Künstliche Intelligenz (KI) steht für Maschinen, die können, was der Mensch kann: hören und sehen, sprechen, lernen, Probleme lösen. In manchem sind sie inzwischen nicht nur schneller, sondern auch besser als der Mensch. Wie funktionieren diese klugen Maschinen? Bedrohen sie uns, machen sie uns gar überflüssig? Die Journalistin und KI-Expertin Manuela Lenzen erklärt anschaulich, was Künstliche Intelligenz kann und was uns erwartet.Künstliche Intelligenz ist das neue Zauberwort des digitalen Kapitalismus. Intelligente Computersysteme stellen medizinische Diagnosen und geben Rechtsberatung. Sie managen den Aktienhandel und steuern bald unsere Autos. Sie malen, dichten, dolmetschen und komponieren. Immer klügere Roboter stehen an den Fließbändern, begrüßen uns im Hotel, führen uns durchs Museum oder braten Burger und schnipseln den Salat dazu. Doch neben die Utopie einer schönen neuen intelligenten Technikwelt sind längst Schreckbilder getreten: von künstlichen Intelligenzen, die uns auf Schritt und Tritt überwachen, die unsere Arbeitsplätze übernehmen und sich unsererKontrolle entziehen.Manuela Lenzen zeigt, welche Hoffnungen und Befürchtungen realistisch sind und welche in die Science Fiction gehören. Sie beschreibt, wie ein gutes Leben mit der Künstlichen Intelligenz aussehen könnte - und dass wir von klugen Maschinen eine Menge über uns selbst lernen können.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.04.2018Was kann das Computerhirn?
Manuela Lenzen erklärt die Wege Künstlicher Intelligenz
Gewaltige Datenmengen, enorm gestiegene Rechnerleistung und verbesserte Modelle haben in der Informatik vor einigen Jahren eine neue Entwicklung angestoßen: die Entwicklung von Computerprogrammen, welche Aufgaben bewältigen können, die bis dahin eine Domäne der Menschen waren. Es geht auf diesem Feld der Künstlichen Intelligenz (KI) um Strategiespiele wie Schach oder Go, das Verstehen von gesprochener und geschriebener Sprache, das Erkennen von Gesichtern, medizinische Diagnosen und sehr vieles mehr. Bekannte Unternehmen wie Alphabet (Google), Facebook oder Microsoft investieren große Summen in diese Entwicklung, sie haben viele der führenden Fachleute auf dem Gebiet in ihre Dienste genommen.
Die Diskussion darüber, was Computer einmal können werden, hat infolgedessen an Breite gewonnen und ist längst nicht mehr auf die Informatik beschränkt: Neurowissenschaft, Biologie, Wirtschaftslehre und auch philosophische Überlegungen kommen ins Spiel. Manuela Lenzen, Autorin auch dieser Zeitung, hat nun eine Einführung vorgelegt, die alle diese Aspekte von KI erschließt und einsichtig macht. Sie geht auch ausführlich auf die gern erörterte große Frage der KI ein, ob es einmal eine Art künstliche Superintelligenz geben könnte, also ein Computergehirn, das dem menschlichen Gehirn in allen Belangen mindestens ebenbürtig oder gar überlegen ist.
Dafür erörtert sie, was sich unter Begriffen wie Gefühl, Emotion oder Bewusstsein verstehen lässt, und sieht sich an, was ihre Entsprechungen in den Leistungen von Rechnern sein könnten. Man muss nicht auf dem Standpunkt stehen, dass dies die essentiellen Fragen des Faches sind. Für den Physiker Max Tegmark beispielsweise ist das maßgebliche Kriterium zur Beurteilung einer KI schlicht deren konkrete Kompetenz: Welche Aufgabe kann sie bewältigen, und kann sie das nach quantifizierbaren Maßstäben besser oder schlechter als ein Mensch? Ob sie dabei tatsächlich "denkt", etwas empfindet oder sogar noch ganz andere Erwägungen anstellt, ist aus diesem Blickwinkel zweitrangig.
Die von Manuela Lenzen klar dargelegten Fragen spielen in der KI-Forschung allerdings durchaus eine Rolle. Das gilt gerade für die derzeit angesagten Methoden, die mit sogenannten künstlichen neuronalen Netzen (KNN) arbeiten, mit einer Software also, deren Funktionsweise sich an Abläufen orientiert, die für die Modellierung der Funktionen des menschlichen Gehirns verwendet werden. Der Informatiker Geoffrey Hinton, einer der Pioniere auf diesem Feld, regte unlängst etwa eine Diskussion darüber an, ob nicht in den KNN mehr Strukturen vorab festgelegt werden und nicht erst durch das "Trainieren" der Netze fixiert werden sollten, um bessere Ergebnisse zu erzielen. Yann LeCun, der führende KI-Forscher von Facebook (und einst wissenschaftlicher Mitarbeiter Hintons), beteiligt sich an dieser Diskussion ebenso engagiert wie auf der anderen Seite der in New York lehrende Psychologe Gary Marcus. Mitarbeiter von Facebook und Google arbeiten in diesem Zusammenhang auch an so etwas wie einem "gesunden Menschenverstand" für Rechner, also einer allgemeineren Gegenwartswahrnehmung, die über konkrete hochspezialisierte Fertigkeit hinausgeht - für den Philosophen John Searle ist das eine wesentliche Voraussetzung für Intelligenz, auch für künstliche.
Manuela Lenzen widmet sich auch eingehend den schon absehbaren Folgen zunehmender Rechner-Fertigkeiten, vergisst aber auch nicht eine historische Einführung in die Entstehung des Forschungsfeldes. Ihr Buch nimmt den Leser mit in die fünfziger Jahre, als das Fach während einer Tagung am Dartmouth College im amerikanischen Bundesstaat Hanover entstand. Sie diskutiert den möglichen Einfluss cleverer Computer auf Arbeitsmärkte und Beschäftigung, eine Robotersteuer oder die Idee, alle Mitarbeiter zu Miteigentümern am Maschinenpark zu machen. Sie überlegt, ob Menschen eine Beziehung zu Maschinen eingehen können und wie diese aussieht; und schließlich erörtert sie die Frage, ob und wie Menschen mit Maschinen aus eigenem Wunsch heraus einmal verschmelzen könnten.
Wichtig ist auch der von ihr diskutierte militärische Aspekt der Künstlichen Intelligenz. Das Thema wird in der kommenden Woche die Vereinten Nationen beschäftigen. Unlängst haben KI-Fachleute rund um den Globus angekündigt, ein südkoreanisches Forschungsinstitut zu boykottieren, das mit einem Waffenhersteller zusammenarbeitet, und Google-Mitarbeiter haben einen Mahnbrief an ihren Chef geschrieben, weil sich der Konzern an einem vom amerikanischen Verteidigungsministeriums aufgelegten Programm beteiligt. Im Zentrum auch dieser Diskussion steht letztlich eine Frage, auf die Debatten über KI oft hinauslaufen: Was macht uns eigentlich als Menschen aus? Manuela Lenzens Buch hilft dabei, eine triftige Antwort auf sie zu finden.
ALEXANDER ARMBRUSTER
Manuela Lenzen: "Künstliche Intelligenz". Was sie kann & was uns erwartet.
C. H. Beck Verlag, München 2018. 272 S., br., 16,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Manuela Lenzen erklärt die Wege Künstlicher Intelligenz
Gewaltige Datenmengen, enorm gestiegene Rechnerleistung und verbesserte Modelle haben in der Informatik vor einigen Jahren eine neue Entwicklung angestoßen: die Entwicklung von Computerprogrammen, welche Aufgaben bewältigen können, die bis dahin eine Domäne der Menschen waren. Es geht auf diesem Feld der Künstlichen Intelligenz (KI) um Strategiespiele wie Schach oder Go, das Verstehen von gesprochener und geschriebener Sprache, das Erkennen von Gesichtern, medizinische Diagnosen und sehr vieles mehr. Bekannte Unternehmen wie Alphabet (Google), Facebook oder Microsoft investieren große Summen in diese Entwicklung, sie haben viele der führenden Fachleute auf dem Gebiet in ihre Dienste genommen.
Die Diskussion darüber, was Computer einmal können werden, hat infolgedessen an Breite gewonnen und ist längst nicht mehr auf die Informatik beschränkt: Neurowissenschaft, Biologie, Wirtschaftslehre und auch philosophische Überlegungen kommen ins Spiel. Manuela Lenzen, Autorin auch dieser Zeitung, hat nun eine Einführung vorgelegt, die alle diese Aspekte von KI erschließt und einsichtig macht. Sie geht auch ausführlich auf die gern erörterte große Frage der KI ein, ob es einmal eine Art künstliche Superintelligenz geben könnte, also ein Computergehirn, das dem menschlichen Gehirn in allen Belangen mindestens ebenbürtig oder gar überlegen ist.
Dafür erörtert sie, was sich unter Begriffen wie Gefühl, Emotion oder Bewusstsein verstehen lässt, und sieht sich an, was ihre Entsprechungen in den Leistungen von Rechnern sein könnten. Man muss nicht auf dem Standpunkt stehen, dass dies die essentiellen Fragen des Faches sind. Für den Physiker Max Tegmark beispielsweise ist das maßgebliche Kriterium zur Beurteilung einer KI schlicht deren konkrete Kompetenz: Welche Aufgabe kann sie bewältigen, und kann sie das nach quantifizierbaren Maßstäben besser oder schlechter als ein Mensch? Ob sie dabei tatsächlich "denkt", etwas empfindet oder sogar noch ganz andere Erwägungen anstellt, ist aus diesem Blickwinkel zweitrangig.
Die von Manuela Lenzen klar dargelegten Fragen spielen in der KI-Forschung allerdings durchaus eine Rolle. Das gilt gerade für die derzeit angesagten Methoden, die mit sogenannten künstlichen neuronalen Netzen (KNN) arbeiten, mit einer Software also, deren Funktionsweise sich an Abläufen orientiert, die für die Modellierung der Funktionen des menschlichen Gehirns verwendet werden. Der Informatiker Geoffrey Hinton, einer der Pioniere auf diesem Feld, regte unlängst etwa eine Diskussion darüber an, ob nicht in den KNN mehr Strukturen vorab festgelegt werden und nicht erst durch das "Trainieren" der Netze fixiert werden sollten, um bessere Ergebnisse zu erzielen. Yann LeCun, der führende KI-Forscher von Facebook (und einst wissenschaftlicher Mitarbeiter Hintons), beteiligt sich an dieser Diskussion ebenso engagiert wie auf der anderen Seite der in New York lehrende Psychologe Gary Marcus. Mitarbeiter von Facebook und Google arbeiten in diesem Zusammenhang auch an so etwas wie einem "gesunden Menschenverstand" für Rechner, also einer allgemeineren Gegenwartswahrnehmung, die über konkrete hochspezialisierte Fertigkeit hinausgeht - für den Philosophen John Searle ist das eine wesentliche Voraussetzung für Intelligenz, auch für künstliche.
Manuela Lenzen widmet sich auch eingehend den schon absehbaren Folgen zunehmender Rechner-Fertigkeiten, vergisst aber auch nicht eine historische Einführung in die Entstehung des Forschungsfeldes. Ihr Buch nimmt den Leser mit in die fünfziger Jahre, als das Fach während einer Tagung am Dartmouth College im amerikanischen Bundesstaat Hanover entstand. Sie diskutiert den möglichen Einfluss cleverer Computer auf Arbeitsmärkte und Beschäftigung, eine Robotersteuer oder die Idee, alle Mitarbeiter zu Miteigentümern am Maschinenpark zu machen. Sie überlegt, ob Menschen eine Beziehung zu Maschinen eingehen können und wie diese aussieht; und schließlich erörtert sie die Frage, ob und wie Menschen mit Maschinen aus eigenem Wunsch heraus einmal verschmelzen könnten.
Wichtig ist auch der von ihr diskutierte militärische Aspekt der Künstlichen Intelligenz. Das Thema wird in der kommenden Woche die Vereinten Nationen beschäftigen. Unlängst haben KI-Fachleute rund um den Globus angekündigt, ein südkoreanisches Forschungsinstitut zu boykottieren, das mit einem Waffenhersteller zusammenarbeitet, und Google-Mitarbeiter haben einen Mahnbrief an ihren Chef geschrieben, weil sich der Konzern an einem vom amerikanischen Verteidigungsministeriums aufgelegten Programm beteiligt. Im Zentrum auch dieser Diskussion steht letztlich eine Frage, auf die Debatten über KI oft hinauslaufen: Was macht uns eigentlich als Menschen aus? Manuela Lenzens Buch hilft dabei, eine triftige Antwort auf sie zu finden.
ALEXANDER ARMBRUSTER
Manuela Lenzen: "Künstliche Intelligenz". Was sie kann & was uns erwartet.
C. H. Beck Verlag, München 2018. 272 S., br., 16,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.08.2018Was Maschinen können
Manuela Lenzen informiert über künstliche Intelligenz. Sie hält wenig von großen Ängsten und übertriebenen Erwartungen
Nur wenige der einschlägig Forschenden wollen sich darauf festlegen, dass es nie dazu kommen wird, was manche Filme jetzt schon ausmalen: künstliche Intelligenzen, die sich verselbständigen. Das ist eine der Erkenntnisse, die die Wissenschaftsjournalistin Manuela Lenzen während ihrer Recherche zusammengetragen hat. Das sprechende Computerprogramm Samantha, das wir aus dem Film „Her“ kennen, wäre dabei die harmlose Variante. Der Schmerz, den der verliebte Theodore erleben muss, als er bemerkt, dass Samantha nicht nur mit ihm, sondern zu gleicher Zeit auch mit Hunderten anderen kommuniziert, ist erträglich, verglichen mit den körperlichen Schmerzen, die die Androidin Ava in dem Film „Ex Machina“ den Menschen um sich herum zufügt, um sich von diesen zu befreien.
Doch Lenzen hält genau von solchen Szenarien Abstand. In ihrem Buch „Künstliche Intelligenz. Was sie kann und was uns erwartet“ ruft sie vor allem zu einem auf: „Kommt mal wieder auf den Teppich!“ Künstliche Intelligenz sei weder in Form von Robotern noch in Form eines global vernetzten Computersystems eine bald drohende Gefahr. Genauso wenig aber sei sie das Allheilmittel für Menschheitsprobleme, das Optimisten in ihr sehen. Sie werde weder selbständig die Superformel finden, die die globale Klimaproblematik löst, noch uns zu ihren eigenen Zwecken zu Sklaven machen. Sie werde uns weder allen ein Leben ohne jede lästige Arbeit ermöglichen noch uns alle Arbeit wegnehmen. Es hänge allein von uns ab, wo genau zwischen diesen Extremen unsere tatsächliche Zukunft liegen wird.
Das klingt nach einer trivialen Position des gesunden Menschenverstandes. Doch genau diese ist im gegenwärtigen Hype durchaus nötig und willkommen, vor allem dann, wenn sie mit so gut geordneten Gründen, vor einem soliden, technisch und historisch informierten Hintergrund entwickelt wird wie hier.
Von jeder Art allgemeiner künstlicher Intelligenz sind wir noch weit entfernt, hält Lenzen fest. Bisher gibt es erst jede Menge spezielle künstliche Intelligenz: Schachspieler, „Jeopardy“-Antworter, Home-Assistenten, Diagnostiker in der Medizin und Ähnliches. Und was meint man mit „künstlicher Intelligenz“ überhaupt genau? Lenzen bietet in dieser Einführung keine vollständige Definition, sondern sensibilisiert klugerweise vor allem für die Schwierigkeiten einer solchen Definition – die schon dabei beginnen, dass nicht klar ist, was „Intelligenz“ bedeutet.
Zeigt sie sich darin, ein Gespräch führen zu können, wie es zum Turing-Test gehört, auch wenn die Maschine nicht versteht, was sie sagt, wie insbesondere der Philosoph John Searle kritisierte? Oder zeigt sie sich im Berechnen von Fahrtrouten oder Ähnlichem – obwohl man einen Taschenrechner, der im Grunde das Gleiche tut, nicht als intelligent bezeichnen möchte? Offenbar müssen mehrere Fähigkeiten zusammenkommen, gewöhnliche Computerprogramme arbeiten nur Routinen ab. Künstliche intelligente Systeme hingegen orientieren sich in der Umwelt, passen ihr Verhalten an und können aus Fehlern lernen.
„Deep Learning“ ist das Stichwort für die jüngste Blüte der KI-Forschung, die es das erste Mal schon in den Fünfzigern gegeben hatte. Der Wechsel vom symbolischen zum subsymbolischen Lernen, das nur mit leistungsstarken Prozessoren und großen Datenmengen möglich ist, gab neuen Aufschwung. Lenzen erklärt knapp und klar, was neuronale Netzwerke sind; den Unterschied zwischen Programmieren und Trainieren; was Gehirne von Computern unterscheidet und wie genau Algorithmen funktionieren. Dabei macht sie anschaulich, inwiefern es bei der Forschung zu künstlicher Intelligenz nicht nur darum geht, neue, überraschende, leistungsfähige Maschinen zu bauen, sondern zugleich darum, den Menschen selbst und das, was ihn angeblich von Tieren unterscheidet, besser zu verstehen: seine Rationalität, seine Autonomie, seine Kreativität – und selbst seine Emotionen.
Das, was wir unter Emotionen verstehen, kann in funktionaler Hinsicht perfekt imitiert werden. Eine theoretische Frage dabei bleibt, welche Rolle die Erlebnisqualität und Erfahrung im emphatischen Sinn für intelligente Wesen spielen.
Was praktische Fragen betrifft, so führt Lenzen Probleme an, die sich schon heute stellen, vor jeder Existenz einer allgemeinen Superintelligenz. Hier spricht sie von der Wissenschaft, dem Internet der Dinge, der Umwälzung der Arbeitswelt, dem Militär und schließlich von „Pseudogefährten“, also den immer beliebteren Home-Assistenten oder für therapeutische Zwecke erfundenen Therapie-Robbe Paro.
In allen Fällen beschreibt sie gegenwärtige Anwendungen und ihre Vor- und Nachteile, ergänzt sie um Hintergrundinformationen wie Forschungsergebnisse und formuliert dann besonnene, konstruktiv-kritische Fragen. Etwa, wenn sie von Studien zum „overtrust“ berichtet, wonach Menschen einem Roboter überraschend stark vertrauen, sodass sie selbst in einem Notfall seiner Wegweisung folgen, selbst wenn er sich vorher Fehler geleistet hat. Wie können solche psychologischen Phänomene bei der Gestaltung von Robotern berücksichtigt werden?
Es ist dies kein Buch der starken Thesen, keines von Selbstversuchen oder spektakulären Reportagen. Vielmehr bietet es einen sachlichen Überblick und ist damit, auch dank des detaillierten Index und der Literaturliste zum Weiterlesen, ein gelungenes Einstiegswerk.
Am Schluss wagt Lenzen dennoch eine kleine Utopie. Sie spekuliert, dass die Technik den Menschen zugunsten seiner Persönlichkeitsentwicklung entlasten wird, und fragt sich, ob die Menschheit, wenn solche Persönlichkeiten sich dann intelligenter Maschinen als Hilfe bedienten, „nicht tatsächlich eine neue Stufe der Zivilisation erreichen“ könnte.
Das Buch sollte allerdings bald gelesen werden. Sehr bald, damit die technischen Teile nicht schon wieder überholt sind, und damit möglichst viele mit darauf hinwirken, unsere Zukunft mit der künstlichen Intelligenz klug zu gestalten.
EVA WEBER-GUSKAR
Manuela Lenzen: Künstliche Intelligenz. Was sie kann und was uns erwartet. Verlag C.H. Beck, München 2018. 272 Seiten. 16,96 Euro.
Was macht Intelligenz aus?
Fahrtrouten berechnen?
Gespräche führen?
Im Notfall vertrauen Menschen
selbst Robotern, die vorher
Fehler gemacht haben
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Manuela Lenzen informiert über künstliche Intelligenz. Sie hält wenig von großen Ängsten und übertriebenen Erwartungen
Nur wenige der einschlägig Forschenden wollen sich darauf festlegen, dass es nie dazu kommen wird, was manche Filme jetzt schon ausmalen: künstliche Intelligenzen, die sich verselbständigen. Das ist eine der Erkenntnisse, die die Wissenschaftsjournalistin Manuela Lenzen während ihrer Recherche zusammengetragen hat. Das sprechende Computerprogramm Samantha, das wir aus dem Film „Her“ kennen, wäre dabei die harmlose Variante. Der Schmerz, den der verliebte Theodore erleben muss, als er bemerkt, dass Samantha nicht nur mit ihm, sondern zu gleicher Zeit auch mit Hunderten anderen kommuniziert, ist erträglich, verglichen mit den körperlichen Schmerzen, die die Androidin Ava in dem Film „Ex Machina“ den Menschen um sich herum zufügt, um sich von diesen zu befreien.
Doch Lenzen hält genau von solchen Szenarien Abstand. In ihrem Buch „Künstliche Intelligenz. Was sie kann und was uns erwartet“ ruft sie vor allem zu einem auf: „Kommt mal wieder auf den Teppich!“ Künstliche Intelligenz sei weder in Form von Robotern noch in Form eines global vernetzten Computersystems eine bald drohende Gefahr. Genauso wenig aber sei sie das Allheilmittel für Menschheitsprobleme, das Optimisten in ihr sehen. Sie werde weder selbständig die Superformel finden, die die globale Klimaproblematik löst, noch uns zu ihren eigenen Zwecken zu Sklaven machen. Sie werde uns weder allen ein Leben ohne jede lästige Arbeit ermöglichen noch uns alle Arbeit wegnehmen. Es hänge allein von uns ab, wo genau zwischen diesen Extremen unsere tatsächliche Zukunft liegen wird.
Das klingt nach einer trivialen Position des gesunden Menschenverstandes. Doch genau diese ist im gegenwärtigen Hype durchaus nötig und willkommen, vor allem dann, wenn sie mit so gut geordneten Gründen, vor einem soliden, technisch und historisch informierten Hintergrund entwickelt wird wie hier.
Von jeder Art allgemeiner künstlicher Intelligenz sind wir noch weit entfernt, hält Lenzen fest. Bisher gibt es erst jede Menge spezielle künstliche Intelligenz: Schachspieler, „Jeopardy“-Antworter, Home-Assistenten, Diagnostiker in der Medizin und Ähnliches. Und was meint man mit „künstlicher Intelligenz“ überhaupt genau? Lenzen bietet in dieser Einführung keine vollständige Definition, sondern sensibilisiert klugerweise vor allem für die Schwierigkeiten einer solchen Definition – die schon dabei beginnen, dass nicht klar ist, was „Intelligenz“ bedeutet.
Zeigt sie sich darin, ein Gespräch führen zu können, wie es zum Turing-Test gehört, auch wenn die Maschine nicht versteht, was sie sagt, wie insbesondere der Philosoph John Searle kritisierte? Oder zeigt sie sich im Berechnen von Fahrtrouten oder Ähnlichem – obwohl man einen Taschenrechner, der im Grunde das Gleiche tut, nicht als intelligent bezeichnen möchte? Offenbar müssen mehrere Fähigkeiten zusammenkommen, gewöhnliche Computerprogramme arbeiten nur Routinen ab. Künstliche intelligente Systeme hingegen orientieren sich in der Umwelt, passen ihr Verhalten an und können aus Fehlern lernen.
„Deep Learning“ ist das Stichwort für die jüngste Blüte der KI-Forschung, die es das erste Mal schon in den Fünfzigern gegeben hatte. Der Wechsel vom symbolischen zum subsymbolischen Lernen, das nur mit leistungsstarken Prozessoren und großen Datenmengen möglich ist, gab neuen Aufschwung. Lenzen erklärt knapp und klar, was neuronale Netzwerke sind; den Unterschied zwischen Programmieren und Trainieren; was Gehirne von Computern unterscheidet und wie genau Algorithmen funktionieren. Dabei macht sie anschaulich, inwiefern es bei der Forschung zu künstlicher Intelligenz nicht nur darum geht, neue, überraschende, leistungsfähige Maschinen zu bauen, sondern zugleich darum, den Menschen selbst und das, was ihn angeblich von Tieren unterscheidet, besser zu verstehen: seine Rationalität, seine Autonomie, seine Kreativität – und selbst seine Emotionen.
Das, was wir unter Emotionen verstehen, kann in funktionaler Hinsicht perfekt imitiert werden. Eine theoretische Frage dabei bleibt, welche Rolle die Erlebnisqualität und Erfahrung im emphatischen Sinn für intelligente Wesen spielen.
Was praktische Fragen betrifft, so führt Lenzen Probleme an, die sich schon heute stellen, vor jeder Existenz einer allgemeinen Superintelligenz. Hier spricht sie von der Wissenschaft, dem Internet der Dinge, der Umwälzung der Arbeitswelt, dem Militär und schließlich von „Pseudogefährten“, also den immer beliebteren Home-Assistenten oder für therapeutische Zwecke erfundenen Therapie-Robbe Paro.
In allen Fällen beschreibt sie gegenwärtige Anwendungen und ihre Vor- und Nachteile, ergänzt sie um Hintergrundinformationen wie Forschungsergebnisse und formuliert dann besonnene, konstruktiv-kritische Fragen. Etwa, wenn sie von Studien zum „overtrust“ berichtet, wonach Menschen einem Roboter überraschend stark vertrauen, sodass sie selbst in einem Notfall seiner Wegweisung folgen, selbst wenn er sich vorher Fehler geleistet hat. Wie können solche psychologischen Phänomene bei der Gestaltung von Robotern berücksichtigt werden?
Es ist dies kein Buch der starken Thesen, keines von Selbstversuchen oder spektakulären Reportagen. Vielmehr bietet es einen sachlichen Überblick und ist damit, auch dank des detaillierten Index und der Literaturliste zum Weiterlesen, ein gelungenes Einstiegswerk.
Am Schluss wagt Lenzen dennoch eine kleine Utopie. Sie spekuliert, dass die Technik den Menschen zugunsten seiner Persönlichkeitsentwicklung entlasten wird, und fragt sich, ob die Menschheit, wenn solche Persönlichkeiten sich dann intelligenter Maschinen als Hilfe bedienten, „nicht tatsächlich eine neue Stufe der Zivilisation erreichen“ könnte.
Das Buch sollte allerdings bald gelesen werden. Sehr bald, damit die technischen Teile nicht schon wieder überholt sind, und damit möglichst viele mit darauf hinwirken, unsere Zukunft mit der künstlichen Intelligenz klug zu gestalten.
EVA WEBER-GUSKAR
Manuela Lenzen: Künstliche Intelligenz. Was sie kann und was uns erwartet. Verlag C.H. Beck, München 2018. 272 Seiten. 16,96 Euro.
Was macht Intelligenz aus?
Fahrtrouten berechnen?
Gespräche führen?
Im Notfall vertrauen Menschen
selbst Robotern, die vorher
Fehler gemacht haben
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Frederic Jage-Bowler sagt es nicht explizit, aber er scheint in diesem Buch von Manuela Lenzen über Künstliche Intelligenz viel gelernt zu haben. Denn die Wissenschaftsjournalistin arbeite systematisch die technischen Grundlagen heraus heraus und diskutiere dann mögliche gesellschaftliche Folgen. So lernt der Rezensent etwa, wie Algorithmen als formalisierte Problemlösungsprozesse auch präzise Prognose liefern können und wie weit selbstlernende Systeme noch davon entfernt sind, echte Künstliche Intelligenz zu werden: Denn es ist für eine KI leichter, einen Schach-Großmeister zu schlagen als Zahnpasta auf die Zahnbürste zu geben.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
"Ein großer Wurf."
Politische Studien, Andreas Raffeiner
"Verständlich, sprachlich gut, fachlich versiert."
Psychologie Heute, Klaus Wilhelm
"Ein gelungenes Einstiegswerk."
Süddeutsche Zeitung, Eva Weber-Guskar
"Wegweiser durch die Zukunft, die längst schon begonnen hat, sollte zur Pflichtlektüre auch in den Schulen werden."
Harald Raab, Reihn Neckar Zeitung, 14. Juli 2018
"Manuela Lanzen räumt mit Mythen auf und beschreibt (...) alles, was man derzeit über KI wissen muss."
Dana Heide, Handelsblatt, 8. Juni 2018
"Ein gelungenes Werk, das ein komplexes Thema leicht verständlich macht."
Adrian Lobe, Neue Zürcher Zeitung am Sonntag, 29. April 2018
"Sehr empfehlenswert."
Die Presse, 24. Februar 2018
Politische Studien, Andreas Raffeiner
"Verständlich, sprachlich gut, fachlich versiert."
Psychologie Heute, Klaus Wilhelm
"Ein gelungenes Einstiegswerk."
Süddeutsche Zeitung, Eva Weber-Guskar
"Wegweiser durch die Zukunft, die längst schon begonnen hat, sollte zur Pflichtlektüre auch in den Schulen werden."
Harald Raab, Reihn Neckar Zeitung, 14. Juli 2018
"Manuela Lanzen räumt mit Mythen auf und beschreibt (...) alles, was man derzeit über KI wissen muss."
Dana Heide, Handelsblatt, 8. Juni 2018
"Ein gelungenes Werk, das ein komplexes Thema leicht verständlich macht."
Adrian Lobe, Neue Zürcher Zeitung am Sonntag, 29. April 2018
"Sehr empfehlenswert."
Die Presse, 24. Februar 2018