Selbstoffenbarungen
Der englischen Schriftstellerin Rachel Cusk, die 1993 ihren ersten Roman veröffentlicht hat, ist der literarischer Durchbruch erst recht spät mit einer Romantrilogie gelungen, deren letzter, völlig eigenständig lesbarer Band «Kudos» jetzt auf Deutsch vorliegt, sie gilt damit
auch hierzulande als innovative literarische Entdeckung. Gemeinsam ist diesen stark autobiografisch…mehrSelbstoffenbarungen
Der englischen Schriftstellerin Rachel Cusk, die 1993 ihren ersten Roman veröffentlicht hat, ist der literarischer Durchbruch erst recht spät mit einer Romantrilogie gelungen, deren letzter, völlig eigenständig lesbarer Band «Kudos» jetzt auf Deutsch vorliegt, sie gilt damit auch hierzulande als innovative literarische Entdeckung. Gemeinsam ist diesen stark autobiografisch geprägten drei neuen Romanen die Erzählperspektive einer als Alter Ego der Autorin angelegten, schweigend im Hintergrund bleibenden Protagonistin. Faye, eine geschiedene Schriftstellerin mittleren Alters (sic!), befindet sich auf einer Promotiontour durch Europa, um ihr neues Buch vorzustellen. Ihre Rolle bei den verschiedenen Begegnungen, die sie auf dieser Reise hat und die im Wesentlichen den Inhalt dieses Buches ausmachen, beschränkt sich ziemlich einseitig auf das bloße Zuhören, ganz selten spricht sie auch mal selbst. Diese praktisch handlungslose, originelle Erzählform einer akribischen, fast schon simultanen Protokollierung der Erzählungen von Alltagsproblemen unterschiedlichster Figuren wird, ihrer narrativen Radikalität wegen, im englischen Sprachraum, vor allem in den USA, hoch gelobt. Zu Recht?
Der Reigen von Monologen jener Leute, denen Faye begegnet und die ihr ungeniert und freimütig, zuweilen geradezu zwanghaft aus ihrem Leben erzählen, beginnt mit dem Sitznachbarn im Flugzeug, ein Riese mit Problemen, seine langen Beine in dem engen Flugzeug irgendwie unterzubringen, - normalerweise fliege er Business-Class, erklärt der Geschäftsmann entschuldigend. Im Nu beginnt er eine Erzählung über seinen Beruf, seine Familie, den großen Hund, den er angeschafft habe als Kompensation für seine geschäftsbedingt häufige Abwesenheit von zuhause. Kurz vor einer gemeinsamen Reise der Familie sei der Hund plötzlich krank geworden, Diagnose Krebs im Endstadium. Er habe die ahnungslose Familie vorgeschickt, den Hund dann, mit schlechtem Gewissen den Seinen gegenüber, einschläfern lassen und äußerst mühsam nachts im Garten vergraben. Voll verdreckt habe er dann schnell geduscht und sei gleich anschließend zum Flughafen gefahren, um der Familie nachzureisen. Nachdenklich seine gepflegten Hände betrachtend fügt er am Ende überraschend hinzu: «Nur den Dreck unter meinen Fingernägeln, den habe ich nicht weggekriegt».
Fayes Reise zu zwei Literaturfestivals dient ihr persönlich auch zur Bewältigung eigener Probleme, sie möchte Abstand gewinnen zur privaten Katastrophe und hofft außerdem endlich auf Anerkennung als Schriftstellerin. Die zeitnahe Thematik dieser einer Beichte ähnelnden Berichte beschäftigt sich aus femininer Sicht vor allem mit dem schwierigen, oft kämpferischen Verhältnis der Geschlechter zueinander sowie der fatalen Brüchigkeit ihrer Partnerschaften. Den Leser erwarten aber auch interessante Einblicke in den Literaturbetrieb, von der Angst der Autoren vor dem leeren Blatt über die Szene der Verleger bis hin zu Feuilleton und Leserschaft. Der dem Griechischen entlehnte, ironisch gemeinte Buchtitel bedeutet Ruhm, wozu dann auch der oft unverhohlen satirische Ton dieser feinsinnigen Branchenschelte passt, - die aber durchaus auch lehrreich ist. Faye erlebt redselige Kollegen, die geradezu obsessiv merkwürdigste Ansichten vertreten, sie wird interviewt und kommt dabei selbst nicht ein einziges Mal zu Wort, sie nimmt an Gesprächsrunden teil, in denen niemand ihr wirklich zuhört.
Die Stärke der Autorin liegt in der messerscharfen Beobachtung subtilster Erscheinungen und irrelevanter Begebenheiten, die sie psychologisch stimmig und äußerst geschickt in ihre monologisch angelegten Selbstoffenbarungen einbaut. Sprachlich gekonnt benutzt sie bei ihrer auf Einseitigkeit beharrenden Erzählkonstellation zumeist die Form des Zitats, selten die direkte Rede, aber auch eine Mischform von beiden. Rachel Cusk hat damit literarisch ihren ganz eigenen Stil kreiert, der ebenso bereichernd ist wie die Geschichten, die er transportiert.