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11 Kundenbewertungen

»Ein großes, ergreifendes Buch, bei dem ich mich so sehr nach einem Happy End gesehnt habe wie noch niemals zuvor.« Olga Grjasnowa Ukraine, 90er Jahre. Große Party der Freiheit. Manche tanzen und fressen oben auf dem Trümmerhaufen der Sowjetunion, andere versuchen noch, ihn zu erklimmen. Auch Samira. Mit sieben Jahren macht sie sich auf die Suche nach Freiheit und Wohlstand. Während teure Autos die Straßen schmücken, lebt Samira mit ein paar anderen Kids in einem Haus, wo es keinen Strom, kein warmes Wasser und kein Klo gibt. Aber es geht ihr bestens. Sie hat ein eigenes Sofa zum Schlafen und…mehr

Produktbeschreibung
»Ein großes, ergreifendes Buch, bei dem ich mich so sehr nach einem Happy End gesehnt habe wie noch niemals zuvor.« Olga Grjasnowa Ukraine, 90er Jahre. Große Party der Freiheit. Manche tanzen und fressen oben auf dem Trümmerhaufen der Sowjetunion, andere versuchen noch, ihn zu erklimmen. Auch Samira. Mit sieben Jahren macht sie sich auf die Suche nach Freiheit und Wohlstand. Während teure Autos die Straßen schmücken, lebt Samira mit ein paar anderen Kids in einem Haus, wo es keinen Strom, kein warmes Wasser und kein Klo gibt. Aber es geht ihr bestens. Sie hat ein eigenes Sofa zum Schlafen und eine fast erwachsene Freundin, die ihr alles beibringt. Außerdem hat sie einen Job, und den macht sie gut: betteln. Niemand kann diesem schönen Kind widerstehen, auch Rocky nicht. Er nennt sie Kukolka, Püppchen. Wenn Kukolka ihn lange genug massiert, gibt er ihr sogar Schokolade. Alles scheint perfekt zu sein. Doch Samira hält an ihrem Traum von Deutschland fest. Und ihr Traum wird in Erfüllung gehen, komme, was wolle. Lana Lux hat einen gnadenlos realistischen Roman über Ausbeutung, Gewalt und Schikane geschrieben, über ein Leben am Rande der Gesellschaft, geführt von einer Heldin, die trotz allem schillernder nicht sein könnte.
Autorenporträt
Lux, LanaLana Lux, geboren 1986 in Dnipropetrowsk/Ukraine, wanderte im Alter von zehn Jahren mit ihren Eltern als Kontingentflüchtling nach Deutschland aus. Sie machte Abitur und studierte zunächst Ernährungswissenschaften in Mönchengladbach. Später absolvierte sie eine Schauspielausbildung am Michael Tschechow Studio in Berlin. Seit 2010 lebt und arbeitet sie als Schauspielerin und Autorin in Berlin. 2017 erschien ihr vielbeachtetes Debüt "Kukolka", das in mehrere Sprachen übersetzt wurde, 2020 ihr neuer Roman "Jägerin und Sammlerin".
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.09.2017

Das Püppchen,
das vom Westen träumt
Aus Kindermund: Lana Lux’ Debütroman „Kukolka“
Gemeinsam mit dem blinden Ilja sitzt die kleine Samira an einem Brunnen in der Innenstadt von Dnjepropetrowsk. Ilja spielt Akkordeon, Samira singt dazu. Ihr Lieblingslied ist das von einem kleinen Land hinter den Bergen, in dem die Menschen voller Freude und Liebe zusammenleben und ein schöner Junge auf einem goldenen Pferd wartet. In dieses Land, ihr Sehnsuchtsziel, träumt Samira sich hinein, Tag für Tag. Das Land heißt Deutschland.
Die postsowjetischen, wilden Neunzigerjahre in der Ukraine haben Schriftsteller wie Serhij Zhadan oder Juri Andruchowytsch in Essays und Romanen beschrieben, sie haben das Stimmungsbild eines anarchischen Zwischenzustands eingefangen, in dem auf den Zerfall der kommunistischen Strukturen noch nichts Neues gefolgt war. Ein Nebeneinander von vulgären kapitalistischen Auswüchsen, moralischer Desorientierung und dem Reiz des Neuen, Aufregenden, Offenen. In diese Atmosphäre hinein hat Lana Lux, 1986 in Dnjepropetrowsk geboren und 1996 als Kontingentflüchtling nach Deutschland gekommen, ihr Romanpersonal platziert. Und sie hat sich für das Erzählen aus der Kinderperspektive entschieden. Ein riskantes Unternehmen auf dem schmalen Grat von aus Naivität gespeistem Erkenntnisgewinn und nachgetragenem Autorinnenwissen.
Kukolka ist das ukrainische Wort für Püppchen. Gemünzt ist es auf Samira, die Ich-Erzählerin. Sie wächst in einem Kinderheim auf. Die Zeit davor ist ein schwarzes Loch. Als einmal jemand sagt, jeder müsse eine Mutter haben, bestreitet sie das. Immer dann, wenn Lana Lux Abhängigkeitsverhältnisse als nicht hinterfragbare Selbstverständlichkeiten beschreibt, gelingen ihr schauderhaft beklemmende Szenen.
Die Macht, die von selbst ernannten, durch nichts als Gewalt legitimierten Autoritäten ausgeht, ist ein Zentralmotiv des Romans. Das beginnt im Kinderheim. Samira ist auch innerhalb des Außenseitermilieus stets wiederum eine Außenseiterin, die entweder stigmatisiert oder exotisiert wird: „Zigeunerin“ wird sie gerufen, nur ihrer langen schwarzen Haare wegen. Zum Gegenbild wird ihre Freundin Marina, die von Adoptiveltern nach Deutschland geholt wird. Von diesem Zeitpunkt an ist Deutschland Samiras Trostfantasie.
Aus dem Heim haut sie ab, nur um in die nächste Abhängigkeit zu schlittern, als sie am Bahnhof von Rocky aufgelesen wird. Er fährt einen Alfa Romeo, nimmt Straßenkinder in seinem Haus auf, bildet sie zum Stehlen oder Betteln aus, kassiert das Geld ein und verspricht allen eine bessere Zukunft. Die Älteren wissen, dass er ein Lügner ist, aber ihnen fehlt die Alternative. Rocky ist, wie auch die Insassen der unfreiwilligen Wohngemeinschaft, eine gekonnt ambivalent gezeichnete Figur, Despot und Jammerlappen zugleich. Lydia, die zu Samiras schwesterlicher Freundin wird, ist Rocky in einer Art Stockholm-Syndrom verbunden, nach einem Muster, das sich später bei Samira wiederholen wird.
„Kukolka“ ist kein sonderlich komplexes, dafür aber über weite Strecken ein spannendes Buch. Wie in einem Stationendrama führt Lana Lux ihre kindliche Heldin Schritt für Schritt in einen Extremzustand, in dem ihr kindliches Bewusstsein in hartem Widerspruch zu Samiras körperlicher Entwicklung steht. Dass Samira in aller Naivität einem sich charmant gebenden Zuhälter in die Hände fällt, der das niedliche Püppchen in eine käufliche Lolita ummodelt, ist keine große Überraschung. Das Problem allerdings ist, dass der im ersten Teil intensive Roman mit dem Älterwerden seiner Protagonistin verflacht und anfällig für Klischees wird.
Die handwerklichen Ungereimtheiten gefährden am Ende die Architektur des Romans. Zu Beginn fällt nur die etwas irritierende Inkonsistenz der Perspektive auf. Mal ist Samira entsetzt über das deftige Vokabular, mit dem etwa Genitalien bedacht werden, dann wieder benutzt sie es selbst. Und als Rocky sie zum Einkleiden in einen Second-Hand-Laden bringt, der von einer dünnen, papierenen Frau betrieben wird, heißt es: „Ich hatte Angst, sie würde zu Staub verfallen, sobald sie in die Glut der Sonne tritt.“ So denkt keine Neun- und auch keine Vierzehnjährige, so denkt eine Schriftstellerin.
Zunehmend verfällt das Buch, dessen unabweisbare Stärke in seiner unschuldigen Brutalität liegt, in einen reportagehaft-moralisierenden Tonfall: „Macht. Gewalt. Erniedrigung. Sie bezahlten nicht für den Sex, sondern für das Recht, alles mit mir machen zu dürfen, was durch ihren abartigen Kopf ging.“ Oder: „Nur ein starker Schmerz konnte mich zurückholen. Mich wieder in das Gefängnis meines Körpers einsperren.“ Das sind, um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, Sätze, die der Situation angemessen sein mögen. Im sprachlichen Kosmos des Romans allerdings bedeuten sie einen Bruch. Sehr spät erst klärt sich die Situation auf, aus der heraus all das überhaupt erzählt wird: Nachdem Samira als Fünfzehnjährige, den Kopf voll mit Träumen, in Deutschland zur Prostitution gezwungen wurde (Stereotyp: Die ukrainischen Männer sind schon schlimme Tiere, aber die deutschen erst!), berichtet sie einer Ärztin von ihrer Leidenszeit.
Samiras Erzählung in Berlin beginnt mit eben den Sätzen, mit denen der Roman begonnen hat. Sie braucht die ganze Nacht dafür. Ein Ringschluss also. Danach dürfte es, logisch betrachtet, gar nicht mehr weitergehen. Doch Lana Lux muss, und das ist begreiflich, noch Samiras Deutschlandknoten lösen. Das wiederum geschieht in einem frappierend gut geschriebenen Anti-Showdown. Er versöhnt mit diesem nicht immer gelungenen, aber streckenweise kalkuliert verstörenden Debüt.
CHRISTOPH SCHRÖDER
Lana Lux: Kukolka. Roman. Aufbau Verlag, Berlin 2017. 376 Seiten, 22 Euro.
E-Book 16,99 Euro
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.05.2018

Gestatten - Olivia Twist
Ein Mädchen am Rand: "Kukolka" von Lana Lux

"Sonnenschein" heißt das ukrainische Kinderheim, in dem Samira ihre Kindheit verbringt. Sie hat dunkle Haare und einen Teint. Manche halten sie für eine Zigeunerin. Und das ist kein Kompliment, merkt Samira schnell. Es herrschen rauhe Sitten im "Sonnenschein". Genüsslich werden die unfolgsamen Kinder von der diensthabenden Aufsichtsperson mit einem Gartenschlauch kalt abgespritzt. Obwohl man in dieser sadistisch aufgeladenen Atmosphäre keine echten Freunde gewinnen kann, weil früh klar ist, dass es sich immer rächen wird, wenn man sein Herz an etwas oder jemanden hängt, findet Samira Marina. Ein Mädchen, das man bei seiner Ankunft drangsaliert und das schließlich von deutschen Eltern adoptiert wird.

Einmal noch kommt ein Brief von Marina ins Kinderheim. Dabei liegt eine Barbie. Der Brief wird konfisziert. Samira holt ihn sich wieder und beschließt zu türmen - Ziel: Deutschland. Sie hat weder Geld, noch weiß sie irgendetwas über die Nachtseite jenseits des "Sonnenscheins". Vermutlich ist sie sieben Jahre alt. Irgendwie schafft sie es bis zum Bahnhof. Dort trifft sie einen netten Mann, Rocky, der sie in sein Haus einlädt. Es ist heruntergekommen, viele andere Kinder tummeln sich dort. Rocky bezeichnet sie als seine Familie. Samira stört der Geruch von Zigarettenqualm und stockigem Bettzeug, aber sie ist froh, nicht mehr allein zu sein.

Von jetzt an gehört sie einer Bettlerbande an. Und weil sie ein einträglicher Neuzugang ist, setzt Rocky sie bald für kniffeligere Jobs ein. Zum "Taschenputzen" zum Beispiel. Der Leser kann nun Schritt für Schritt nachvollziehen, wie Missbrauch in seiner ganzen miserablen Dynamik funktioniert. Ein bisschen Rocky "massieren" macht zwar keinen Spaß, aber wenn man sich dabei etwas privilegiert fühlen darf! Und weh tut es ja nicht, denkt Samira sich. Ihr Mitbewohner Sergej prophezeit ihr, wie es bald weitergehen wird mit ihr: "Wenn du erst mal zwei kleine Titten hast, kommt da kein Mutterinstinkt mehr in den verdammten Weibern auf. Und die Kerle wollen dich erst ficken, bevor sie dir einen Schein rüberschieben. Genieße es also, solange es noch geht, Püppi."

"Kukolka" heißt Puppe auf Ukrainisch. Samira wird überall dort, wo man künftig vorgeben wird, es gut mit ihr zu meinen, so genannt. "Kukolka" heißt auch das Debüt der in den neunziger Jahren als Zehnjährige aus der Ukraine nach Deutschland ausgewanderten Lana Lux. Es ist erschütternd. Man hat es auf den ersten fünfzig Seiten ständig unter Klischeeverdacht. Seinen naiven Selbstbehauptungston möchte man nicht gutheißen. Und dann bleibt man doch dran am Aschenbrödel-Stoff. Die Ich-Erzählerin besticht, auch wenn die literarischen Mittel eher bescheiden sind: "Im Klauen war ich echt schlecht", sagt Kukolka über sich selbst. Weswegen sie bald zu höheren Diensten auserkoren wird. Sie hat nämlich eine schöne Stimme und darf Rocky fortan zum Kartenspiel begleiten - als Kindfrau im engen kurzen Kleid.

"Kukolka" ist die ungeheuer traurige und grausame Geschichte eines Mädchens, das in die falschen Hände gerät. Zwei ehemalige "Lieblingsmädchen" von Rocky wird sie zu Grabe tragen. Doch eines Tages taucht Dima auf. Er wird ihr erster richtiger Mann sein - da ist sie dreizehn. Mit seiner Hilfe und gefälschtem Pass landet das Mädchen in Berlin. Die Wohnung in der Ostberliner Platte wird zu einem Liebesnest und später zu einer Art Agentur, von der aus Dima seine Kukolka an deutsche Freier verscherbelt. Weil sie ihren Dima liebt, geht sie nicht mehr ins KaDeWe klauen, sondern in die Wohnungen deutscher Sadisten.

Die Geschichte nimmt ihren erwartbaren schrecklichen Lauf. Man erschrickt über die Routiniertheit, mit der man glaubt, sie zu kennen. Tausendmal gesehen, gelesen, gehört. Aber man bleibt berührt von dieser Erzählerin, die immer ganz auf der Höhe ihrer Erkenntnismöglichkeiten bleibt. Die von der Liebe zu Rocky und zu Dima schreibt, weil sie gar keine Vergleichsgrößen kennt. Und die das Unrecht zwar ahnt, es aber nicht benennen kann. "Kukolka" funktioniert deswegen besonders gut als Jugendroman. Denn er versetzt sich in die Welt eines Kindes, ohne das Wissen, die Moral, den Zynismus der Erwachsenen dafür heranzuziehen. Samira erinnert an Momo im Kampf gegen die grauen Männer: "Ich wurde so ein bisschen wie eine Waschmaschine. Ganz viele Programme, alle laufen automatisch ab, und von außen sieht man nur, dass sich was dreht."

Zum Jugendroman passt auch, dass es zumindest für Samira ein Happy End gibt. Sie ist stark genug, sich vor dem endgültigen Absturz in Sicherheit zu bringen. Der Roman endet mit einer Fahrt zu Marinas Adoptiveltern. Und wie Lana Lux hier mit nur wenigen Pinselstrichen die Illusion vom unverschatteten Gegenort platzen lässt, ist ein unerwarteter Meisterstreich, der einen mit den Klischees dieses Buchs versöhnt.

KATHARINA TEUTSCH.

Lana Lux: "Kukolka". Roman.

Aufbau Verlag, Berlin 2017. 375 S., geb., 22,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Mit "ramponierter Seele" taucht Rezensentin Susanne Messmer aus diesem Debüt der in der Ukraine geborenen Autorin Lana Lux hervor. Das bedeutet für die Kritikerin allerdings nichts Schlechtes, denn Lux vermag ihre Geschichte um ein ukrainisches Heimkind, das sich in den Neunzigern zunächst als Bettlerin und Diebin durchschlägt, in Deutschland zur Prostitution gezwungen und vergewaltigt wird und sich in ihren Zuhälter verliebt, derart nahegehend zu erzählen, dass die Kritikerin sich der Sogkraft und Spannung des Buches nicht entziehen kann. Mehr noch: Selten hat man eine derart authentische und "knappe", zugleich schmerzvolle und "verstörende" Sprache ohne moralische Wertungen und Erklärungen gehört, schwärmt die Rezensentin.

© Perlentaucher Medien GmbH
» Lana Lux fühlt sich mit viel Empathie in ihre Protagonistin. Was 'Kukolka' an vielen Stellen so traurig macht, ist die Nüchternheit, mit der Lana Lux die Abgründe beschreibt « Spiegel online 20170819