Der heutige Mensch will selbst die Dinge tun, will selbst die Selbsterfahrung erleben. Er will sich viel weniger sagen lassen, was er tun soll. Es findet ein weitreichender menschheitlicher Emanzipierungsprozeß von jeglicher äußerer Autorität statt. Natürlich wäre es möglich auch gegenteilige Tendenzen zu beschreiben. Zu jeder zeitlichen Entwicklung gehört zugleich ein Zu-Früh, ein ungeduldiges Vorauseilen-wollen und ein Zu-Spät, ein träges Zu-lange-an-Altem-festhalten-müssen. Die ruhig fortschreitende Evolution kann in unsicheren, in turbulenten Zeiten als zu langsam empfunden werden und in ruhigeren Zeiten als zu schnell. Auch im menschlichen Lebensgang wechseln Zeiten ruhigerer Tendenz, mit solchen größerer Umbrüche. Bestehen konkrete Voraussetzungen für den heutigen Menschen, sich auf seinem individuellen Lebensweg in einem mittleren Strom zu bewegen, der eine innere, ruhig fortschreitende Evolution seiner selbst ermöglicht, selbst und gerade dann, wenn die äußeren oder inneren Turbulenzen stark sind? Eine mögliche Herangehensweise ist heutzutage die Biografie-Arbeit, besonders dann, wenn sie eine künstlerische wird. Wenn auch die gewissenhafte Bearbeitung der eigenen Biografie nicht so einfach erscheint, so besteht doch die hoffnungsvolle Möglichkeit intensiver an seiner Biografie zu arbeiten.Wer sich in einer Lebenslage empfindet, die es erlaubt, sich auf seinen Selbstschulungs-Prozeß innerhalb der Biografie-Arbeit einzulassen, findet in einer künstlerischen Umgehensweise mit sich selbst, einen möglicherweise tragfähigen Ausgangspunkt.An der eigenen Biografie arbeiten zu dürfen ist ein Privileg, das ich mir selbst zubillige oder eben nicht. Die oben erwähnte Tendenz eines allgemeinen Emanzipations-Prozesses des heutigen Menschen muß aber nicht vor der eigenen Biografie haltmachen. Dazu einige anregende Fragen:Bestehen etwa Möglichkeiten mich sogar von meiner bisherigen Betrachtungsweise auf die eigene Biografie zu emanzipieren? Sollte es wirklich möglich sein, daß ich durch eine befreiende Selbstschulung meiner selbst, einen erweiterten, sogar schöpfersichen Blick üben könnte auf mein eigenes Leben, wie immer auch mein Leben sich gestaltet? Und sollte es vielleicht sogar möglich werden können, daß ich realistische Blicke auf Geschehnisse in meinem Leben lenken könnte, die eine Umwertung mancher meiner Be-Wertungen zur Folge haben würden, im Sinne der genannten Emanzipation, als einer inneren Freiheitsbewegung, bei der ich selbst rEvolutionärin wäre und zugleich der zu stürzende Diktator? Könnte es sein, daß ich mich selbst einem unbewußten Diktat feststehender Be-Wertungen, Urteile und Verurteilungen, auf mein eigenes Leben bezogen, unterworfen habe, die ich als solche aber nicht erkenne, ja vielleicht nicht einmal als solche wahrhaben will? Könnte es sogar möglich werden, daß ich nicht nur das Leben mich gestaltend erfasse, sondern zugleich auch mein Leben kreativer gestalten könnte? Wäre es vielleicht sogar möglich, daß ich in Zukunft, durch tiefere Einsichten in meine biografischen Verhältnisse und Zusammenhänge, manches Muß als ein Ich-will auffassen könnte und dem eigenen Leben dadurch einen kreativen Grundcharakter verleihen würde? Es erscheint das Leben als Ganzes, als ein offenbares Geheimnis. Würden Sie das in Ihrem eigenen Leben bewahrheitet finden, so könnte dies ein neues Licht in Ihrem Leben bedeuten. Wem es möglich wird, als existentielles Erlebnis, sein Leben als das zu erfassen, was es auch ist, der wird entdecken können, daß die Biografie eines Menschen, was immer der Mensch auf seinem Lebensgang erlebt, eine spirituelle Lebenseinweihung darstellt, (auch dann, wenn er Atheist wäre), die wir in der Biografie-Arbeit entdecken und lesen lernen können. Wäre das Leben des Menschen wirklich eine spirituelle Lebenseinweihung, so würde notwendig Vieles in einem noch ganz anderen Lichte erscheinen können.