Künstler und Strichezieher spürt den Veränderungen des Konstruierens in seinem gesellschaftlichen Umfeld im internationalen Vergleich nach. Der als Untersuchungsgegenstand gewählte Maschinenbau war der Leitsektor sowohl für die industrielle Entwicklung als auch für die Herausbildung der Technikwissenschaften. Der erste Teil des Buches behandelt die Entwicklung der Konstruktionslehre an den technischen Hochschulen und die Entstehung und Ausbildung der Konstruktionsabteilungen in der deutschen Maschinenbauindustrie; der zweite Teil blickt vergleichend auf Großbritannien, die USA und Frankreich. Künstler und Strichezieher bietet einen Kulturvergleich des Maschinenbaus, des Ingenieurberufs und der Ingenieursausbildung in den vier wichtigsten Industrieländern in der Phase der Hochindustrialisierung."
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.09.1999Gouvernante der Industrie
Rechnung mit Gefühl verbinden: Wolfgang König stellt die Technik zwischen Theorie und Praxis
Auch die nüchternen Ingenieure neigen gelegentlich zum Übertreiben: Als Künstler haben sie sich stilisiert, dann wieder beklagten sie, als Strichezieher oder Zeichenknechte missbraucht zu werden. Vor einigen Jahren hat Hans-Liudger Dienel in Selbstdarstellungen schöne Beispiele dafür gefunden, wie Techniker ihre Herrschaft über die Natur feierten, sich aber auch schicksalhaft an den Erfolg ihrer Artefakte gefesselt sahen. Der Widerspruch zwischen genialischer Erfindung und industrieller Verwertung verweist zugleich auf allgemeinere Fragen nach dem gesellschaftlichen Stellenwert des "Kulturfaktors Technik".
Fest steht, dass die öffentliche Anerkennung der tatsächlichen Bedeutung von Ingenieuren nur selten entsprach. Gegenüber den wortreichen Debatten der Ideologieproduzenten standen die Agenten einer umfassenden Technisierung unserer Umwelt meist im Hintergrund. Entsprechend lief auch die Aufmerksamkeit der schriftfixierten Historiker meist an ihnen vorbei. Wolfgang König hat sich jetzt einer der zentralen Tätigkeiten des Technikers angenommen. Auch beim Konstruieren, fand er heraus, standen sich von Beginn an ein schöpferisch-intuitives und ein eher formelles Verständnis gegenüber. Betonte das erste den substantiellen Akt der Erfindung, so begriff sich das andere als routinierte Anwendung von Naturgesetzen. Wie schwer es ist, beides zusammenzubringen, zeigt sich, wenn die spröde Technikerprosa poetisch wird: "Vom Kleinsten bis zum Größten allgewaltig / erfaßt's mit Geisteskraft Technologie: / die große Wissenschaft, die kundige Lehrerin der Industrie!"
Der Maschinenbau war um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts zu einem Leitsektor der industriellen Revolution geworden. Den Weg seiner Etablierung zwischen Naturwissenschaft und Industrie zeichnet König in drei Durchläufen nach. Ferdinand Redtenbacher, einer der Begründer der Technikwissenschaften in Deutschland, wollte beim Konstruieren von Maschinen noch "Rechnung mit Gefühl" verbinden. Der langjährige Direktor des 1856 gegründeten Vereins Deutscher Ingenieure, Franz Grashoff, riet dagegen, das Hochschulstudium aus dem "Schlepptau des praktischen Bedürfnisses" zu befreien: Der Ingenieur müsse der Praxis möglichst voraus sein.
Damit war ein Konflikt programmiert: Gegen eine stärker praxisorientierte Ausbildung standen fortan Versuche, die technischen Hochschulen stärker an die Universitäten anzulehnen. Franz Reuleaux, der vielleicht einflussreichste "Ingenieurprofessor" des neunzehnten Jahrhunderts, ging die Sache gleich philosophisch an und entwarf eine komplexe "Kinematik" des Konstruierens. Der Vorwurf der Praxisferne ließ nicht lange auf sich warten. Alois Riedler führte einen langjährigen Methodenstreit gegen die "Mathematiker" an und drängte darauf, dass in den technischen Lehranstalten Laboratorien eingerichtet wurden. Schließlich fanden sich - wie stets in der Wissenschaftsgeschichte - die Synthetiker, und siedelten die Technikwissenschaften zwischen Theorie und Praxis an.
Für die Konstruktionspraxis in der Industrie werden von König in einem zweiten Durchgang vier historische Typen identifiziert: die pionierhafte Meisterkonstruktion aus einer Hand, die von der Fertigung bereits getrennte Erfinderkonstruktion, die arbeitsteilige Konstrukteurskonstruktion und schließlich die rationell abgestimmte Firmenkonstruktion. Diese Modelle erwuchsen aus der zunehmenden Binnendifferenzierung des Maschinenbaus, aus einem wachsenden Rationalisierungsdruck und ökonomischer Konkurrenz. Die Autonomie der Werkstatt wurde immer stärker durch die "Herrschaft des Büros" beschnitten. Zwischen Konstruktion und Fertigung schob sich jetzt die Arbeitsvorbereitung, die Maschinen wurden dabei zunehmend normiert und typisiert. König weist auf den langen Vorlauf der Rationalisierungswelle hin, die während der zwanziger Jahre über Taylorismus und Technokratie bisweilen sogar ins Politische umschlagen konnte.
Die Pendelausschläge zwischen mehr theoretisch und mehr praktisch orientierten Vertretern der Zunft überraschen freilich wenig. So ähnlich haben sich in einer zunehmend differenzierten Produktionswelt wohl die meisten Berufsgruppen herausgebildet. König beschreibt einen Teilaspekt der Professionalisierung von Ingenieuren sehr detailliert, aber zunächst weitgehend aus der Binnenperspektive. Als Beitrag zu einer weitergefassten Kulturgeschichte des Konstruierens und des "konstruktiven Denkens" kann diese Studie erst ein Anfang sein. Denn dabei handelt es sich zweifellos um Schlüsselbegriffe der wissenschaftlich-technischen Zivilisation, die eine im Vorwort angedeutete "ganzheitliche historische Darstellung" durchaus verdienen.
Werden die unterschiedlichen Positionen zu Methode und Stellenwert des Konstruierens von König ausgreifend beschrieben, so wirken die abschließenden Vergleichsblicke auf Frankreich, England und Amerika geradezu kühn reduziert: Franzosen und Deutsche, so das Ergebnis, entwickelten eher eine theoretisch avancierte Schulkultur, Engländer und Amerikaner hingegen eine experimentierfreudige Praxiskultur. Mit ihren vorbildlich soliden und funktionstüchtigen, aber oft auch kostspieligen und schwerfälligen Konstruktionen wirkten die Deutschen besonders auf die Amerikaner in der Regel "too Dutch".
Die deutsche "Konstruktionskultur" - den von Thomas P. Hughes eingeführten Begriff "Technikstil" möchte König wegen seiner deterministischen Anklänge nicht verwenden - war von einer besonders starken Kluft zwischen dem Konstruieren und dem Fertigen geprägt und hat empirische Elemente vergleichsweise stark aus der Ingenieursausbildung verdrängt. Das ist die solide Bilanz eines Buches, das allenfalls in der Verlagswerbung Anklänge ans Angelsächsische haben mag, im Inhalt aber sicherlich deutsch, vielleicht etwas "too Dutch", geraten ist.
DIRK VAN LAAK.
Wolfgang König: "Künstler und Strichezieher". Konstruktions- und Technikkulturen im deutschen, britischen, amerikanischen und französischen Maschinenbau zwischen 1850 und 1930. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1999. 263 S., br., 19,80 DM.
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Rechnung mit Gefühl verbinden: Wolfgang König stellt die Technik zwischen Theorie und Praxis
Auch die nüchternen Ingenieure neigen gelegentlich zum Übertreiben: Als Künstler haben sie sich stilisiert, dann wieder beklagten sie, als Strichezieher oder Zeichenknechte missbraucht zu werden. Vor einigen Jahren hat Hans-Liudger Dienel in Selbstdarstellungen schöne Beispiele dafür gefunden, wie Techniker ihre Herrschaft über die Natur feierten, sich aber auch schicksalhaft an den Erfolg ihrer Artefakte gefesselt sahen. Der Widerspruch zwischen genialischer Erfindung und industrieller Verwertung verweist zugleich auf allgemeinere Fragen nach dem gesellschaftlichen Stellenwert des "Kulturfaktors Technik".
Fest steht, dass die öffentliche Anerkennung der tatsächlichen Bedeutung von Ingenieuren nur selten entsprach. Gegenüber den wortreichen Debatten der Ideologieproduzenten standen die Agenten einer umfassenden Technisierung unserer Umwelt meist im Hintergrund. Entsprechend lief auch die Aufmerksamkeit der schriftfixierten Historiker meist an ihnen vorbei. Wolfgang König hat sich jetzt einer der zentralen Tätigkeiten des Technikers angenommen. Auch beim Konstruieren, fand er heraus, standen sich von Beginn an ein schöpferisch-intuitives und ein eher formelles Verständnis gegenüber. Betonte das erste den substantiellen Akt der Erfindung, so begriff sich das andere als routinierte Anwendung von Naturgesetzen. Wie schwer es ist, beides zusammenzubringen, zeigt sich, wenn die spröde Technikerprosa poetisch wird: "Vom Kleinsten bis zum Größten allgewaltig / erfaßt's mit Geisteskraft Technologie: / die große Wissenschaft, die kundige Lehrerin der Industrie!"
Der Maschinenbau war um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts zu einem Leitsektor der industriellen Revolution geworden. Den Weg seiner Etablierung zwischen Naturwissenschaft und Industrie zeichnet König in drei Durchläufen nach. Ferdinand Redtenbacher, einer der Begründer der Technikwissenschaften in Deutschland, wollte beim Konstruieren von Maschinen noch "Rechnung mit Gefühl" verbinden. Der langjährige Direktor des 1856 gegründeten Vereins Deutscher Ingenieure, Franz Grashoff, riet dagegen, das Hochschulstudium aus dem "Schlepptau des praktischen Bedürfnisses" zu befreien: Der Ingenieur müsse der Praxis möglichst voraus sein.
Damit war ein Konflikt programmiert: Gegen eine stärker praxisorientierte Ausbildung standen fortan Versuche, die technischen Hochschulen stärker an die Universitäten anzulehnen. Franz Reuleaux, der vielleicht einflussreichste "Ingenieurprofessor" des neunzehnten Jahrhunderts, ging die Sache gleich philosophisch an und entwarf eine komplexe "Kinematik" des Konstruierens. Der Vorwurf der Praxisferne ließ nicht lange auf sich warten. Alois Riedler führte einen langjährigen Methodenstreit gegen die "Mathematiker" an und drängte darauf, dass in den technischen Lehranstalten Laboratorien eingerichtet wurden. Schließlich fanden sich - wie stets in der Wissenschaftsgeschichte - die Synthetiker, und siedelten die Technikwissenschaften zwischen Theorie und Praxis an.
Für die Konstruktionspraxis in der Industrie werden von König in einem zweiten Durchgang vier historische Typen identifiziert: die pionierhafte Meisterkonstruktion aus einer Hand, die von der Fertigung bereits getrennte Erfinderkonstruktion, die arbeitsteilige Konstrukteurskonstruktion und schließlich die rationell abgestimmte Firmenkonstruktion. Diese Modelle erwuchsen aus der zunehmenden Binnendifferenzierung des Maschinenbaus, aus einem wachsenden Rationalisierungsdruck und ökonomischer Konkurrenz. Die Autonomie der Werkstatt wurde immer stärker durch die "Herrschaft des Büros" beschnitten. Zwischen Konstruktion und Fertigung schob sich jetzt die Arbeitsvorbereitung, die Maschinen wurden dabei zunehmend normiert und typisiert. König weist auf den langen Vorlauf der Rationalisierungswelle hin, die während der zwanziger Jahre über Taylorismus und Technokratie bisweilen sogar ins Politische umschlagen konnte.
Die Pendelausschläge zwischen mehr theoretisch und mehr praktisch orientierten Vertretern der Zunft überraschen freilich wenig. So ähnlich haben sich in einer zunehmend differenzierten Produktionswelt wohl die meisten Berufsgruppen herausgebildet. König beschreibt einen Teilaspekt der Professionalisierung von Ingenieuren sehr detailliert, aber zunächst weitgehend aus der Binnenperspektive. Als Beitrag zu einer weitergefassten Kulturgeschichte des Konstruierens und des "konstruktiven Denkens" kann diese Studie erst ein Anfang sein. Denn dabei handelt es sich zweifellos um Schlüsselbegriffe der wissenschaftlich-technischen Zivilisation, die eine im Vorwort angedeutete "ganzheitliche historische Darstellung" durchaus verdienen.
Werden die unterschiedlichen Positionen zu Methode und Stellenwert des Konstruierens von König ausgreifend beschrieben, so wirken die abschließenden Vergleichsblicke auf Frankreich, England und Amerika geradezu kühn reduziert: Franzosen und Deutsche, so das Ergebnis, entwickelten eher eine theoretisch avancierte Schulkultur, Engländer und Amerikaner hingegen eine experimentierfreudige Praxiskultur. Mit ihren vorbildlich soliden und funktionstüchtigen, aber oft auch kostspieligen und schwerfälligen Konstruktionen wirkten die Deutschen besonders auf die Amerikaner in der Regel "too Dutch".
Die deutsche "Konstruktionskultur" - den von Thomas P. Hughes eingeführten Begriff "Technikstil" möchte König wegen seiner deterministischen Anklänge nicht verwenden - war von einer besonders starken Kluft zwischen dem Konstruieren und dem Fertigen geprägt und hat empirische Elemente vergleichsweise stark aus der Ingenieursausbildung verdrängt. Das ist die solide Bilanz eines Buches, das allenfalls in der Verlagswerbung Anklänge ans Angelsächsische haben mag, im Inhalt aber sicherlich deutsch, vielleicht etwas "too Dutch", geraten ist.
DIRK VAN LAAK.
Wolfgang König: "Künstler und Strichezieher". Konstruktions- und Technikkulturen im deutschen, britischen, amerikanischen und französischen Maschinenbau zwischen 1850 und 1930. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1999. 263 S., br., 19,80 DM.
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