Essays über die altmeisterliche Kunst Europas.Martin Warnke schrieb für ein größeres Publikum über vier Jahrzehnte Essays zur altmeisterlichen Kunst Europas. Er nahm Ausstellungen und Bücher unter anderem zu Dürer, Leonardo, Rembrandt und Velászquez zum Anlass seiner kritischen Ansichten, die gerade auch den vielfältigen Kontexten der Ausstellungs- und Erinnerungskultur galten. Elegant in der Form und ironisch im Ton bietet Warnke dabei über den Tag hinaus anregende Einsichten, die den kunst- und kulturhistorischen Horizonten in der Rezeption der Alten Meister gelten. Seine kritische Kunstgeschichtsschreibung regt in klassischer Weise an, die miteinander verschränkten Welten von Wissenschaft, Museum, Sammler und Publikum in ihren wechselnden Abhängigkeiten zu entdecken. Im Blick auf Goya, Picasso und Salvador Dalí demonstriert Warnke bis in die Moderne hinein die Macht der Inszenierung, die den Künstler und sein Werk jederzeit zum provokativen Anlass kultureller Nachdenklichkeit werden lassen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.07.2019Kulturdiagnostiker am Puls der Vorzeit
Den Künstler und seine Epoche begreifen lernen: Die besten Kunstkritiken Martin Warnkes sind nun in einem Buch versammelt
Wenn der Kunsthistoriker Martin Warnke nicht schon durch den Aufbau einer Schule luzider Wissenschaftler an den Universitäten von Marburg und Hamburg seine Meriten hätte - für seine nun unter dem Titel "Künstlerlegenden. Kritische Ansichten" herausgegebenen Besprechungen gebührten ihm allemal welche.
Die höchste Bestimmung von Kunstkritik ist eine aktuelle Zeitlosigkeit, und tatsächlich ist die älteste in diesem Band nach fünfundfünfzig Jahren immer noch so lesenswert und wissenschaftlich auf dem Stand, als sei sie gestern geschrieben. Das liegt daran, dass Warnke sich nie über Details der jeweils besprochenen Ausstellungen in den Museen verliert, sondern stets schnell auf die Künstler und ihre Zeit zu sprechen kommt.
Mit dieser Collage ist daher eine Kulturkritik geglückt, wie sie aufklärender nicht sein könnte. Wieder abgedruckt sind in dem Bändchen zwanzig Rezensionen Martin Warnkes aus verschiedenen Zeitungen. Wenn heute "Geschichten der Welt" in zehn oder fünfzig Objekten sehr en vogue sind, bietet Warnke eine Weltkunstgeschichte anhand von knapp zwei Dutzend Protagonisten, die auch nie im luftleer ahistorischen Raum stattfindet, sondern immer die Interaktionen mit den Auftraggebern miteinbezieht.
In der chronologischen Anordnung gleicht sie einem zunehmend beschleunigten Staffellauf von Künstlern aus gut fünfhundert Jahren, beginnend mit dem fünfzehnten Jahrhundert und endend in der Klassischen Moderne des frühen zwanzigsten. Noch etwas nervös steht in den Startblöcken der Frühniederländer Robert Campin, neben Jan van Eyck, einem der Wegbereiter der Ölmalerei und damit einem ersten namhaften Künstler im angeblich anonymen Mittelalter; es wird kräftig Anlauf genommen mit den Renaissancesprintern Mantegna und Da Vinci, dem melancholischen Dürer und vor allem dem frühesten systematisierenden Kunsthistoriker und Künstler zugleich - Giorgio Vasari, der im sechzehnten Jahrhundert mehr oder weniger schmeichelhafte Kritiken über seine Kollegen verfasste. Die ersten Hürden in den Barock werden behende übersprungen von Caravaggio, der als Erfinder des Stils gelten darf, um dann souverän von Rubens, der Warnke zufolge ebenso sehr Diplomat wie Künstler war, gemeistert zu werden.
Rembrandt hingegen, dem völlig zu Recht gleich drei Artikel gewidmet sind, umläuft wie bei Monty Python dreist die Hindernisse, keinesfalls aus Bequemlichkeit, vielmehr, weil er das Übersehene im Graben daneben finden will. Die drei Spanier Goya, Picasso und Dalí - Warnke hat früher als andere seinen Blick auf die iberoamerikanische Welt gerichtet - lässt er ins Ziel der Moderne einlaufen. Eingeleitet wird diese von Künstler zu Künstler weitergegebene Staffelstab der Kunst von einem Essay, der die kristalline Sprache Warnkes würdigt, die sich durch ihre Abstinenz von Fachtermini auch Nicht-Kunsthistorikern empfiehlt; es folgt ein Interview des Herausgebers mit dem Autor.
Ein Vorwurf könnte lauten, dass hier eine Olympiade ausschließlich der Heroen der Kunstgeschichte gefeiert wird. Im Gegenteil aber macht die Abkehr von einer autorlosen Stil- oder Formkritik die Kunst menschlich, indem Warnke etwa Dürer mit seinem "Schüler" Baldung vergleicht. Auch Caravaggio und die "Erschaffung der Natur" sind Sternstunden menschelnder Kunstgeschichtsschreibung ab '68, wird doch nahegelegt, dass Caravaggio gerade aufgrund seiner problematischen Persönlichkeit das Stillleben erfunden hat. Durch Warnkes genaues "Lesen" der Landschaftsgemälde Jacob van Ruisdaels leuchtet sofort ein, dass der Niederländer keine realen Bäume porträtiert, sie eher locker wie Requisiten auf einer Bühne arrangiert, um die Perfektion des Gotteswerks im Buch der Natur zu belegen. Damit werden Ruisdaels Naturansichten zugleich "Politische Landschaften", wie Warnke es später in einem epochalen Buch zuspitzen sollte.
Der Schlusssatz der konzisen Betrachtung zu Ruisdael öffnet auch einen Spaltbreit die Tür zum Arbeitszimmer des Autors: "Ruisdael war Mennonit und musste als solcher gewiss seine Ästhetik vor seinem Gewissen rechtfertigen, und sei es nur durch den Eifer, in Bildern die Wunderwerke Gottes in seinem freien Vaterland vorzuzeigen." Warnkes lebenslange Beschäftigung mit Fragen des Bilderverbots, der daraus resultierenden Ikonoklasmen und ihrer zum Teil produktiven Auswirkungen auf die Kunst der Moderne, rührt nicht zuletzt her von seiner eigenen Sozialisation als Sohn eines Pfarrers in Brasilien. Schließlich sind auch die Überlegungen zum Bildhauer Benvenuto Cellini als "Künstler und Verbrecher" ungemein heutig, zeigen sie doch, dass uns verirrte Künstler wie Nolde nicht sympathisch sein müssen, um dennoch ihren Rang zu behalten. Das Fehlen von Künstlerinnen kann Warnke nicht angekreidet werden, da es Einzelschauen zu diesen erst seit wenigen Jahren gibt.
Es ist kaum übertrieben, das Buch einen Cicerone zu nennen, denn was Jacob Burckhardts nicht überholter Führer zu den zentralen Orten der italienischen Renaissance ist, das sind Warnkes "Künstlerlegenden" für die Artisten - ein Vademecum, das mit gebotenem Abstand durch eine immer wieder fremde, aber staunenswerte Welt führt.
STEFAN TRINKS
Martin Warnke: "Künstlerlegenden". Kritische Ansichten.
Wallstein Verlag, Göttingen 2019. 204 S., geb., 18,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Den Künstler und seine Epoche begreifen lernen: Die besten Kunstkritiken Martin Warnkes sind nun in einem Buch versammelt
Wenn der Kunsthistoriker Martin Warnke nicht schon durch den Aufbau einer Schule luzider Wissenschaftler an den Universitäten von Marburg und Hamburg seine Meriten hätte - für seine nun unter dem Titel "Künstlerlegenden. Kritische Ansichten" herausgegebenen Besprechungen gebührten ihm allemal welche.
Die höchste Bestimmung von Kunstkritik ist eine aktuelle Zeitlosigkeit, und tatsächlich ist die älteste in diesem Band nach fünfundfünfzig Jahren immer noch so lesenswert und wissenschaftlich auf dem Stand, als sei sie gestern geschrieben. Das liegt daran, dass Warnke sich nie über Details der jeweils besprochenen Ausstellungen in den Museen verliert, sondern stets schnell auf die Künstler und ihre Zeit zu sprechen kommt.
Mit dieser Collage ist daher eine Kulturkritik geglückt, wie sie aufklärender nicht sein könnte. Wieder abgedruckt sind in dem Bändchen zwanzig Rezensionen Martin Warnkes aus verschiedenen Zeitungen. Wenn heute "Geschichten der Welt" in zehn oder fünfzig Objekten sehr en vogue sind, bietet Warnke eine Weltkunstgeschichte anhand von knapp zwei Dutzend Protagonisten, die auch nie im luftleer ahistorischen Raum stattfindet, sondern immer die Interaktionen mit den Auftraggebern miteinbezieht.
In der chronologischen Anordnung gleicht sie einem zunehmend beschleunigten Staffellauf von Künstlern aus gut fünfhundert Jahren, beginnend mit dem fünfzehnten Jahrhundert und endend in der Klassischen Moderne des frühen zwanzigsten. Noch etwas nervös steht in den Startblöcken der Frühniederländer Robert Campin, neben Jan van Eyck, einem der Wegbereiter der Ölmalerei und damit einem ersten namhaften Künstler im angeblich anonymen Mittelalter; es wird kräftig Anlauf genommen mit den Renaissancesprintern Mantegna und Da Vinci, dem melancholischen Dürer und vor allem dem frühesten systematisierenden Kunsthistoriker und Künstler zugleich - Giorgio Vasari, der im sechzehnten Jahrhundert mehr oder weniger schmeichelhafte Kritiken über seine Kollegen verfasste. Die ersten Hürden in den Barock werden behende übersprungen von Caravaggio, der als Erfinder des Stils gelten darf, um dann souverän von Rubens, der Warnke zufolge ebenso sehr Diplomat wie Künstler war, gemeistert zu werden.
Rembrandt hingegen, dem völlig zu Recht gleich drei Artikel gewidmet sind, umläuft wie bei Monty Python dreist die Hindernisse, keinesfalls aus Bequemlichkeit, vielmehr, weil er das Übersehene im Graben daneben finden will. Die drei Spanier Goya, Picasso und Dalí - Warnke hat früher als andere seinen Blick auf die iberoamerikanische Welt gerichtet - lässt er ins Ziel der Moderne einlaufen. Eingeleitet wird diese von Künstler zu Künstler weitergegebene Staffelstab der Kunst von einem Essay, der die kristalline Sprache Warnkes würdigt, die sich durch ihre Abstinenz von Fachtermini auch Nicht-Kunsthistorikern empfiehlt; es folgt ein Interview des Herausgebers mit dem Autor.
Ein Vorwurf könnte lauten, dass hier eine Olympiade ausschließlich der Heroen der Kunstgeschichte gefeiert wird. Im Gegenteil aber macht die Abkehr von einer autorlosen Stil- oder Formkritik die Kunst menschlich, indem Warnke etwa Dürer mit seinem "Schüler" Baldung vergleicht. Auch Caravaggio und die "Erschaffung der Natur" sind Sternstunden menschelnder Kunstgeschichtsschreibung ab '68, wird doch nahegelegt, dass Caravaggio gerade aufgrund seiner problematischen Persönlichkeit das Stillleben erfunden hat. Durch Warnkes genaues "Lesen" der Landschaftsgemälde Jacob van Ruisdaels leuchtet sofort ein, dass der Niederländer keine realen Bäume porträtiert, sie eher locker wie Requisiten auf einer Bühne arrangiert, um die Perfektion des Gotteswerks im Buch der Natur zu belegen. Damit werden Ruisdaels Naturansichten zugleich "Politische Landschaften", wie Warnke es später in einem epochalen Buch zuspitzen sollte.
Der Schlusssatz der konzisen Betrachtung zu Ruisdael öffnet auch einen Spaltbreit die Tür zum Arbeitszimmer des Autors: "Ruisdael war Mennonit und musste als solcher gewiss seine Ästhetik vor seinem Gewissen rechtfertigen, und sei es nur durch den Eifer, in Bildern die Wunderwerke Gottes in seinem freien Vaterland vorzuzeigen." Warnkes lebenslange Beschäftigung mit Fragen des Bilderverbots, der daraus resultierenden Ikonoklasmen und ihrer zum Teil produktiven Auswirkungen auf die Kunst der Moderne, rührt nicht zuletzt her von seiner eigenen Sozialisation als Sohn eines Pfarrers in Brasilien. Schließlich sind auch die Überlegungen zum Bildhauer Benvenuto Cellini als "Künstler und Verbrecher" ungemein heutig, zeigen sie doch, dass uns verirrte Künstler wie Nolde nicht sympathisch sein müssen, um dennoch ihren Rang zu behalten. Das Fehlen von Künstlerinnen kann Warnke nicht angekreidet werden, da es Einzelschauen zu diesen erst seit wenigen Jahren gibt.
Es ist kaum übertrieben, das Buch einen Cicerone zu nennen, denn was Jacob Burckhardts nicht überholter Führer zu den zentralen Orten der italienischen Renaissance ist, das sind Warnkes "Künstlerlegenden" für die Artisten - ein Vademecum, das mit gebotenem Abstand durch eine immer wieder fremde, aber staunenswerte Welt führt.
STEFAN TRINKS
Martin Warnke: "Künstlerlegenden". Kritische Ansichten.
Wallstein Verlag, Göttingen 2019. 204 S., geb., 18,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Ein Vademecum, das mit gebotenem Abstand durch eine immer wieder fremde, aber staunenswerte Welt führt.« (Stefan Trinks, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31.07.2019) »Seine (Warnkes) kritische Art regt an, Wissenschaft, Museum, Sammler und Publikum in ihren Abhängigkeiten besser zu verstehen.« (Michael Kemmerer, Main-Echo, 18.09.2019)