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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.02.1995

Brotlos an Bürgers Tisch
Joachim Großmann über das wenig pittoreske Leben preußischer Maler

Künstlerleben der Vergangenheit besitzen romantische Anziehungskraft, in der rosigen Verklärung der vie de Bohème wie in dem zähen, allen Gegenbeweisen trotzenden Glauben an die Avantgarde als politisch fortschrittliche Rebellen. Realistische, ideologisch neutrale Untersuchungen sind nicht Mode und werden leicht als unbequemes Ärgernis beiseite geschoben. Und doch ist das Leben des Künstlers in der Gesellschaft ein Thema, das, sofern es sachlich behandelt wird, über Kunst und über soziale Verhältnisse viel aussagen kann.

Das neue Buch von Joachim Großmann ist ein Beispiel für den Wert einer unbefangenen Betrachtungsweise, wenn sie mit umfassender Kenntnis der Literatur und der Archive verbunden ist. "Kunstwerke", so resümiert der Verfasser die These des Buches, "entstehen in einem komplizierten System des gesellschaftlichen Austauschs, zu dem nicht nur die Künstler, sondern auch Auftraggeber, Kritiker und ein mehr oder weniger breites Publikum gehören, die sich wechselseitig in ihren Wertungen und Verhaltensweisen beeinflussen." Das Ziel seiner Studie sei es, "dieses Gefüge an einer entscheidenden historischen Nahtstelle zu untersuchen: in der Phase des Umbruchs von der höfischen zur bürgerlichen Gesellschaft (in Preußen), die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts einsetzte und sich bis weit ins 19. Jahrhundert hinzog".

Nach der einleitenden Frage, was erwarteten Künstler, Mäzene und Publikum von der Kunst zu dieser Zeit? - umreißt der Verfasser den Prozeß der Berufswahl, die Ausbildung des Künstlers, seine Stipendien und Reisen, und die Lage der Künstlerinnen. "Es ist nicht zu verkennen", schrieb der preußische Kultusminister Altenstein 1827, "daß dem Frauenzimmer die gründliche Ausbildung in der Kunst vielfach erschwert ist, besonders dadurch, daß es den öffentlichen academischen Unterricht überhaupt, vorzüglich aber das anatomische Zeichnen und das Studium nach dem lebenden Modell entbehren muß." Altenstein trat öfters gegen Benachteiligung der Frauen ein, aber ihre Situation verschlechterte sich eher im Lauf des Jahrhunderts.

Die Wahl des Arbeitsortes und der Bilderthemen eröffnet eine Untersuchung der wirtschaftlichen Möglichkeiten; der Einfluß von Hof und Staat, die Rolle der Kunstvereine und Ausstellungen, der Kritik und des Kunsthandels, die Preise, die verlangt und erzielt wurden, die Gehälter der Lehrer an den Kunsthochschulen, die einigermaßen gesicherte Lage etwa eines Drittels oder der Hälfte der Künstler und die Verarmung und miserable Altersversorgung, unter denen die andere Hälfte litt - dies sind zwei Probleme, die sich in den Jahren, nachdem das Buch schließt, nur vergrößerten.

Eine kurze Diskussion über das Verhältnis von Kunst, Politik und sozialem Wandel im Vormärz führt zu dem letzten großen Thema des Buches: "Die Künstler in der Revolution von 1848/49". Von einer kollektiven Reaktion der Künstler, so Großmann, kann keine Rede sein. Die Behauptung, daß viele der besten Maler die Sache des Volkes verfochten - Norm in der kunsthistorischen Literatur der DDR - entbehrt jeder Grundlage. Für manchen Künstler war die politische Krise eine Störung der Arbeit. Andere, und sicher sehr viele, befürworteten Einheit und Verfassung, lehnten die Demokratie ab und fürchteten jede radikale Nivellierung.

Exemplarisch hierfür ist Alfred Rethel, den der Verfasser allerdings nur in einer Anmerkung erwähnt. Rethel, gemäßigt liberal, schuf in seiner Holzschnittfolge "Auch ein Totentanz", die eine städtische Volksmasse darstellt, die zum Aufruhr verführt wird, sicher das bedeutendste gegenrevolutionäre Kunstwerk der Zeit. Wie das Bürgertum nicht mit dem bipolaren Maßstab Freiheit-Autokratie gemessen werden kann, so auch nicht die Künstler, die gewöhnlich aus dem Bürgertum stammten, oder - aus Ehrgeiz oder durch die Bedingungen ihres Berufes genötigt - versuchten, in das Bürgertum einzusteigen.

Das "System des gesellschaftlichen Austauschs", das Großmann beschreibt und deutet, ist selbstverständlich gut bekannt. Man kann auch nicht sagen, daß er überraschend neue Thesen entwickelte. Aber was er bietet, hat eigenen Wert: eine umfassende, klar gegliederte, objektive Rekonstruktion eines wichtigen Teils deutschen Lebens, im Anfangsstadium der Industrialisierung und des Nationalismus, die durch eine Menge von archivalischen Funden neue und oft wichtige Akzente erhält. Sowohl als Sozialgeschichte wie auch als Beitrag zur Kunstgeschichte des 19. Jahrhunderts ist das Buch sehr zu begrüßen. PETER PARET

Joachim Großmann: "Künstler, Hof und Bürgertum". Leben und Arbeit von Malern in Preußen 1786-1850. Akademie Verlag, Berlin 1994. 297 S., Abb., geb., 98,- DM.

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