenntnissen der Sohnesliebe und -schuld.

Der neue Roman, "Krums Versuchung", knüpft wieder an die Motive der früheren Texte an, aber ohne sich der Gefahr des Leerlaufs forcierter Wut- und Entzauberungssprache auszusetzen. Der Protagonist Krum gerät von einer Niederlage in die andere. Als Schriftsteller hat er allen Ehrgeiz aufgegeben und ist zum Handlanger einer Musikproduktion geworden, bei der sich die Kunst an den Kitsch verkauft. Er schreibt sacharinsüße Schlagertexte, die zum Erbarmen sind. Die Ehe zerbricht, die erotischen Beziehungen kranken an Blutarmut. Seine Frau Edna, Tochter aus reichem Hause, sucht Ersatz beim tätowierten Penner und Maler Mack. In der Gestalt des Mack erhält sich noch das Motiv anarchischer Wildnis. Edna ist ihm verfallen.

In dieser Situation drängen sich Krum die Erinnerungen an die Zeit der Liebe zur jungen Ausländerin Saalha auf. Und eines Tages meldet sich plötzlich "aus dem Abgrund der Jahre" ihre Stimme am Telefon. Saalha ist in äußerster Bedrängnis, wird verfolgt, bittet ihn, ihr mit einem größeren Geldbetrag zu helfen. Am anderen Tag besteigt Krum das Flugzeug, das ihn in einen fernen Erdteil bringt, nach - dafür sprechen viele Indizien - Chile. Das Land befindet sich offensichtlich in jener geschichtlichen Umbruchsituation, da die Anhänger oder Sympathisanten der Allende-Regierung den "Säuberungen" der Militärdiktatur zum Opfer fallen. Saalha, nach einer ersten Verfolgungswelle freigekommen, berichtet von schrecklichen Mißhandlungen und Vergewaltigungen. Sie braucht das Geld für die Ausreise, für die Fälschung seines Passes. Aber der Mithelfer wird von der Geheimen Militärpolizei erwischt, und es beginnen Folterungen jener Art, wie wir sie aus den Zeugnissen überlebender Chilenen kennen. Krum wird zusammengeschlagen und in eine Zelle geworfen. Ihn martern die Schreie Saalhas.

Was Fels in den früheren Texten als latente oder ausbrechende Gewalt in den Liebes-, Ehe- und Familienbeziehungen darstellte, verschärft sich jetzt zur Brutalität eines politischen Systems. Und daß ihr Beobachter und Mitopfer ausgerechnet ein Schlagerdichter ist, der mit seinem Liebesschmus die Welt in süßliches Rosa taucht, schafft einen wirkungsvollen Kontrast. Als Krum schließlich, vom Deutschen Konsulat ausgelöst, im Flugzeug nach Deutschland sitzt und sich vorstellt, einen Song zu schreiben, wird die Kluft noch einmal offenbar: Er hatte als Schlagerdichter "keine Übung mit echtem Schmerz". Und als er sich zu Hause vom bisherigen Leben trennt, weiß er, daß er "im falschen Paradies gelebt" hat. Wohin ihn sein Weg nun führen soll, bleibt offen. Der Roman hält nur noch den Schritt der Erkenntnis fest.

Wie in der vorhergehenden Prosa ist Fels' Roman durchsetzt mit Einschüben in Kursivschrift, Ruhepausen für die Reflexion, Orten für fiktive Dialoge, für Träume oder Erinnerungen, für das gedankliche Durchspielen von Möglichkeiten. Manchmal sind sie Inseln des Poetischen im Roman, manchmal aber auch Sandbänke, auf denen eine ambitiöse Metaphorik strandet. Allzu schnell ist der Erzähler mit Worten wie Ewigkeit oder Gott zur Stelle. Daß sich Edna mit Berserkern der Kunst gemein macht, verträgt sich mit dem gesellschaftlichen Status, an den sie sich klammert, kaum. Und so richtig will sich das Schreckensszenarium der Militärdiktatur mit der Geschichte der zerbrechenden Ehe nicht paaren. Aber offenbar hat die autobiographische Selbstbefragung, der "Abschied" von der Mutter, Fels den Anstoß gegeben, sich vom allzu exzentrischen Stil seiner früheren Bücher zu verabschieden.

Ludwig Fels: "Krums Versuchung". Roman. Europa Verlag, Hamburg/Wien 2003. 240 S., geb., 19,90 [Euro].

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