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Zu Beginn der 1980er Jahre kommen sich in der subtropischen Sommerhitze Brasiliens eine Anthropologin und ein Flugzeugingenieur näher. Das Resultat dieser Verbindung von jüdisch-argentinischer und brasilianischer DNA heißt Cassio Liberman Brandão da Silva: Der Held ist geboren.Sozialisiert mit Castle Wolfenstein und Musik von den Dead Kennedys, erweist sich Cassio früh als Wunderkind der Kryptografie, dessen Viren in der Hacker-Szene als Kunstwerke betrachtet werden. Doch wie so oft bei Genies ohne Talent zur Entschlüsselung ihrer Mitmenschen, vereinsamt er zusehends. Der Programmierjob im…mehr

Produktbeschreibung
Zu Beginn der 1980er Jahre kommen sich in der subtropischen Sommerhitze Brasiliens eine Anthropologin und ein Flugzeugingenieur näher. Das Resultat dieser Verbindung von jüdisch-argentinischer und brasilianischer DNA heißt Cassio Liberman Brandão da Silva: Der Held ist geboren.Sozialisiert mit Castle Wolfenstein und Musik von den Dead Kennedys, erweist sich Cassio früh als Wunderkind der Kryptografie, dessen Viren in der Hacker-Szene als Kunstwerke betrachtet werden. Doch wie so oft bei Genies ohne Talent zur Entschlüsselung ihrer Mitmenschen, vereinsamt er zusehends. Der Programmierjob im Start-up ist eine Beleidigung für sein Gehirn und der Untergrundruhm vergessen - bis aus dem Nerd schließlich ein Weltenretter wird: Als Cassio genetische und digitale Daten zu mischen beginnt, erkennt er eine Wahrheit, die andere Forscher lange vor seiner Zeit bereits erahnt hatten.Auch Pola Oloixarac mischt in Kryptozän den Abenteuer- mit dem Bildungsroman und schafft, angereichert mit einer Prise Science-Fiction und abgründigem Humor à la Houellebecq, den ersten Hackerroman mit philosophischem Tiefgang.
Autorenporträt
Pola Oloixarac (*1977), lebt in Berlín, einer kleinen Straße im Nordwesten von Buenos Aires. Nach ihrem Debütroman Las teorías salvajes wurde sie 2010 auf die Granta-Liste der besten spanischsprachigen Autoren gewählt. Sie schreibt u.a. für die New York Times und gründete die digitale Zeitschrift Buenos Aires Review. Kryptozän ist ihr erstes Buch in deutscher Übersetzung.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.10.2016

Wie man sich einen Computervirus spritzt

Von den exotischen Expeditionen der Vergangenheit zur Bioinformatik der nahen Zukunft: Pola Oloixaracs tollkühner Roman "Kryptozän".

Von Fridtjof Küchemann

Der eine ist ein Hacker mit Hang zu Höherem, der schon mit zwölf Jahren Anfang der Neunziger eine Filiale der Bank of Boston lahmlegt, unter Gleichgesinnten Anerkennung findet und sich einfach nicht für einen nickname entscheiden kann, der seiner Fähigkeit und Gefährlichkeit angemessen ist. Die zweite, eine Biologin, gibt ihm Jahrzehnte später eine Spritze, die das Ergebnis ihres ersten Experiments mit einem Computervirus enthält, das zugleich der erste biologische Virus ist, den er programmiert hat. Als Drittes erzählt Pola Oloixarac in ihrem Roman "Kryptozän" von einem blutjungen Naturforscher, der Ende des neunzehnten Jahrhunderts von einer Expedition ins Juba-Archipel mit der Schilderung einer Orgie mit Einheimischen - oder einer Phantasie, die dem Kontakt mit halluzinogenen Stoffen aus der Flora und Fauna des Famara-Kraters geschuldet ist - nach Europa zurückkehrt und schlagartig berühmt wird.

Schon die Anlage der drei Figuren, denen sich die 1977 geborene argentinische Schriftstellerin in ihrem zweiten Roman, dem ersten in deutscher Übersetzung, widmet, zeigen die Ambition dieses Buchs: Im Unschärfebereich von Forschung und Phantastik überspannt "Kryptozän" Jahrhunderte und verleitet den staunenden Leser so zunächst zu neugierigen Recherchen all der Kuriositäten, von denen es erzählt, bevor er sich lustvoll der Lektüre ergibt.

Als "lebendig geschilderter, gleichwohl elliptischer und - offen gesagt - stellenweise komplett unverständlicher Wust", als Erzählfetzen, gewoben aus einem "apokalyptischen Stoff", schildert Oloixarac eine Abhandlung, die Niklas Bruun, der junge Naturforscher, im Alter von zwanzig Jahren veröffentlicht. Es macht Spaß, das als selbstironische Anspielung der Autorin auf die Provokation ihres eigenen Werks zu lesen. Tatsächlich ist es durchaus erstaunlich, welche Plausibilitätsspannung "Kryptozän" aushält: Der Roman folgt einerseits Bruun auf den Spuren eines Unbekannten in den Urwald, wo der sich als sechseinhalb Fuß große Ratte zu erkennen gibt, die in einem seltsamen Labor die Körper betäubter Frauen in Hängematten als Bioreaktoren nutzt, in denen er mit Körpersäften, geleeartigen Substanzen von Orchideen und Insekten experimentiert.

Andererseits führt Oloixarac uns in eine nicht einmal zehn Jahre entfernte Zukunft, in der Wissenschaftler eine ganz Lateinamerika umspannende Gendatenbank mit einem Quantencomputer an Geräte anschließen, die ähnlich wie Überwachungskameras im öffentlichen Raum installiert und in der Lage sind, in der Luft kleine DNA-Fragmente zu registrieren und zu sequenzieren. Die WHO hat solche "Bionose"-Masten als biologischen Schutzschild installiert: um selbst bislang unbekannte Erreger schnell erkennen und bekämpfen zu können. Tatsächlich versetzt diese Koppelung die Forscher in Patagonien in die Lage, mit dem immer verfügbaren "informationellen Doppelgänger" eines jeden Bürgers zu arbeiten, der sich zwar nicht in das nackte Leben einmischt, "aber er spiegelte es in seinen quantifizierbaren Aspekten wider".

Apokalyptischer Stoff? Gewiss. Und doch vermag nicht einmal der Wechsel von diesem Erzählstrang in die phantastische Welt des Niklas Bruun und wieder zurück dem Leser die Erleichterung zu verschaffen, dass er es wohl hier wie dort letztlich nur mit dem erstaunlichen Vorstellungsvermögen einer kühnen Autorin zu tun hat. Das Unbehagen bleibt. Die Faszination auch.

Piera, die Biologin, die als "Bionose"-Expertin zum Projekt stößt, "war überzeugt, dass die Wissenschaft nur in solchen Spalten und Lücken, auch des Legalen, die Nährlösung fand, um sich weiterzuentwickeln". Die erzählerische Lust, mit der Pola Oloixarac, die selbst als Jugendliche mit der legendären Hackerszene von Buenos Aires in Verbindung stand, die persönlichen Lebens- und Leidenswege ihrer Forscher zu so eigenwilligen wie unterschiedlichen Mischungen aus Manie und Moral verdichtet, gehört zu den großen Stärken von "Kryptozän".

Als sich Cassio, der Hacker, nach abgebrochener Dissertation, der Arbeit bei einem Spieleentwickler und einem ebenso seltenen wie seltsamen Liebesabenteuer in einer Bar in Buenos Aires von Max für das Geheimprojekt "Stromatolithon" rekrutieren lässt, verbindet die beiden bereits eine lange Rivalitätsgeschichte. Dass sein künftiger Chef letztlich den Verkauf des von ihnen gemeinsam geschaffenen Maschinenhirns plant, "das das Gedächtnis der Natur an einem einzigen Ort imitierte, das die Spuren und Daten aller Lebewesen verarbeitete", kann Cassio nicht wissen. Und doch gelingt es ihm, mit einer kühnen Operation die Pläne seines Chefs zwar nicht zu verhindern, wohl aber komplett zu entwerten.

Nicht weniger kühn sind die Operationen, mit denen Pola Oloixarac und auch ihr deutscher Verlag ihre Geschichte mit der Wirklichkeit kurzschließen: Für den aufsehenerregenden Expeditionsbericht von Niklas Bruun etwa leiht die Autorin den Namen des Famara-Massivs im Norden der kanarischen Insel Lanzarote, die der mauretanische Herrscher Juba zur Zeit des römischen Kaisers Augustus erkundet hat. Und der Wagenbach-Verlag hat aus dem Roman nicht nur ein wunderschönes Buch gemacht, das seine Eigenwilligkeit hinter einiger Eleganz verbirgt, sondern betreibt unter www.kryptozän. de auch ein Blog, in dem sich sogar vermeintliche Fernsehinterviews mit dem vorgeblichen "Stromatolithon"-Leiter Florencio Bormajer finden, die ein gewisser Alexandre Kluge für die Fernsehplattform bctq geführt haben soll - nur eine kleine Überdrehung entfernt von Alexander Kluges Kulturprogrammproduktion dctp.

Dieser Bormajer ist es auch, der auf seine unwirsche Art den Neologismus erklärt, der dem Roman den deutschen Namen gibt: Das Anthropozän, jenes Zeitalter, in dem die wesentlichen Transformationen der Erde vom Menschen ausgehen, sei, kaum ausgerufen, abgelöst durch das Kryptozän, in dem die Einflüsse dem Verborgenen entspringen, der automatischen Auswertung von Datenmengen, deren Nutzbarkeit, deren Bedeutung, deren Wert den Menschen gar nicht zugänglich sind.

Pola Oloixarac: "Kryptozän". Roman.

Aus dem argentinischen Spanisch von Timo Berger. Wagenbach Verlag, Berlin 2016. 189 S., br., 20,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Ralph Hammerthaler kanns nicht fassen, was die Argentinierin Pola Oloixarac da gezaubert hat. Literatur? Aber wie, schwärmt Hammerthaler und pfeift auf alles Gefällige. Das Halluzinative bei Oloixarac findet er zum Niederknien. An der Naturforschergeschichte, die vom Ende des 19. Jahrhunderts bis ins Jahr 2024 reicht, um Nerds und Frauen, die Nerds lieben, wie Hammerthaler den Roman zusammenfasst, gefällt ihm vor allem der schnittige, kühle Stil. Was sich zwischen Mensch, Tier und Pflanze bzw. Mensch und Maschine in der längst angebrochenen Zukunft alles abspielt, erfährt der Rezensent hier. Und auch wenn die Sammlung aller genetischen Daten, von der im Text die Rede ist und die im Netz verifiziert zu werden scheint, sich als Fake herausstellt, findet Hammerthaler das Buch höchst bemerkenswert und konstatiert: "Zum Glück unterliegt Literatur keiner Doping-Kontrolle".

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