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Die Einheit von Kunst und Leben ist eine der meisterhobenen und doch nur selten erfüllten Forderungen der Kunst der Moderne. Ralf Beil richtet den Blick auf den Einsatz von realen Lebensmitteln als Kunstmaterial und überrascht den Leser mit geistvollen Querverbindungen und pointiertem Sprachwitz, mit sinnlichem Esprit und einer Topologie von Kreativität, der sich bisher noch kein Autor in dieser speziellen Form gewidmet hat. Von Egon Schiele, der 1912 in einer Gefängniszelle aus geknetetem und eingeritztem Brot das Bildnis eines St. Pöltner Häftlings formt, über den Futuristen Marinetti…mehr

Produktbeschreibung
Die Einheit von Kunst und Leben ist eine der meisterhobenen und doch nur selten erfüllten Forderungen der Kunst der Moderne. Ralf Beil richtet den Blick auf den Einsatz von realen Lebensmitteln als Kunstmaterial und überrascht den Leser mit geistvollen Querverbindungen und pointiertem Sprachwitz, mit sinnlichem Esprit und einer Topologie von Kreativität, der sich bisher noch kein Autor in dieser speziellen Form gewidmet hat. Von Egon Schiele, der 1912 in einer Gefängniszelle aus geknetetem und eingeritztem Brot das Bildnis eines St. Pöltner Häftlings formt, über den Futuristen Marinetti ('Obstbomben für Italien'), Salvador Dali ('Der surreale Hummer'), Meret Oppenheim ('Terrarium der Nudeltierchen'), Dieter Roth ('Salami-Sonnenfett Oder: Der fröhliche Schimmelpilz') bis zu Joseph Beuys ('Das Sauerkraut der Freiheit') und schließlich zur Produktionsstätte für eingelegtes Gemüse des amerikanischen Installationskünstlers Jason Rhoades geleitet Ralf Beil seine Leser. Dabei findet er in s einen ebenso sinnlichen wie zuweilen auch philosophischen Umkreisungen Berührungspunkte zwischen der Kunst und der Literatur, schaut auf Psychologie, Alltagskultur und religiöse Rituale, vor allem aber zieht er faszinierende Querverbindungen durch alle Epochen des 20. Jahrhunderts.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.04.2003

Was es auch ist, kochen können sie
Künstler sind es, die mit bester Absicht manches Gute zusammenbrutzeln: Ralf Beil schaut in die Töpfe

Kochwettbewerbe in Kunsthallen, Küchendunst in Museen, klappernde Bestecke in Ausstellungen - "es kocht wieder" im Kunstbetrieb. Rirkrit Tiravanija kredenzt sein Thai-Curry, Jason Rhoades läßt seine Mixed Pickles in der Kevin-Costner-Zentrifuge säuern. Der aktuelle Trend zur Künstlerküche verrät das Verlangen nach Realien, nach gemeinschaftlicher Organisation fundamentaler Bedürfnisse, nach Momenten der Einverleibung und Gesten des Austausches. Jetzt gibt es das Buch zum Trend, das ihn allerdings als Jahrhundertphänomen ausweist und relativiert: "Künstlerküche" von Ralf Beil. Es versteht sich als Material-Ikonographie, aber untersucht zugleich die besondere Rolle von Ei, Brot, Honig, Sauerkraut beim jeweiligen Künstler. Das reicht von Egon Schiele, der in der Untersuchungshaft das Porträt eines Mithäftlings in Brotteig knetet, und Louise Bourgeois' Vatermord mit Hilfe einer Baguette über Futuristen, Surrealisten, Neue Realisten, Joseph Beuys und Dieter Roth bis hin zum Erfinder alimentärer Junggesellenmaschinen namens Jason Rhoades.

Beils Kompendium der anthropologischen Erweiterungsschübe der Kunst des zwanzigsten Jahrhunderts zeichnet sich aus durch anekdotenreiche Gemengelage, die dann mit kunsthistorischem Besteck aufschlußreich seziert wird. Den Futuristen kommt in der Künstlerküche die Pionierrolle zu, weil sie die Nahrungsmittel und das Essen zur Perfektionierung des Menschen einsetzen wollten. Sie verbanden diese Mission mit dem Happening, der Inszenierung und dem Spektakel. Santopalato - heiliger Gaumen - tauften sie ihr Versammlungslokal und Verkostungsinstitut in Turin, wo Marinetti elffach gemüsedurchschossene "Fleischplastik" kredenzte, das mit Kugeln gespickte "Huhn Fiat" oder die lakritzegeschwängerte Dessertbombe "Elastiksüß". Die Futuristen betrieben die Abschaffung der Pasta asciutta, "dieser absurden Religion der italienischen Gastronomie", weil sie "skeptisch, langsam, pessimistisch" stimme, aber auch die Abhängigkeit von Getreideimporten erhöhte - die futuristische Küchenmetaphysik des zu elektrisierenden Körpers war politisch unterfüttert.

Die Surrealisten nutzten Lebensmittel dann zur semantischen Grenzüberschreitung. Salvador Dalí setzte sie ein, um seine Privatfehde mit Breton zu nähren: "Die Kiefer sind unsere besten Erkenntniswerkzeuge." Er erklärte seine polymorph perverse Persönlichkeitsstruktur zum Prinzip jeder künstlerischen Schöpfung: "Die Schönheit wird eßbar sein, oder sie wird nicht sein." Das Buch überrascht mit Ausgrabungen auch im vermeintlich asketischen Milieu: So geht es um ein verlorengegangenes Marzipan-Relief von Marcel Duchamp, mit dem der legendäre "Schweiger" frei nach Arcimboldo Dalís Geschwätzigkeit aufs Korn nahm.

Das Nahrungsmittel in der Kunst interessiert den Kunsthistoriker und Kurator Beil vor allem als "Anspielungskarussell, in dem man immer wieder aufs neue Sinn-Runden drehen kann". Mit den Fallenbildern von Daniel Spoerri - er fixierte Tischsituationen und Mahlzeitenreste und hängte sie als Bildobjekt an die Wand - begann vor vierzig Jahren das Interesse an den Restmomenten des Konsums. Auf der Suche nach der Anti-Form, dem "Anderen" der Kunst, brachte es nicht jeder zur Lakonie eines Piero Manzoni, der mit seiner eingedosten "Merda d'Artista" idolatrische Bestrebungen des Publikums persiflierend bediente. Um den Preis der Exkrementdöschen zu ermitteln, wurden sie mit Gold aufgewogen: Man versteht es als Freudschen Hinweis, warum Künstlerkot eher zum Glück verhilft als Geld.

Paul Valéry zufolge beginnt Kunst erst "in zwei Metern Entfernung vom Menschen". Die Künstlerküche erweist sich als eins der wirksamsten Mittel, diese bürgerliche Schutzzonenverordnung immer wieder zu unterschreiten und gar durch "Einverleibung" aufzulösen. Allerdings demonstriert Beils Buch durch seine Jahrhundertperspektive, daß gerade der umweglose Zugriff auf das Leben zu den periodisch durchagierten Träumen der Künstlergattung gehört. Das Schicksal relikthaften Gerinnens auf der Speisenkarte der Kunstgeschichte erscheint deshalb unausweichlich. Die Doppeldeutigkeit des französischen palais gibt den Hinweis: Der Weg vom Gaumen zum (Museums-)Palast ist so kurz wie ein Zungenschlag.

RUDOLF SCHMITZ

Ralf Beil: "Künstlerküche". Lebensmittel als Kunstmaterial von Schiele bis Jason Rhoades. Dumont Verlag, Köln 2002. 296 S., Farb- u. S/W-Abb., geb., 39,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Ralf Beil ist der besonderen Verbindung von Kunst und Küche, Kunst und Lebensmitteln bereits in einer Dissertation nachgegangen, berichtet Nico Bleutge, die er für diesen, wie man so schön sagt, kulinarischen Kunstführer überarbeitet hat. Zum einen ist dieser Führer durch die Künstlerküche nun üppig bebildert worden, zum anderen hat Beil, so Bleutge, den akademischen Rahmen einer klassischen Abhandlung des Themas verlassen und erörtert stattdessen in elf monografischen Kapiteln den künstlerischen Einsatz von Lebensmitteln in Bild und Skulptur quer durch das 20. Jahrhundert. Schon die Futuristen hätten die ästhetisch-politische Botschaft der Nahrung erkannt und diese für ihre Programmatik instrumentalisiert. Weiter dabei: natürlich Salvador Dali, Marcel Duchamp, Joseph Beuys und Dieter Roth. Roth überließ, erzählt Bleutge, seine Zuckergussbüsten dem natürlichen Zerfall. Spätestens hier hat dem Rezensenten Beils These eingeleuchtet, dass alle Arten von kulinarischem Material durch Tabus und Rituale kulturell unterlegt sind.

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