New York Times Book Review 100 Notable Books of 2018 . Amazon Editors' Top 100 of 2018 Rachel Cusk, the award-winning and critically acclaimed author of Outline and Transit, completes the transcendent literary trilogy with Kudos, a novel of unsettling power. A woman writer visits a Europe in flux, where questions of personal and political identity are rising to the surface and the trauma of change is opening up new possibilities of loss and renewal. Within the rituals of literary culture, Faye finds the human story in disarray amid differing attitudes toward the public performance of the creative persona. She begins to identify among the people she meets a tension between truth and representation, a fissure that accrues great dramatic force as Kudos reaches a profound and beautiful climax. In this conclusion to her groundbreaking trilogy, Cusk unflinchingly explores the nature of family and art, justice and love, and the ultimate value of suffering. She is without question one of our most important living writers.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.07.2018Eine Frau schweigt
Sie wurde bedroht, beschimpft. Hat aufgehört, an das Erzählerische zu glauben. Trotzdem geschrieben. Jetzt erscheint "Kudos", der neue Roman von Rachel Cusk
Was, so fragte die britische Schriftstellerin Rachel Cusk vor ein paar Jahren einmal in einem Interview, passiert mit einer Schriftstellerin, wenn sie den Glauben an das Erzählen von Geschichten verloren hat? Wenn die Narrative, an die sie sich klammert, um ihre Erfahrungen und Erlebnisse zu halbwegs stringenten Erzählungen zusammenzuflicken, sich einfach auflösen und nichts bleibt als ein Haufen loser Fäden? Cusk hat diesen schmerzhaften Zustand vor acht Jahren erlebt.
Es war kurz nach ihrer Scheidung, da hatte sie das für sie zutiefst traumatische Erlebnis des Zerbrechens ihrer Ehe in einem Memoir zusammengefasst: "Aftermath: On Marriage and Separation" war weniger eine Abrechnung, als der Bericht einer Frau, die vor dem Scherbenhaufen ihrer Illusionen steht und beschließt, davon zu erzählen, statt, wie von ihr erwartet, still und tapfer in ihrer Ecke zu leiden. Ist doch toll, möchte man meinen, nur hatten damit offensichtlich viele ein Problem: Sie wurde beschimpft, bedroht, leidenschaftlich gehasst. So sehr, dass ihr seitdem das unfreundliche Image der "meistgehassten Schriftstellerin Großbritanniens" anhaftet. Und obwohl Cusk bereits zuvor die Erfahrung gemacht hatte, dass die Leute es nicht mögen, wenn man etwas schlechtschreibt, das vielen als heilig gilt - als sie 2001 ihn ihrem Memoir "A Life's Work" über ihr Leid als junge Mutter berichtet hatte, waren die Meinungen ebenfalls mehr als gespalten -, traf die Ablehnung nach "Aftermath" sie härter als alles zuvor: "Aftermath", so erklärte sie in einem Interview mit dem "Guardian", "war mein kreativer Tod. Es war das Ende. Ich habe mich in die Stille vergraben."
Eine Stille, aus der sie zwei Jahre später etwas ganz Neues geholt hat: Mit "Outline", dem ersten Band einer Trilogie, deren letzter Teil, "Kudos", jetzt auf Deutsch erscheint, hat sie eine Art zu schreiben erfunden, die sich genau daraus, aus dieser Stille, nährt. Es ist nicht so sehr der Inhalt als vielmehr die Form, die so originell und frisch und anders wirkte, dass sie damals sofort als eine der interessantesten zeitgenössischen Neuerfindungen des Romans gefeiert wurde. Weil Cusk, die früher einmal, vor den Memoirs, ganz klassische Romane verfasst hatte und jetzt nicht mehr an das Erzählerische glaubte, darin jegliche Form von Narration verabschiedet. Oder besser gesagt: Die Erzählerin selbst zum Schweigen verdammt, so wie man sie, Cusk, hatte zum Schweigen verdammen wollen. So erfährt man in "Outline" auf den ersten Seiten nur sehr bruchstückhaft, wer uns hier durch das Buch geleitet: Eine Schriftstellerin, Engländerin, lebt in London, hat zwei Söhne, ist seit kurzem geschieden und gerade auf dem Weg nach Athen, um dort einen Schreibworkshop zu führen. Das war's. Mehr bekommt man nicht. Auch später nicht. Nur einmal, fast schon zum Schluss, nennt sie eine der vielen Personen, die sie in Griechenland trifft und denen sie zuhört, "Faye", und man erschrickt fast über so viel Information. Weil man sich so daran gewöhnt hat, dass diese Erzählerin vollkommen unsichtbar ist und nur als Vermittlerin fungiert - für die Geschichten anderer, all diese Geschichten, die sich Menschen erzählen, um zu leben.
"Outline" war so gut, weil Cusk mit dieser indirekten Form, mehr, als sie es mit jedem Memoir und noch so vielen präzisen, selbsterkundenden Worten hätte tun können, das ausdrückte, was sie fühlte: Die totale Leere, den absoluten Mangel an Identitätsgerüsten, das Wegbrechen aller Rollen, die sie bis dahin definiert hatten. Das Ehefrau-Sein, das Mutter-Sein, das Schriftstellerin-Sein. Indem sie sich durch "Faye" in diese sehr weibliche Position der Zuhörerin begab, jeden noch so banalen (und meist philosophischen) Monolog eines mitteilungsbedürftigen Fremden auf sich herabprasseln ließ, um ihre eigene Konturlosigkeit einzudämmen, "Umrisse" zu zeichnen, gab sie das stille Leid einer Frau, die jegliche Form von eigener Wahrheit verloren hat, phantastisch genau wieder. Danach kam "Transit". Und irgendwie war darin alles anders.
Zwar funktioniert der Roman, der ja die Fortsetzung sein sollte, nach dem gleichen Prinzip, also dem des Fremde-Lebensgeschichten-Wiedergebens. Nur schien es, als habe diese Faye (die auch hier nur einmal so genannt wird, diesmal durch einen Liebhaber) sich zumindest ein Stück weit wiedergefunden. Man erfuhr dort erstmals Dinge von ihr: Sie war wieder nach London gezogen (davor lebte sie, wie auch Cusk, mit ihrer Familie auf dem Land), hatte sich eine Bruchbude in einer guten Gegend von London gekauft und ärgerte sich mit Nachbarn herum, die gegen jeden ihrer Schritte mit wüstem Besenklopfen gegen die Decke protestierten. Zwar ließ sie auch hier meist die anderen sprechen, etwa bei einem Literatur-Event, bei dem zwei männliche Schriftstellerkollegen auf der Bühne unaufgefordert das Wort an sich reißen und in selbstgefälligen Monologen zergehen. Oder beim Treffen mit einer alten Freundin, die ihr in Endlosschleife von ihrer Affäre mit dem Bauherren ihrer Wohnung erzählt. Auch hier lieferte sie uns mehr Einblicke in das Leben der anderen als in das ihre, nur war die Distanz etwas gelockert. Weil sie Dinge beschrieb, weil sie ihre Eindrücke vermittelte, weil sie auf die Gedanken der anderen erstmals mit eigenen reagierte. Etwa als sie dem Mann, mit dem sie ein Date hat, entgegnet, natürlich in indirekter Rede: "Lange Zeit hätte ich geglaubt, man könne nur durch absolute Passivität erfahren, was einen wirklich umgebe." Nur hatte sie sich nun ein Stück aus dieser Passivität herausbewegt. Am Ende dieses Teils meint sie, eine Veränderung wahrzunehmen, so wie man als Leser eine wahrgenommen hat. Und natürlich denkt, so geht es weiter.
Doch jetzt erscheint Teil drei, nämlich "Kudos", und es scheint eher, als wäre Faye zum Anfangspunkt zurückgekehrt. Ähnlich wie in "Outline" beginnt auch dieser Roman im Flugzeug, diesmal auf dem Weg zu einem Literaturfestival irgendwo an einer warmen europäischen Küste (Portugal? Italien?). Auch hier lässt sie ihren Nachbarn erzählen, von seinem Familienleben, von seiner Rolle als Mann und Vater, von seiner eigenen Wahrheit, die gefährlich ins Schwanken zu geraten scheint. Auch hier plappern sie andere Schriftsteller etwas herablassend voll, ihre eigene Erzählung, die wiedergewonnenen Selbsteindrücke, die Umrisse, die sie selbst zeichnete, sind fast wie weggewischt und überraschenderweise empfindet man das, was man in "Outline" so mochte, jetzt als Enttäuschung. Vielleicht weil man eine Entwicklung in Fayes Sein, also auch der literarischen Form, erwartet hatte. Vielleicht aber auch, weil es ein wenig so wirkt, als würde diesmal ein Prinzip um des Prinzips willen weitergeführt. Es geht wie immer bei Cusk um Wahrheit, um die Frage nach der Freiheit, um das Schicksal. Und natürlich um Frauen.
Das interessanteste Gespräch, das sie hier führt, kreist genau darum: Wann man Künstlerinnen mag und anpreist. Ihre Gesprächspartnerin, eine Fernsehmoderatorin, meint sehr hellsichtig, das passiere, wenn sie alt oder tot seien. Cusk selbst hatte das Gleiche mal über Schriftstellerinnen gesagt: Man lobe sie erst ganz zum Schluss, weil sie dann keine Gefahr mehr darstellen. Vielleicht so, wie man Rachel Cusk erst mehr oder weniger einvernehmlich feierte, als sie begann zu schweigen und sich selbst zu verbergen. "Das Ziel der drei Bücher musste eine Vision weiblicher Identität und weiblichen Leids sein", sagte sie einmal. Und das hat sie, ganz gleich, ob man "Kudos" nun phantastisch oder etwas enttäuschend findet, mit dieser Trilogie fraglos erreicht.
ANNABELLE HIRSCH
Rachel Cusk: "Kudos" (Suhrkamp, 215 Seiten, 20 Euro) erscheint am Montag.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Sie wurde bedroht, beschimpft. Hat aufgehört, an das Erzählerische zu glauben. Trotzdem geschrieben. Jetzt erscheint "Kudos", der neue Roman von Rachel Cusk
Was, so fragte die britische Schriftstellerin Rachel Cusk vor ein paar Jahren einmal in einem Interview, passiert mit einer Schriftstellerin, wenn sie den Glauben an das Erzählen von Geschichten verloren hat? Wenn die Narrative, an die sie sich klammert, um ihre Erfahrungen und Erlebnisse zu halbwegs stringenten Erzählungen zusammenzuflicken, sich einfach auflösen und nichts bleibt als ein Haufen loser Fäden? Cusk hat diesen schmerzhaften Zustand vor acht Jahren erlebt.
Es war kurz nach ihrer Scheidung, da hatte sie das für sie zutiefst traumatische Erlebnis des Zerbrechens ihrer Ehe in einem Memoir zusammengefasst: "Aftermath: On Marriage and Separation" war weniger eine Abrechnung, als der Bericht einer Frau, die vor dem Scherbenhaufen ihrer Illusionen steht und beschließt, davon zu erzählen, statt, wie von ihr erwartet, still und tapfer in ihrer Ecke zu leiden. Ist doch toll, möchte man meinen, nur hatten damit offensichtlich viele ein Problem: Sie wurde beschimpft, bedroht, leidenschaftlich gehasst. So sehr, dass ihr seitdem das unfreundliche Image der "meistgehassten Schriftstellerin Großbritanniens" anhaftet. Und obwohl Cusk bereits zuvor die Erfahrung gemacht hatte, dass die Leute es nicht mögen, wenn man etwas schlechtschreibt, das vielen als heilig gilt - als sie 2001 ihn ihrem Memoir "A Life's Work" über ihr Leid als junge Mutter berichtet hatte, waren die Meinungen ebenfalls mehr als gespalten -, traf die Ablehnung nach "Aftermath" sie härter als alles zuvor: "Aftermath", so erklärte sie in einem Interview mit dem "Guardian", "war mein kreativer Tod. Es war das Ende. Ich habe mich in die Stille vergraben."
Eine Stille, aus der sie zwei Jahre später etwas ganz Neues geholt hat: Mit "Outline", dem ersten Band einer Trilogie, deren letzter Teil, "Kudos", jetzt auf Deutsch erscheint, hat sie eine Art zu schreiben erfunden, die sich genau daraus, aus dieser Stille, nährt. Es ist nicht so sehr der Inhalt als vielmehr die Form, die so originell und frisch und anders wirkte, dass sie damals sofort als eine der interessantesten zeitgenössischen Neuerfindungen des Romans gefeiert wurde. Weil Cusk, die früher einmal, vor den Memoirs, ganz klassische Romane verfasst hatte und jetzt nicht mehr an das Erzählerische glaubte, darin jegliche Form von Narration verabschiedet. Oder besser gesagt: Die Erzählerin selbst zum Schweigen verdammt, so wie man sie, Cusk, hatte zum Schweigen verdammen wollen. So erfährt man in "Outline" auf den ersten Seiten nur sehr bruchstückhaft, wer uns hier durch das Buch geleitet: Eine Schriftstellerin, Engländerin, lebt in London, hat zwei Söhne, ist seit kurzem geschieden und gerade auf dem Weg nach Athen, um dort einen Schreibworkshop zu führen. Das war's. Mehr bekommt man nicht. Auch später nicht. Nur einmal, fast schon zum Schluss, nennt sie eine der vielen Personen, die sie in Griechenland trifft und denen sie zuhört, "Faye", und man erschrickt fast über so viel Information. Weil man sich so daran gewöhnt hat, dass diese Erzählerin vollkommen unsichtbar ist und nur als Vermittlerin fungiert - für die Geschichten anderer, all diese Geschichten, die sich Menschen erzählen, um zu leben.
"Outline" war so gut, weil Cusk mit dieser indirekten Form, mehr, als sie es mit jedem Memoir und noch so vielen präzisen, selbsterkundenden Worten hätte tun können, das ausdrückte, was sie fühlte: Die totale Leere, den absoluten Mangel an Identitätsgerüsten, das Wegbrechen aller Rollen, die sie bis dahin definiert hatten. Das Ehefrau-Sein, das Mutter-Sein, das Schriftstellerin-Sein. Indem sie sich durch "Faye" in diese sehr weibliche Position der Zuhörerin begab, jeden noch so banalen (und meist philosophischen) Monolog eines mitteilungsbedürftigen Fremden auf sich herabprasseln ließ, um ihre eigene Konturlosigkeit einzudämmen, "Umrisse" zu zeichnen, gab sie das stille Leid einer Frau, die jegliche Form von eigener Wahrheit verloren hat, phantastisch genau wieder. Danach kam "Transit". Und irgendwie war darin alles anders.
Zwar funktioniert der Roman, der ja die Fortsetzung sein sollte, nach dem gleichen Prinzip, also dem des Fremde-Lebensgeschichten-Wiedergebens. Nur schien es, als habe diese Faye (die auch hier nur einmal so genannt wird, diesmal durch einen Liebhaber) sich zumindest ein Stück weit wiedergefunden. Man erfuhr dort erstmals Dinge von ihr: Sie war wieder nach London gezogen (davor lebte sie, wie auch Cusk, mit ihrer Familie auf dem Land), hatte sich eine Bruchbude in einer guten Gegend von London gekauft und ärgerte sich mit Nachbarn herum, die gegen jeden ihrer Schritte mit wüstem Besenklopfen gegen die Decke protestierten. Zwar ließ sie auch hier meist die anderen sprechen, etwa bei einem Literatur-Event, bei dem zwei männliche Schriftstellerkollegen auf der Bühne unaufgefordert das Wort an sich reißen und in selbstgefälligen Monologen zergehen. Oder beim Treffen mit einer alten Freundin, die ihr in Endlosschleife von ihrer Affäre mit dem Bauherren ihrer Wohnung erzählt. Auch hier lieferte sie uns mehr Einblicke in das Leben der anderen als in das ihre, nur war die Distanz etwas gelockert. Weil sie Dinge beschrieb, weil sie ihre Eindrücke vermittelte, weil sie auf die Gedanken der anderen erstmals mit eigenen reagierte. Etwa als sie dem Mann, mit dem sie ein Date hat, entgegnet, natürlich in indirekter Rede: "Lange Zeit hätte ich geglaubt, man könne nur durch absolute Passivität erfahren, was einen wirklich umgebe." Nur hatte sie sich nun ein Stück aus dieser Passivität herausbewegt. Am Ende dieses Teils meint sie, eine Veränderung wahrzunehmen, so wie man als Leser eine wahrgenommen hat. Und natürlich denkt, so geht es weiter.
Doch jetzt erscheint Teil drei, nämlich "Kudos", und es scheint eher, als wäre Faye zum Anfangspunkt zurückgekehrt. Ähnlich wie in "Outline" beginnt auch dieser Roman im Flugzeug, diesmal auf dem Weg zu einem Literaturfestival irgendwo an einer warmen europäischen Küste (Portugal? Italien?). Auch hier lässt sie ihren Nachbarn erzählen, von seinem Familienleben, von seiner Rolle als Mann und Vater, von seiner eigenen Wahrheit, die gefährlich ins Schwanken zu geraten scheint. Auch hier plappern sie andere Schriftsteller etwas herablassend voll, ihre eigene Erzählung, die wiedergewonnenen Selbsteindrücke, die Umrisse, die sie selbst zeichnete, sind fast wie weggewischt und überraschenderweise empfindet man das, was man in "Outline" so mochte, jetzt als Enttäuschung. Vielleicht weil man eine Entwicklung in Fayes Sein, also auch der literarischen Form, erwartet hatte. Vielleicht aber auch, weil es ein wenig so wirkt, als würde diesmal ein Prinzip um des Prinzips willen weitergeführt. Es geht wie immer bei Cusk um Wahrheit, um die Frage nach der Freiheit, um das Schicksal. Und natürlich um Frauen.
Das interessanteste Gespräch, das sie hier führt, kreist genau darum: Wann man Künstlerinnen mag und anpreist. Ihre Gesprächspartnerin, eine Fernsehmoderatorin, meint sehr hellsichtig, das passiere, wenn sie alt oder tot seien. Cusk selbst hatte das Gleiche mal über Schriftstellerinnen gesagt: Man lobe sie erst ganz zum Schluss, weil sie dann keine Gefahr mehr darstellen. Vielleicht so, wie man Rachel Cusk erst mehr oder weniger einvernehmlich feierte, als sie begann zu schweigen und sich selbst zu verbergen. "Das Ziel der drei Bücher musste eine Vision weiblicher Identität und weiblichen Leids sein", sagte sie einmal. Und das hat sie, ganz gleich, ob man "Kudos" nun phantastisch oder etwas enttäuschend findet, mit dieser Trilogie fraglos erreicht.
ANNABELLE HIRSCH
Rachel Cusk: "Kudos" (Suhrkamp, 215 Seiten, 20 Euro) erscheint am Montag.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.08.2018Schlafen oder
schwafeln
Was Männer tun und Frauen leiden: Mit„Kudos“
schließt Rachel Cusk ihre Romantrilogie ab
VON MEIKE FESSMANN
Die Reise im Flugzeug war einmal ein großes Abenteuer, inzwischen ist sie eine beinahe profane Fortbewegungsart. Nicht zuletzt der billigen Tickets wegen ist sie alltäglich geworden, wie die Reise im Zug oder Bus. Und doch gibt es beim Einsteigen in ein Flugzeug den Moment, in dem einem bewusst wird, dass man mit den anderen Fluggästen eine Schicksalsgemeinschaft bildet.
Dass es mit dieser Raum- und Zeitkapsel etwas Besonderes auf sich hat, schilderte Thomas Lehr letztes Jahr in einem Kapitel seines fulminanten Romans „Schlafende Sonne“ und auch, wie diese besondere Sphäre mit dem Einschalten der Smartphones nach der Landung erlischt. Die autorin und Übersetzerin Christina Viragh ließ mit „Eine dieser Nächte“ einen ganzen Roman auf einem Langstreckenflug von Bangkok nach Zürich spielen.
Rachel Cusk beendet mit „Kudos“ ihre Trilogie über die Strapazen weiblicher Lebensläufe unter dem Druck dauernder Überbeanspruchung. Wie schon den ersten Band beginnt sie den letzten mit einer Szene der ungewollten Intimität im Flugzeug. In „Outline“ wurde ein klein gewachsener Mann, Erbe einer Reeder-Dynastie, auf dem Flug nach Athen vor lauter Flugangst von Logorrhö übermannt.
Dieses Mal gerät Faye, das Alter Ego der Autorin, an einen Sitznachbarn mit einem anderen Problem. Der ehemalige Unternehmensberater, der sich mit 46 Jahren zur Ruhe gesetzt hat, ist sehr groß und maßlos übernächtigt. Sie überlässt ihm ihren Gangplatz. Aber kaum sitzt er, sackt ihm das Kinn auf die Brust, die langen Beine blockieren den Gang. Mehrmals wiederholt sich das Spiel: die Flugbegleiterin bittet ihn, die Beine einzuziehen, er diskutiert ein wenig, rafft sich auf, und schon überwältigt ihn der Schlaf wieder, sein Körper macht sich selbstständig. Da helfe nur eines, erklärt er zu Faye, er müsse erzählen, um wach zu bleiben: Gerade habe er den an Krebs erkrankten Familienhund getötet. Der hieß Pilot, war so riesig wie er selbst, und eine Art Stellvertreter. Wo immer er selbst auf der Welt unterwegs war, Pilot beschützte die Familie, womöglich war er sogar das „wichtigste Familienmitglied“, so dämmert ihm jetzt.
Faye hört sich das alles an, hin und wieder wirft sie eine Kleinigkeit ein. Es ist die starke Präsenz ihres Zuhörens, das andere zu „Spitzenleistungen der Selbstoffenbarung“ treibt. So werden auch die Figuren der Schriftstellerin Faye charakterisiert, von einem Journalisten auf dem Literaturfestival, zu dem sie unterwegs ist.
Die 1967 in Kanada geborene Britin Rachel Cusk hat mit ihrer Roman-Trilogie eine spezielle Erzählweise entwickelt, stark autobiografisch, aber so, dass sie selbst vor allem darin kenntlich wird, wie sie andere wiedergibt. Eine seismografische Schreibweise, die trotz aller Verwicklungen gut lesbar ist. Im Reden der anderen gewinnt die Zuhörerin Kontur und auch die Figuren werden plastisch. Das erinnert an Nathalie Sarraute oder Virginia Woolfe und ist doch eigenständig, dem Ping-Pong des modernen Liebes-Chaos angemessen, in dem es keine Sicherheiten gibt.
Rachel Cusk hat mit diesem Stil auf Angriffe reagiert, denen sie nach zwei autobiografischen Büchern über das Muttersein und die Scheidung von ihrem ersten Mann ausgesetzt war („A Life’s Work: On Becoming a Mother“, 2001, „Aftermath: On Marriage and Separation“, 2012). Mittlerweile ist sie in zweiter Ehe verheiratet, eine Tatsache, die in „Kudos“ am Rande auftaucht: Ihre Gesprächspartner wundern sich darüber, dass sie nach dem Leid, von dem sie so ausführlich erzählt hat, noch einmal eine Ehe eingegangen ist.
Tatsächlich vollzieht dieser Roman eine stille Kehrtwende. Im mittleren Band der Trilogie „Transit“ erzählte sie, wie sie als geschiedene Frau mit zwei Kindern in London sesshaft zu werden versuchte. Ein renovierungsbedürftiges Haus und all die Ratschläge, die sie einstürzten, wurden zum Inbild ihrer existenziellen Obdachlosigkeit. Inzwischen ist der Brexit dazugekommen. „Gehen oder Bleiben“ ist nicht mehr nur eine persönliche Frage. Wo verantwortungslose Politiker die Bevölkerung aufwiegeln, um sich nach vollbrachter Tat aus dem Staub zu machen, wird sie zum Politikum. Zwar spielt der Brexit in „Kudos“ nur am Rande des Literaturfestivals eine Rolle. Aber er ist der Hintergrund, vor dem sich die Versuchsanordnung der 2014 und 2016 im Original erschienenen ersten Romane verändert hat.
Auch darin gab es Zweifel, ob Trennung die bessere Option ist – auf privater Ebene. Nun berichten Frauen von ihren Erfahrungen: Die Männer haben die besseren Anwälte, sie setzen die Kinder skrupelloser als Erpressungsmittel ein und verlassen sich darauf, dass die Mütter durchdrehen. Eine Übersetzerin, die nebenher unterrichtet, beschreibt ihren gehetzten Tag. Ihr Ex-Mann hat ihr das Auto weggenommen. Ihre Anwältin lässt sich teuer bezahlen für die Auskunft, es nütze alles nicht, er sei schließlich der Halter. Also bindet sie ihre Klassenarbeiten auf dem Sattel ihres Rades fest und strampelt sich im Stehen ab. Auf diese Idee ist sie sogar stolz.
Die Stadt, in der das Festival stattfindet, wird nicht genannt. Doch Lissabon ist leicht zu erkennen, schon weil es da einen Begriff für „Heimweh“ und „grundlosen Kummer“ gibt: Saudade, aber auch das wird nicht ausgesprochen. Faye fühlt sich allerdings dieser Traurigkeit näher, als dem Aktionismus des internationalen Festivals. Autoren und Autorinnen werden in immer gleichen Konstellationen zu thematischen Schwerpunkten gruppiert und von Journalisten interviewt, die am liebsten selber reden. Dass die Verbindung von „Kommerz und Literatur“ eine gute Sache ist, bezweifelt sogar eine der Organisatorinnen. Der „heilige Gral“, sagt der junge, aus dem Marketing kommende Verleger eines Traditionsverlags, sei die Verbindung von Verkäuflichkeit und „literarischen Werten“. Man wolle sich ja nicht für seine Bücher schämen, die wichtigste Einkommensquelle seien allerdings Sudoku-Hefte.
Rachel Cusk zeichnet die Auf- und Abwertungsstrategien der Branche mit har-tem Strich. Wie eine Schriftstellerin Haltung bewahren soll, wenn ihre Lektorin sagt, Literatur lasse sich leider immer schlechter „vermarkten“, die Sendezeit des Kulturformats sei soeben halbiert worden, bleibt ein Rätsel.
Junge Frauen, die, schlecht oder gar nicht bezahlt, in ständiger „Alarmbereitschaft“ mit Klemmbrettern umherjagen, gibt es gewiss nicht nur in der Literaturbranche. Nur lässt es sich da besonders drastisch schildern, weil sich Egomanie mit rhetorischer Finesse paart. Dass die Qualität des Auftritts nichts mit dem eigentlichen „Produkt“ zu tun hat, weiß jeder. Warum aber will das Publikum aufgeführt bekommen, was doch für die Lektüre gedacht ist? Arbeitserleichterung, Zeitersparnis, Unterhaltung? Geselligkeit wäre noch die sympathischste Option.
Der Roman endet mit starken Bildern. Ihre Lektorin will Faye in eine Kirche führen, deren Verwüstung durch einen Brand seit fünfzig Jahren konserviert wird. Doch die Kirche ist geschlossen. Die Sonne ist so heiß, als brenne sie in ihrer Brust. Einer ihrer Söhne ruft an, der in der Nacht zuvor einen Brand gelöscht hat, den ein Freund versehentlich ausgelöst hat. Als er Hilfe rief, kam keiner. Die Erfahrung von Kindern, die an einem „Abgrund“ stehen und befürchten, da sei keiner, der sie auffängt, grundiert Cusks Romane. Ihr älterer Sohn will Kunstgeschichte studieren. Seine Interpretation von Artemisia Gentileschis Bild der „Salome mit dem Kopf von Johannes dem Täufer“ macht seiner Mutter klar, dass da nicht „Mordlust“ das Motiv ist, sondern die „Komplexität der Liebe“.
Am Ende springt Faye ins Meer. Ein Mann schaut von einer Klippe auf sie herab. Er steht „in seiner Nacktheit da wie eine Gottheit, lächelnd und prachtvoll“. Mit „bösem Entzücken“ blickt er ihr in die Augen und uriniert ins Wasser. „Ich schaute in seine grausamen, fröhlichen Augen und wartete darauf, dass er fertig wurde.“ Das in „Outline“ über den Wolken begonnene Purgatorium vollendet sich in „Kudos“. Der Schutzzauber der Kunst wirkt. „Ruhm und Ehre“ bedeutet der titelgebende Begriff „Kudos“, auch ein Computerspiel von 2006 heißt so. Rachel Cusk hat die Rolle der verletzten Frau in allen Variationen durchgespielt. Man ist gespannt, wie es weitergeht.
Rachel Cusk: Kudos. Roman. Aus dem Englischen von Eva Bonné. Suhrkamp Verlag, Berlin 2018. 216 Seiten, 20 Euro.
Im Reden der anderen gewinnt
die Zuhörerin Kontur und
die Figuren werden plastisch
Warum will das Publikum
aufgeführt bekommen, was doch
für die Lektüre gedacht ist?
Rachel Cusk, geboren1967 in Kanada, lebt in Großbritannien.
Foto: Laif/Patrice Normand
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
schwafeln
Was Männer tun und Frauen leiden: Mit„Kudos“
schließt Rachel Cusk ihre Romantrilogie ab
VON MEIKE FESSMANN
Die Reise im Flugzeug war einmal ein großes Abenteuer, inzwischen ist sie eine beinahe profane Fortbewegungsart. Nicht zuletzt der billigen Tickets wegen ist sie alltäglich geworden, wie die Reise im Zug oder Bus. Und doch gibt es beim Einsteigen in ein Flugzeug den Moment, in dem einem bewusst wird, dass man mit den anderen Fluggästen eine Schicksalsgemeinschaft bildet.
Dass es mit dieser Raum- und Zeitkapsel etwas Besonderes auf sich hat, schilderte Thomas Lehr letztes Jahr in einem Kapitel seines fulminanten Romans „Schlafende Sonne“ und auch, wie diese besondere Sphäre mit dem Einschalten der Smartphones nach der Landung erlischt. Die autorin und Übersetzerin Christina Viragh ließ mit „Eine dieser Nächte“ einen ganzen Roman auf einem Langstreckenflug von Bangkok nach Zürich spielen.
Rachel Cusk beendet mit „Kudos“ ihre Trilogie über die Strapazen weiblicher Lebensläufe unter dem Druck dauernder Überbeanspruchung. Wie schon den ersten Band beginnt sie den letzten mit einer Szene der ungewollten Intimität im Flugzeug. In „Outline“ wurde ein klein gewachsener Mann, Erbe einer Reeder-Dynastie, auf dem Flug nach Athen vor lauter Flugangst von Logorrhö übermannt.
Dieses Mal gerät Faye, das Alter Ego der Autorin, an einen Sitznachbarn mit einem anderen Problem. Der ehemalige Unternehmensberater, der sich mit 46 Jahren zur Ruhe gesetzt hat, ist sehr groß und maßlos übernächtigt. Sie überlässt ihm ihren Gangplatz. Aber kaum sitzt er, sackt ihm das Kinn auf die Brust, die langen Beine blockieren den Gang. Mehrmals wiederholt sich das Spiel: die Flugbegleiterin bittet ihn, die Beine einzuziehen, er diskutiert ein wenig, rafft sich auf, und schon überwältigt ihn der Schlaf wieder, sein Körper macht sich selbstständig. Da helfe nur eines, erklärt er zu Faye, er müsse erzählen, um wach zu bleiben: Gerade habe er den an Krebs erkrankten Familienhund getötet. Der hieß Pilot, war so riesig wie er selbst, und eine Art Stellvertreter. Wo immer er selbst auf der Welt unterwegs war, Pilot beschützte die Familie, womöglich war er sogar das „wichtigste Familienmitglied“, so dämmert ihm jetzt.
Faye hört sich das alles an, hin und wieder wirft sie eine Kleinigkeit ein. Es ist die starke Präsenz ihres Zuhörens, das andere zu „Spitzenleistungen der Selbstoffenbarung“ treibt. So werden auch die Figuren der Schriftstellerin Faye charakterisiert, von einem Journalisten auf dem Literaturfestival, zu dem sie unterwegs ist.
Die 1967 in Kanada geborene Britin Rachel Cusk hat mit ihrer Roman-Trilogie eine spezielle Erzählweise entwickelt, stark autobiografisch, aber so, dass sie selbst vor allem darin kenntlich wird, wie sie andere wiedergibt. Eine seismografische Schreibweise, die trotz aller Verwicklungen gut lesbar ist. Im Reden der anderen gewinnt die Zuhörerin Kontur und auch die Figuren werden plastisch. Das erinnert an Nathalie Sarraute oder Virginia Woolfe und ist doch eigenständig, dem Ping-Pong des modernen Liebes-Chaos angemessen, in dem es keine Sicherheiten gibt.
Rachel Cusk hat mit diesem Stil auf Angriffe reagiert, denen sie nach zwei autobiografischen Büchern über das Muttersein und die Scheidung von ihrem ersten Mann ausgesetzt war („A Life’s Work: On Becoming a Mother“, 2001, „Aftermath: On Marriage and Separation“, 2012). Mittlerweile ist sie in zweiter Ehe verheiratet, eine Tatsache, die in „Kudos“ am Rande auftaucht: Ihre Gesprächspartner wundern sich darüber, dass sie nach dem Leid, von dem sie so ausführlich erzählt hat, noch einmal eine Ehe eingegangen ist.
Tatsächlich vollzieht dieser Roman eine stille Kehrtwende. Im mittleren Band der Trilogie „Transit“ erzählte sie, wie sie als geschiedene Frau mit zwei Kindern in London sesshaft zu werden versuchte. Ein renovierungsbedürftiges Haus und all die Ratschläge, die sie einstürzten, wurden zum Inbild ihrer existenziellen Obdachlosigkeit. Inzwischen ist der Brexit dazugekommen. „Gehen oder Bleiben“ ist nicht mehr nur eine persönliche Frage. Wo verantwortungslose Politiker die Bevölkerung aufwiegeln, um sich nach vollbrachter Tat aus dem Staub zu machen, wird sie zum Politikum. Zwar spielt der Brexit in „Kudos“ nur am Rande des Literaturfestivals eine Rolle. Aber er ist der Hintergrund, vor dem sich die Versuchsanordnung der 2014 und 2016 im Original erschienenen ersten Romane verändert hat.
Auch darin gab es Zweifel, ob Trennung die bessere Option ist – auf privater Ebene. Nun berichten Frauen von ihren Erfahrungen: Die Männer haben die besseren Anwälte, sie setzen die Kinder skrupelloser als Erpressungsmittel ein und verlassen sich darauf, dass die Mütter durchdrehen. Eine Übersetzerin, die nebenher unterrichtet, beschreibt ihren gehetzten Tag. Ihr Ex-Mann hat ihr das Auto weggenommen. Ihre Anwältin lässt sich teuer bezahlen für die Auskunft, es nütze alles nicht, er sei schließlich der Halter. Also bindet sie ihre Klassenarbeiten auf dem Sattel ihres Rades fest und strampelt sich im Stehen ab. Auf diese Idee ist sie sogar stolz.
Die Stadt, in der das Festival stattfindet, wird nicht genannt. Doch Lissabon ist leicht zu erkennen, schon weil es da einen Begriff für „Heimweh“ und „grundlosen Kummer“ gibt: Saudade, aber auch das wird nicht ausgesprochen. Faye fühlt sich allerdings dieser Traurigkeit näher, als dem Aktionismus des internationalen Festivals. Autoren und Autorinnen werden in immer gleichen Konstellationen zu thematischen Schwerpunkten gruppiert und von Journalisten interviewt, die am liebsten selber reden. Dass die Verbindung von „Kommerz und Literatur“ eine gute Sache ist, bezweifelt sogar eine der Organisatorinnen. Der „heilige Gral“, sagt der junge, aus dem Marketing kommende Verleger eines Traditionsverlags, sei die Verbindung von Verkäuflichkeit und „literarischen Werten“. Man wolle sich ja nicht für seine Bücher schämen, die wichtigste Einkommensquelle seien allerdings Sudoku-Hefte.
Rachel Cusk zeichnet die Auf- und Abwertungsstrategien der Branche mit har-tem Strich. Wie eine Schriftstellerin Haltung bewahren soll, wenn ihre Lektorin sagt, Literatur lasse sich leider immer schlechter „vermarkten“, die Sendezeit des Kulturformats sei soeben halbiert worden, bleibt ein Rätsel.
Junge Frauen, die, schlecht oder gar nicht bezahlt, in ständiger „Alarmbereitschaft“ mit Klemmbrettern umherjagen, gibt es gewiss nicht nur in der Literaturbranche. Nur lässt es sich da besonders drastisch schildern, weil sich Egomanie mit rhetorischer Finesse paart. Dass die Qualität des Auftritts nichts mit dem eigentlichen „Produkt“ zu tun hat, weiß jeder. Warum aber will das Publikum aufgeführt bekommen, was doch für die Lektüre gedacht ist? Arbeitserleichterung, Zeitersparnis, Unterhaltung? Geselligkeit wäre noch die sympathischste Option.
Der Roman endet mit starken Bildern. Ihre Lektorin will Faye in eine Kirche führen, deren Verwüstung durch einen Brand seit fünfzig Jahren konserviert wird. Doch die Kirche ist geschlossen. Die Sonne ist so heiß, als brenne sie in ihrer Brust. Einer ihrer Söhne ruft an, der in der Nacht zuvor einen Brand gelöscht hat, den ein Freund versehentlich ausgelöst hat. Als er Hilfe rief, kam keiner. Die Erfahrung von Kindern, die an einem „Abgrund“ stehen und befürchten, da sei keiner, der sie auffängt, grundiert Cusks Romane. Ihr älterer Sohn will Kunstgeschichte studieren. Seine Interpretation von Artemisia Gentileschis Bild der „Salome mit dem Kopf von Johannes dem Täufer“ macht seiner Mutter klar, dass da nicht „Mordlust“ das Motiv ist, sondern die „Komplexität der Liebe“.
Am Ende springt Faye ins Meer. Ein Mann schaut von einer Klippe auf sie herab. Er steht „in seiner Nacktheit da wie eine Gottheit, lächelnd und prachtvoll“. Mit „bösem Entzücken“ blickt er ihr in die Augen und uriniert ins Wasser. „Ich schaute in seine grausamen, fröhlichen Augen und wartete darauf, dass er fertig wurde.“ Das in „Outline“ über den Wolken begonnene Purgatorium vollendet sich in „Kudos“. Der Schutzzauber der Kunst wirkt. „Ruhm und Ehre“ bedeutet der titelgebende Begriff „Kudos“, auch ein Computerspiel von 2006 heißt so. Rachel Cusk hat die Rolle der verletzten Frau in allen Variationen durchgespielt. Man ist gespannt, wie es weitergeht.
Rachel Cusk: Kudos. Roman. Aus dem Englischen von Eva Bonné. Suhrkamp Verlag, Berlin 2018. 216 Seiten, 20 Euro.
Im Reden der anderen gewinnt
die Zuhörerin Kontur und
die Figuren werden plastisch
Warum will das Publikum
aufgeführt bekommen, was doch
für die Lektüre gedacht ist?
Rachel Cusk, geboren1967 in Kanada, lebt in Großbritannien.
Foto: Laif/Patrice Normand
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